Kapitel 1 -Zusammenbrüche & Hetzjagden-

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, hatte ich das Gefühl geträumt zu haben, doch mir wurde schlagartig klargemacht, dass es kein Traum gewesen war.
Und zwar durch ein kleines, geschupptes Etwas, welches es sich auf meinem Gesicht gemütlich gemacht hatte. Sofort versuchte ich sie von mir runter zu bekommen, was sich aber als schwierig gestaltete, da sie mir fast das Gesicht zerkratzte, als ich sie auch nur leicht anhob. Also musste ich wohl oder übel mit meinem schlafenden Drachen auf dem Gesicht liegen bleiben bis sie von mir runter ging. Zum Glück beschloss sie kurz danach von meinem Gesicht zu verschwinden, nur um mir im nächsten Moment so stark sie konnte auf den Bauch zu springen. Schlagartig richtete ich mich auf und bedachte das kleine Drachenmädchen mit einem Todesblick, der selbst den weißen Ork hätte zurückweichen lassen. Doch die Kleine ließ sich nicht beirren und sah sich in der Höhle um. Ich folgte ihr mit meinem Blick, da ich nicht wusste wie sie das Skelett, welches höchstwahrscheinlich zu einem ihrer Elternteile gehörte, verkraften würde. Als sie es bemerkte ging ein Gefühl von tiefer Trauer von ihr aus. Ich hielt es nicht mehr aus und ging auf sie zu. Auf halbem Weg kam sie mir entgegen und ließ sich von mir hochnehmen, damit ich sie umarmen und ihr ein wenig Beistand spenden konnte. Mit ihr auf dem Arm ging ich zum Höhleneingang. Auf dem Weg dorthin trat ich auf Etwas klimperndes. Nach einem Blick nach unten wusste ich auch was es war. Eine Drachenschuppe. Ich hob sie auf und betrachtete sie genauer. Es handelte sich um eine komplett Weiße, die im Licht in allen Farben des Regenbogens schillerte. Sie war ungefähr Acht Zentimeter groß und wog leicht in der Hand. Ich schickte einen fragenden Gedanken zu meiner kleinen Freundin und bekam eine schwache Bestätigung zurück, also öffnete ich meine Tasche und legte die Schuppe hinein. Danach ging ich weiter dem Licht entgegen, welches in die Höhle schien. Am Eingang angekommen, blinzelte ich ins Licht und gewöhnte meine Augen daran. Der Schneesturm hatte aufgehört und die gesamte Landschaft mit einer weißen Decke überzogen. Der Abstieg würde schwierig werden, war aber zu schaffen. Während ich also mit meinem Drachen auf dem Arm, den Weg durch das Gebirge begann dachte ich nach.
Wie war eigentlich ihr Name?
Darüber hatte ich gestern gar nicht nachgedacht.
„Wie soll ich dich eigentlich nennen?"
Darauf bekam ich nur einen fragenden Blick.
„Naja, irgendwie muss ich dich ja nennen."
Anscheinend hatte sie nun verstanden, doch kam von ihr nur ein recht ratloser Gedanke. „Mir fallen ein Paar Namen ein, die zu dir passen könnten." Sie sah mich abwartend an, was ich als Aufforderung sah anzufangen. „Da wäre zum Beispiel Luna oder Izarra. Luna heisst Mond und Izarra bedeutet Stern", aber ihr schienen die Namen nicht zu gefallen, also schlug ich weiter Namen vor. Es fielen Namen wie Vega, Turia und Sinikka, aber keiner schien ihr so recht zu gefallen. Dann kam mir die Idee:„Wie wäre es mit Nyx, das ist der Name einer Nachtgöttin aus der Antike." Endlich spürte ich ihre Bestätigung. „Also werde ich dich ab heute Nyx nennen." Zufrieden mit mir selbst konzentrierte ich mich jetzt wieder komplett auf den Abstieg. Nach einiger Zeit wurde es Nyx anscheinend zu langweilig, von mir durch den Schnee getragen zu werden und sie sprang von meinen Armen direkt in eine recht große Schneewehe. Als ich sie so herumtollen sah, konnte ich einfach nicht anders und musste anfangen zu grinsen. Während wir uns weiter durch den hohen Schnee kämpften hörte ich von Nyx nur ihr erfreutes Quieken und das raschelnde Geräusch ihrer Flügel. Ab und zu hüpfte sie vor mir durch den Schnee, wobei sie teilweise ihre Flügel ausstreckte um ein wenig durch die Luft zu gleiten, aber meistens war sie hinter oder neben mir. Richtig fliegen konnte sie noch nicht, doch ich wusste, dass sie bald vom Himmel aus jagen würde. Aber bis es so weit war, würde noch einige Zeit vergehen. Nach etlichen Minuten des Schweigens, kam in mir ein neuer Gedanke auf.
Wo genau bin ich eigentlich? Was wäre wenn ich geradewegs weiter in dieses Gebirge gehe?
Schnell verwarf ich diesen Gedanken. Keine Panik, verlass dich einfach weiter auf dein Bauchgefühl.
Und das tat ich auch.

