𝟏 - 𝐏𝐚𝐭𝐫𝐢𝐜𝐤
Es war wieder einer dieser Tage, an denen ich am liebsten von Zuhause abhauen würde. Meine Schwester Mencia macht wieder was sie will. Ich liebte sie über alles, so wie meine zweite Schwester Ari, doch diese ständigen Streits wurden mir einfach zu viel.
Die Stimme meines Vaters donnerte durch das Haus.
Ich sprang von meinem großen Bett auf und knallte die Tür zu, bevor ich mich an diese lehnte und mein Gesicht in meinem Händen vergrub. Ich vermisste sie. Meine Mutter. Zwei Jahre ist der Autounfall nun schon her.
An diesem Abend war Mencia nicht nach Hause gekommen. Ich und meine Mutter waren los gegangen, um sie zu suchen. Plötzlich verlor sie die Kontrolle über das Auto und wir kollidierten mit einem Baum. Sie war sofort tot. Ich schwerverletzt.
Ein Jahr war ich ans Bett gefesselt, konnte nicht mehr gehen, bis ich die Therapie vollständig hinter mich gebracht hatte. Eine lange Narbe, entlang einer Wirbelsäule würde mich für immer an diesen einen Tag erinnern, ab dem es mit meinem Leben bergab ging.
Ich ging feiern. Trank, nahm Drogen und hatte Sex. Viel Sex. Jeden Tag ein anderer. Ich kannte mich mit Jungs aus, wusste was ihnen gefiel, doch ich war nicht glücklich. Schon lange hatte ich nicht mehr ehrlich gelacht. Das Lächeln, das ich stets auf meinen Lippen trug, wenn ich mit einem Jungen flirtete, war Angewohnheit. Eine Maske, die die Tür zu meiner Seele verschlossen hielt. Allein meine Schwestern kannten die dunkle Kammer hinter meinem Machogehabe.
Plötzlich wurde die Tür geöffnet. Ich sprang weg und sah den Eindringling an, welcher mich aus meinem Gedankenstrudel gezogen hatte.
Meine Wangen waren nass, was ich zuvor nicht bemerkt hatte.
»Patrick, über das Türen zuknallen haben wir doch schon gesprochen, aber nun ein anderes Thema. In zwei Tagen findet eine wichtige Gala für meine Firma statt. Ich möchte dich und Ari gerne mitnehmen.«
Natürlich. Mein Vater nahm nur die Kinder mit, die ihn nicht blamierten. Mencia wurde wieder ausgeschlossen. Kein Wunder, dass sie rebellierte.
Ich schluckte schwer und nickte knapp.
»Gut, ich komme mit«, antwortete ich nur und verschränkte meine Arme vor der Brust. Die Beziehung zu Benjamin, meinem Vater, und mir glich eher der zwischen zwei Geschäftspartnern. Da war nicht mehr diese väterliche Wärme, die sich jedes Kind wünschte.
Als Benjamin zufrieden wieder aus dem Zimmer ging, ließ ich mich auf mein Bett fallen. Seufzend schloss ich die Augen und massierte meine Schläfen. Normalerweise könnte ich jetzt schon wieder einen Typen vertragen, aber gleichzeitig wollte ich alleine sein.
Langsam drehte ich mich auf die Seite. Diese bescheuerte Gala! Ich hatte keine Lust darauf, den perfekten Sohn zu spielen, zu lächeln und all diese förmlichen Gespräche zu führen. Schön, wenn mein Vater wieder neue Geschäfte an Land ziehen wollte, aber was hatte ich davon?
Den Abend könnte ich genauso in einem Club verbringen mit ganz viel Alkohol im Blut. Ich könnte an nichts denken, nichts spüren. Wie viel besser das doch wäre.
Meine Hände griffen beinahe automatisch zu meinem Handy und riefen einen Chat mit einem Jungen auf, den ich vor ein paar Tagen kennengelernt hatte. Ich starrte unseren Chat an, überlegte hin und her, ob ich ihm nun schreiben sollte, doch ich entschied mich dagegen. Heute war so ein Tag, an dem ich nichtmal Lust darauf hatte, mir das Hirn aus dem Kopf zu vögeln.
Langsam erhob ich mich von meinem Bett und öffnete meinen großen Einbauschrank, der aus weiß gestrichenem Holz war. Mein ganzes Zimmer war weiß gehalten. Eine Farbe, die Reinheit und Unschuld verkörperte. Dinge, die nicht zu mir passten, doch ich fand es dennoch schön.
Meine Smokings hingen ordentlich auf der rechten Seite, während auf der linken Seite die ganzen Hoodies, Shirts und Hosen waren.
Was sollte ich anziehen? Einen weißen Smoking, einen lilafarbenen, einen dunkelblauen oder doch lieber ganz klassisch schwarz.
Genervt blies ich die Luft aus und griff einfach nach dem weißen. Ich schnupperte an dem Kleidungsstück, um zu sehen, ob ich es nochmal anziehen konnte und nahm das Parfum wahr, das ich aufgetragen hatte, als ich das letzte mal diesen Anzu getragen hatte.
Zufrieden hängte ich ihn wieder zurück und trat an das große Fenster, welches bis auf den Boden reichte. Nachdenklich blickte ich über unseren Garten.
Manchmal würde ich gerne ein normales Leben führen. Mit Freunden, Liebe und was wohl noch wichtiger war: Familie.
Ich hatte meine Schwestern, doch meinen Vater sah ich nicht als meinen Vater. Er kümmerte sich kaum um uns und warf uns Dinge vor, die wir falsch machten, obwohl wir alle uns bloß das gleiche wünschten. Liebe. Zärtlichkeit. War das so schwierig?
Als meine Mutter noch lebte, war es anders gewesen. Wir waren eine glückliche Familie, doch nun war alles bergab gegangen. Ich fragte mich, wann der Tiefpunkt endlich erreicht war und es wieder nach oben ging.
Ich hörte Schritte vor meiner Tür, doch ich rührte mich nicht. Auch als meine Tür zum zweiten mal aufging, reagierte ich nicht.
»Ist alles okay?«
Mencia stellte sich neben mich und begleitete meinen Blick über den Garten.
Vorsichtig drehte ich den Kopf und sah sie an.
»So okay, wie es eben sein kann«, gab ich zurück. Sie wusste, wovon ich sprach. Vermutlich ging es ihr von uns allen am schlechtesten, denn auf ihr wurde immer herum gehackt. Nie machte sie etwas richtig.
Ich legte einen Arm um sie und zog sie vorsichtig zu mir.
Schweigend standen wir da und es tat gut, ihre Wärme zu spüren. So zerbrochen unsere Beziehung zu unserem Vater war, so stark war die Beziehung unter uns. Wir hielten zusammen, gingen durch dick und dünn.
Mencia reckte ein wenig das Kinn, so wie immer, wenn sie versuchte, stark zu sein.
»Wir schaffen das okay? Wir schaffen das zusammen«, sprach ich leise und sie nickte langsam.
»Ich hoffe, du hast recht«, gab sie zurück und ich küsste ihre Schläfe.
»Ich habe immer recht. Das müsstest du inzwischen schon wissen«, sagte ich mit einem grinsen und Mencia verdrehte ihre Augen, doch ich hatte geschafft, was ich wollte. Sie lächelte. Ich wollte auch wieder lächeln...
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