Kapitel 14
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug: Der Wissenschaftler war bereitwillig auf das Angebot eingegangen und modifizierte mit einigen Dieben sein Luftschiff nach den Vorstellungen des Magiers. Dieser wiederum hatte den Zirkel zusammen getrommelt und in seinem Labor ging es bereits heiß her. Ich war nur ein mal daran vorbei gekommen, doch hatte sofort grünlichen Dampf entgegen bekommen, weshalb ich mich lieber auf Abstand zu diesem Raum der Ordensunterkunft hielt. Aber ich hatte generell kaum Freizeit, mein Training mit dem Mann verlief zwar schmerzhaft und ehrlich gesagt ging er mir ziemlich mit seinem 'Lady' auf die Nerven, aber er war auch gerecht und fair. Bald schon trainierte ich gegen andere Ordensmitglieder und konnte sie nach einiger Zeit auch entwaffnen. Auch wenn es eine andere Liga war, als ein Kampf gegen einen Drachen, musste ich zugeben, dass ich stolz auf mich war. Vor einiger Zeit war ich nichts, ein einfaches Mädchen das Baumstämme schleppen konnte und hin und wieder mal Beeren gesammelt hatte. Langsam wurde ich zur Kriegerin. Das Leben beim Orden der Diebe gefiel mir ganz gut, wenn ich auch bemerken musste, dass mir das Dieb-sein ganz und gar nicht lag. Das merkte ich alleine daran, dass mich Shaitan immer bemerkte, wenn ich mich versuchte an zu schleichen oder einen der traumhaften Kekse stehlen wollte, die Sheen dem Luftschiff-Team gebacken hatte. Letztendlich hatte ich dann doch noch einen bekommen, aber eher weil Sheen so gütig war mir einen anzureichen, während sie lautlos in sich hineinkicherte. Dann war es soweit, es war ein stürmischer Abend und die Wellen schlugen höher als sonst gegen die Klippen. Das Wasser spritze hoch, nur um dann sofort wieder zurück in die See zu fallen. Der Himmel hatte sich schon bereits am Morgen verdunkelt und es war, als wäre die Sonne nie aufgegangen. Dicke, schwarze Wolken bedeckten den sonst so strahlend blauen Himmel und als ich mir verschlafen etwas Wein einschenkte, begann es bereits zu regnen. In den Eislanden war Regen immer etwas besonderes gewesen, da wir sonst viel zu häufig Schnee und Hagel hatten. Aber hier war es anders, jetzt vermisste ich schon beim ersten Regentropfen die Sonne und das warme Gefühl auf der Haut.
„Schlecht geschlafen, Lady?" fragte der Mann lachend und trank einen großen Schluck direkt aus der Flasche, die ich mir geholt hatte. Ich verdrehte nur die Augen und grummelte etwas. „Mach dir nichts draus!" hörte ich eine Stimme hinter mir. „Er hat angefangen mich Sir zu nennen, das finde ich weitaus schlimmer!" Shaitan grinste frech und nahm dem Mann die Flasche aus der Hand, nur um selbst den kleinen Rest der noch darin war auszutrinken. Ich war immer noch zu verschlafen um etwas zu entgegnen, daher trank ich selbst schnell mein Glas aus und ging dann in den Versammlungsraum. Wir hatten uns alle gegen Vormittag hier verabredet um den Plan zu besprechen, denn es waren nur noch wenige Tage Zeit. Genau wusste es nicht mal Raven, aber sie hatte die Anweisung bekommen, heute noch los zu fliegen. Zur Sicherheit.
Als ich in den Raum kam, saßen am Tisch schon einige Leute. Um den Tisch verteilten sich Raven, Sheen, der Magier, der Wissenschaftler und sogar der Rest des Zirkels der Magier. Die Seherin war erst vor einigen Tagen angekommen und hatte schon fleißig mitgeholfen, bei was auch immer der Magier da zusammenbraute. Aber sie war überrascht und freudig gewesen mich wohlbehalten wieder zu sehen. Ich ebenso, es war schon wenn man in einer so gefährlichen Welt in der nichts sicher scheint bekannte Gesichter zu sehen.
