Kapitel 2
„Dawn, ist alles in Ordnung?" hörte ich eine Stimme an meinem Ohr, die eindeutig von Alecia zu kommen schien. Als ich die Augen aufmachte, sah ich über mir die dunkelbraune Holzdecke des kleinen Krankenhauses, dass wir eingerichtet hatten. Erst danach nahm ich wahr, dass ich in einem Bett lag, eben so wie Alecia in einem Bett neben mir. „Jaja, mir geht's schon gut..." murmelte ich nur und meine Stimme klang anders als sonst, heiser und irgendwie kratzig. „Wir haben dich nur vor dem Tor aufgesammelt und hier her gebracht, was ist dir denn passiert?" fragte sie. Erst dann konnte ich mich aufsetzen – mir ging es wirklich gut, ich hatte keine Wunden, aber bei Alecia sah es schon anders aus. Ihr Arm war umwickelt mit Leinentüchern und auch um ihren Brustkorb wickelte sich ein weißes Tuch, dass vom Blut schon tiefrote Flecken bekommen hatte. „Ich bin weggelaufen und habe euch irgendwann nicht mehr gesehen. Ein Schatten hatte mich verfolgt..." überlegte ich, während sich meine Erinnerung langsam wieder zusammen setzte. „Aber er hat mich nicht verletzt, er hat sich kurz vor mir verbeugt und ist dann weggelaufen..." sagte ich und sah in Richtung Alecia, die noch auf dem Rücken lag, da sie sich kaum bewegen konnte. „Das kann nicht sein!" sagte sie. „Schatten greifen jeden Menschen an den sie sehen und bringen ihn um, das ist ihr einziges Verhalten, dass wir je bei ihnen festgestellt haben." Alecia musste husten, drehte dann aber den Kopf zu mir. Auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte, die sie nur hatte, wenn sie wirklich nachdachte. „Aber es war so – sieh her, ich habe keine einzige Verletzung!" sagte ich und stand aus dem weich gepolsterten Bett auf. Ich war wirklich unversehrt, was mich selbst wunderte. „Hm.." murmelte Alecia nur. „Das kann wirklich nicht sein, da hat Alecia Recht!" hörte ich nun eine männliche und tiefe Stimme aus einem Bett am Ende des Raumes. Wir waren offensichtlich nicht alleine im Krankenhaus gewesen. Björn drehte sich in seinem Bett um und entblößte seine stark blutende Kopfwunde. Ihn musste ein Speer oder etwas ähnliches getroffen haben. Ich lief zu ihm und drehte mich einmal, wobei mein Pelzmantel etwas herumflatterte. „Ich habe keinen einzigen Kratzer, nicht mal meine Kleidung ist beschädigt!" sagte ich zu ihm. „Aber das müsste ja heißen, dass du kein Mensch bist..." sagte Björn und grinste mich frech an. Das konnte er offensichtlich noch sehr gut, trotz seiner Wunde. „Haha!" kam es nun ironisch aus Alecias Richtung. „Wo sind eigentlich die anderen?" fragte ich und schluckte, da ich die Antwort eigentlich schon kannte. Björn setzte sich nun auch in seinem Bett auf. „Ich habe mich so gut geschlagen wie immer, aber die haben es nicht geschafft – die meisten sind noch in unserem Nachtlager den Schatten zum Opfer gefallen und die die übrig geblieben sind, wurden dann auf dem Felsenfeld getötet. Es wimmelt im Moment dort nur so von Schatten, man kann sie von der Wand aus sehen." sagte er und während er sprach wurde er immer leiser. Ich nickte nur, das hatte ich erwartet wenn nur wir drei hier im Krankenhaus lagen.