Gegen Abend hatten wir den Rand der Berge erreicht und blickten auf eine flache Graslandschaft, die sich scheinbar bis zum Horizont erstreckte. In der Ferne glaubte ich die Lichter eines Dorfes erkannt zuhaben, doch ich konnte mich auch irren. Trotzdem machte ich mich zusammen mit Nyx an den letzten Abstieg.
Als wir nach etlichen Ausrutschern endlich am bewaldeten Fuß des Berges ankamen, war es schon fast komplett dunkel und wir suchten uns einen Unterschlupf. Diesen fanden wir auch, in Form eines umgestürzten Baumes über einer recht tiefen Kuhle im Boden. Da es hier, trotz Nacht, noch recht warm war legte ich meinen Umhang auf den Boden der Grube und ließ mich danach selbst darauf nieder. Als Nyx bemerkte, dass ich schlafen ging rollte sie sich sie sich neben mir auf meinen Umhang zusammen. In meinem Kopf überschlugen sich nun die Gedanken, die ich beim wandern verdrängt hatte.
Weiss mein Vater wo ich bin? Natürlich nicht! Er denkt höchstwahrscheinlich, ich wäre irgendwo abgestürzt oder von irgendeinem großen Tier gefressen worden und macht sich selbst dafür verantwortlich, weil er mir erlaubt hat an meinem Geburtstag alleine wandern zu gehen.

Nyx bekam über unsere Verbindung anscheinend mit was ich gedacht hatte und sandte eine Welle beruhigender Gefühle zu mir. Doch da hatten die ersten Schluchzer meine Lippen schon verlassen und ich konnte sie nicht mehr zurückhalten. Alles schien so übermächtig, das Heimweh, die Sorge und ein erdrückendes Gefühl von Einsamkeit. Und zu allem Überfluss auch noch die Hilflosigkeit im Angesicht des Schicksals. Ich hatte Nyx versprochen auf sie aufzupassen, aber ich hatte ja nicht mal Ahnung von unseren Aufenthaltsort, geschweige denn wo wir Essen finden konnten. Hier ging es nicht nur um mein Leben, sondern auch um das Leben meines Drachen.
Ich kämpfte mit meinen Gedanken um die Oberhand, schien aber nicht mehr Herrin meines Verstandes zu sein. Bis Nyx Verstand sich auf einmal um meinen zu legen schien. Eng, aber nicht bedrückend, sondern wie die Umarmung eines alten Freundes.
In diesem Moment wurde es mir klar. Nyx war nicht wie eine gute Freundin, sie war wie das fehlende Teil zu einem Puzzel mit unendlich vielen Teilen. Es würden noch viele weitere dazu kommen, doch ohne sie würde ich nie komplett sein. Und das würde für immer so sein.
Als ich mich beruhigt hatte, drückte ich die etwas näher an mich und schoss meine Augen. Doch kurz bevor ich in süßen Schlaf abdriftete flüsterte ich ihr ein leises „Danke" zu und war dann endgültig weg.

