Kapitel 17

Es war ein hübscher Tag, die Sonne schien auf die Klippen und lies sie weniger bedrohlich wirken. Ich saß am Rande der Klippen, oben auf dem noch vom morgendlichen Tau feuchtem Gras und lies meine Füße baumeln. Unter mir schmiegte sich das Wasser an die Felsen anstatt wie sonst mit Gewalt dagegen zu schlagen. Im klaren, tiefen Meer konnte man sogar einzelne große Schatten von Fischen erkennen, wenn man genauer hin sah. Die Lage hatte sich beruhigt und auch mein Körper schien der Situation wieder gewachsen zu sein. Obwohl ich nur das Leinenkleid trug, war mir nicht kalt, meine Haare wehten im leichten Sommerwind und ich trug nur noch eine Bandage um meine Rippen. Die Wunden waren verheilt, auch wenn es die in meinem Herzen nicht waren. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so viel erleben würde und es hatte sicherlich auch seine guten Seiten – aber ein Abenteuer hatte auch immer seine schlechten Seiten. Ich zuckte zusammen als ich einen Schatten wahrnahm, als ich mich umdrehte stand Shaitan hinter mir. „Guten Morgen Dawn." sagte er und lächelte mich an. Er trug keine Rüstung sondern eine schwarze Leinenhose und eine leichte Tunika. Seine Füße steckten in stabilen Lederschuhen und er hatte eine Kapuze aufgesetzt, allerdings diesmal nicht tief ins Gesicht gezogen. In seiner Hand hielt er die Zügel eines tiefschwarzen Pferdes mit weiß-grauer Mähne. Das Pferd war stark und zog die Kutsche des Ordens hinter sich her. „Guten Morgen." sagte ich nur verwundert und stand auf. Ich sah Shaitan fragend an, wollte er sich verabschieden und einen weiteren Auftrag erledigen? „Ich habe eine Überraschung für dich." sagte er und lächelte leicht. Ich verzog etwas das Gesicht, ich hatte schließlich schon genug Überraschungen für mein ganzes Leben gehabt, aber dann stieg ich doch in die Kutsche. Neben mir auf der Bank lagen meine gepackten Sachen, es würde also eine lange Reise werden.

Ich sah zu wie am Fenster immer wieder die Landschaft von Sylvain vorbeizog und das in einer magischen Geschwindigkeit, die wirklich nur diese Kutsche haben konnte. Man konnte quer durch Sylvain reisen und das wahrscheinlich an weniger als drei Tagen. Magie war wirklich ein Wunderwerk diese Welt. Ich lehnte mich entspannt zurück und schloss die Augen. Ich brauchte dringend Ruhe und auch wenn ich die im Orden der Diebe bekommen konnte, war das einfach nicht der richtige Ort für mich. Ich war kein Dieb, nicht mal ein richtiger Krieger. Natürlich hatte mir Raven versichert, dass ich dort jeder Zeit willkommen war aber so lange wie ich unter der Beobachtung des Magiers stand, musste ich eh noch dort bleiben. Ich mochte es wirklich dort, der Magier war auch wirklich nett gewesen und man erkannte mit der Zeit, wie ähnlich er dem Schamanen war. Nach dem Kampf war der Zirkel der Magier übrigends wieder auseinander gegangen, allerdings hatten sie sich versprochen, öfter Treffen einzuberufen. Nachdem das Luftschiff des Wissenschaftlers wieder in die unergründlichen Weiten des Himmels hinaufgestiegen war, hatte sich auch die Seherin sich von mir verabschiedet und den Gefallen, den ich ihr hätte tun sollen freundlicherweise fallen gelassen. Bei meinem Zustand konnte ich ihr nicht wirklich viel helfen und sie hatte mir versichert, dass ich gerade die sei, die eigentlich Hilfe bräuchte. Aber ich hatte dankend abgelehnt, noch mehr Menschen um mich herum konnte ich jetzt wirklich nicht gebrauchen, so nett und freundlich sie auch alle gewesen sein mochten. Langsam veränderte sich die Landschaft, es wurde grüner und grüner. Bald schon rauschten Bäume an mir vorbei und die Kutsche schlängelte sich auf einem gepflasterten Weg durch einen dichten Wald. Die Luft war kühl hier und zwischen den Laub- und Nadelbäumen erkannte ich Eichhörnchen, Mäuse und Waldschweine. Meine Stimmung besserte sich sofort, hier war es ruhig und wunderschön. Egal was Shaitan für eine Überraschung für mich hatte, es konnte ja nur gut werden.

