Der Kater ist der Herr im Haus

15.5.2020
Es begann alles mit einem Kater, der meiner Mutter vom Bauernhof nachgelaufen ist. Sie kam gerade vom Bäcker und ging am Bauernhof in unserem Dorf vorbei, da lief ihr plötzlich ein weiß-grau getigerter Kater entgegen. Blutjung, schlank und neugierig. Einer, der sich seine Besitzer selber aussucht. Viel zu zierlich und zu schmächtig für einen Kater. Er kam wie selbstverständlich mit nach Hause und pflanzte sich aufs Sofa, als würde er dorthin gehören. Er ließ sich auch nicht mehr vertreiben, nicht dass wir es versucht hätten. Unsere letzte Katze war vor ein/ zwei Jahren an Altersschwäche gestorben. Wir fanden es super, wieder eine Katze im Haus zu haben.

Mein Bruder war damals ein halbes Jahr oder so alt und lernte in seinem Strampler gerade laufen. Glaube ich. Meine erste Erinnerung die ich von unserem Kater habe, ist wie ich vom Kindergarten nach Hause kam und eine Katze auf unserem Sofa fand. Zusammen gerollt und eingekuschelt, als hätte er nie etwas anderes getan. Als wäre er schon seit Jahren dort zuhause. Eigentlich rotzfrech, aber wir mochten ihn trotzdem. Mein Bruder stand in meiner Erinnerung neben mir und hielt sich an der Sofalehne fest, die so hoch war wie er groß. In einem blau weiß gestreiften Strampler. An mehr kann ich mich nicht erinnern, ich war ja erst 4 oder so. Woher ich das weiß? Wir bekamen unseren Kater, da war mein Bruder definitiv ein halbes Jahr alt. Und der ist geboren, da war ich drei. Also muss ich zu der Zeit etwa 4 oder 5 gewesen sein.

Wir, besser gesagt ich, tauften den Kater auf den Namen Felix. Er war ebenso wie mein Bruder etwa ein halbes oder ganzes Jahr alt. Schon früh war er ein richtiger Teenager. Er war frech, ließ sich nix sagen und war verdammt launisch. Wir trugen oft Kratzer von ihm, wenn er mal wieder schlechte Laune hatte. Dafür bekam er regelmäßig von Mama eins auf den Deckel. War ihm egal. Trotzdem hatte er Respekt vor Mama und zwar ganz gehörigen Respekt. Und dennoch hat er sich ständig mit ihr angelegt. Obwohl sie ihn nie geschlagen hat, reichte ein ganz laaaanger, drohender Blick und manchmal noch Drohgebärden und er gab nach.

Irgendwann haben wir einen Kratzbaum für ihn gekauft. Den launischen Felix. Wir wohnten nämlich an der Hauptstraße und deswegen durften wir ihn nicht raus lassen, weil er sonst überfahren wird. Was gar nicht so einfach war, denn Felix ist und war immer schon ein Freigänger, der Abwechslung braucht. Wenn die Tür aufging und man nicht aufgepasst hat, flitzte er Zack! nach draußen und wir mussten ihn einfangen. Er sprang dann lustig hin und her und wollte draußen spielen. Er lief nicht komplett weg, sondern blieb bei uns und sprang immer wieder weg, damit wir ihn ja nicht einfangen können. Etwa wie unser Hund jetzt, wenn er weiß, er bekommt Ärger. Deswegen schafften wir den Kratzbaum an und deswegen haben wir in unserer kleinen Wohnung über die Wände verteilt Klettermöglichkeiten gebaut. Mit 'wir' meine ich meine Eltern. Der bestellte Kratzbaum wurde in einem großen Karton geliefert. Fast größer als ich damals, was kein Kunststück war, denn ich war ein Knirps von höchstens einem laufenden Meter.

Der Kratzbaum wurde in die Ecke gestellt und ich hab es damals bedauert, dass ich nicht noch kleiner war, denn dann hätte ich auch auf den Kratzbaum klettern können. Aber der Karton war auch sehr schön. Mitten im Wohnzimmer hatte Mama mal ein kleines Trampolin gestellt. Das Trampolin war klein, aber für mich schien es voll groß. Ich habe also den Karton auf die Kante des Trampolins gestellt und wollte ein schönes Bild erschaffen. Ich schnappte mir meinen kleinen Bruder und stopfte ihn in den Karton, sodass nur sein Kopf rausguckte. Dann bin ich zu ihm rein geklettert. Mit Leckerlies bewaffnet. Mit denen hab ich versucht, Felix in den Karton zu locken. Aber er wollte nicht.

