Immer schlimmer
Kapitel 2
Dawn
Ich erklomm die herrschaftlichen Stufen zum alten Gebäude aus dem vorletzten Jahrhundert, in dem das Bürgerzentrum seinen Sitz hatte, und schulterte meine Tasche etwas bequemer. Dann trat ich durch die schwere, doppelflügelige Tür und steuerte ganz automatisiert den ersten freien Schalter mit der einladenden Aufschrift „Mischlingsangelegenheiten" an. Natürlich meinte es das Schicksal nicht gut mit mir und anstatt einen der Mitarbeiter zu erhalten, die ich bereits kannte und die vor allem auch mich bereits kannten, merkte ich schnell, dass dieser junge Mann vor mir wohl komplett neu war. Da würde mir zu meinem krönenden letzten Tag hier wohl doch nochmal ein kleiner Kampf bevorstehen. Toll. Ausgerechnet heute. Ich hatte nicht vor, mich noch mehr Menschen gegenüber zu outen, doch das würde ich wohl müssen.
„Hi", begrüßte ich den jungen Mann freundlich.
Er sah gelangweilt von seinem Tablet auf, auf dem gerade irgendeine Seifenoper lief. Es gab nicht viele minderjährige Mischlinge in der Stadt, die unter menschlicher Obhut standen, und an diesem Schalter gab es sicherlich nur wenig zu tun.
Er musterte mich einmal von oben bis unten. Ich tat dasselbe und verzweifelte fast innerlich, als ich den kleinen Anstecker an seinem Hemd bemerkte. „Tommy, Praktikant" stand dort.
Konnte es noch schlimmer kommen? Ich war eh schon ein Sonderfall und mir graute es davor, diesen auch noch ausführlich darlegen zu müssen. „Vampyr oda Fee?" Seine Augen musterten mich gespannt.
„Beides. Mein Name ist Dawn Sutterland. Ich brauche das Formular einundachtzig A und dazu noch eine Anmeldung zum Gefährtentest", erklärte ich schnell hintereinander, um es ihm so leicht wie möglich zu machen. Ich sah bereits jetzt, wie sein Kopf rauchte. Ja, so was wie mich hatte man nicht alle Tage, und er hatte es heute besonders schwierig, da ich auch gerade heute meinen einundzwanzigsten Geburtstag feierte und damit auch der gesetzlich verpflichtende Gefährtentest bei mir anstand.
„Was? Is' dat 'nen Witz oder so?"
Ich versuchte, mein Lächeln aufrechtzuerhalten, als hinter ihn eine Frau trat und ihm auffordernd auf die Schulter klopfte. „Das übernehme ich, Tommy, geh doch schon in deine Pause", unterbrach sie, und „Tommy Komma Praktikant" erhob sich etwas verwirrt und warf mir einen Blick zu, der pure Abscheu demonstrierte. Dann setzte sich Barbara hinter den Schalter und grinste mich breit an. Sie war nicht die freundlichste Beraterin, die ich je hier abbekommen hatte, aber eine, die kompetent war und mir zumindest keine weiteren Mühen kosten würde. Ich war ehrlich dankbar, sie hier zu haben.
„Ist es heute so weit, ja?" Ihre Stimme klang unnötig schadenfroh.
Ich nickte zustimmend. Ja, heute war es so weit. Ich war einundzwanzig und ab morgen offiziell nicht mehr das Problem des Bürgerzentrums. Die menschlichen Behörden hatten ihre Pflicht gegenüber den alten Völkern getan. Zumindest was mich betraf. Auch wenn ich nicht verstand, warum in diesem Gesetz den Halblingen und sogar den Twyst ein besonderer Schutz zugutekam, obwohl sie uns doch so offensichtlich verachteten.
Alle waren froh, wenn wir Mischlinge volljährig wurden. Die Steuerzahler mussten nicht mehr für meine Ration Blut und Ambrosia aufkommen, nur weil die verschwindend geringe Chance bestand, dass ich tatsächlich so etwas wie einen Gefährten unter den Angehörigen der alten Völker haben könnte. Und das stimmte Barbara offensichtlich sehr, sehr froh.
„Ja. Also wie läuft das mit dem Test?"
„Tests", verbesserte sie mich automatisch und betonte das abschließende „s" noch einmal eindringlich. Ich konnte mir gerade noch verkneifen, mit den Augen zu rollen. Barbara war sehr korrekt. „Und das Formular heißt ‚Einundachtzig groß A, Zuteilung für Mischlinge beider alter Völker'. Nicht dass wir dieses Formular oft brauchen würden", korrigierte sie ungefragt weiter.
Ich begann, ungeduldig von einem Fuß auf den anderen zu treten. Dennoch lächelte ich freundlich. Diese Leute hier konnten extrem unbequem werden, wenn man ihnen frech kam. Es war also immer besser, die Kommentare und gelegentlichen Anfeindungen einfach hinzunehmen.
„Im Gegensatz zu dem Rationsformular hat man sich beim Formular für die Gefährtenzuteilungspraxis nicht extra die Mühe gemacht, einen speziellen Test für Ihresgleichen zu entwickeln. Sie werden also beide durchlaufen müssen und doppelte Steuergelder verschwenden. Wie schon Ihr ganzes Leben."
