70. Lärm

Tim drückte mich näher an sich, während ich versuchte, mich nur auf die Wärme zu konzentrieren, die von seinem Körper ausging. Trotz allem konnte ich nicht verhindern, dass meine Glieder unkontrolliert zitterten und ich am ganzen Körper fröstelte. Natürlich hatte auch Tim das bemerkt und musterte mich mit einem sorgenvollen Blick. Immer wieder sah er auf die Uhr und runzelte die Stirn, bis er irgendwann in seinen Bewegungen innehielt.

»Wir müssen noch fast fünfundzwanzig Minuten warten, bis der Bus kommt. Ich will dich nicht alleine lassen, aber ich könnte in zehn Minuten eine Jacke aus der Schule holen.«

Er musterte mich besorgt und ich verstand die indirekte Frage. Schwach nickte ich. Tim stützte vorsichtig meinen Oberkörper, während er aufstand und mich vorsichtig wieder auf die Bank legte.

»Ich bin sofort zurück. Ist das okay für dich?«, vergewisserte er sich erneut. Ich wollte zwar nicht, dass er ging, aber die Kälte, die sich trotz der recht angenehmen Lufttemperatur über meinen Körper gelegt hatte, ließ mich trotzdem zustimmen. Tim drückte mir noch einmal einen sanften Kuss auf die Stirn, der mich müde lächeln ließ, bevor er in Richtung Schule joggte. Als ich bei 268 irgendwann Schritte hörte, wunderte ich mich schon, dass es so schnell gegangen war, bis ich die Augen erneut öffnete und sah, dass es nicht Tim war, der da auf mich zu kam. Vor dem Bushäuschen stand ein dunkelblonder Junge, den ich nicht kannte, der aber ein bisschen älter als ich zu sein schien. Sein Geruch war nicht sehr intensiv aber dennoch stark genug, um zu erkennen, dass es sich um einen Alpha handelte. Am liebsten wäre ich jetzt einfach aufgestanden und weggegangen oder hätte mich zumindest aufgesetzt, um nicht so hilflos zu wirken, aber meine Muskeln waren viel zu erschöpft, um mir zu gehorchen. Der Alpha musterte mich mit einem abfälligen Blick, während er auf mich zukam und vor der Bank, auf der ich lag, stehen blieb. Er murmelte irgendetwas, was ich nicht ganz verstehen konnte, aber ich meinte, das Wort »Omega« herausgehört zu haben. Mein Körper wollte sich am liebsten noch mehr verkrampfen, zusammenkauern und mit zusammengekniffenen Augen mein Schicksal erwarten, aber ich hielt dem grimmigen Blick des Alphas stand. Keine Sekunde später stellte sich das tatsächlich als Fehler heraus, als der Alpha nach meinen Haaren griff und meinen Kopf daran schmerzhaft nach oben zog. Ich unterdrückte ein Wimmern und versuchte, mich so gut es ging aufzurichten, um dem schmerzhaften Zug nachzugeben. Noch bevor der Blonde meine Haare losließ, schloss sich seine andere Hand um meinen Hals und ich hatte für einen kurzen Moment panische Angst, erwürgt zu werden. Zum Glück drückte der Junge aber nicht zu, sondern zog mich bloß in eine aufrechte Position, bevor er mich von sich und der Bank weg schleuderte. Während ich kraftlos auf den Boden fiel und Mühe hatte, nicht mit dem Kopf auf dem harten Stein aufzuschlagen, ließ er sich gemütlich auf der nun freien Bank nieder und musterte mich mit einem abfälligen Blick. Unter normalen Umständen hätte ich mich jetzt aufgeregt, protestiert und geschimpft, aber dazu hatte ich gerade einfach keine Kraft. So ungeschützt und erniedrigt mitten auf dem Boden liegen bleiben wollte ich aber auch nicht, weswegen ich mich erneut so gut es ging aufstemmte und zu der Wand des Bushäuschens kroch, wo ich mich in eine der Ecken fallen ließ und mich vor