11. Max

Als ich das Schulgelände verließ und auf ein Mal Max vor mir sah, wusste ich, dass ich ein weiters Mal auf einen Alpha hereingefallen war. Ein weiteres Mal hatte ich mich täuschen lassen, mir Hoffnungen machen lassen und Versprechen geglaubt, nur um dann doch wieder enttäuscht zu werden. Tim war kein Stück besser als andere Alpha, er hatte mir versprochen, mit seinem Bruder zu reden, war sogar nach den nächsten Stunden noch einmal zu mir gekommen und hatte mir versichert, dass Max versprochen hätte, mich in Ruhe zu lassen und schon da hatte ich ihm nicht ganz geglaubt. Und trotzdem, entgegen allem besseren Wissen, entgegen aller Vernunft und entgegen aller Erfahrungen hatte ich mich schließlich doch auf seine Worte verlassen. Ein weiterer Fehler, der in die Reihe der hunderttausend Fehlentscheidung einging, die ich in meinem Leben getroffen hatte. Vielleicht war der allererste Fehler ja tatsächlich meine Existenz selbst. Wie oft hatte ich mir schon gewünscht, einfach niemals geboren worden zu sein. Wie oft hatte ich mit dem Gedanken gespielt, wie einfach es wäre, dem ganzen ein Ende zu setzen. Und wie oft hatte ich mich dagegen entschieden, war fest entschlossen gewesen, den Alpha diesen Triumph nicht zu gönnen. Ja, wie oft. Und doch hatte ich nach Außen hin immer meine Maske aufbehalten, meine Mauer gestützt. Nie hatte ich in ihrer Anwesenheit zugegeben, wie schlecht es mir ging, nie hatte ich ihnen gezeigt, was sie aus mir gemacht hatte. Ein zerbrochenes Wrack. Nein, diese Seite ließ ich erst zu, wenn ich alleine war. Wenn ich alleine in meinem Bett lag und die Tränen fließen ließ oder unter der Dusche stand und versuchte, das Gefühl ihrer Berührungen abzuwaschen, nachdem sie mich angefasst hatten und gezwungen, zu Dingen, die mir so unglaubliche Angst machten und die ich so unglaublich hasste.

Und auch dieses Mal, wenn sie wieder einmal hier standen und ich von Nils festgehalten wurde, die Arme hinter dem Rücken verdreht. Hilflos. Panisch, doch verzweifelt bemüht, ihnen nicht zu zeigen, was sie mit mir anstellten. Ich versuchte, zu entkommen, ich versuchte, mich loszureißen, jedoch war ich chancenlos. Ein einziger Alpha reichte, um mich zu überwältigen und vollkommen handlungsunfähig zu machen. Ja, ich war gezwungen, zuzulassen, dass Max mir mit diabolischem Grinsen meinen Pulli über den Kopf zog und schließlich das T-Shirt, bis ich, mitten auf der Straße, in aller Öffentlichkeit, ohne Oberteil dastand. Alle Schüler, die auf dem Heimweg waren und die paar vereinzelten Fußgänger, sie alle beobachteten uns, betrachteten mich, doch keiner, wirklich keiner kam mir zur Hilfe. Ich trat um mich, versuchte, mich zu befreien, spuckte und schimpfte, bis Nils Hand meinen Mund verschloss und ich nichts tun konnte, als es über mich ergehen zu lassen. Ich konnte nicht verhindern, dass Max seine dreckigen Hände über meinen Oberkörper wandern ließ, schließlich unter spöttischen Worten die Wunden in meinem Gesicht nachfühlte, in die offene Haut drückte, was so unglaublich weh tat, während er mit der anderen Hand mein Kinn im festen Griff umschloss und nur Minuten später seine Hand in meine Hose wandern ließ. Wütend schrie ich in Nils Hand, versuchte ein weiteres erfolgloses Mal, von all dem frei zu kommen, als seine Hand sich um meinen Schwanz schloss und zudrückte, schmerzhaft zudrückte. Ich war alles andere als erregt.

Wut, die mir die Sinne trübte.

Ekel, der mir die Kehle zuschnürte.

Und Angst, die mich zu erstickten drohte.

