Freitag - 3.6 - Dominoeffekt?

Don't forget  -  it's fiction!

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Während sich alle anderen ins Bett aufmachen und Guk noch den Kreativ-Film online stellt, steht Markus in der Küche und rührt Brotteig. Wie gut, dass ich so viel Mehl gekauft habe, das reicht noch für Tage.

Ich stehe derweil seufzend vor meiner Gebetsecke und frage mich, wie es weiter gehen soll.
Vier von sieben Jungs sind im Ausnahmezustand. Hier passiert grade ein furchtbarer Dominoeffekt, und PD stellt sich quer. Das irritiert mich so! Ich habe nur wenige Clips mit ihm gesehen, aber ich habe ihn bisher als einen bedächtigen, weisen Menschen wahrgenommen. Und die Jungs verehren ihn. Irgendein Faktor muss für ihn so viel wichtiger sein, dass er sich in unsere Lage nicht reinversetzen kann oder das weniger wichtig findet oder ... Ich kenne seine Welt nicht, ich habe keine Ahnung, was ich denken soll. Ich merke nur, dass es nicht gelingt, das Innere der Jungs hier in das Herz des Managers dort zu transportieren. Irgendwann in den letzten Monaten (oder Jahren?) scheint die intensive Verbindung zwischen ihnen schleichend verloren gegangen zu sein. 

Und ich?
Ich horche in mich hinein.
Das ist seltsam. Ich kenne mich kaum wieder, denn der dritte Tag ist rum, aber ich flüchte nicht in den Keller, ich mutiere nicht zur stummen Rühr-mich-nicht-an, ich bin weder fahrig noch unaufmerksam noch antriebslos. Ich schöpfe aus einer Kraftquelle, die außerhalb von mir liegen muss. Normalerweise wäre ich längst innerlich zusammengeklappt.
Ich spüre Genuss – und will schon mit mir schimpfen, weil diese ganze Situation wahrlich nicht zum Genießen ist. Doch ich genieße ja nicht die Situation sondern mich in dieser Situation – und das darf ich auch.
Es ist verrückt! Ich bin grade die, die ich so gerne immer wäre! Die, die in mir steckt und viel zu oft nicht raus kann oder darf. Ich wäre so gerne immer so 'gut' und freundlich und stark und sensibel und weise und vorausschauend und flexibel und ... DAS bin ich, wie Gott mich gedacht hat. DAS ist, was mir als Gaben, als Stärken gegeben ist. Und was ich viel zu selten nutze. Und was leider viel zu selten im Alltag gefragt ist. Mein Alltag fordert so oft von mir die Qualitäten, die ich eben nicht habe – Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Routine, Sachlichkeit, Struktur, Planung, Sparsamkeit. Alles eher Nullnummern bei mir, mit diesem verdammten ADS. Hier und jetzt darf ich für uns 11 Menschen die sein, dich ich bin und wie ich gebraucht werde. Das tut unglaublich gut. Danke, Gott! Bitte schenke mir auch über diese Tage hinaus diese Gaben, zumindest die greifbare Erinnerung daran und die Sehnsucht danach. Vielleicht gelingt es mir aus dieser Erinnerung heraus öfter, vielleicht wird ja diese Sehnsucht zu einer Kraft, die mich treibt.

Gestärkt drehe ich mich um und schaue – direkt in die Augen von Jin und Namjoon, die leise rein gekommen sind und mein Gebet still abgewartet haben.
„Kann ich euch noch helfen? Könnt Ihr nicht schlafen?"
Ich sehe tiefe Müdigkeit in Namjoons Augen, eine Müdigkeit, die weit über den Jetlag hinausgeht. Er ist erschöpft vom pausenlosen Gebrauchtwerden und seinem übergroßen Verantwortungsgefühl. Jin zeigt stumm aufs Sofa, und wir setzen uns
„Ich muss seit vorhin dauernd darüber nachdenken, wer ich bin. So eine Frage habe ich mir noch nie gestellt. Ich war doch immer ich. Und jetzt fühle ich mich auf einmal, als wäre ich nichts. Als ob einfach alles auseinanderfliegt."

„Jin, das Gemeine ist: diese Frage kannst letztendlich nur du selbst dir beantworten."
Es ist ja nicht so, dass nicht auch ich die ganze Zeit darüber nachgedacht habe, wie man ihm helfen kann ...
„Dein Denken hat sich festgefahren wie eine überhitze Bremse, stimmts?"
Er nickt.
„Dann ist es vielleicht tatsächlich hilfreich, wenn du dir doch zumindest von anderen auf die Sprünge helfen lässt. Aber das kann nicht ich sein, ich kenne dich zu kurz."
Ich überlege.
Wer dann? Die, die ihn lange kennen, die ihn auch ungeschminkt und müde kennen, die seine Entwicklung begleitet haben ...
Ich habe eine Idee!