Ich wollte gerade rausgehen um meinen Vater zu sehen und ihm von dem merkwürdigen Ereignis zu erzählen, da rief mich Björn noch mal zu sich. „Dawn, warte mal!" sagte er und ich drehte mich schlagartig um, sodass mir meine hellblonden, fast weiß wirkenden Haare um die Ohren flogen. „Es gibt einen Menschen den die Schatten verschont haben, habe ich mal gehört. Aber ich weiß auch nicht viel darüber, frag mal den Schamanen, wenn er mal wieder vorbeikommt. Er weiß am meisten über alte Sagen und Legenden aus der Umgebung hier." sagte er zu mir und seine Stimme war nur noch ein Röcheln. Ich nickte wieder: „Danke dir, jetzt solltest du aber mal schlafen. Du siehst echt mitgenommen aus..." sagte ich noch zu ihm und winkte Alecia zu, die es mit einem zwinkern beantwortete. Dann rannte ich so schnell ich konnte aus dem Krankenhaus, in das Cavis gerade hineinging und mich verwundert ansah. Ich reagierte nicht auf ihre Rufe, dass ich doch zur Schonung noch etwas dort bleiben sollte und lief in das Haus meines Vaters. „Dawn, dem Schicksal sei Dank geht es dir gut!" sagte er und umarmte mich schnell. Ich lächelte als er das tat, denn ich sah ihn zwar oft als Oberhaupt des Dorfes, aber selten als Vater. Als ich ihm jedoch von der Begegnung erzählte wurde sein Gesicht starr. „Das musst du dir eingebildet haben." sagte er nur und ging einige Schritte zu einem Tisch, auf dem ein großer Lageplan ausgebreitet war. „Vielleicht hast du fantasiert oder so etwas, du standest schließlich unter großem Druck. Bestimmt hast du noch einen Schock, ich gebe dir ein paar Tage frei, in Ordnung? Dann kannst du vielleicht herausfinden ob du dir das nur eingebildet hast!" sagte er und richtete den Kopf auf den Plan. Er begann mit einem Stift darauf herumzumalen und damit war das Gespräch beendet. Ich schluckte meine Enttäuschung hinunter und ging aus der Tür hinaus ins Freie. Die Luft war kühl und eisig, aber es machte mir im Moment nichts aus. Hinter einigen dicken, grauen Wolken brachen nun die Sonnenstrahlen heraus und tanzten auf den verschneiten Häuserdächern herum.
Geschickt kletterte ich auf den Feuerholzspeicher eines nahegelegenen Hauses und sprang von dort aus weiter auf das Dach des Schuppens neben Alecias Haus. Von dort aus konnte man schnell und gut auf das Dach unseres Hauses gelangen. Hier saß ich oft wenn ich nachdachte und lies mir Schneeflocken ins Gesicht wehen. Ich setzte mich hin und vergrub die Hände in den Taschen meines Mantels. Langsam bewegte ich meinen Blick zum Horizont Richtung Norden, dort wo das Eis aufhörte und das Meer anfing. Von dort aus würde er kommen, der Schamane, und vielleicht war es bald mal wieder so weit. Der Schamane war ein alter, aber sehr freundlicher Mann, der sich besser mit der Gegend nördlich von Sylvain auskannte als jeder andere. Er kam meistens mit einem Schiff, dass er jedoch so gut versteckte, dass selbst wir es nicht finden konnten. Er wollte niemandem Hoffnungen machen, eines Tages nach Sylvain zu gelangen wenn er das Schiff nur sah – wir hielten hier alle zusammen und das wollte auch er nicht riskieren, in dem er irgendwelchen leicht beeinflussbaren Personen seinen Weg in ein anderes Leben zeigte. Aber er war nicht nur Geschichtenerzähler, er war auch Händler und brachte uns regelmäßig die Rohstoffe, die wir hier nicht hatten. Das tat er schon seit Jahren und mittlerweile kannte ihn Jeder im Dorf.
Ich saß sehr lange dort auf dem Dach und dachte nach – die Sonne wanderte am Himmel hinüber und das blaue Wasser schlug immer noch gleichmäßig in einzelnen Wellen an den vereisten uns steinigen Strand, den man von hier aus gerade so ausmachen konnte.
