Mittwoch - 1.2 - Hamsterkäufe

Don't forget - it's fiction!

..................................................................................................................

Kurz sprechen wir uns ab, wer von uns beiden sich um welche Punkte auf den Listen kümmert und in welcher Reihenfolge. Dann ziehen wir uns an und gehen ein Stockwerk tiefer, um die Hiobsbotschaft zu verkünden. Und ich muss all meine Sensibilität und Energie aufbringen, um zu verhindern, dass aus der Schockstarre Panik wird. Gegen das hier war die Verfolgungsjagd gestern ein Sandkastenspielchen für die Jungs.

„Noch ist draußen keine Radioaktivität gemessen. Wir sind nicht in Gefahr. Ihr kommt nur im Moment nicht weg. Nein, wir schmeißen euch nicht raus. Wir mögen euch und wollen, dass ihr bleibt. Wir schaffen das! Wir haben noch drei Stunden Zeit, um ganz viel zu organisieren. Macht euch keine Sorgen. ... ... ..."

Blablabla ... Lächeln! Gott, gib mir Kraft und die richtigen Worte! Bloß keinen Leerlauf entstehen lassen. Zeig ihnen, dass du an alles gedacht hast und sie hier willkommen und sicher sind. ... ...

Allmählich werden alle wieder aufnahmefähig, und wir können erläutern, was wir jetzt alles erledigen müssen:
Maja kümmert sich um den Meerschweinchenkäfig, die Schweine selbst „parken" wir auf Jimins Bauch. Der ist selig - und aus dem Weg.
Markus kümmert sich ums Putzen, Wasser im Haushalt, das Telefonat mit den verreisten Nachbarn, checkt die Kühlschränke.
Ich schmeiße zwei Maschinen Wäsche an (ich liebe es, zwei Waschmaschinen zu haben) und werde mit Yoongi einkaufen fahren in der Hoffnung, dass im REWE nicht schon Anarchie herrscht.
Ob die Jungs irgendwelche Allergien haben? Irgendwas war da bei Hoseok ...
Ich versuche das zu klären, aber im Wesentlichen kommen keine neuen Einschränkungen dazu. Kein Wunder - Maja ist Vegetarierin, und ich habe einen chronisch entzündeten Darm und gefühlte 576.348.931 Unverträglichkeiten. Das zu toppen, ist nicht ganz einfach ...

Namjoon fängt an zu telefonieren, der Rest wird durch die Dusche geschleust und zum Helfen angestellt. Simon muss sein Zimmer noch gründlicher aufräumen, Spielzeug im Schrank verstauen und Platz in den Regalen schaffen, damit die Jungs wenigstens ein kleines Fach jeder für ihre Privatsachen haben. Hochschaufeln ist die Devise. Im Haus bricht wilde Aktivität aus, während ich mich im Keller hochkonzentriert an den Einkaufzettel mache und mich um 6:40 mit Yoongi, diversen Klappboxen und bangem Herzen zum Supermarkt aufmache.

Als erstes schieben wir zwei große Wagen voller Wasserflaschen zur Kasse. Das geht direkt und schnell, bevor uns das jemand wegschnappen konnte.
Nichts ist so wichtig wie genug zu trinken!
Alles zum Auto, dann gehen wir wieder rein und arbeiten die Liste ab. Zum Beispiel Tonnenweise Reis, Nudeln, Mehl. Und Trockenhefe, damit Markus für uns alle Brot backen kann. Dann ganz viel Gemüsekonserven. Nervennahrung (Schoki ...). palettenweise Butter, H-Milch, Käse, Joghurt-Eimer, Müsli. Einfach alles, was viel Nährwert und lange Haltbarkeit bei wenig Volumen hat. Muss ja zu Hause alles irgendwo verstaut werden ... Markus ruft an. Er hat die Nachbarn erreicht und grünes Licht für "alles". Also kaufen wir ganz viel Fleisch, kann man ja einfrieren, die Nachbarn haben eine herrlich große Tiefkühltruhe. Mein großes Problem ist, dass ich eigentlich überhaupt keine Fertigprodukte essen kann. Frische Sachen dagegen halten sich nicht ewig.

Inzwischen ist es im Supermarkt schon deutlich voller geworden, weinende, kämpfende, panische Menschen schieben sich durch die Gänge, zwei ausgewachsene Kerle prügeln sich um die letzte Stange billiges Klopapier. Yoongi bringe ich zum Asia-Food-Regal. Ohne irgendwelche Konkurrenz packt er sämtliche Packungen Instant-Nudel-Gerichte, einige schärfere Fertigsaucen und ein paar von Jin georderte Gewürze in den Wagen. In der Frischeabteilung decken wir uns mit Obst und Gemüse ein, allein schon wegen der Meersauen.
Hoffentlich hält das alles lang genug! Wer weiß, wie lange die in Biblis an dem Problem schrauben müssen, bis die Entwarnung kommt.
Meine Phantasie reicht von zwei Stunden bis zwei Wochen. Dann noch diverse Hygieneartikel. Feuchttoilettenpapier. Sagrotanspray. Maja hat auch noch ein paar Notwendigkeiten. Außerdem finden wir Einwegessstäbchen.
Cool.
Jedes Bisschen Heimatgefühl wird ihnen helfen. Höchst ungern aber sinnvollerweise greife ich ein paar Pakete Plastikbesteck und Einweggeschirr. Denn wir können ja nicht spülen!