Also bin ich wieder raus geklettert und hab Felix gejagt. Ihn hochheben traute ich mich nicht, denn er war kratzbürstig und ich zu klein, um ihn zu heben. Auch wenn er selber ebenfalls keine wirkliche Größe hatte. Kaum hatte ich das launische Tier aufs Trampolin gelockt, war mein Bruder wieder aus dem Karton raus gekrochen. Ich also schnell hinterher, um ihn wieder rein zu stecken. Da hatte Felix aber keine Lust mehr und floh in den Flur. Ich wieder hinterher.

Mit viel Leckerchen und gut zureden hab ich ihn zurück aufs Trampolin gebracht. Dann schnell den fliehenden Bruder zurück stopfen und ebenfalls reinkriechen. Jetzt fehlte nur noch Felix, der alles skeptisch beobachtet hat. Ihn hab ich anschließend mit noch mehr Leckerlies zu mir gelockt. Der gesamte Boden der Kiste bestand schon aus Leckerlies, er sollte unbedingt rein kriechen. Er schnupperte aber nur an meiner Hand, drehte sich um und ging. Er war satt.

Und ich gab auf.

(Ein Kater im Hochstuhl meines Bruders)

Ein paar Jahre später sind wir umgezogen. Mama und Papa haben uns im halb eingerichteten Wohnzimmer aufs Sofa vor den Fernsehr gesetzt und im Marathon 'Heidi' gucken lassen, während sie um uns herum alles umgebaut haben. Ganz zum Schluss holten wir Felix dazu. Der fühlte sich im neuen Zuhause sofort pudelwohl. Wir behielten ihn erst ein paar Wochen noch drinnen, damit er sich an alles gewöhnen konnte. Dann ließen wir ihn raus. Fand er super. Die ersten paar Wochen war auch alles gut. Und dann kam Frühjahr und Felix kam das erste mal mit heftigen Blessuren Heim. Er war unterwegs von anderen Katzen verprügelt worden. Er war schon immer ein Schwächling und sah eher aus wie ein Weibchen, als wie ein Männchen. Wahrscheinlich war er deswegen auch mit Mama mitgegangen, weil er auf dem Bauernhof von den größeren Katzen und Geschwistern verprügelt wurde. Schlaues Tier. Da er kastriert war, hatte er kein Interesse an Weibern. Aber er wollte trotzdem sein Revier haben.

Monatelang, jahrelang kam er abends oder morgens mit Wunden, blutigem Fell oder Blessuren nach Hause. Und wenn es das nicht war, hatte er eine Zecke. So oder so, man wusste das etwas nicht stimmt, wenn er kuscheln wollte und anhänglich war. Denn das ist er normal nur bedingt. Zwar will er, dass man ihn krault und streichelt und lieb hat, aber nur dann wann, wenn und wie er es möchte. Kratzt man nur einmal an der falschen Stelle, war er sofort genervt und hat gehauen. Früher hatte ich oft Angst vor ihm. Manchmal hat er nämlich im Vorbeigehen nach unseren Beinen gekrallt. Nicht doll. Ihm war nur langweilig und er wollte spielen. Dass er in der neuen Wohnung viel mehr raus darf, hat zwar geholfen, aber im Frühjahr und Herbst, als die anderen Katzen draußen herum gestreunert sind, hockte er wieder bei uns drinnen und langweilte sich.

Einmal kam ich von einem Schulausflug nach hause und brachte Kekse mit, die ich dort gebacken hatte. Und einen richtig großen hab ich extra für meinen Bruder mitgebracht. Stolz lief ich mit ihm in den Flur zu meinem Rucksack, Felix begeistert hinterher. Er dachte, es gäbe Futter. Als er merkte, dass ich nur was für meinen Bruder und nicht für ihn hatte, hat er seinen Unmut gleich mal an meinem Rücken ausgelassen. Dafür wurde er von Mama mit viel Lärm aus dem Haus geworfen, sodass das beleidigte Tier erst am nächsten Morgen zum Frühstück wieder kam.

