Mittwoch - 1.6 - Spielereien
Don't forget - it's fiction!
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Satt und zufrieden schauen sich unsere Gäste zum ersten Mal so richtig in unserem Wohnzimmer um. Tae betrachtet die Bilder, ist stolz, dass er zwei Drucke von van Gogh erkennt - und staunt sehr, dass das dritte Bild an dieser Wand vom selben Künstler sein soll. „Erste Schritte" - ich liebe das Bild! Aber fast niemand kennt es. An der gegenüberliegenden Wand entdeckt er einen Chagall, lässt sich die anderen Bilder erklären und freut sich auch über das Bild, das Markus mal selbst gemalt hat. Kookie widmet sich ausführlicher unserer CD-Sammlung, findet aber definitiv keinen Justin Bieber oder Charlie Pooth (sonst hätte ich nämlich das dringende Bedürfnis, regelmäßig mein Haus zu desinfizieren ...), dafür viel guten alten Rock, viel Soul und auch manches, was ihm gefällt. Bald säuselt leise Celin Dion aus unseren Boxen. Namjoon entdeckt die englischen Agatha Christies. Und dann findet er Simons Englisch-Wörterbuch im Regal, mit dessen Hilfe er wahllos deutsche Wörter rauspickt und auszusprechen versucht.
Scheiße, lernt der schnell! Wenn das hier länger dauert, kann er die Fans beim Berlin-Konzert fließend auf Deutsch zulabern.
Dann macht er sich daran, eine „Rede" an die ARMY zu formulieren, mit der er erklären will, wo ungefähr sie sind, aus welchem Grund sie da gestrandet sind, warum sie da nicht so schnell wegkommen. Dass es ihnen gut geht, dass sie viel Spaß haben, dass sie das in den nächsten Tagen auch immer wieder zeigen werden. Dass wahrscheinlich aber die London-Konzerte verschoben werden müssen, dass BigHit sich darum kümmert, dass ... blablabla ...
Markus und Yoongi gehen wieder nach oben, um die „Kommandozentrale" weiter einzurichten. Maja und Simon verkrümeln sich auch. Hobi und Jin schleichen derweil um das Regal mit den Spielen und versuchen, etwas Bekanntes zu finden. Außer Halligalli dürften unsere Spieleschränke allerdings nicht viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Markus ist eher der strategische Vielspielertyp - das sind dann die ganzen großen, schweren Schachteln. Und ich arbeite für einen Spieleverlag und erkläre dessen Spiele auf Messen. Das sind eher die kleinen Kartenspiele in der Schublade und eben Halligalli.
Es rattert in meinem Kopf.
Was die Jungs bei „Run BTS" und so gespielt haben, hatte mehr den Partyspiel-Charakter, der sehr sprachabhängig ist. Und das funktioniert hier nicht. Überhaupt eignen sich die meisten Spiele ja nicht für elf Leute. Wenn wir zusammen spielen wollen, muss ich auf die Gruppenspiele-Trickkiste in meinem Hinterkopf zurückgreifen. Wahrscheinlich wollen aber sowieso nie alle spielen. Ich ziehe die Schublade mit den ganzen kleinen Kartenspielen auf.
Soll ich gemein sein und gleich mit „Rinks und Lechts" oder mit „Set" starten? Ach, ich weiß!
Ich greife „6 nimmt" aus der Schublade und packe die Karten aus. Jin, Hoseok, Jimin, Guk und Tae hocken sich zu mir, und ich versuche, die Regeln zu erklären.
Komm schon, du erklärst jedes Jahr bei der Spielemesse in Essen vier Tage lang auf Englisch. Hirn einschalten!
Außerdem sitzt das Backup ja auch am Tisch ...