Es war einige Tage, einige viele Tage, später und ich saß wieder auf dem Dach um nachzudenken, das Ereignis beschäftigte mich immer noch. Ich hatte in letzter Zeit jede freie Minute hier oben verbracht, irgendwie wirkte die Höhenluft befreiend. Ich blickte umher in die aufgehende Sonne die orange-gelb über dem Horizont hervorkroch, da bemerkte ich eine Person nahe am Wasser stehen. Neben ihm lief ein schwarzer Bär auf den einige Kisten gespannt waren, die der Bär gut tragen konnte. Erst wunderte ich mich über den zahmen Bär, dann erkannte ich den Schamanen, der gemütlich auf unser Dorf zulief. Schnell sprang ich vom Dach in eine hohe Schneeverwehung und rannte auf das Tor zu um es zu öffnen. Kaum war es einen Spalt breit offen, rollte ich mich darunter hindurch und fiel dem Schamanen um den Hals. „Huch, das hatte ich jetzt nicht erwartet!" sagte der alte Mann lachend. Da oft zu uns kam, war er mittlerweile ein Teil des Dorfes geworden aber so sehr wie jetzt hatte ich ihn noch nie erwartet. Als ich ihn umarmt hatte flüsterte ich ihm noch: „Ich muss mit dir reden..." ins Ohr. Sein Blick wechselte von freudig erstaunt in ein geheimnisvolles lächeln und er nickte mir zu.
Ich begleitete den Schamanen noch zum Dorf, wo er ebenso herzlich von meinem Vater begrüßt wurde wie von mir. Alecia, der es inzwischen besser ging während Björn immer noch im Krankenhaus lag, und ich kümmerten uns währenddessen um den Bären, der zu meiner Überraschung wirklich zahm war und sich leicht die Kisten abnehmen lies. Das ganze Dorf war angekommen um zu helfen und begrüßte den Schamanen. Als Alecia und ich alle Kiste abgenommen und gestapelt hatten und auch der Bär satt und müde im Schnee lag, setzten wir uns auf den kleinen Stapel aus Kisten und beobachteten das rege Treiben. Jeder kam angelaufen und fragte ihn, welche interessanten Geschichten er nun für uns dabei hatte oder was es neues aus Sylvain gab. Wir interessierten uns hier wirklich nicht für Politik oder ähnliches – aber das wichtigste mussten auch wir wissen, zum Beispiel ob es Kriege zwischen den Orden gab. Doch wiedermal war alles ruhig, wie die letzten paar Male auch.
„Was liegt dir auf dem Herzen?" fragte der Schamane als der Trubel abgeklungen war und auch der Schamane etwas gegessen hatte. Nun saßen wir hinter Alecias Haus auf Baumstümpfen unter einem Schuppendach und hielten heißen Tee in der Hand. Es war schon morgens wärmer als sonst gewesen und die Temperaturen erlaubten uns, Flüssigkeiten außerhalb des Hauses zu trinken. Der Kräutertee schmeckte fantastisch und ich beschloss, Margie später noch auf die genaue Mischung der Kräuter anzusprechen. Aber erst wollte ich die Meinung des Schamanen wissen und somit erzählte ich ihm alles, was ich noch wusste. Wie der Schatten mich angesehen hatte, wie er sich verneigt hatte – ich beschrieb alles besonders deutlich, vielleicht war es ja wichtig. Während ich erzählte kam die Geschichte mir noch seltsamer vor, als an dem Tag als es passiert war. Ich hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, ein Gefühl der Unwissenheit. Der Schamane nickte nur hin und wieder und als ich fertig war, war in seinem Gesicht keinerlei Regung zu erkennen. Er nahm einen großen Schluck Tee und stellte die Holztasse dann vor sich in den Schnee. „Ich werde dir eine Geschichte erzählen..." begann er. So begannen meistens Gespräche mit ihm, wenn man selbst Probleme hatte, dann erzählte er einem eine Geschichte die man selbst deuten sollte um das Richtige zu tun. Genau genommen war der Schamane Händler, Dorfmitglied, Geschichtenerzähler, Philosoph, Reisender und Priester in einem. Er hatte eine gute Verbindung zum Schicksal und war ihm sehr untergeben.