„Na dann sind ja alle da!" sagte Raven, als auch Shaitan in den Raum gekommen war. „Wir haben schon eine Art Plan erstellt..." begann sie, doch wurde vom Magier unterbrochen der ein großes Pergament auf den Tisch legte. Darauf war das Luftschiff abgezeichnet und jeder einzelne Raum skizziert. „Wir haben etwas entwickelt, dass ich in einem der alten Bücher gefunden habe. Wir können nicht sicher gehen, dass es funktioniert, aber es ist besser als nichts." sagte er. „Um es einfach zu erklären: Es sind Bälle aus gebündelter Magie, die sich wie Kanonen abschießen lassen. Die Magie dürfte so groß sein, dass es sogar dem Drachen schadet." sagte die Seherin und zeigte auf einige eingekreiste Stellen am Schiff. „Von dort aus wird gefeuert – wir müssen den Drachen auf den Boden bringen, ansonsten kommst du ja nie an ihn ran." sie lächelte mich warm an. „Auf dem Boden kannst du ihn sicher besiegen, wenn du dem Feuer ausweichst..." sagte Shaitan nun. Raven nickte. „Wir werden uns in Position begeben, damit wir schon in der Luft sind, wenn der Drache erwacht. Aber wir können ihn erst besiegen, wenn der Fesselzauber komplett aufgehoben ist. Daher müssen wir warten bis er sich aus dem Drachengebirge erhoben hat..." sagte Raven. „Was passiert mit der Rubinstadt?" fragte ich. Die Rubinstadt hatte ich komplett vergessen, sie war schließlich in den Berg gebaut worden und ziemlich fest mit ihm verankert. „Ich habe den Orden der Krieger um Hilfe gebeten, sie sind die einzigen die an den Drachen noch glauben. Sie evakuieren die Stadt schon seit ein paar Tagen, aber viele wollen einfach nicht gehen. Wir werden sehen müssen." Raven strich sich eine schwarze Strähne hinters Ohr und rollte das Pergament zusammen. „Shaitan, Dawn und der Wissenschaftler – ihr kommt mit auf das Luftschiff. Für alle anderen wäre es zu gefährlich, ich werde weitere Mitglieder mitnehmen..." sagte sie und rief noch ein: „Packt schon mal zusammen!" durch den Raum, bevor sie verschwand. Ich schüttelte den Kopf, langsam wurde es wirklich ernst mit der Sache.
In kompletter Rüstung und mit dem Schwert auf dem Rücken stieg ich in das Luftschiff. Etwas unwohl war mir schon, als das Luftschiff abhob, aber es waren etwa zwanzig Männer um mich herum, die bereits die Kanonen bestückten, daher machte ich mir keine Sorgen. Es fühlte sich seltsam an, in der Luft zu sein. Auf dem Schiff des Schamanen hatte ich mich eindeutig geborgener gefühlt, in der Luft schwankte das Schiff deutlich mehr und hin und wieder wurde mir etwas schwindelig, wenn das Luftschiff einen Ruck nach vorne tat. Der Schamane war nicht gekommen, auch wenn ich den Magier extra gebeten hatte auch ihm eine Nachricht zu schreiben und wenigstens hinzu zu fügen, dass es mir gut ginge. Der Schamane hielt sich selten an Verabredungen und war auch immer wann er selbst wollte in die Eislanden gekommen, aber dennoch hoffte ich, dass er nur mal wieder Wichtigeres zu tun hatte und nicht tot war. Ich wollte gar nicht daran denken, deshalb schritt ich über das Deck und krallte mich nahezu in die Reling. Das Holz ächzte immer wieder unter unseren Füßen, sonst gab niemand ein Geräusch von sich. Eine Weile sah ich zu, wie die Landschaft unter uns immer kleiner wurde und wir langsam über die gelbe Steppe schwebten. Es dauerte nicht lange und wir konnten das Drachengebirge erspähen – es lag friedlich vor uns und es sah aus, als würde der Drache noch viele tausende von Jahren schlafen. Mein Blick schweife über die höchsten Punkte des Drachen auf dessen Spitzen Schnee lag und in der Sonne funkelte. Ich neigte meinen Kopf nach rechts und konnte die Rubinstadt erblicken, sogar von hier aus sah man die rubinroten Brunnen und Statuen in den Gärten der Bewohner stehen. Die Adelsburg war ebenfalls zu erkennen. Ich kniff die Augen zusammen um schärfer zu sehen und ich erkannte einige Personen im großen Palastgarten. Hoffentlich waren es nur die Bediensteten die hin und her eilten, wir hatten schließlich keine Ahnung wann der Drache erwachen würde. Und dann konnte man keine Menschenseele mehr vor