Und so dauert es nicht lange, bis wir Zahlenreihen bilden, über unseren Karten grübeln, uns misstrauisch gegenseitig in die Gesichter starren, fluchend Hornochsen kassieren oder jubeln, weil der Kelch mal wieder an uns vorüber gegangen ist. Guk hat schnell noch seine Kamera direkt neben mir aufgebaut, so dass ich nicht mit im Bild bin, die anderen fünf aber schon. Ich muss nur einfach aufpassen, dass ich selbst möglichst meinen Mund halte. Bis zur zweiten Runde hat das Spiel richtig an Fahrt aufgenommen, und wir kloppen uns die Karten nur so um die Ohren. Da kommt der Kämpfer in Jeongguk zum Vorschein, Hoseok und Tae sind ihm dicht auf den Versen. Jin und Jimin haben dagegen keine Chance und albern deshalb nur rum.
„Hei, das ist meine Reihe. Die Hornochsen wollte ich doch haben!"
Ohne Worte. Haben die den Sinn des Spiels verstanden??? Euch ist schon klar, dass das Minuspunkte sind?
Ich muss grinsen. Und ich? Habe mein Dejavu - denn ich kann zwar erklären. Aber gewinnen irgendwie nicht, denn mein lieber Gatte zockt mich so regelmäßig ab, dass ich keinen Fuß auf den Boden bekomme. Und auch hier habe ich meinen Meister gefunden.
Ach, Mist! Jetzt hab ich auch noch die 55 erwischt, Die Runde ist sowas von gelaufen ... O.K., Jungguk, du hast es so gewollt! Beim nächsten Mal hetze ich dir Markus auf den Hals!
Eingedenk des Jetlag unserer Gäste trolle ich mich schon um 17:00 wieder in die Küche, um das Abendbrot vorzubereiten, während sich Jimin in der gelben Decke auf dem Sofa zusammenrollt, sofort einschläft und die anderen eine weitere Runde anfangen. Auf meine Frage hin, ob mir jemand dabei helfen kann, erhebt sich Namjoon. Und Jeongguk ruft feixend dazwischen.
"Och ne, lass den bloß nicht in Deine Küche. Sonst haben wir nachher kein Dach mehr über dem Kopf!"
Und Namjoon übersetzt das brav wie auf Knopfdruck, statt es zu ignorieren oder sich zu wehren.
Schlagartig werde ich wütend, weil ich einfach diese demütigenden Klischees so sehr hasse.
Junge, du bewegst dich grade auf gaaaaanz dünnem Eis. Habe ich schon erwähnt, dass ich diesen beschissenen Blödsinn über „Clumsy Jimin", „God of Destruction", das „Alien" und Co. auf den Tod nicht ausstehen kann???
Als sich Namjoon nach diesem Dummspruch widerstandlos zurück auf seinen Stuhl schiebt, platzt mir ganz unverhofft der Kragen. Ich weiß hinterher selbst nicht mehr, warum ich so scharf und überspitzt ironisch reagiere.
"Nein, mein lieber Jungguk, da mache ich mir keine Sorgen. Mein Haus wird Namjoon problemlos überleben. Denn ich gedenke nicht, mich irgendwelchen sich selbst erfüllenden Prophezeihungen zu beugen. Namjoon ist vermutlich ungeübt in der Küche. - Aber nur, weil ihn keiner ran lässt!!!"
Namjoon zuckt zusammen, bevor er eine vermutlich entschärfte Version übersetzt. Es reicht aber wohl auch so, denn Jungguk fällt das Grinsen aus dem Gesicht und Tae macht sofort die Kamera aus.
Mist, Mist, Mist! Wie war das mit den kulturellen Unterschieden in Sachen Höflichkeit? Der arme Teufel. Zwischen ihnen ist dieser flapsige Umgangston doch völlig normal, was mische ich mich denn da ein???