Mein Lächeln begann bereits zu zittern, aber ich blieb tapfer. In der Regel machten Feenhalbblüter einen Test auf mögliche reinrassige Feengefährten und die Vampyrmischlinge den für Vampyre. Es sollte mich nicht überraschen, dass bei mir in der Gruppe beider alter Völker gesucht wurde, obwohl es mich auch nicht überrascht hätte, wenn sie ihn bei mir einfach übergehen würden. Wer will schon eine Twyst? Ich würde, selbst wenn er positiv ausginge, was nicht passieren würde, sowieso abgelehnt werden. Doch ich nahm es hin. Das hier war das letzte Mal, dass mich das Bürgerzentrum so mies behandelte. Zumindest hier würde ich also erst einmal nicht wieder indirekt beleidigt werden. Bei dem Rest der Gesellschaft sah das allerdings anders aus. Warum ich es überhaupt noch bemerkte, es mich überhaupt noch ärgerte, wusste ich nicht. Nach all den Jahren der Anfeindungen sollte nichts mehr von meinem Selbstwertgefühl oder Stolz vorhanden sein. Doch da war es. Das leichte Kribbeln in meinem Finger, das immer auftrat, wenn ich wütend wurde, dem ich aber noch nie Luft gemacht hatte. Irgendwann würde ich explodieren und dann wahrscheinlich mit eingeschlagenem Schädel irgendwo auf der Straße liegen.
„Okay und wie laufen die Tests nun ab?", fragte ich und unterschrieb den Rationsschein, den Barbara nebenbei routiniert ausgefüllt hatte und den ich sofort einsteckte, um mir zum letzten Mal meine Rationen im Nachbargebäude leisten zu können.
„Den Test für die Bestimmung eines Vampyrgefährten machen wir gleich, der geht schnell. Der andere dauert etwas. Für beides brauchen wir nur etwas Blut von Ihnen. Da ich Ihnen aber das Ergebnis beider Tests nur gebunden verkünden darf, müssen Sie warten, bis auch das Ergebnis für die Auswertung eines Feengefährten eingetroffen ist. Das kann etwas dauern."
Ich stöhnte etwas unwillig. „Wirklich, können Sie mich dann nicht einfach anrufen oder so? Wir wissen doch, wie er ausgeht."
Barbara grinste spöttisch. „Natürlich wissen wir das, aber Regeln sind Regeln. Ihre Hand bitte." Noch bevor ich das gewünschte Körperteil richtig über den Schalter geschoben hatte, packte sie mein Gelenk und hielt eine Kanüle an meinen Finger, die mit einem Knopfdruck auf der Oberseite eine kleine Nadel in meine Haut stieß und dann einige Tropfen Blut in die Kanüle füllte.
„Aua!", entfuhr es mir, obwohl ich das nur aus Protest von mir gab.
Barbara ließ meine Hand sofort los, druckte ein Etikett mit meinem Namen aus und klebte es auf das kleine Gerät, bevor sie mir lächelnd deutete, auf einem der Bänke Platz zu nehmen. „Kann ich wenigstens meine Rationen schon einmal holen?"
„Solange Sie das Gebäude nicht verlassen und wieder auf dieser Bank sitzen, wenn ich zurückkomme", gestand mir Barbara zu.
Ich steckte meinen Finger zwischen meine Lippen, um kein Blut zu verschwenden. Meine vampyrische Seite reagierte auf den Geschmack und ich musste aufpassen, dass ich mich nicht an meinen eigenen Fangzähnen schnitt. Das wäre äußerst peinlich.
Barbara verschwand mit meinem Blut und ich trottete weniger euphorisch als heute Morgen durch die Verbindungstür, die mich zur Rationsvergabe im Nachbargebäude führte. Dort steckte ich den ausgestellten Schein in einen Automaten und wenige Minuten später kam ein weiterer Mitarbeiter, der mir eine unauffällige Tüte reichte, in dem sich nach einem kurzen prüfenden Blick von mir lediglich ein Stück in Plastik verpacktes Ambrosiabrot und nur wenige Tetrapacks Blut befanden.
Ich kräuselte die Stirn. „Moment, ich bekomme doch noch eine Ration für den ganzen Monat, oder? Also dreißig Packungen Blut und vier Stücke Ambrosiabrot. Das ist nur ein Stück und nur vier Tetrapacks."
Der Mitarbeiter stöhnte genervt. „Sie bekommen Ihre Ration anteilig für den Monat, weil Sie volljährig werden. Seien Sie froh, dass Sie überhaupt noch ein Stück Ambrosia bekommen. Theoretisch machen Sie nicht einmal die erste Woche voll", erklärte er und trottete dann davon.
Ich fluchte innerlich und ging in meinem Kopf schon einmal die Möglichkeiten durch, wie ich meinen rassistischen Chef davon überzeugen sollte, mir bereits am Mittwoch meinen Wochenlohn auszuzahlen, damit ich etwas hatte, um mir die fehlenden Blutrationen leisten zu können. Verdammt!
Egal wie sehr ich mir vorgenommen hatte, mir diesen Tag nicht versauen zu lassen, er wurde immer und immer beschissener.
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