Kapitel 4
Es war der nächste Morgen, als ich grob aus dem Schlaf gerissen wurde. „Los, Dawn, wach auf!" rüttelte Alecia mich wach. „Haben wir endlich Wind?" fragte ich schlaftrunken, doch als ich das entsetzte Gesicht von Alecia sah, war ich schlagartig hellwach. „Nein, leider nicht. Aber es kommt etwas auf uns zu, ein Schiff. Ein großes Schiff." sagte sie nur und da war sie auch schon aus dem Raum gestürmt. Ich stieg schnell aus der Hängematte, schnappte mir meine gepackte Tasche und lief ihr hinter her, der Schamane stand schon mit seinem Fernrohr an Deck. „Das sieht gar nicht gut aus..." murmelte er, während ich zum Segel hinauf sah, das immer noch schlapp und schlaff wie ein nasser Lappen herunter hing. Das Wasser war immer noch eine spiegelglatte Oberfläche, das tiefblau schillerte. Hin und wieder konnte man den Schatten eines großen Fisches oder einer kleinen Qualle erkennen, doch sonst regte sich nichts. Der Schamane gab mir das Fernrohr und ich sah in die Richtung in der er deutete. Er hatte Recht: ein großes Schiff kam von Westen auf uns zu. Es war sehr schnell, selbst für seine Größe. Trotzdem war es erst ein kleiner Punkt am Horizont. „Was ist denn dort?" fragte Alecia. „Ein großes Schiff kommt auf uns zu – und aus irgendeinem Grund kann es ohne Wind fahren." sagte ich zu ihr. „Es fährt nicht ohne Wind." meinte der Schamane und tippte leicht auf das Fernrohr. Ich sah erneut hindurch: das Schiff war schon etwas näher gekommen und nun konnte man auch kleine Menschen auf dem Schiff erkennen. Und eine dunkelblaue Substanz auf den Segeln, die sich wie Wellen von innen nach Außen ausbreiteten. „Das ist magischer Wind. Wir haben es hier mit einem Jägerschiff zu tun." sagte der Schamane und in seinem Gesicht konnte man erkennen, das mit diesem Schiff nicht zu spaßen war. „Was ist ein Jägerschiff?" fragte Alecia sogleich. „Als ich Jung war gab es sie noch nicht, sie sind Piraten. Ihr Hoheitsgebiet sind die Ozeane und die Orden sind schon eine Weile hinter ihnen her. Sie haben auch ein ungeschriebenes Abkommen mit ihnen, solange die ihre Handelsschiffe nicht angreifen, lassen sie sie in Ruhe. Aber wir sind kein Schiff des Ordens, also haben sie kein Verbot uns anzugreifen." sagte der Schamane. „Sie sind schnell und tödlich, ich würde sagen wir müssen hier weg." sagte er entschlossen. Doch als sein Blick auf das Segel fiel, wurde seine Miene wieder grimmiger. „Hatte ich vergessen.." murmelte er. „Sie werden uns doch wohl nicht umbringen oder?" fragte Alecia. „Sie handeln nach dem Motto 'Wenn wir das Schiff nicht bekommen können, dann sollt ihr es auch nicht haben'." sagte er. „Also entweder bringen sie uns um und stehlen mein Schiff, oder sie versenken das Schiff. Bei beidem wären wir dann tot." „Und was machen wir jetzt?" fragte ich in heller Aufregung. Langsam konnte man das Schiff schon genauer erkennen. Es war schwarz gestrichen und hatte große, weiße Segel wie unseres. Das Schiff war massig und ich erkannte einige Waffen an Bord. Der Schamane sah sich kurz um, dann hielt er mich an den Schultern fest: „Behalte das, was ich dir jetzt sage gut im Kopf. Du bist schon so weit gekommen, dann schaffst du den Rest auch noch. Wenn du an Land ankommst bist du in Mayrengard, einer Hafenstadt. Du musst unbedingt eine Möglichkeit zur Weiterreise finden. Antworten auf deine Träume wirst du nur bei Raven, der Tochter des Schicksals finden. Ich weiß nicht genau wo sie ist, aber wenn du in Sylvain herumfragst findest du sie schon. Sie wird dir alles weitere erklären, schließlich steht sie in einer guten Verbindung zum Schicksal und wenn es wirklich stimmt, das du einen Teil der Königsehre in dir trägst, dann wird das Schicksal ihr Bescheid gegeben haben." dabei starrte er mir in die Augen, ernst aber besorgt. Ich brachte kein Wort heraus, viel mehr als nicken konnte ich nicht. „Und das wichtigste: Hab vertrauen!" sagte er, dann packte er mich an der Hüfte und setzte mich schwungvoll auf den schwarzen Bären, der langsam hinter ihn getrottet war. Auch Alecia hob er hoch und setzte sie hinter mich auf den Bären. „Und was wird das wenn's fertig