Max jedoch lachte nur auf, ein dreckiges, erbarmungsloses Lachen. Das Lachen eines Vergewaltigers. Und ich wusste, heute würde ich nicht so gut davon kommen wie das letzte Mal.

Erst als er mich schließlich zurückließ, benutzt und dreckig, mit schmerzendem Körper und so unglaublich erniedrigt am Boden liegend, an die Wand einer Gasse gedrückt, in die er mich gezogen hatte, aufgelöst und von mir selbst angewidert, erst dann wurde mir mit voller Wucht klar, dass meine Narben nicht alles von mir fern halten konnten. Ich dachte, ich hätte es geschafft, ich dachte, ich hätte mir meine Ruhe erkämpft, aber ich war so falsch gelegen. Nichts hatte sich geändert.

Ohne lang zu zögern sammelte ich meine Kleidung auf, die überall am Boden verteilt war und zog sie mir wieder über, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte. Wie immer waren meine Eltern arbeiten, so dass sie nicht mitbekamen, wie ich fast eine Stunde unter der Dusche stand und erfolglos versuchte, mich wieder sauber zu fühlen. Keiner sah meine Tränen.

Keiner sah mich, so wie mich nie jemand sah.

Nie würde ich jemanden meine Tränen zeigen, jemanden zeigen, wie es mir wirklich ging. Ich kämpfte für mich allein.

Als ich mich irgendwann angezogen, mit erniedrigend schmerzendem Unterkörper und einer Hand voll blauen Flecken mehr als noch vor ein paar Stunden, auf mein Bett legte und nach meinem Handy griff, sah ich, dass ich eine Nachricht von Tobi bekommen hatte. Er schrieb mir ganz aufgeregt, dass Veni sich mit ihm verabredet hatte, für heute in der Stadt.

Sofort war mein Elend vergessen, für einen kurzen Moment ausgeblendet, und ich antwortete ihm. In mir regte sich eine Mischung aus Abneigung gegenüber Veni, der ja immer noch ein Alpha war, ein Alpha wie die, die mir heute wieder einmal bewiesen hatten, wie grausam sie sein konnten, und dessen bester Freund mich heute verraten hatte, obwohl ich ihn noch nicht einmal kannte, Freude, dass Tobi so glücklich wirkte und der klitzekleinen Frage, ob Veni tatsächlich wie die anderen Alpha war. Und obwohl ich mir damit so sicher war, wollte diese Frage nicht aus meinem Kopf verschwinden.

Auch wenn sich äußerlich keine Regung auf meinem Gesicht zeigte, musste ich innerlich schmunzeln, als Tobi mir sofort antwortete und gestand, wie aufgeregt und überfordert er gerade wäre. Kurzentschlossen tippte ich eine weitere Nachricht an ihn und schnappte mir meinen Haustürschlüssel, bevor ich mich auf den Weg zu meinem besten Freund machte. Tobi brauchte gerade ganz klar meine Hilfe. Und tatsächlich, als ich eine knappe viertel Stunde später an der Haustür des imposanten Gebäudes, an dessen Vornehmheit ich mich schon längst gewöhnt hatte, klingelte, fiel mein bester Freund mir sofort um den Hals. Er trug eine Jogginghose und ein einfaches T-Shirt, ungewohnt, so anders als Tobis gepflegtes Äußeres, wenn er sonst das Haus verließ.

»Sind deine Eltern da?«

Tobi zog die Augenbrauen hoch, lachte abfällig.

»Sieht es so aus?«

Er deutete beiläufig auf seine gemütliche Kleidung. Ich seufzte.

Tobis Eltern waren stinkreich, anders konnte man es nicht sagen, und ihr kleines Omega-Söhnchen sollte sich natürlich hüten, so einen ungepflegten Eindruck zu machen. Tobi in Jogginghosen käme für sie einer mittelschweren Katastrophe gleich.

»Außerdem würde ich mich hüten, Rafi zu treffen, wenn die Gefahr bestände, dass sie etwas von dem Date mitkriegen würden.«

Ich seufzte. Tobis Eltern waren der festen Überzeugung, dass er sich an einen Alpha binden lassen würde, den sie aussuchen würden und der ihren wohlgehüteten Sohn verdiente. Und da Veni zumindest auf den ersten Blick nicht den Eindruck machte, als hätte er zuhause ein paar Millionen rumliegen, passte er schonmal nicht in dieses Schema.