„Es gibt viele Legenden aus diesem Teil der Welt, einfach weil hier nur wenige Menschen leben und man sie nur schwer erreicht – dann reimen sich die Leute allerlei Geschichten zusammen. Eine Geschichte, die in den Büchern immer mehr untergeht ist die Legende des Schattenkönigtums. Viele Menschen haben noch nie einen Schatten gegeben, daher glauben sie nicht ein mal das diese existent sind. Aber wie du hier schon bemerkt haben solltest – dieser Teil ist zumindest auf jeden Fall wahr!" er räusperte sich, während ich die Beine anzog und meine Hände um die Teetasse legte, um mich warm zu halten. Die Schatten leben hier in den Eislanden, kommen allerdings nicht über das Meer nach Sylvain wie du weißt. Aber das war nicht immer so, es gab ein mal eine Landbrücke nach Sylvain und die Schatten sind dennoch nicht in das Land eingefallen. Sie waren friedliebende Wesen wie ihr es seid. Sie waren nicht immer so, wie du sie kennst, Dawn." sagte der Schamane und wurde fast ein bisschen traurig. „Die Schatten hatten einen König, der ebenfalls ein Schatten war. Diese Königsehre wird magisch übertragen, wir Menschen können sie jedoch nicht sehen, so sagt man. Alle Schatten gehorchen diesem König und er wählt das Verhalten seiner Untertanen. So gesehen sind Schatten Marionetten des Königs, sie wissen selbst nicht was sie tun. Jedenfalls gab es den König, den ersten seines Adelsgeschlechts. Laut der Legende hasste er Krieg und blieb mit seinem Volk somit fernab der Menschen. Ich weiß nicht genau welcher Krieg es war, aber es war einer der schlimmsten der in Sylvain stattgefunden hat – die Orden bekämpften sich gegenseitig und es war kein Ende in Sicht. Damals wurde eine Kriegerin aus dem Orden der Krieger ausgewählt, den König der Schatten zu ermorden um seine Befehlsgewalt zu erlangen und mit einer Armee aus Schatten den Krieg zu gewinnen. Diese Frau schaffte es wirklich den König fast im Zweikampf zu besiegen, doch bevor sie ihn erdolchen konnte machte er ihr ein Angebot. Er flehte darum ihn am Leben zu lassen und wenn es nur mit einem Zauber ging, der ihn über tausend Jahre zu Stein verwandeln würde, bevor er wieder erwachen konnte. Er erzählte, dass sein Volk ohne Herrscher völlig verwirrt wäre und ganz Sylvain in Gefahr wäre wenn es keinen König gäbe. In diesen tausend Jahren gab es die Möglichkeit, dass sein Adelsgeschlecht aussterben würde und somit solle für die Zukunft vorgesorgt sein, dass falls es nach den vielen Jahren keinen Herrscher gäbe, er wieder alles richten könne. Die Kriegerin hielt dies für logisch, da sie dachte, dass der König bei seiner Rückkehr nur ein normaler Schatten wäre, falls es ihre Kinder noch gäbe. So wurde der König in einen steinernen Drachen verwandelt, der seitdem in der Mitte des Kontinents ruht. Da die Kriegerin den König ja nicht getötet hatte, sondern nur auf seinen Wunsch zu Stein verwandelt hatte, ging nur ein Teil seiner Kräfte auf ihn über. Der Rest dieser Kräfte schlummert im Drachengebirge in Sylvain, doch sie sind wach, die Kräfte. Ein Schattenkönig hat immer eine Art telepathische Verbindung zu seinem Volk und genau dieser Teil ist aktiv – dieser Teil seiner Kräfte, lässt die Schatten jeden Menschen angreifen den sie sehen. Wer so viele Jahre in Stein gefesselt ist, der wird die Person die ihn in diese Lage gebracht hat selbstverständlich hassen. Und somit auch ihr ganzes Volk." sagte er und musste sich wieder räuspern. Seine Stimme klang wundervoll melodisch, aber ich musste aufpassen, dass ich der Geschichte folgen konnte. „Der andere Teil seiner Kräfte lagen in der Kriegerin, die jedoch von einem eifersüchtigen Gegenspieler getötet wurde. Dieser wurde über die Jahre alt und schließlich von seinem Sohn getötet, der wiederum von seiner Frau erschlagen wurde...wenn ich das