Jeongguk flitzt davon, alle anderen verstummen und ich möchte mich am liebsten selbst ohrfeigen. Aber es hilft nichts. Erstmal müssen sich die Wogen glätten, bis dahin schnappe ich mir tatsächlich Namjoon und wir ziehen ab in die Küche. Stumm starre ich den geschlossenen Kühlschrank an, so geschockt bin ich von mir selbst. Dann entschuldige ich mich erstmal bei ihm, dass ich mich eingemischt habe, und frage schließlich einfach nach.
"Sag mal, ist es dir eigentlich egal, wenn die anderen immer so mit dir umgehen? Ich meine ... - ich kenne ja nur die offizielle Seite der Geschichte. Das, was ihr vor der Kamera lebt. Aber wenn ich ehrlich bin - du wirkst dabei in der Regel so, als würdest du viiiieeeel darum geben, wenn es nicht so wäre, dass dir immer wieder was kaputt geht. Ich meine ...
Mir kommt die Galle hoch, wenn ich an diese bescheuerte Fernsehshow denke!
... wer zur Hölle ist so sadistisch, Dich vor laufender Kamera um die Wette mit Jin eine Zwiebel schneiden zu lassen??? Jeder hat schon mal aus Versehen das Messer falschrum gehalten. Ich auch. Und wer auf dieser Welt ist so bedürftig, dass er Spaß daran hat, Dir beim vorprogrammierten Versagen zuzusehen??? Das ist doch bescheuert!"
Nicht schon wieder aufregen.
Namjoon ist „etwas" überfordert von meinem Zorn.
„Einerseits hast du Recht. Ich wäre gerne weniger chaotisch veranlagt. Und ich hasse diese Situationen, wenn eine Kamera läuft. Aber ich habe mich irgendwie daran gewöhnt. Ich lasse die Finger vom Kochen und ducke mich unter solchen Bemerkungen wie eben einfach weg. Dann trifft es mich nicht mehr."
„Das heißt, du lässt das immer wieder über dich ergehen, statt mal zu sagen, dass es dir reicht?"
Zögern.
„Ja??"
Voller Unverständnis starre ich ihn an.
„Aber warum???"
Wieder zögern.
„Weiß nicht??"
Ich bin verwirrt und ratlos.
„Ahh ... Aber eigentlich wärst du froh, wenn es aufhören würde?"
Kein Zögern.
„Ja. Schon ..."
Jetzt bin ICH überfordert. Stille.
„Naja, jedenfalls sollte ich mich gleich bei Jeongguk entschuldigen, dass ich ihn so angefahren habe. Und ich werde dich dabei leider wieder zum Übersetzen missbrauchen müssen. - Aber jetzt machen wir erstmal was zu essen!"
Ich lasse Namjoon mehrere Käse- und Wurstplatten anrichten und das Brot schneiden. Er fragt, wie ich es mir vorstelle.
"Wir brauchen einfach an der langen Tafel die Möglichkeit, dass alle an alles rankommen."
Namjoon macht dann ganz selbständig alles so, dass wir die Lebensmittel gut für alle erreichbar auf dem langen Tisch verteilen können. Geht doch. Natürlich! Wenn man ihn lässt ... Ich mache derweil aus den Resten vom Mittag wieder eine Suppe. Wikipedia hat mir verraten, dass Suppe ein fester Bestandteil jeder koreanischen Mahlzeit ist, weil sie sozusagen das Trinken ersetzt. Und die Jungs sollen möglichst alles so bekommen, wie sie es kennen. Nur, dass das leider einen erhöhten Geschirrverbrauch und Spülbedarf zur Folge hat. Und Wasser ist ja grade unser kostbarstes Gut.
Ach, wird schon.
Schnell decken wir noch den inzwischen verwaisten Tisch, und völlig selbstverständlich bleibt all unser Geschirr heile.
Jimin liegt als ein gelbes, schlafendes Knäuel auf dem Sofa, alle anderen haben sich erschrocken verkrümelt.
Und wir machen uns auf in den ersten Stock, um Jeongguk zu suchen. Boah, ist mir das peinlich! Er hockt auf dem Hochbett und - weint?
