Sei doch nicht so depri

4. Dezember 2019

Mein neuer Deutschlehrer, der die Deutschstunden meistens mit ewig langem philosophieren verbringt, ist der Meinung, sich eine Meinung über depressiv erkrankte zu bilden. Und da offenbar bei vielen, die es nicht selber haben, das Verständnis fehlt, dachte ich mir, ich bringe euch dem Scheiß mal näher.

Zuerst einmal, was bedeutet es depressiv zu sein?

Depressiv sein bedeutet nicht, wie mein Deutschlehrer denkt, dass man eine weinerliche Mimose ist, wie die Lemminge bei dem Film 'Lars, der kleine Eisbär'. Es bedeutet, dass man eine feingespürliche Seele und im Leben viel schlechtes erfahren hat. Diese Seelen sind nicht schwach, sie spüren Falschheit. Und das macht einen traurig.

Außerdem gibt es unglaublich verschiedene Arten von Depressionen. Der erste Schritt ist, überhaupt zu erkennen, dass man eine hat. Dafür muss man nicht immer traurig sein. Oft ist man nach außen fröhlich und gesprächig. Man sucht den Kontakt nach zu anderen und unbewusst ruft die Seele nach Hilfe.

Ich leide selber an einer Art Depression und das schon seit Jahren. Ich habe angeborene Manie, eine bipolare Erkrankung. Allerdings nicht heftig und längst nicht so schlimm, wie es viele andere haben. Die Manie ist ein Teil von mir.

Wie ein innerer Dämon der Überdrehtheit.

Trotzdem darf ich den Dämon nicht raus lassen, denn wenn ich es tu, verliere ich wortwörtlich den Verstand. Meine Gedanken fahren dann mit 200 Sachen Achterbahn und kämpfen in meinem Kopf um die Vorherrschaft. Stichwort: Gehirn gegen die Seele und der Körper ist verwirrt. Ich bekomme kaum noch was mit, alles ist wie im Drogenrausch. Es bewegt sich alles, meine Fantasie spielt mir Streiche und mein Dämon kämpft verbissen mit dem Verstand, der verdammt genau weiß, dass der Dämon nicht raus darf und die Fantasie falsche Informationen raus gibt, diese Verräterin.

Meistens hilft mir dabei Meditation.

Ich weiß, Meditation ist langweilig. Der Meinung war und bin ich immer noch. Aber es hilft.

Wenn mir alles zu viel wird, sich alles im Kreis dreht und mein Dämon brüllend und kreischend an die Gitter stößt, setze ich mich im Schneidersitz hin und atme regelmäßig ein und aus. Oft starre ich mich dann an Kontrasten fest, wie das Kali-Yantra. An sich ist es nur ein Bild mit unglaubliche vielen, kontrastreichen und knalligen Farben, aber ich bilde mir gerne ein, dass diese Farben mein Gehirn und meine Fantasie von ihrem Krieg ablenken und der Dämon sich beruhigt.

Es hilft sogar.

Und das weiß mein Dämon, es ist oft ein Mentaler Kampf, ob ich mich überhaupt auf die Meditation einlassen will. Er weiß, dass ich ihn mit viel innerer Ruhe tiefer einmauern kann, deswegen kämpft er verbissen gegen den Verstand und versucht ihn auf seine Seite zu ziehen.

Denn Fakt ist, es ist ein berauschendes Gefühl, wenn der Dämon an der Macht ist. Wie ein Drogenkonsum und ungefähr genau so gefährlich. Dann nach dieser Hyperaktivität und, weil ich mich dagegen wehre, oft auch währenddessen, habe ich ein Tief. Je höher ich vorher auf der Überdrehtheitsskala stand, desto tiefer versinke ich danach im Treibsand der Depression.

Ich bin es gewöhnt und habe über die Jahre gelernt, es wenigstens halbwegs zu kontrollieren.

Aber wie ich stärker werde, wird auch mein Dämon stärker. Meine Ausbrüche häufen sich in letzter Zeit, ich muss mich immer öfter durch blanke Willenskraft zwingen, zu meditieren. Das ist beängstigend und ich weiß, dass es vielen manisch betroffenen ähnlich geht.

Wusstet ihr, dass Madame Mim, aus Disneys 'Die Hexe und der Zauberer' auch manisch depressiv ist?

Jawohl, sie singt sogar davon:

'Die makabere, manische, mächtige Madame Mim!!'

Oder:

'Schwarze Magie ist meine Manie.'

Und nebenbei gesagt, ich finde ihre krasse Stimme cool:

Ich denke auch oft über den Tod nach. Nicht, wie es ist, zu sterben, sondern was für einen Sinn das Leben hat. Ganz genau zwei: Sich fortpflanzen und sein Wissen weiter geben. Deswegen leben Tiere normalerweise, Ausnahmen ausgeschlossen, in der Natur nicht sehr lange und können mehrmals im Jahr Kinder bekommen. Aber wie wir mehr Jahre dazu bekommen haben, bekamen auch unsere Haustiere mehr.

Und ich kam zu dem Schluss, dass es keinen Schluss gibt. Nach dem Tod ist es noch nicht vorbei, denn unsere Energie lebt weiter. Das Leben geht weiter. Nur in einem anderen Körper ohne Erinnerungen.

Aus dem Grund bin ich zu der buddistischen Theorie angelangt, dass jeder Wiedergeboren wird. Deswegen ist die grausame Wahrheit an alle Selbstmörder: Es hört nicht auf! Egal, wie grausam das Leben zu einem ist, wie verzweifelt man in der Einsamkeit unter Menschen nach Hilfe schreit, es endet nicht mit dem Tod. Der Anfang ist ein Ende.

Ich erinnere mich noch an früher, damals, als ich so langsam erfuhr, wie böse Menschen sein können und dass unser Planet gar nicht mehr so lange macht, war ich heilfroh, dass ich in dieser Zeit geboren bin und es bald, bevor ein nächster Krieg ausbricht oder der Planet zurück schlägt, längst tot bin.

Jetzt habe ich Angst, dass ich wiedergeboren werde. Mit anderen Menschen, mit anderen Grausamkeiten. In diesem Leben hatte ich ein Mordsglück, dass ich in dieser Familie geboren bin. Sie nervt zwar hin und wieder, war aber nie grausam zu mir. Und ich weiß, wie schlimm es andere erwischt haben. Wo ein Familienmitglied säuft, man gar keine Eltern hat oder die schlecht erzogenen Geschwister die eigene Erziehung durch Grausamkeiten übernehmen, weil die Eltern zu faul oder zu schwach dafür sind.

Das einzige, was ich gerne rückgängig machen würde, ist meine Schulzeit.

Ein Ort der seelischen Höllenqualen, an die ich mich nicht mal mehr erinnere.

Und wenn ich einen lang ersuchten Reset Knopf gefunden habe, der mich von vorne beginnen lässt, weiß niemand, in welcher Familie ich lande oder welche Schüler ich bekomme. Ob ich im Krieg geboren werde oder in Armut, also noch ärmer, als jetzt.

Das ist mir ein zu hohes Risiko. Wer weiß, ob die mich im nächsten Leben verstehen werden. Wenn etwas gut läuft, dann sollte man nichts ändern. Und ich leide zwar an den Nachfolgen, mein Körper ist kaputt und meine Seele kämpft gegen den eigenen Verstand, aber meine Familie ist da.

Und irgendwie ist das mein einziger richtiger Halt.

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