07. Mai 182 n.Y., Ehemaliges Österreich, Bezirk Wien, Distrikt 15, 13:54 Uhr

Das Geräusch seiner Schritte wurde mehrfach von den Betonwänden, welche durch Stahlträger gehalten wurden, zurückgeworfen, als er den Tunnel entlanglief, der zum 14. Distrikt des Bezirkes führte, über dem vor fast zweihundert Jahren die Hauptstadt Österreichs, Wien, gelegen hatte. Damals. Vor der Katastrophe. Viele Menschen kamen ums Leben. Da das Militär nur kurz vor dem Ausbruch das unterirdische Tunnelsystem dem Volk offenbart hatte, hatten nur noch wenige die Chance ergreifen können. Ein Drittel der Weltbevölkerung konnte in Sicherheit gebracht werden.

Und dann...

War es vorbei.

Er schob die Hand in die Tasche seiner verschmutzten Lederjacke und zog eine Karte heraus, welche er durch einen Scanner, der sich an der Wand neben dem großen Stahltor mit der Aufschrift Distrikt 14 befand, zog. Mit leisem Zischen öffnete sich das Tor, und er betrat einen weiteren Tunnel, der in seinem Aussehen allen anderen Tunneln glich: Graue Betonwände, an denen Kabel verliefen, an der gewölbten Decke in regelmäßigen Abständen angebrachte flackernde Lampen, die die Tunnel in graues Licht hüllten.

Langsam lief er weiter. Jetzt durfte er kein Geräusch mehr machen. Immer wieder blickte er über seine Schulter, ob ihm jemand gefolgt war. Bald fand er sich vor einer Schotttür wieder. Erneut zog er seine Karte durch einen Scanner und die Tür schwang mit elektronischem Summen auf. Er betrat das dahinterliegende Labor. Er sah sich um. Was hatte Alfred nochmal gesagt? Aus seiner Tasche kramte er ein Gerät heraus. Es glich einem Walkie-Talkie. In gewisser Weise war es das auch. Er drückte auf einen Knopf und auf dem kleinen Display erschien der Schriftzug „Verbindung wird hergestellt...".

Er wartete.

Nichts geschah.

„Verbindung wird hergestellt..."

Nichts.

„Verbindung wird hergestellt..."

Gerade wollte er das Gerät grimmig wieder in seine Jacke stecken, als sich Alfred plötzlich, begleitet von Knack- und Zischlauten, meldete.

„Ja, was gibt's?", brummte er.

„Was war'n das, was ich dir bring' sollte?"

„Alter, John! Gott hat dir vielleicht alles geschenkt, aber 'n Gedächtnis hat er wohl bei dir total vergessen. Du sollst mir vier gottverdammte 8000KV 4-Pole Brushless-Motoren holen und 'n Lasermodul und 'n Akku. Wenn da mehrere Akkus sind, nimm zwei von denen mit der längsten Laufzeit. Die müsste auf dem Akku draufstehen. So, jetz' mach hinne!", sagte Alfred über Funk.

„Ja, ja, schon klar!", sagte John und schaltete das Gerät ab.

Das Labor war vollgestopft mit Maschinen und Bauteilen aller Art. Es dauerte einige Zeit, bis John endlich den Sinn hinter all den Buchstaben und Zahlen und englischen Worten Begriff. Doch nach zehn Minuten stand er mit den gesuchten Bauteilen wieder vor der Tür.

Plötzlich hörte er ein leises Piepen.

Piep, piep, piep! Piep, piep, piep!

„Scheiße, was ist das?!", murmelte John erschrocken.

Das Piepen kam aus seiner Jackentasche.

„Ach so, das Kommunikations-Gerät!" Er legte das Ding an sein Ohr und sagte: „Hm?"

„John, ich bin's nochmal!"

„Wer sollte es sonst sein?"

„Hast auch wieder Recht. Du hast alles beisammen?"