noch in Erinnerung habe..." murmelte der Schamane und kratzte sich am Kopf. „Jedenfalls gelangte diese Magie irgendwann an eine junge Hexe, die wusste, dass sie bald auf Grund ihrer neuen Macht getötet werden würde. Sie war jedoch schlau und zugleich magieerfahren, daher lies sie in letzter Sekunde die Schattenmagie zum Schicksal hinaufsteigen 'auf das das Schicksal einen Menschen finde, der diese Magie zu gebrauchen weiß'. So sagt man jedenfalls." sagte der Schamane und atmete durch. „Und was hat das jetzt genau mit mir zu tun?" fragte ich ihn und aus meinem Mund kam ein kleines, weißes Atemwölkchen. „Die Magie die der Schattenkönig behalten hat ist sehr groß, aber er kann damit nicht den Zauber brechen, der ihn zu einem Gebirge gemacht hat. Der andere Teil ist beim Schicksal gelandet, dass die Macht hat zu entscheiden wer ihm würdig erscheint um diese Aufnahme anzunehmen. Dawn, die einzigen Menschen die nicht von den Schatten angegriffen wurden, selbst wenn diese den Befehl hatten alle Menschen anzugreifen, waren die Träger der Königsehre. Wenn es stimmt was du sagst, und sich der Schatten wirklich vor dir verneigt hat, dann trägst du einen Teil dieser Königsehre in dir. Es wird nicht reichen um die Schatten zu kontrollieren und schon gar nicht um dich Königin zu nennen – aber sie werden dich nicht umbringen." sagte er. Ich musste mich erst sammeln, bevor ich irgendwas entgegnen konnte, doch auch Fragen vielen mir nicht ein. Wenn ich diese Königsehre haben sollte, dann brauchte das Schicksal doch einen Grund mich auszuwählen. Wieso gerade ich? Ich war ein einfaches Mädchen, dass in einem Dorf in den Eislanden lebte und Ewigkeiten entfernt vom Hauptkontinent war. Ich bekam nur ein einfaches „Danke!" heraus. Mein Mund fühlte sich trocken an und ich hatte viel zu viel im Kopf – ich musste erst Mal darauf klarkommen. Der Schamane lächelte geheimnisvoll und nahm mir die Tasse aus der Hand. „Ich bringe Margie die Tassen zurück, dann kann ich mir gleich noch einen Tee holen – der ist wirklich gut." sagte er fröhlich und stapfte durch den leichten Puderschnee davon. Ich blieb auf dem Baumstumpf sitzen und starrte den Weg hinunter und dann die Wand hinauf. Es waren weitere Baumstämme hinzugefügt worden, die inzwischen nicht nur angeklebt waren sondern auch zusammen geeist waren.
An diesem Tag war ich sehr abgelenkt und nachdenklich, ich machte mir über solche Angelegenheiten viele Gedanken und fiel am Abend wie ein Stein in mein Bett. Während ich langsam in den Schlaf glitt, begann ich wieder zu träumen. Es war der gleiche Traum den ich schon ein mal gehabt hatte, ich erinnerte mich genau an das gelbe Gras und den Wind. Die flüsternde Stimme klang genauso melodisch und geheimnisvoll wie beim ersten Mal. Doch diesmal hörte ich andere Worte an mein Ohr gelangen. „Du musst aufbrechen..." flüsterte die Stimme als sie ein weiteres Mal an mir vorbeirauschte. „Er wird erwachen." hörte ich noch in meinem Traum, bevor ich die Augen aufriss und schweißgebadet aufwachte. Als ich mich aufrichtete blickte ich in das Gesicht des Schamanen. „Verzeih mir bitte das ich dich beim Schlafen gestört habe, aber ich kann mir denken wovon du geträumt hast." sagte er während ich mir durch die verwuschelten Haare fuhr und mich wieder unter der Decke versteckte, da es selbst im Haus noch sehr kalt war. Irgendwie machte mir der Schamane teilweise Angst, aber hilfreich war er wirklich und so verzieh ich es ihm. „Woher weißt du das?" fragte ich ihn noch verschlafen. Die Antwort darauf war ein leichtes Lächeln. „Weißt du – ich habe mit der Zeit ein Gefühl dafür entwickelt, ich kann einfach ein bisschen mehr sehen als die Menschen die nur die Oberfläche der Dinge wahrnehmen wollen." sagte er und auch wenn ich davon am Morgen nur die Hälfte