Dieses mal wurde ich nicht durch die Sonne geweckt. Auch nicht durch Nyx, sondern durch Geheul. Aber das war kein Wolf. Noch nie in meinem Leben hatte ich so etwas vernommen. Es klang wie die Schreie eines Sterbenden, aber sehr viel mordlüsterner und unmenschlicher.
Da hörte ich es zum zweiten mal, dieses mal jedoch sehr viel näher. Nyx neben mir richtete sich nun auch auf. Ihr Körper angespannt während Rauch aus ihrer Nase aufstieg, sah sie trotz ihrer Größe sehr gefährlich aus. Doch als sie mich ansah sagten ihre Augen etwas anderes. Weg hier! Das reichte mir als Bestätigung und schon hatte ich mir meinen Mantel wieder übergeworfen und rannte mit Nyx in den Armen los. Durch das Unterholz und die Sträucher, über umgestürzte Bäume und unter tiefhängenden Ästen durch, bloß weg von dem Heulen.

Da hörte ich weit hinter mir das Knacken eines Astes und das Rascheln der toten Blätter, welche den Boden bedeckten. Ich wagte nicht mich umzudrehen, aus Angst ich könnte über einen Stein oder Ast stolpern. Zuerst schienen die Schritte schnell aufzuholen, aber mit der Zeit wurden sie leiser bis sie komplett verstummten.
Erst als ich den Wald schon lange hinter mir gelassen und die Verfolger schon längst abgeschüttelt hatte, kam ich zum stehen.
Durch die Mischung aus Angst, Adrenalin und Erschöpfung hätte jeder normale Mensch wohl gekotzt, doch ich hatte zu wenig gegessen und zu viel Selbstbeherrschung um das zuzulassen. Stattdessen ließ ich mich komplett erschöpft und übermüdet auf den Boden plumsen und versuchte zu Atem zu kommen. Nyx entspannte sich jedoch kein bisschen und beobachtete weiterhin die Steppe, welcher der Wald hier schon längst gewichen war.
Als ich mich endlich einigermaßen erholt hatte, setzte ich mich auf und versuchte etwas im schwachen Licht des Mondes zu erkennen. Doch in tiefster Nacht war es fast schon unmöglich die eigene Hand vor Augen zu erkennen, geschweige denn die Silhouette eines dieser Viecher (was immer sie auch waren) in der Ferne auszumachen.
Also ließ ich mich wieder auf den Rücken fallen und beobachtete einfach nur die Sterne. Sie schienen wie ein Meer aus tausend kleinen Diamanten, fast schon zum greifen nahe. Und zwischen ihnen der sichelförmige Mond.
Nyx schien durch ihre Färbung mit dem Himmel zu verschmelzen, ihre Augen wie zwei Sterne. Nur der Glanz ihrer Schuppen verriet ihre Anwesenheit. Es wirkte als wäre ein Sternenbild lebendig geworden und hätte sich neben mir niedergelassen.
Doch plötzlich wurde ich durch ein weit entferntes heulen aus meiner Trance gerissen.
Ich dachte ich hätte sie abgehängt!
Aber es blieb keine Zeit für langes Nachdenken, denn sie würden bald wieder aufgeholt haben.
Und von neuem begann die Hetzjagd, nur dass ich diesmal nicht den Vorteil hatte, einigermaßen ausgeruht zu sein.
Das machte mir das Rennen sehr viel schwerer. Aber ich rannte trotzdem weiter. Auch als meine Lunge bei jedem Atemzug brannte und meine Beine drohten unter mir nachzugeben. Selbst noch als schwarze Punkte meine Sicht trübten, selbst dann noch rannte ich weiter.
Ich erinnere mich nicht mehr wann, aber irgendwann war es Tag geworden und meine Verfolger schienen mir nicht mehr zu folgen.
Ich wechselte in einen langsamen Trott, doch ich hielt nicht an. Trotz Nyx in meinen Armen konnte ich mich einfach nicht zur Ruhe bewegen. Die Angst, diese Viecher könnten mich wieder finden, trieb mich an und irgendwann fiel es mir schwer auch nur einen Muskel zu bewegen. Und trotzdem schlurfte ich weiter durch das Grasland.
Erst als es schon wieder Abend wurde und es keinen weiteren Zwischenfall gab, brach ich vor Erschöpfung unter einem einzelnen Baum zusammen.

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