Und trotzdem überraschte es mich nicht, dass Tobi sich seinen Eltern widersetzte. Auch als ich seine Eltern kennen gelernt hatte, waren sie alles andere als begeistert gewesen, schließlich waren ich und mein Verhalten in ihren Augen ein riesiger Skandal. Und trotzdem hatte Tobi sich von Anfang an geweigert, sich von seinen Eltern vorschreiben zu lassen, mit wem er befreundet zu sein hatte.

Ich seufzte.

»Dann zeg mir mal, was dein Problem ist.«

Fast schon verzweifelt zog Tobi mich in sein Zimmer, wo er mir erklärte, dass er noch eine halbe Stunde habe, bevor er los müsse und schließlich in sein angrenzendes Bad verschwand, wo ich ihn im Spiegel seine noch feuchten Haare stylen sah. Auch er schien frisch geduscht zu sein, wenn ich auch hoffte, aus einem anderen Grund als ich. Ja, tatsächlich hatten wir wohl beide wegen eines Alphas eine Dusche genommen. Der Unterschied dabei hätte jedoch nicht größer zu sein. Kurz beobachtete ich meinen viel zu perfektionistischen besten Freund dabei, wie er versuchte, immer noch eine Kleinigkeit an seiner Frisur zu richten, bevor ich seinen Kleiderschrank öffnete und meinen Blick darüber streifen ließ. Sofort fing mein Blick sich an den wenigen Pullis und Jogginghosen, die ich wohl bevorzugt hätte, hätte ich mich damit einkleiden müssen, bevor ich seufzend eine schwarze Skinny Jeans und ein enges, relativ dünnes graues Langsarmshirt heraussuchte und auf sein Bett warf. Schließlich war Tobi ganz klar darauf aus, Rafi zu beeindrucken und den richtigen Körper hatte er dafür allemal. Er war schlank, hatte nicht wirklich ausgeprägte Muskeln, wirkte aber auch nicht krankhaft dürr, wie ich es manchmal von mir dachte. Ja, Tobi war ein niedlicher Omega mit perfekt zierlichem Körper und konnte sich durchaus sehen lassen.

Gründlich betrachtete ich Minuten später meinen besten Freund und nickte, durchaus zufrieden mit meiner Kleidungswahl.

»Rafi wird begeistert sein«, zwinkerte ich ihm zu, was ihn sofort wieder vor Aufregung rot werden ließ. Ich musste leicht grinsen.

»Danke, Stegi«, murmelte er, doch ich konnte allein an seinem Tonfall hören, dass das noch nicht alles war. Er hatte noch eine Bitte, wusste aber nicht, wie er sie anbringen konnte. Ich lachte auf.

»Was ist los? Was soll ich machen?«, half ich ihm auf die Sprünge. Er sah verlegen zu Boden.

»Kannst du mitkommen? Nur bis wir Rafi treffen. Bitte! Sonst zieh ich im letzten Moment doch noch den Schwanz ein und verschwinde.«

Er klang fast schon verzweifelt, weshalb ich, auch wenn ich mich am liebsten in meinem Bett verkrochen hätte, wohl keine andere Wahl hatte, als zuzustimmen.

»Okay. Weil du's bist.«


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An Tim:

Findest du Stegi trotz der Wunde im Gesicht hübsch?

Ja, Stegi ist hübsch. Daran ändern auch seine Wunden nichts. Auch wenn das ziemlich brutal aussieht. Aber ich denke, dass es noch verheilen wird, ist ja leider noch sehr frisch.


Wie findest du Stegi bisher so? Und wie ist es für dich, dass sich jemand wegen deines Bruders verstümmelt?

Stegi wirkt auf mich bis jetzt ziemlich stark. Ich weiß nicht, woher er den Mut nimmt, so zu sein, wie er ist. Außerdem wirkt er auf mich jetzt im ersten Eindruck ziemlich verzweifelt und gebrochen. Er tut mir leid, niemand hat so etwas verdient. Und dass mein Bruder daran schuld sein soll macht das Ganze auch nicht besser, im Gegenteil.


An Stegi:

Hast du eigentlich Mutter und Vater oder zwei Väter, weil ja Frauen eine Rarität geworden sind?

Ich habe zwei Väter.

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