verstanden hatte, lies ich es als Antwort gelten und stieg aus dem Bett um mir meine Schuhe anzuziehen. „Bist du nur deshalb gekommen?" fragte ich nun und musste auch etwas lächeln. „Nein, ich muss auch mit dir Reden. Die Stimmen im Wind sind ein typisches Zeichen für das Schicksal, aber auch wenn ich einen sehr guten Draht zum Schicksal habe, bin ich kein Priester oder noch Höheres." sagte er und stand von seinem Stuhl neben meinem Bett auf. „Es gibt einen Menschen in dieser Zeit, einen einzigen, der dir wirklich erklären kann was das Schicksal genau von dir will. Und diese Person kann dir viel mehr weiterhelfen als ich es kann – allerdings lebt diese Person im Tiefsten Sylvain." sagte er und ich blieb auf der Stelle stehen. „Vielleicht träume ich auch einfach nur verwirrende Träume?" sagte ich und versuchte mich irgendwie aus der Sache raus zu reden. Ich war noch nie weiter gegangen als ein Stück aus dem Dorf hinaus. „Es ist sehr wichtig, das Schicksal kann und darf man nicht ignorieren. Davon könnte die Existenz dieser Welt abhängen. Besser umsonst eine kleine Reise unternehmen, als hierbleiben und zu zu sehen wie die Welt untergeht oder?" fragte er und ging zur Tür. „Du müsstest natürlich irgendwie nach Sylvain kommen, aber unter diesen Umständen würde ich dich sogar fahren. Das ist eine große Ehre, bis auf meinen Bären und mir war sonst noch niemand auf diesem Schiff." sagte er und zwinkerte mir zu. Ich nickte nur und setzte mir gerade die Mütze auf um hinauszugehen und mit der Arbeit zu beginnen. „Ich werde deinen Vater überreden, das schaffe ich schon." sagte er lächelnd, als hätte er meinen Blick gedeutet, den ich ihm zu warf. „Genaueres werde ich dir schon mitteilen, wenn ich denke das du die Information brauchst." sagte er und die schwere Tür fiel ins Schloss. Ich schüttelte den Kopf – so seltsam der Schamane auch war, so freundlich war er dennoch.
Ich lief nach draußen in den Puderschnee, der allmählich weniger wurde. Man sah sogar den Boden etwas hindurch schimmern, aber nur an einigen Stellen. Den ganzen Tag lang half ich Baumstämme zu schleppen und in der kleinen Pause, die wir hatten, vertraute ich mich Alecia an. „Meinst du denn dein Vater wird es akzeptieren?" fragte sie mich als erstes. Sie war der toleranteste Mensch den ich kannte und mir war sofort klar gewesen, dass sie mich gut beraten würde. Die Ansichten des Schamanen über das Schicksal teilte sie nicht wirklich, sie war einer der weniger religiösen Menschen hier im Dorf, aber wer konnte es ihr verübeln. Sie hatte wirklich Glück gehabt für das sie das Schicksal verantwortlich machen konnte und war auch nicht in dem Glauben erzogen worden. Alecia war ein Kind gewesen, als ein Ereignis passiert war, dass wir nur 'die große Welle' genannt hatten. Ich war damals auch klein gewesen, allerdings noch ein Baby während Alecia mindestens drei Jahre alt gewesen sein musste. Sie war etwas älter als ich, aber mit ihr verstand ich mich viel besser als mit Cavis oder Lou. Die große Welle war das erste und einzige Mal gewesen, dass sich Schatten die Mühe gemacht hatten ein ganzes Heer zusammen zu stellen und das Dorf überfallen hatten. Sie rissen einen Teil der Mauern nieder und mordeten so gut sie konnten. Viele Dorfbewohner wurden damals getötet, aber dennoch haben wir gesiegt. Eine kleine Dorfgeschichte, für die ich mich nie besonders interessiert habe. Aber es war klar gewesen, dass der Hass meines Vaters auf diese Geschöpfe irgendwo her kommen musste. Alecia hatte mitansehen müssen wie ihre beiden Eltern von zwei Schatten geköpft wurden. Vor einigen Jahren hatte sie mir das anvertraut und ich war stolz auf sie, dass sie sich nicht unterkriegen lies. Mein Vater hatte sie ein wenig unter seine Fittiche genommen und immer gut auf sie aufgepasst.