ihm retten, die in seiner unmittelbaren Nähe war. Ein Drache der so viele Jahre in einem Berg eingeschlossen war musste einen unglaublichen Hunger verspüren. Ich schüttelte den Kopf um den Gedanken zu vertreiben, dass Balian und Octavion vielleicht noch im Schloss waren und sich weigerten ihre Luxusresidenz zu verlassen. Wahrscheinlich eher nur Octavion, Balian würde klug genug sein die Gefahr zu erkennen. Ein kleines Lächeln huschte über mein Gesicht, das sofort wieder verschwand. Als Legende konnte man sich offensichtlich keine Freunde leisten, egal wodurch – sie wurden immer bedroht. Schon öfter hatte ich mich gefragt, warum ich eigentlich so pflichtbewusst war. Ich hatte immer das getan, was mein Vater von mir verlangt hatte, hatte immer auf den Rat meiner verschiedenen Helfer gehört und dem Schicksal nie ausgewichen. Es gab doch so viele einfachere Wege hier raus und der einfachste lag direkt vor meiner Nase. Ich beugte mich langsam herunter, der Boden schien unendlich weit entfernt. Doch sofort lehnte ich den Kopf wieder zurück, irgendwie musste ich es mir auch selbst beweisen. Dennoch, das Leben im Orden der Diebe war sicherlich ebenso undankbar wie das Leben als Assassinin einer Göttin. Während ich so in meine Gedanken vertieft gewesen war, hatte ich gar nicht bemerkt, wie sich jemand neben mich gestellt hatte. Es war Raven selbst. „Worüber denkst du nach?" fragte sie und erst jetzt fiel mir auf, dass sie ebenfalls in einer Rüstung steckte. Ihre Rüstung war schwarz und edel, ebenfalls wie ihr Bogen den sie auf dem Rücken trug. Ich musterte sie: Sie sah aus wie eine Legende, wie eine große Kriegerin vor der man Respekt haben sollte. Ich selbst war dagegen nur ein kleines, blondes Mädchen, dass zufällig zu einer Königin werden sollte. Ich schluckte meine ganzen Gedanken herunter und lächelte Raven warm an. „Ich überlege was ich tue, wenn das hier vorbei ist." sagte ich leise, kaum lauter als das Rauschen des Windes, der nun langsam abklang, da wir mit dem Luftschiff stehen blieben. „Du weißt, der Orden der Diebe ist immer für dich offen. Auch wenn du keine Auserwählte bist, haben wir sicher ein Bett für dich frei!" sagte sie und sah an den Horizont. Wir waren an einer guten Stelle, von hier aus konnte man perfekt auf das Gebirge und die Rubinstadt sehen. Ebenfalls im Hintergrund erkannte ich leicht das Eismeer, wie es mit kleinen Wellen gegen die Landmasse schlug. „Danke, das ist wirklich freundlich von Euch." sagte ich und meine Stimme war kaum mehr ein Flüstern. „Aber ich denke ich brauche Abstand von den Menschen, in der letzten Zeit waren immer so viele Leute um mich herum. Und wirklich alleine war ich noch nie in meinem Leben. Ebenso wie wirklich Frei – die Freiheit zu haben, dort hin zu gehen wo man selbst möchte!" sagte ich und in meiner Stimme erkannte man die Begeisterung die ich bei diesen Sätzen verspürte. Raven nickte. „Das verstehe ich sehr gut, mein Traum war es immer, dass mein Orden groß und mächtig wird, aber selbst ich ziehe manchmal die Einsamkeit vor." sagte sie und kicherte leicht. „Da kannst du den ganzen Orden fragen, es gibt Tage an denen ich von morgens bis abends auf den Klippen sitze und die Sonne genieße." sie lächelte. „Ich bin sicher du findest deinen Weg!" sagte sie und damit schritt sie zurück zum Wissenschaftler, der gerade das Steuerrad hielt. Der Magier befüllte die Kanonen mit seiner geballten Magie, während ihm einige Ordensmitglieder dabei halfen. Und ich selbst, ich kam noch nicht mit der Situation klar, dass bald ein Kampf bevor stand. Die Menschen liefen in Scharen aus der Rubinstadt und ich erkannte kleine Kutschen, die sich wie Ameisen auf den Straßen immer schneller von der Stadt weg bewegten. Ich sah ihnen eine Weile zu, bis ich mich an ein großes, aufgerolltes Seil lehnte und die Augen schloss. Jetzt hieß es warten. Warten, bis eine totgeglaubte Legende wahr wurde. Oder wie ich eher sagen würde, warten bis ein uraltes Monster aus dem Boden krabbelt und sich auf mich stürzt. In jedem Fall würde ich die Ruhe davor brauchen!