„Pass auf, Jin. Überlege dir mal, ob das ein Weg für dich wäre: überlege dir ein paar Fragen, die konkreter sind als ein pauschales 'wer bin ich?' - sowas wie 'was habe ich als Kind am liebsten gespielt', 'was wollte ich mal werden, als ich klein war', 'wovor hatte ich als Kind Angst'. Oder: 'was bringt mich heute am schnellsten zum Ausflippen', 'in welchen Situationen merkt man, dass ich mich wohl fühle, und woran merkt man das'. Oder: 'nenne mir drei Eigenschaften/Fähigkeiten, die du an mir magst', 'wann und woran merkst du, dass ich mich grade pudelwohl fühle', 'womit kann man mich besonders gut motivieren'. Lass dir alle möglichen Fragen einfallen, die man gut konkret beantworten kann. Formuliere sie direkt, damit dir niemand ausweichen kann. Dann machst du dir eine Liste von Menschen, denen du bedingungslos vertraust. Von denen du weißt, dass sie sich wirklich ehrlich und ernsthaft mit den Fragen auseinandersetzen werden. Sie müssen nichts beantworten, aber wenn es die richtigen Menschen sind, werden sie sich Mühe geben, es zu tun. Das können deine Eltern sein, andere Verwandte. Deine Jungs von BTS, PD, Leute vom Staff. Ehemalige Klassenkameraden, Studienkollegen. Lehrer, die du mochtest vielleicht. Menschen, die soviel Zeit mit dir verbracht haben, dass sie mehr von dir wissen als deinen Namen. Diese Menschen sprichst du an, fragst sie, ob sie mitmachen wollen. Sie sollen ehrlich sein, das Unangenehme nicht aussparen, das musst du aushalten wollen! Sie müssen ja selbst auch grade die innere Freiheit haben, sich mit dir auseinandersetzen zu wollen. Wenn du dazu einige Zusagen hast, schickst du ihnen die Fragen. Du gibst dich damit in ihre Hände, aber hinterher hast du wahrscheinlich einen Schatz an wertvollen Briefen in den Händen, aus denen du ganz viel über dich selbst lernen kannst."

Jin hat aufmerksam zugehört und nickt nun.
„Das fühlt sich richtig an. Wenn ich zum Beispiel an – naja – Yoongi denke und mir zu ihm diese Fragen stelle, dann kann ich die fast alle beantworten. Und daraus auf seinen Charakter, seine Bedürfnisse, schließen. Doch ..."
Er nickt nochmal.
„Doch, das klingt gut. Das mache ich. Und ich fange gleich mit den Fragen an. Danke!"
Mit einem deutlich fröhlicheren Gesicht verlässt er den Raum.

Namjoon lässt sich derweil quer aufs Sofa plumpsen – er und sein müder Blick, der wie eine Wolke im Raum hängt.
„Magst du mir noch etwas ausführlicher von deinen Gesprächen mit PD erzählen? Ich war etwas irritiert, weil ich ihn bisher anders wahrgenommen habe. Aber ich weiß ja auch fast nichts über ihn."
Er seufzt und erzählt etwas mehr über die Tour, den Release der nächsten Scheibe kurz vor Billboard, die Gründe, warum PD überhaupt mit in Europa ist und nicht nur ihr direkter Manager. Ich frage ihn nach einigen Vertragsklauseln, nach dem normalen Touralltag, weil ich besser verstehen will, was eigentlich auf sie zukommt. Und ich frage nach dem Moment, wo Jimin mit PD geredet hatte, nachdem er auf die Waage gestiegen war.

„Tja, er hatte vor drei Tagen als alles raus kam, ja ca. 47 kg auf deiner Waage. Heute waren es fast 48 kg, deshalb hat er so glücklich gelächelt. Aber PD scheint bei der Zahl nicht aufgehorcht zu haben. Ich weiß nicht, vielleicht lässt er diese furchtbare Zahl ja noch an sich ran und hat jetzt inzwischen begriffen, wie viel zu wenig das ist. Ich werde jedenfalls an der Frage dran bleiben. Wir haben keine Wahl – Jimin hat keine Wahl. Ich werde für ihn kämpfen."
Ich lasse ihn einfach reden, das ist momentan alles, was ich für ihn tun kann - über seine Sorgen um die einzelnen Member, über ihr Leben als BTS, die Möglichkeiten und Einschränkungen, über das Glück, Musik, seine Musik machen zu dürfen.

„Namjoon, Markus und ich haben überlegt, wie wir Jimin noch helfen können, vielleicht auch über die Zeit hier hinaus. Was denkst du – würde es ihn mehr unter Druck setzen oder mehr anfeuern, wenn wir mit ihm wetten, ob er es bis London schafft, über 50 Kilo zu wiegen?"
Er schaut mich verblüfft an. Denkt nach. Und dann hellt sich sein Gesicht auf.
„Ich glaube, das könnte funktionieren! Ich meine: er hat ja die Übelkeit nicht besiegt, aber doch seinen Überlebenswillen wieder gefunden. Er will ja essen. Und er liebt dich! Wenn du ihm also so eine Wette vorschlagen würdest – ich denke, er würde es als Ansporn sehen, das für dich zu schaffen. Zu sehen, wie stolz du auf ihn bist, wenn er in London sagen kann: ich habe es geschafft, ich wiege jetzt 52 Kilo!"

„Er soll das aber für SICH schaffen, und er soll das Ziel nicht über seine Bedürfnisse setzen. Sonst hat er nichts gewonnen. Denn das eigentliche Ziel ist ja, dass er wieder oder überhaupt lernt, gut mit sich selbst umzugehen. Egal, wie viel er grade wiegt."
Unsicher werfe ich meine Gedanken dazwischen.
„Ich glaube, es wird kein Problem sein, das so mit ihm zu besprechen und diese Vorsicht als Bedingung zu machen. Außerdem bleiben wir ja an seiner Seite. Wenn da was schief laufen sollte, werden wir es hoffentlich merken und ihn wieder in die richtige Richtung schubsen."

Als Namjoon schließlich auch hochgeht, habe ich das Gefühl, er konnte ein bisschen Dampf ablassen. Ob das gereicht hat, weiß ich natürlich nicht.

Ich hocke vor mich hin denkend auf dem Sofa im dunklen Wohnzimmer – und schlafe dort irgendwann ein.

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3.11.2018    -    19.4.2019    -    28.10.2019
25.3.2020

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