(Seine Lieblingsbeschäftigung. Sie auf Papier legen. Und wenn es meine Hausaufgaben sind.)

So etwas hat er öfter gemacht. Wenn er spielen wollte oder Langeweile hatte, dann vergriff er sich gerne an uns. Einmal lag er bei uns im Bett am Fußende und verkrallte sich in meinem Fuß, weil er gespielt hatte, es wäre eine Maus. Mein Bruder hatte deswegen ziemliche Angst, am Kater vorbei zu gehen. Aber ich hab irgendwann gelernt, ihm zu zeigen, wo der Hammer hängt. Ich war schon immer sehr flink. Wenn er also aus dem Spiel heraus nach mir gekrallt hat, hab ich es ihm sofort zurück gegeben. Zack! Ruhe. Und wenn ich ganz bequem auf dem Sofa lag und Felix gekrault habe und er plötzlich keinen Bock mehr hatte und geknurrt hat, hab ich ihm einen auf den Deckel gegeben und sofort war Ruhe. Nicht sofort, aber nach einem intensiven Starrwettbewerb und ebenso genervten Geknurre von mir, wie von ihm, ist er lieber abgehauen und hat mir den Sieg gegönnt. Seitdem hab ich mir nie wieder was von ihm gefallen lassen.

Dafür musste er sich viel von den anderen Katzen gefallen lassen. Noch Jahre, nachdem wir umgezogen waren, kämpfte er verbissen um sein Revier und kam alle paar Monate mit Blessuren Heim. Vor allem in der Paarungszeit. Er hatte sogar einen Erzfeind. Der fette rote Straßenkater. Dem gehörte das Revier nämlich ursprünglich. Er und Felix haben sich ständig in den Haaren gelegen. Vor allem, weil Felix zierlich und schwach und wie eine Kätzin wirkte. Leicht zu verprügeln eben. Der rote Kater ging irgendwann sogar so weit, dass er durch die Katzenklappe in unser Haus schlich, die wir extra eingebaut hatten, damit Felix, wenn er wieder verprügelt wurde, schnell ins Haus flüchten kann. Nachts kam der Rote, wenn alle schliefen. Er breitete sich aus, traute sich auf Tische und Stühle und pinkelte gegen die Haustür, um zu demonstrieren, dass Felix machtlos gegenüber ihm ist. Wir haben ihn zum Teufel gejagt.

Jedes mal, wenn wir ihn im Flur fanden, stürzten wir uns auf ihn. Mit Gestampfe, Gebrüll und viel Lärm zogen wir gegen ihn in den Krieg. Irgendwann kam der rote Kater nie wieder.

Etwa zu der Zeit lernte Felix die Nachbarn kennen. Anfangs war er nur stundenweise bei ihnen. Ich vermute, er ist irgendwann einfach rein marschiert und hat es sich wie damals bei uns gemütlich gemacht und die Nachbarn hatten nichts dagegen. Wir auch nicht. Das ermöglichte es uns, längere Urlaube zu unternehmen, ohne um Felix Angst zu haben. Die Nachbarn haben dann auf ihn aufgepasst. Und zum Frühstück und Abendessen kam er eh immer wieder nach zuhause. Ein kleiner Streuner eben. Damals war er noch nicht so verfressen. Da war er noch fit und schlank und launisch. Jetzt ist er fett und langsam und immer noch launisch.

Mit der Zeit wurde die Anzahl der Katzen im Viertel überschaubar und Felix kam nur noch selten verprügelt nach Hause. Ab und zu brachte er Vogelviecher mit. Die legte er vor der Tür ab und fraß sie nicht. Ein Geschenk. Manchmal lebten die Viecher aber noch. Einmal brachte er einen Vogel mit. Das verletzte Tier flitzte durch unser Haus und kam irgendwann unter einem schwer zugänglichen Schrank zum Stehen. Wir öffneten alle Türen und haben gewartet, dass es raus fliegt. Felix hockte daneben und hat keinen Finger gerührt.

Typisch.