ist?" fragte Alecia erstaunt, als der Schamane auch schon einen Fisch vom Essensvorrat des Bären nahm und ihn weit ins Wasser warf, in Richtung Sylvain. „Eure Rettung!" lachte er, dann sprang der Bär auch schon mit einem lauten brüllen dem Fisch hinterher ins Wasser. „Keine Angst, er kann schwimmen. Seid so gut und lasst ihn frei, wenn ihr in Mayrengard ankommt." rief er uns noch hinterher, dann stieg er so schnell er konnte hinauf zum Steuerrad. Es war alles so schnell gegangen, dass Alecia und ich keine andere Wahl hatten als uns tief im Fell des Bären festzukrallen und zu hoffen, dass unsere Taschen nicht nass wurden. Wir konnten von Glück sprechen, dass wir unsere Habseligkeiten immer bei uns hatten und die Taschen nicht sonderlich groß waren. Der Bär bewegte sich im Wasser pfeilschnell und die rhythmischen Bewegungen seiner Pfoten im Wasser hatten etwas beruhigendes. Er schwamm relativ waagerecht, sodass uns das Wasser gerade mal bis zu unseren Knien reichte. Es war endlich Wind aufgekommen, nur für uns zu spät. Der Wind füllte die weißen Segel unseres Schiffes mit Wind, wenn auch mit wenig.
Ich drehte meinen Kopf herum und sah erst in das erschrockene und leicht panische Gesicht von Alecia, die ihre Hände krampfhaft im Fell verankert hatte, danach auf das endlos wirkende, dunkelblaue Wasser. Dahinter türmte sich auch schon das schwarze Jägerschiff auf, das bereits sehr nah war. Wir konnten beobachten, wie der Schamane das eigene Schiff geschickt wendete und an ihnen vorbeifuhr, doch das schwarze Schiff nahm die Verfolgung auf. Auch wenn das Schiff des Schamanen für seine Größe relativ schnell war, würde es doch gegen das Jägerschiff keine Chance haben. Bald flogen die ersten Pfeile aus den riesigen Pfeilkatapulten an Board des Jägerschiffes ins Wasser und durchbohrten die Seitenwand unseres Schiffes. Alecia und ich verfolgten die Szene, während der Bär immer weiter auf das Land zu schwamm. Plötzlich tauchte das Schiff des Schamanen in die Tiefe ab, den Trick den er bei uns auch immer verwendet hatte um sein Schiff zu verstecken. Doch zu unserem erstaunen tauchte das schwarze Schiff hinterher und lies nur einige weiße Schaumblasen zurück, die sich auf dem Meer kräuselten. „Meinst du er schafft das?" fragte Alecia leise, als es wieder komplett Still um uns herum war. „Er hat schon so einiges geschafft, seit wir denken können reist er zu uns in die Eislanden und bringt uns Ressourcen. Da wird ihn das Jägerschiff nicht aufhalten!" sagte ich, doch meine Stimme klang nur halb so entschlossen wie ich es geplant hatte. Doch Alecia gab sich mit der Antwort zufrieden.
Außer Atem stemmte sich der Bär auf den Holzsteg, an dem sonst die Handelsschiffe anlegten, und kroch aus dem Wasser. Sofort stiegen Alecia und ich von ihm herunter. „Lauf, bevor dich jemand sieht und Angst bekommt!" sagte Alecia zu ihm und klopfte ihm auf den Hals. Als hätte er verstanden was sie gesagt hätte, sprang er vom Steg wieder ins Wasser und kam ein Stück weiter wieder aus dem Wasser. Er schüttelte sich und tapste dann hinter einige Felsen gegen die schon im nächsten Moment eine große Welle schlug. Zum ersten Mal an diesem Tag musste ich lächeln, immerhin hatte ich eine Sache die mir der Schamane aufgetragen hatte schon mal erfüllt. Wie als hätte Alecia meine Gedanken gelesen grinste auch sie. „Nächstes Ziel: Weiterreise." sagte sie nur. „Lass uns als erstes neue Kleidung kaufen, deine Pelzschuhe sehen etwas aufgequollen auf." sagte ich nur und sah auf ihre Schuhe. Auch meine Schuhe waren nicht gerade für das Wetter hier geeignet. Es schien immer noch die Sonne und es war warm genug, dass ich ohne den Pelzmantel auskommen konnte. Aber meine Schuhe störten mich doch etwas und eine größere Tasche konnte ich auch gebrauchen, falls wir Nahrung und Wasser mitnehmen sollten. „Meinst du es gibt hier einen Markt oder so etwas?" fragte Alecia und sah mich an. „Natürlich, das ist eine Hafenstadt. Hier wird sicher auch gehandelt..." erwiderte ich und wir machten uns auf in die Stadt. Die Holzstege endeten an einer Treppe, die hinauf zu einem schweren Steintorbogen führte.