Ein kurzes „Jup" von John war die Antwort.

„Sehr schön. Könntest du bitte noch 'n paar Wasserkanister mitnehmen? Du weißt doch, wie schwer wir's mit dem Wasser haben."

„Ich hab's nicht leichter", sagte John.

„Dann bring dir auch noch was mit", meinte Alfred.

„Und wie soll ich das bitte den ganzen Weg bis Distrikt 04 bringen? Etwa zu Fuß? Da brauch ich Tage!"

„Kein Problem, bring die Kanister einfach bis zur Straße und dann komm ich mit meinem Pickup und hol dich ab, okay?"

„Hm klar", sagte John und dachte sich im Stillen, dass Alfreds Idee nicht minder leicht sein würde. Er sprach es aber nicht aus, denn er wollte seinen Freund nicht verunsichern. Wenn Alfred etwas ausgeheckt hatte, dann musste man ihn das durchziehen lassen, ohne einen negativen Aspekt daran zu nennen, denn wenn man irgendetwas dagegen sagte, war Alfred sofort verunsichert und hörte direkt auf.

Eine Stunde später wurde John von Alfred an der Straße abgeholt. Bei dieser handelte es sich um einen Tunnel wie jeder andere, nur war er breiter, sodass Fahrzeuge ihn durchqueren konnten Und Schallgedämpft, dass der Lärm nicht bis in Amerikas Tunnel drang. Die Menschen, die hier im Untergrund lebten, hatten sich kleine Garagen gemietet, die in die Tunnelwand eingebaut waren. Anders hätte man es nicht lösen können, denn die anderen Tunnel waren zu klein für die meisten Autos. Es gab immer ein paar Unruhestifter, die Motorräder besaßen und damit in allen Tunneln herumfuhren, doch diese wurden von den Sicherheitskräften meist schnell aus dem Verkehr gezogen.

Heute war die Straße leer. Kein Auto fuhr, denn es war Sonntag, Ruhetag. Am Sonntag hatte niemand das Haus zu verlassen, denn man sollte sich ausruhen und mit seiner Familie zusammen sein. Wer Sonntags vor seiner Tür erwischt wurde, wurde bestraft. Darum traute sich keiner, hinauszugehen. Doch John hatte schon unzählige Sonntage in den Tunneln unter Österreich verbracht und nie hatte er auch nur den Anschein eines Sicherheitsmannes bemerkt. Wahrscheinlich, so dachte er sich, ist die Sonntagsregel auch nur ein dummes Märchen, welches sich irgendein Verrückter ausgedacht hat, um alle damit zu verkohlen.

Alfred lud die Wasserkanister und die Maschinenteile auf die Ladefläche seines Pickups. Dann fuhr er los. Da die Straßen leer waren, ließ er den Tachozeiger bis auf 150 voranschreiten, mehr gebe seine alte Kiste leider doch nicht her, sagte er, doch John meinte, dass Alfred einfach zu feige sei, noch schneller zu fahren.

Der Genuss der rasanten Fahrt wurde abrupt von dem Dröhnen einer Sirene unterbrochen. John lugte durch die Heckscheibe des Pickups und erstarrte.

„DIE BULLEN KOMMEN! LOS, SCHNELLER!!!"

Das ließ Alfred sich nicht zweimal sagen. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag herunter. Der Pickup wurde noch schneller.

„Woah! Ich wusste gar nicht, dass der so schnell werden kann!", brüllte Alfred gegen das Dröhnen im Tunnel an.

Der Zeiger überschritt die 160, 170, 180, 190...

Und dann war da die Wand.

Die Straße machte an dieser Stelle eine starke Biegung, doch waren sie zu schnell an den Warnschildern vorbeigefahren.

Das letzte, was John sah, war ein vergilbter Airbag, der ihm in den Bauch schlug und die Luft nahm.

Dann wurde ihm schwarz vor Augen.