Er hat aber auch nie bei den Kaninchen einen Finger gerührt. Erstaunlicherweise hat er die Zwergkaninchen nie als Beute gesehen. Er hatte Angst vor ihnen. Ein böser Blick vom älteren Kaninchen reichte und er floh schnell. Das hat ihn sehr gestresst und er war immer häufiger bei den Nachbarn. Die Kaninchen bekamen wir von Bekannten, die sie auf dem Flohmarkt für 10 Euro gekauft hatten. Von artgerechter Tierhaltung verstanden die nix und als sie für ein paar Wochen in den Urlaub fuhren und die Kaninchen für die Zeit bei uns absetzten, holten sie die nie wieder ab. Sie waren froh, die los zu sein. Felix hatte zu der Zeit eine Wunde am Rücken, die langsam wieder Fell bekam. Mit Auftauchen der Kaninchen verlor er mehr Haare und bald schon hatte er eine kahle Stelle am Rücken, obwohl die Wunde längst verheilt war. Er traute sich auch nicht mehr ins Dachgeschoss, wo wir die Kaninchen in einem großen Zimmer untergebracht hatten.

Die kahle Stelle verschwand erst, als die Kaninchen zwei Jahre später an einer häufigen Erbkrankheit starben. Und Felix fühlte sich wieder pudelwohl.

Und dann kam der Hund.

(So hat er geguckt, als er den Hund das erste mal gesehen hat.)

Vor dem hatte Felix weniger Angst. Er mochte ihn am Anfang zwar überhaupt nicht, aber da wir Angelo verboten hatten, Felix zu jagen, hatte er keine Angst und keinen Stress. Stattdessen verzog er sich mehr zu den Nachbarn und kam nur noch zum Füttern. Erst nach einem halben Jahr hat er akzeptiert, das Angelo jetzt dazu gehört. Angelo fand den Kater sofort toll. Er wollte immer mit ihm spielen, aber Felix hat ihm eher eine gescheuert, als mit ihm zu spielen. Ein Grund, warum sie sich dann doch ganz gut vertragen haben, ist der, das Felix nicht abgehauen ist, wenn Angelo auf ihn zulief. Unser Hund jagt nämlich sehr gerne. Auch Katzen.

Und wenn er auf sie zu rannte, liefen die meisten Katzen weg und er konnte sie verfolgen. Nicht Felix. Zu der Zeit war Felix schon 13 oder so und verdammt griesgrämig. Und faul. Und wenn Angelo voller Enthusiasmus auf ihn zu rannte, blieb Felix stehen und wollte ihm eine scheuern, was wir zum Glück immer verhindern konnten. Letzendlich mussten wir eher den Hund vor der Katze schützen, als umgekehrt. Es gab noch weitere Katzen in unserer Nachbarschaft. Die bunte Katze von irgendwoher, die süße, zierliche Maia von nebenan und der provokante und freche Tyler. Ein fieser Draufgänger. Aber komischerweise hat er sich mit Felix verstanden. Nur mit Angelo nicht. Wenn er ihn sah, selbstverständlich angeleint, sprang er aus dem Gebüsch und lief weg, damit Angelo ihn verfolgt. Da der Hund aber anhand mangelnder Leinenkapazizät nicht weit kommt, kam der Rotzbengel wieder zurück und lief wieder weg. Kam zurück, lief weg, kam zurück und trieb uns und den Hund in den Wahnsinn. Felix hat den Hund bestenfalls ignoriert.

Irgendwann fand aber plötzlich ein Umdenken bei ihm statt. Statt Angelo zu ignorieren oder ihn eine zu klatschen, wenn der Hund ganz neugierig an seinem Hintern roch, schnupperte er zurück. Auf einmal fand er den Hund ganz toll. Wenn wir mit Angelo im Garten gespielt haben, wollte er plötzlich mitspielen. Was nicht so gut ausging. Was Felix als Spielen versteht, versteht der Hund als Angriff auf sein Leben und er sucht das Weite. Irgendwann kam der Kater sogar mit Gassi. Früher hat er das auch ab und zu mal gemacht. Wenn ihm langweilig war und wir spazieren gingen. Oder wenn wir zur Schule gingen und ihn alleine zuhause lassen wollten. Als er noch jung war ist er uns viele Straßen weiter gefolgt und hat dort so lange gewartet, bis wir wieder zurück kamen und ihm sicheres Geleit durch fremde Reviere sicherten. Aber irgendwann war ihm das zu gefährlich, uns so weit durch fremde Reviere zu verfolgen und da er wusste, dass wir wieder kommen, ließ er es ganz bleiben. Ab da ging er nur noch ganz selten bis zur nächsten Straßenecke mit.