Wir hatten richtig gelegen, der Marktplatz war groß und von Holzbuden und -ständen überfüllt. Hier und dort standen auch kleine Zelte oder Musiker die für Geld spielten. Die Häuser sahen ganz anders aus als bei uns, sie waren aus festem Stein oder Lehm gemacht und Holz war nur an den Fensterläden und Türen vorhanden. Sie sahen jedoch genauso aus wie in den Geschichten und Büchern, die der Schamane uns mitbrachte. Auch die Bilder, die er manchmal dabei hatte zeigten Sylvain so wie es war. Alecia hielt die Hände an die Griffe ihrer beiden Dolche, sie war offensichtlich vorsichtig. Auch mir war dieser große Platz voller Menschen nicht ganz Geheuer, aber bald fanden wir einen Stand der Gold gegen Münzen tauschte. „Und was habt Ihr mir mitgebracht?" fragte der dicke Mann hinter dem Tisch, als wir an der Reihe waren. Ich öffnete meine Tasche und holte zwei Goldketten heraus. Eine war schlicht und aus purem Gold, hatte mir damals der Schamane versichert und die andere war mit Edelsteinen besetzt, die im Sonnenlicht in allen Regenbogenfarben funkelten. Es tat mir fast leid, diese kostbaren Stücke wegzugeben, aber ohne Nahrung und Informationen würden wir nicht weit kommen. Der Mann sah uns erstaunt an und musterte mich ganz genau. Dann nahm er eine Lupe und untersuchte die beiden Ketten. „Wie kommt es, dass eine Frau wie ihr es seid solch Schmuck besitzt?" fragte er mich spöttisch. „Ich kaufe kein Diebesgut." sagte er. „Es ist ein Erbstück." sagte ich nur und hoffte das er mir es abkaufte, schließlich sah ich in meiner Lederhose und meinem weißen Hemd nicht gerade aus wie eine Lady. Er nickte nur und sah es sich weiter an. „Diese Kette ist zwanzig Gold wert, die andere zehn. Hier, nehmt das Geld." sagte er und gab die Ketten seiner dunkelhaarigen Frau, die neben seinem Stand für Goldankauf einen Schmuckstand betrieb. Ich zählte die Münzen und nickte zum Abschied. „Es ist alles so anders hier..." murmelte Alecia nur, während sie hinter mir herlief. „Na los, wir brauchen andere Schuhe!" sagte ich voller Tatendrang. Ich war aufgeregt und optimistisch, dass es die Richtige Entscheidung war aus den Eislanden zu fliehen. Vor meinem Vater zu fliehen. Einfach nur um etwas neues zu erleben. Langsam erwachte tatsächlich die Abenteuerlust in mir. Bei einem Kleidungshändler fanden wir bald schon passende Schuhe. Ich kaufte mir leichte Lederstiefel, die luftdurchlässig waren, sodass mir nicht zu kalt wurde, aber ich dennoch geschützt war. Auch Alecia hatte bald ein Paar Schuhe gefunden, die sie gegen ihre durchnässten Pelzstiefel tauschen konnte. Gut ausgerüstet erwarben wir bei einem anderen Händler Trockenfleisch und einige Beutel Wasser, nun waren wir fertig für die Weiterreise. Aber wohin sollte es gehen? Wen fragte man am besten wenn man Informationen benötigt?
Alecia hatte nichts mehr gesagt, sie lief wie ein Leibwächter hinter mir her und hatte ihre Hände immer am Griff ihrer Dolche. Ich kannte sie gar nicht so ängstlich, eigentlich war sie sehr mutig und war auf alles gefasst. Entschlossen lief ich zu einem Mann, der unter einen Baum gelehnt war. Er hatte uns die ganze Zeit über beobachtete, jedenfalls kam es mir so vor.
Er trug dunkle Kleidung und hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sodass man es nicht erkennen konnte. Dennoch fühlte man den starken und durchdringenden Blick, mit dem er einen ansah. Er lehnte dort am Baum, hatte das eine Bein ausgestreckt und das andere angewinkelt, sodass er einen Arm auf sein Knie legen konnte. In der Hand drehte er ein Münze umher und lies sie zwischen den Fingern kreisen. Ich stellte mich vor ihn und bemerkte, wie Alecia sich beherrschte langsam zu atmen. Der Mann sah uns direkt an, es war als könnte ich fühlen wie er mir direkt in die Augen starrte. „Wer bist du?" fragte ich entschlossen. Augenblicklich stoppte der Mann die Münze in der Hand zu wenden.
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