Das Auto hängt echt mit dem Auspuff fast auf der Straße, so voll ist es. Ich muss höllisch aufpassen, denn die Straßenverkehrsordnung scheint gründlich außer Kraft gesetzt. Es gilt das Gesetz des Stärkeren, weil sich alle benehmen, als ginge JETZT die Welt unter. Wir rollen nach Hause, wo mit Menschenketten alles in beide Häuser geschafft wird. Gott sei Dank haben wir von den Nachbarn das O.K. Wir können von dort sogar noch ein weiteres Gästebett, eine Decke und zwei Kissen ausleihen. Sie selbst können ja grade genauso wenig herreisen, wie die Jungs hier wegkönnen. Und natürlich konnte das koreanische Konsulat die Jungs hier auch nicht mehr rausholen.

Ich bringe das leer geräumte Auto in die Tiefgarage, laufe die kurze Strecke nach Hause, ziehe noch unsere Mülltonnen in die Gasse direkt vor die Tür, und als sich dann die Haustür mit einem Klack hinter mir schließt, muss ich plötzlich gegen Gefühle von Atemnot und Platzangst ankämpfen.
Wann wir hier wohl wieder rauskommen werden??? Werden wir mit der Enge und der Unsicherheit klar kommen? Maja und ich haben oft das Bedürfnis, alleine zu sein, Yoongi hat seine Soziophobie, mein Mann muss immer was Sinnvolles zu tun haben, damit es ihm gut geht, mein Sohn hält Eingesperrtsein auch nicht gut aus, Jin und Hoseok werden zumindest im Internet immer als sehr ängstlich dargestellt, Jimins Gesundheitszustand darf nun erst recht nicht noch schlimmer werden, alle Jungs werden deutlich mehr Bewegungsdrang haben, als die Enge im Haus das zulässt (o.k. - alle außer „Stein" Yoongi ...). Und Namjoon hat permanent das Gefühl, als laste die Verantwortung der ganzen Welt auf ihm. Tja, und jetzt auch irgendwie auf Markus und mir. Unsere Kinder und die sieben Jungs sind wirklich völlig auf uns angewiesen! Irgendwie habe ich auf einmal das Gefühl, ich hätte neun Kinder. Immerhin bin ich mit 52 Jahren alt genug, um tatsächlich ihre Mutter zu sein ...

Kurz vor 9:00 Uhr haben wir die Jetzt-Sofort-Listen abgearbeitet, und ich hatte sogar auch noch die Gelegenheit, unter die Dusche zu hüpfen. Darum gibt es erstmal Frühstück für alle, bevor wir mit Planen, Strukturieren, Absprachentreffen weiter machen. Wenn ich das richtig beobachte, hat Namjoon in dem ganzen Chaos sogar die Gelegenheit gefunden, die anderen fünf Member über unser Gespräch wegen Jimin zu informieren. Jedenfalls schaffen sie es alle, sein Essverhalten komplett zu ignorieren und dabei ganz normal mit ihm zu reden. Nur Tae fällt es sichtlich schwer, aber er hält durch. Und tatsächlich knabbert Jimin ein paar Weintrauben, auch wenn er dabei ziemlich gegen sich selbst ankämpft.

Auf das Gespräch mit Jimin freue ich mich auch noch ganz riesig. Nicht. Ich habe einige Lebenserfahrung, aber ich bin keine Therapeutin und keine Medizinerin! WIE gefährlich sein Zustand ist, kann ich darum nicht wirklich beurteilen. Die Verantwortung ist völlig unkalkulierbar. Dennoch kann ich gar nicht anders - ich nehme diese Herausforderung an. Bei der Vorstellung, die sanfte Seele alleine in ein überfülltes deutsches Kleinstadt-Krankenhaus zu stopfen, weil er hier schlapp macht, läuft mein Mutterherz Amok. Aber er ist erwachsen. Und seine Kumpel sind erwachsen. Ich kenne nur seine öffentliche Seite. Wer weiß, in was für ein Wespennest ich stoße, wenn ich das Problem anspreche.
Bitte, ich werde alles aushalten und durchziehen hier. Alles, nur das nicht!

.............................................................................

19.10.2018    -    5.4.2019    -    27.10.2019
23.3.2020

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top