ARG!
Und alle anderen schauen mich an und ziehen den Kopf ein. Ich möchte am liebsten davor weglaufen, aber Kneifen gilt nicht.
Also falle ich gleich mit der Tür ins Haus, der Ruf ist eh ruiniert.
"Jeongguk, ich möchte mich bei dir entschuldigen. Mein Tonfall dir gegenüber war viel schlimmer als deine Bemerkung an Namjoon. Ich hätte mich nicht einmischen dürfen. Entschuldige bitte! - Kannst du mir verzeihen?"
Er schaut mich groß an, nickt und wischt sich die Tränen weg. Stille. Dann holt er tief Luft und antwortet, während die Tränen erneut fließen.
"Aber du hast doch recht. Ich bin nicht gut darin, mich in andere hineinzuversetzen. Ich mache einfach. Und ich quatsche einfach drauf los, wenn ich was witzig finde. Aber das ewige Lästern über Joonie IST überhaupt nicht witzig!"
Stille.
„Er wehrt sich nur nie. Ich bin eben einfach nur erschrocken, weil mir noch nie jemand so deutlich gezeigt hat, was ich da tue."
Ich mache einen Schritt auf ihn zu, aber Namjoon ist schneller, geht an mir vorbei und nimmt ihn einfach in den Arm.
„Und ich bin selbst schuld, wenn ich mich nicht wehre. Natürlich macht mir das keinen Spaß. So zu sein. Und so vorgeführt zu werden. Aber mit meinem Schweigen und meiner Geduld habe ich dir ja praktisch die Steilvorlage gegeben, einfach immer weiterzumachen."
„Kann ich das irgendwie wieder gutmachen?"
Mit ganz viel Unsicherheit im Blick schaut Jeongguk zu Namjoon hin.
„Du musst nichts wieder gutmachen! Du bist ein Mensch, der einfach draufloslebt. Ich beneide dich oft darum. Ich traue mich an vieles gar nicht mehr ran, weil ich Angst habe, dass es schief gehen könnte. Ich habe nun mal zwei linke Hände. Oder so. Vielleicht auch nicht. Ich meine ... ich weiß es selbst nicht mehr. Ich bin eben mehr der Denker als der Macher. Aber vielleicht hilfst du mir ab und zu mal, Neues auszuprobieren? Ohne dass jemand zukuckt?"
Danke, Namjoon, du bist wirklich der Beste! Wenn alle Konflikte so gelöst würden, wäre diese Welt ein sehr viel friedlicherer Ort!
Jeongguk strahlt ihn an - und hält dann mir seine Hand hin
"Danke, dass du mich wachgerüttelt hast. Kann man dieses Merken eigentlich lernen?"
Uff.
Ich möchte am liebsten ehrfürchtig auf die Knie gehen vor so viel innerer Größe! Mit Freuden nehme ich seine Hand an und nicke.
„Ja, ein Stück weit kann man das lernen."
Ein bisschen ist es wie auf dem Bild von van Gogh - wir machen hier grade alle erste Schritte und hoffen, dass auf der anderen Seite jemand die Arme ausbreitet und auf uns wartet.
Kurz darauf sitzen wir wieder alle am großen Tisch und essen gemeinsam. Diesmal singen wir den Kanon vor dem Essen, und er klingt noch schöner als beim ersten Mal, vielleicht, weil grade so viel tiefes Verständnis, Erleichterung und Dankbarkeit im Raum mitschwingen.
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23.10.2018 - 5.4.2019 - 28.10.2019
23.3.2020
Ach ja - ich fahre jetzt gleich tatsächlich zur Spielemesse 2018 nach Essen, um dort zu arbeiten.
Ich weiß nicht, ob ich in meinem Quartier vernünftiges Internet habe.
Eventuell kann ich bis Sonntag nicht updaten. Lasst es euch gut gehen!
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