Kälte zitternd zusammenkauerte. Als eine Träne über meine Wange rann, wischte ich sie wütend weg. Nein, ich durfte nicht weinen. Ich durfte nicht schwach sein. Und ich durfte eigentlich auch nicht einfach nur hier kauern und warten, bis Tim zurück kam, während der blonde Alpha mich keines Blickes mehr würdigte, als sei ich ein Stück Dreck ohne besondere Bedeutung. Und dennoch blieb mir nichts anderes übrig, denn selbst um aufzustehen fühlte ich mich gerade viel zu schwach. Dieses Gefühl machte mir unglaubliche Angst und ich wollte am liebsten schreien, was Max bitte mit mir gemacht hätte. Eigentlich aber wunderte es mich kaum. Ich hatte die Nacht nicht gerade unter bestmöglichen Umständen verbracht und war danach noch von Max körperlich vollkommen zerstört worden. Ich war, sowohl physisch, als auch psychisch, wohl gerade ein ziemliches Wrack. Umso erleichterter war ich, als ich erneut Schritte hörte und bereits Tims weichen Geruch wahrnahm, der immer intensiver wurde. Als er in das Bushäuschen trat und den anderen Alpha auf der Bank sitzen sah, auf der ich eben noch gelegen hatte, konnte ich Wut in seinen Augen aufblitzen sehen, die sich sogar noch steigerte, als er sich umsah und mich entdeckte. Mir war die Situation unglaublich peinlich, war es peinlich, dass ich es noch nicht einmal ansatzweise geschafft hatte, mich zur Wehr zu setzen, sondern einfach widerstandslos aufgegeben und mich so erniedrigen lassen hatte. Mit einem großen Schritt stand mein Freund vor dem Alpha, der mit hochgezogenen Augenbrauen von seinem Handy aufsah und ehe ich einmal blinzeln konnte, hatte er ihm eine gescheuert. Weder ich noch der blonde Alpha schienen recht zu realisieren, was gerade geschah, während Tim sein Gegenüber auf die Beine gezogen hatte und hart zurück schubste, so dass dieser stolperte und fast hingeflogen wäre, hätte er sich nicht an der Wand hinter ihm abstützen können. Währenddessen schimpfte Tim lauthals auf den Blonden ein. Ich nahm nur einzelne Wortfetzen wahr, während mein Kopf wie in Nebel gehüllt war und schmerzhaft pochte. Tims Stimme schwoll in meinem Kopf immer lauter an, während ich den Sinn seiner Worte nicht erfassen konnte. Schutzsuchend hielt ich mir die Ohren zu und kauerte mich mit zusammengekniffenen Augen noch weiter zusammen, um den schmerzhaften Lärm ausblenden zu können, wimmerte leise auf. Umso mehr erschrak ich, als ich eine Berührung am Schulterblatt wahrnahm und als ich zusammenzuckte und die Augen öffnete, fühlte es sich kurz so an, als würde mein Kopf explodieren, während es strahlend hell um mich herum war. Sofort kniff ich die Augen wieder zusammen und wimmerte erneut auf, während ich spürte, wie Tim mich vorsichtig hochhob und erneut auf die Bank setzte, bevor er mir vorsichtig die Jacke anzog, die er geholt hatte und die mir viel zu groß war. Ich kuschelte mich in den warmen Stoff, der so gut nach Tim roch, während der Alpha mich näher an sich zog. Schnell ließ mein Zittern nach und ich kuschelte mich, mit immer noch zusammengekniffenen Augen, an Tim, der beruhigend auf mich einflüsterte. Ich versuchte, mich auf seine Stimme zu konzentrieren, die mir immer wieder versicherte, dass wir bald Zuhause wären und alles gut werden würde, ich mich dann hinlegen und mich ausruhen könne, während die anderen Geräusche um mich herum zu einem überdimensional lauten Strudel verschwammen.

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