(Wenn sie sich dann mal vertragen, die zwei süßen Viecher)

Mit dem Hund änderte sich das. Plötzlich kam Felix immer öfter mit. Ein Freund von mir nannte es Midlife-Cruises. Wenn wir abends noch eine Gassirunde gingen, dann folgte er uns. Weit, weit, weit durch die Straßen, bis er alleine nicht mehr zurück gefunden hätte. Er hat durchgehalten. Und wir gingen langsam und machten ständig Pausen, damit er sich ausruhen konnte. Denn trotz allem war er alt und hatte sicher auch viele Schmerzen. Immer wieder hielt er an und setzte sich und wir warteten, bis er weiter lief. Und wenn wir dann später mit ihm nach Hause gekommen waren, war er so kaputt, dass er gehechelt hat. Er legte sich auf den Boden und war komplett erschöpft. Die letzten 50 Meter nach Hause hatte er oft kaum geschafft. Also ging ich dann zu ihm und wollte ihn ein Stück tragen.

Nein! Das durfte ich nicht. Da war er beleidigt und hat geknurrt. So nach dem Motto 'Du hast es gewagt, mich anzufassen' und 'Hör auf, ich kann selber gehen! Denkst du, ich schaff das nicht?'. Tja, er war schon ein launischer Tierchen unser Kater. Und arrogant. Und er ließ sich nix gefallen. Er lag auch immer gerne auf unserer im Boden eingebauten Heizung. Da drüber war ein Gitter, dort schlief er oft. Was ich mir nicht sehr gemütlich vorstelle. Also haben wir eine kleine Decke dorthin gelegt, damit seine alten Knochen es weich haben, aber nein. Als er merkte, dass wir wollen, dass er auf der Decke liegt, ist er erstrecht nicht rauf gegangen. Das war so eine kleine Macke von ihm. Wenn ihm jemand was befiehlt, tut er es erstrecht nicht. Er war halt immer schon ein kleiner, verdammt eigensinniger Griesgram. Wenn man wollte, dass er an einem bestimmten Ort liegt, musste man es so aussehen lassen, als wäre es seine Idee gewesen. Sonst blieb er stur wie ein Esel. Aber wir hatten ihn trotzdem lieb.

(Und hier ist er mal komplett nass geworden und war restlichen Tag mies gelaunt. Also, noch mieser)

Ich mehr als mein Bruder. Er mochte den Kater nicht. Weil der ihn immer gekratzt hat. Aber wisst ihr was, Felix ist im Charakter meinem Bruder ähnlicher, als er denkt. Ist echt so. Beide lassen sich nichts sagen und wenn man ihnen was sagt, tun sie ganz bewusst das Gegenteil. Außerdem sind sie beide stur und wenn sie sich langweilen, lassen sie das an den Menschen in ihrer Umgebung aus. Deswegen konnten wir ihm auch nie Kunststücke beibringen und deswegen kroch er ständig auf den Tisch, um die Essensreste zu ergattern, obwohl er verdammt weiß, wie viel Ärger er dann bekommt.

Meinem Bruder war es auch egal, als der Kater vor drei Wochen verschwand. Mir nicht. Und meinen Eltern auch nicht. Als er morgens und abends nicht mehr zum essen nach Hause kam und wir dann noch von den Nachbarn versichert bekamen, dass sie ihn auch länger nicht gesehen hatten, war für uns die Sache klar. Felix war immer schon ein kleiner Streuner, aber er blieb nie für Tage weg. Er kam immer zum Essen nach Hause. Vor allem jetzt, wo er so verfressen wurde. Ist echt so, er bettelte 5x täglich nach Essen. Und er wurde nicht fett. Ich meine, wir haben schon aufgepasst, dass er sich nicht überfrisst, aber sobald seine Schale leer war, kam er eine halbe Stunde später wieder an und wollte Futter. Das fanden wir nicht normal. Irgendwas stimmte nicht mit ihm. Aber er war alt. 15 Jahre. Er hätte es nicht mehr lange gemacht. Er hatte Zahnstein, vermutlich Schmerzen in allem Knochen und ein seltsames komisches Ding am Hals. Fast wie eine Warze, durch die sein Fell wächst. Eklig. Wenn ich ihn gestreichelt habe, habe ich mich bemüht, dieses Ding zu umgehen. Wir sind deswegen nie zum Tierarzt gegangen. Denn er war alt und schwach. Die Ärzte hätten ihn vermutlich eingeschläfert oder schlimmer noch, ihn versucht mit Medikamenten am Leben zu erhalten. Das wollten wir nicht. Wir wollten, dass Felix einen würdigen Abgang als Katze macht und nicht als Drogen vollgepumptes Versuchskaninchen.