Ich wurde geweckt von einem lauten Geräusch, es war ein Knacken, aber so laut, dass es die Erdkruste sein musste. Ich schreckte aus meinem Schlaf hoch, es war Nachmittag und ich war wohl an Deck des Luftschiffes eingeschlafen. Kaum war das Geräusch verklungen, eilten auch schon die die Mitglieder des Ordens hin und her und brachten die Kanonen in Position. Bevor ich aufstehen konnte, realisierte ich die Frau, die mir direkt gegenüber am Bug des Luftschiffes stand. Sie war in weiß gekleidet und ihr weites Kleid flatterte im Wind. Es war die Frau aus den Wolken, die Frau mit der Stimme – im Grunde war es das Schicksal und ich wusste das nur zu gut. Ihre Haare waren zu einer komplizierten Hochsteckfrisur geflochten und obwohl ihr Kleid so edel und kriegsuntauglich aussah, trug sie schwere Rüstungsstiefel und hielt einen Schild in der Hand. Sie neigte den Kopf nach unten, als würde sie mir damit Respekt zollen. Als ich aufsprang war kurz ein bärtiger Mann im Sichtfeld, der die letzte Kanone an ihre Position schob, doch als mein Sichtfeld wieder frei war, war das Schicksal verschwunden. Ich hatte so lange meine Ruhe gehabt und auch wenn das Schicksal mir nur Gutes wollte, konnte es nicht ewig mit den Geistererscheinungen so weiter gehen. Ich verspürte so einen Drang danach, sie zu fragen was das alles sollte und ihr tausende Fragen zu stellen. Doch das würde wohl nie erfüllt werden.
Das Krachen hatte wirklich zum Gebirge gehört, ein langer Riss zog sich über den Rücken. Es knackte noch ein mal, lauter als es jeder abgeschlagene Baum der auf den vereisten Boden fiel jemals hätte tun können. Ein weiterer Riss zog sich nun über die Schulter vor zum Kopf des Drachen und ich erkannte kleine Wirbel aus den Nasenlöchern des Drachen kommen. Es stimmte wirklich. Er lebte. Ein weiterer Ruck und große Steine fielen von seinem Rücken, es krachte und war so laut, das sogar wir hier oben in der Luft uns die Ohren zu halten mussten. So musste es sich anhören, wenn der Vulkan auf der Wüsteninsel ausbrach und man direkt davor stand. Die Kutschen fuhren schneller und ein Haufen Menschen rannte aus der Rubinstadt. Ich erkannte keine einzelnen, aber es mussten so viele sein, dass jetzt auch die alteingesessenen mitbekommen hatte, dass die Legenden wahr waren. „Alle auf Position!" brüllte Raven und stellte sich auf ein kleines Podest. Jeder stand an einer Kanone, sogar mir war eine zugeteilt worden. Sie war nicht einfach zu bedienen, ich verstand dieses Wunderwerk aus Technik und Magie nicht besonders, aber mir wurde schnell erklärt, welchen Hebel ich bis nach unten zu ziehen hatte, damit die Kanone feuerte. Ein weiterer Ruck ging durch den Berg und ich erkannte schimmernde Schuppen unter dem Stein. Die oberste Gesteinsschicht war an vielen Stellen abgebröckelt und bereits auf die Rubinstadt gestürzt. Die Stadt sah schon jetzt gedemütigt aus, zwei Türme waren von den Massen an Steinen mitgerissen worden und die Häuser zeigten extreme Schäden. Hier oben in der Luft war die Situation angespannt, ich konnte keinen Gedanken mehr an die Stadt oder Sylvain an sich verwenden. Ich schwitzte unter der Rüstung stärker als bei jedem Training, auch wenn ich mich vor Anspannung gar nicht bewegte. Ein letztes Zittern ging durch den Körper und auch die letzten Reste fielen von dem muskulösen, mit schwarzen, seidigen Schuppen überzogenem Drachen ab. Noch lag er friedlich dort, seine Muskeln zuckten zwar, aber er bewegte sich sonst kein Stück. Die schwarzen, lederartigen Flügel lagen noch eng an seinem Körper und ebenfalls die Krallen hatten sich nur minimal in den Boden geschlagen. Das riesige Maul war geschlossen und die Rauchwölkchen verflogen. Ich konnte eine leichte, blaue Schicht ausmachen, die ihn glitzernd umwaberte und nach einigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, komplett verschwand. Der Fesselzauber war gelöst und keiner auf dem Luftschiff wagte mehr zu atmen. Ebenfalls auf dem Land unter uns war es still geworden, es sah so aus, als hätte selbst der sonst so lebendige Wind in der Steppe Respekt vor dem König der Schatten. Und mit einem Mal schlug dieser König seine Lider auf und durchbohrte mich mit seinem Blick aus blutunterlaufenen, kalten Augen.
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