Die Kutsche wurde langsamer, als wir zum Waldrand kamen. Im fernen erkannte ich eine weitere Stadt und wenn mein Orientierungssinn mich nicht täuschte waren wir am anderen Ende von Sylvain, dann musste die Stadt Sanys heißen. Doch wir bleiben gut ein Stück vor der Stadt stehen, am Waldrand. Shaitan hielt die Kutsche an und ich sah mich erstaunt um, erkannte aber nicht den Grund der Reise. Schnell nahm Shaitan mir meine Tasche ab und wickelte mir ein Tuch um die Augen, damit ich nichts sehen konnte. Dann führte er mich an der Hand aus der Kutsche heraus. Ich fühlte die Luft des Waldes, die auch hier am Waldrand noch vorhanden war. Das Gras unter meinen Füßen war weicher und höher als das Gras auf der Wiese vor dem Orden, doch die Meerluft war die gleiche. Ich schmeckte Salz, als ich einatmete und musste lächeln. Das hatte mir auch beim Orden schon so gut gefallen, es wirkte vertraut. Die Luft aus dem Eismeer war immer kalt und trocken gewesen, aber eben auch salzig. Einige Schritte weiter hielt Shaitan an und ich war froh, nicht mehr darauf achten zu müssen ob ich in irgendwelche Äste oder Stöcke lief. Da mich Shaitan so schnell abgeholt hatte, hatte ich noch keine Zeit gehabt mir Schuhe aus meiner Tasche zu holen. Ohne ein Wort zu sagen, nahm Shaitan mir die Augenbinde ab. Erst war ich kurz geblendet von der Sonne, die direkt über uns stand, aber dann erkannte ich direkt am Waldrand ein Haus. Es war groß und aus stabilem Stein gebaut. Es sah eher aus wie ein kleiner Hof, an das Haus grenzte ein Stall an und zwei kleine Beete erstreckten sich im Vorgarten. Ebenfalls ein großer Vogelkäfig stand im Hof, in dem einige schwarze Brieftauben des Ordens umher flatterten. Alles war umzäunt von einem Birkenholzzaun und wirkte durch den Efeu der sich am Stein entlang nach oben schlängelte etwas verträumt und verschlafen. Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, doch ich wusste auch nicht recht was. Warum zeigte mir Shaitan dieses kleine Paradies? „Ich habe jedes Stückchen Gold aus meinen Aufträgen gespart, weil ich mir irgendwann mal einen großen Traum erfüllen wollte, aber nie wusste welchen. Aber ich denke, du brauchst es eher, dass man dir deine Träume erfüllt." sagte er. „Ich hab das Haus gekauft, es gehört dir." sagte er und lächelte. Meine Gedanken kreisten sofort wieder umher. Dieser kleine Hof war nahezu perfekt! Er lag abgelegen aber nicht ganz am Ende der Welt, es gab eine Stadt in der Nähe aber auch einen Wald und es lag gleichzeitig am Meer und dennoch auf dem Festland. Ich freute mich tierisch und wusste gar nicht was ich sagen sollte. An meinem Gesichtsausdruck konnte man allerdings meine Freude dennoch ausmachen, dann Shaitan grinste verlegen zurück. Ich fiel ihm um den Hals und umarmte ihn so lange wie ich nur konnte. „Ich werde dann wohl mal wieder fahren..." sagte er, als wir uns aus der Umarmung lösten. „Willst du das?" fragte ich ihn und hielt ihn am Arm fest, damit er nicht gehen konnte. Shaitan sah auf den Boden. „Nein, ich bin kein guter Dieb und eigentlich auch nicht für das Leben im Orden geschaffen, aber ich bin dort aufgewachsen und meine Mutter würde mich niemals gehen lassen..." murmelte er. „Du musst selbst entscheiden wer du sein willst, du bist doch alt genug." flüsterte ich ihm zu. Ich würde ihn wirklich vermissen wenn er gehen würde, die einzigen Menschen die mir wichtig waren sind entweder verschollen oder erkennen mich nicht mehr – Shaitan war der letzte von ihnen der noch bei mir war. „Du hast dieses Haus gekauft um mir einen Wunsch zu erfüllen. Vielleicht hast du dir dabei unterbewusst auch einen Wunsch erfüllt." sagte ich und lies seinen Arm los, es war nun in seiner Hand es zu entscheiden. „Meinst du?" flüsterte er so leise, dass ich es gerade so verstehen konnte. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht und ehe ich es realisieren konnte wie nah er mir gekommen war, küsste er schon. Für einen Moment war die Welt perfekt, meine Gedanken waren aufgeräumter als je zuvor und mein Bauchgefühl sagte mir: Jetzt kann alles nur noch besser werden!

Die Sonne schlich sich langsam über die Silhouette der Stadt und über das Meer, das man in der Ferne sehen konnte, und breitete dann seine farbigen Ausläufe über dem Himmel aus. Für einige Zeit war der sonst so hellblaue Himmel in einem Farbenspiel aus violetten und rosanen Wolken gehalten. Die Sonne dahinter lies einzelne Sonnenstrahlen auf die Erde falle und tauchte das ganze Land in warme Farben, bevor sie weiter über den Himmel wandern wollte. Es war ganz ruhig, in der Stadt wurden die ersten Straßen belebter, aber davon merkte man im Wald nichts. Zwischen den riesigen Bäumen huschte Getier hin und her und suchte nach Nüssen, Pilzen und Samen und in den Baumkronen begannen die Vögel ein liebliches Lied zu zwitschern. Am Waldrand, auf der Veranda des kleinen Hofes stand ein Mann, der seinen Arm um eine etwas kleinere Frau gelegt hatte. Der Mann hatte nachtschwarze Haare und die Frau trug ihre ungewöhnlich hellblonden Haare zu zwei Zöpfen geflochten. Beide genossen die frische Morgenluft und sahen dem Sonnenaufgang entgegen. Langsam strich die Frau über ihren runden Bauch und auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln, als sie am Horizont auf dem Wasser ein bekanntes Schiff erblicken konnte.

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