„Ich glaube ehrlich gesagt nicht..." antwortete ich auf ihre Frage. In dem Moment kam mein Vater um die Ecke gerauscht, hinter ihm her stürmte der Schamane. „Dawn?" rief mein Vater und stand nun vor mir und verdeckte mit seinem massigen Oberkörper die Sonne, die mir ins Gesicht geschienen hatte. Ich antwortete ihm nicht sondern sah nur hilfesuchend zum Schamanen. Ich hatte mich damit abgefunden, dass ich wohl keine Wahl hatte, wenn ich herausfinden wollte was mit mir los war. „Du wirst nirgendwo hin gehen Dawn!" sagte mein Vater in einem aggressiven Ton. Ich hatte mich nie gegen meinen Vater auflehnt, aber langsam war es Mal Zeit dazu. Es musste mehr geben als die Eislanden und so schön es hier auch war, ich hatte irgendwie das Gefühl das ich hier raus musste. Allein die Worte des Schamanen hallten in meinem Kopf nach, wenn wirklich etwas davon abhing ob ich nach Sylvain reiste, dann musste ich es tun. „Du kannst mich nicht aufhalten, Vater." sagte ich nur kalt und eine kleine Falte der Überraschung bildete sich auf seinem Gesicht. Auch Alecia zuckte kurz mit den Augen, woran man erkannte, dass sie mir diese Wortwahl nicht zugetraut hatte. „Ich brauche dich hier, was habe ich dir über den Zusammenhalt im Dorf erzählt? Ich habe dich hier aufgezogen, das solltest du eigentlich wissen. Wir sind die einzigen Menschen die hier leben, wir brauchen jeden Arbeiter den wir kriegen können um uns zu schützen. Dawn, du bist meine Tochter, ich kann dich nicht gehen lassen." sagte er nun leise, er redete aber dennoch sehr schnell als hatte er Angst das ich ihn unterbrechen könnte. Er sah zu gleich traurig und sauer aus, was mir gar nicht gefiel. Ein Vater sollte einen unterstützen und einem helfen, gerade jetzt wenn ich wusste, dass ich mir wenigstens Auskunft über meine Träume holen musste. Ich stand langsam von dem Baumstamm auf, auf das sich Alecia und ich gesetzt hatten. „Du bist genau so eine Schlampe wie deine Mutter!" sagte er und stand nun direkt vor mir. In seinen Augen funkelte der Zorn auf und seine Gesichtszüge waren hart wie Stein. Alecias hatte die Augen aufgerissen und der Schamane schüttelte nur traurig und enttäuscht von meinem Vater den Kopf. „Auf Wiedersehen." sagte ich nur in einer monotonen Stimmlage und schritt an ihm vorbei durch den Schnee zu unserem Haus. „Wie kannst du nur so über Alva reden?" fragte der Schamane und ging an meinem Vater vorbei zu seinem Bären, den er schon vorher mit allen Kisten beladen hatte. Das war das erste Mal das ich den Namen meiner Mutter hörte. Alva – wie sie wohl gewesen war? Offensichtlich hatte der Schamane sie gekannt und sie respektiert. Doch im Moment wollte ich mir keine Gedanken um meine Mutter machen, ich musste meine wichtigsten Sachen zusammen packen um so schnell wie möglich von diesem Ort zu verschwinden. Das Dorf in dem ich an Kindertagen so oft im Schnee gespielt hatte, so oft den Sonnenuntergang auf dem Dach unseres Hauses beobachtet hatte und so oft stolz auf meine Arbeit an der Wand gewesen war kam mir nun wie ein graues, lebloses Gefängnis vor.
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