Und als er irgendwann nicht nach Hause kamen, haben wir geahnt, dass er jetzt für immer weg ist. Erst dachten wir, er ist bei irgendwem aus Versehen in der Garage eingesperrt worden oder er wurde vom Auto angefahren und leckt gerade seine Wunden. Aber je mehr Zeit verging, desto sicherer waren wir, dass er nie wieder kam, obwohl wir alle Büsche durchsucht haben. Es war leicht, abzuschließen. Er war ja sonst auch oft nicht da. Und sein Tod ist für mich einfach eine Reise, von der er nicht mehr zurück kommt. Als wäre er noch da draußen und durchstreift die Nachbarschaft. Vor allem hilft es mir, dass ich nie seine Leiche gefunden habe.

Das genügt unseren Nachbarn nicht. Die Schwiegertochter hat angefangen, Steckbriefe zu verteilen. Überall hat sie sie aufgehängt, aber in den Büschen selber suchen? Nein, käme ja gar nicht in Frage. Obwohl der Kater bereits eine Woche verschwunden war, war sie überzeugt, dass er noch lebt. Dass er vielleicht von einem Tierheim oder so gefunden wurde und wieder nach Hause kommt. Als die Steckbriefe nichts brachten, sprach sie davon, Spürhunde einzusetzen. Die könnten Felix Spur angeblich noch Wochen danach finden. Hm. Okay. Und was machen die Tiere, hätten sie Felix gefunden? Besser gesagt, was hätte Felix gemacht. Er hätte den Schock seines Lebens bekommen. Bellende Hunde, die ihm überall hin folgen und jagen. Denn bedauerlicherweise kann die Schwiegertochter ihm ja nicht mitteilen, dass sie ihn nur nach Hause bringen wollen.

Tja und jetzt? Jetzt sind knapp drei Wochen vergangen, ohne ein Lebenszeichen von ihm zu erhalten. Und was macht die Schwiegertochter? Sie gibt eine Suchanzeige in der Zeitung auf!! Also echt, als wäre es ihr Kater! Das arme Tier ist tot, Bitch!! Find dich damit ab und verdammt nochmal sprich nicht so davon, als würdest du ihn noch lebend wiederfinden! Er ist nicht mehr da! Er ist unterwegs und will nicht gefunden werden! Außerdem war die olle Pute selten da, vielleicht ein paar mal im Jahr. Sie kannte Felix gar nicht. Sie wusste noch nicht mal, dass er krank ist. Und immer, wenn wir erwähnen, dass der Kater schon alt ist und dass es sehr wahrscheinlich ist, dass er tot ist, sagt sie 'Quatsch, 15 ist doch kein Alter'. Für eine Katze schon du hirnverbrannte Alphatussi! Sie kannte ihn überhaupt nicht. Er hat sie auch nie respektiert. Woher wir das wissen? Wenn er sie gekratzt hat, weil sie an der falschen Stelle gekrault hat, hat sie es ihm durchgehen lassen. Deswegen ist er vermutlich so verzogen gewesen. Bei uns galten Regeln. Bei den Nachbarn nicht und erstrecht nicht, wenn die Schwiegertochter zu Besuch war. Da durfte er alles. Und wenn er dann verwöhnt nach Hause kam und dachte, er könne sich hier auch alles erlauben, wurde er ganz schnell von seinem hohen Ross auf den Boden der Tatsachen gerissen.

Der Kater ist der Herr im Haus. Das heißt nicht, dass er der Chef ist.

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