Kampf bis aufs Messer
Der schwarzhaarige Jäger hob verwundert die Brauen. „Bin ich neuerdings erblondet?"
Aus der Menge ertönten verwirrte Rufe. „Göran kann es doch nicht sein!" „Sie sagte, sie suchen einen blonden Mann!" „Das ist eine Falle, gebt acht, was ihr sagt!"
Auch Natalia war irritiert. „Bist du sicher?" Dann entschuldigte sie sich sofort. „Ich sollte das nicht fragen, dein Geruchssinn trügt dich bestimmt nicht. Aber warum sahen wir dann alle einen blonden Mann?"
„Das weiß ich nicht", erwiderte Ylvigur. „Aber ich bin sicher. Diesen Geruch vergesse ich nicht. Er ist es."
Piroska schluckte. „Jetzt weiß ich, was nicht richtig war!" Die Aufmerksamkeit der Menge wandte sich ihr zu und sie fuhr fort: „Ich sah ihn und ich wusste, ich kenne ihn. Es war das blonde Haar, das nicht dazu passte. Darum kam ich nicht darauf, wer es ist."
Der Hauptmann der Brückenwachen trat zu Natalia und wisperte ihr etwas zu. Sie nickte und der Offizier winkte zwei Soldaten und einen Wilko zu sich, nahm Ulryk an der Schulter und ging mit diesen vieren ins Dorf.
Die Stimmung der Dörfler war umgeschlagen, als Piroska gesprochen hatte. Nun wichen die Menschen vor Göran zurück, der verärgert die Stirn runzelte. „Das ist doch Unfug!", schimpfte er.
„Allerdings!" Katinka trat zu ihm. „Ihr kennt ihn doch alle. Würdet ihr ihm einen Mord zutrauen?"
Etliche Dörfler wirkten verunsichert, doch keiner sprach für Göran. Katinka wurde wütend. „Ihr glaubt diesem Wilko also mehr als uns?"
„Wir wissen alle, wie gut die Wilkos riechen können", sagte jemand.
„Diese Verletzung ist gut verheilt und demnach lange her", fauchte Katinka. „Und ihr glaubt, er könne einen Geruch so lange verfolgen?"
Einige Momente lang herrschte Stille. Dann sagte jemand: „Ja. Mein Hund kann das nämlich auch."
Ylvigurs Mundwinkel zuckten, als er sich mit einem Hund verglichen sah, aber er sagte nichts. Indes ließ er Göran nicht aus den Augen.
„Muss ich mir das bieten lassen!", rief der Jäger plötzlich. „Noch dazu von einem Wilko! Er glaubt, ich könnte ihn deswegen nicht zur Rechenschaft ziehen, aber ich tue es! Trotz aller Werwolftricks, die er einsetzen kann!" Er zog seine Messer.
Ylvigur hatte das Hemd abgelegt, nicht aber seine Messer. Er hob die Hände und hielt in Sekundenbruchteilen seine Waffen in den Händen. „Bei dir brauche ich keine ‚Tricks'. Das kann ich auch als Mensch!"
„Aber ...", Natalia wollte protestieren, aber Maciej hinderte sie daran. „Da kannst du nichts mehr tun, Mutter. Die Herausforderung wurde ausgesprochen und angenommen. Dieser Kampf lässt sich nicht aufhalten."
„Männer!", schnaubte die Fürstin ziemlich undamenhaft. „Ich wollte die Angelegenheit ruhig und ohne Gewalt erledigen, aber sie müssen natürlich unbedingt spielen!" Sie warf einen Blick auf die Geschwister. Piroska war kreidebleich und klammerte sich an ihren Bruder. „Sieh nur, welche Angst sie hat! Das müsste wirklich nicht nötig sein!"
Auch Katinka verfolgte die Vorbereitungen mit weißem Gesicht. Göran legte ebenfalls das Hemd ab und Soldaten sowie Dorfbewohner bildeten einen großen Kreis um die beiden, die sich zornig anfunkelten.
„Sollte er nicht die Maske ablegen?", fragte jemand aus der Menge. Piroska wurde aufmerksam. „Die bleibt! Das ist keine Rüstung, sondern ein Verband! Er hat sich die Nase gebrochen!"
„Die Maske ist kein Vorteil", stimmte auch Maciej zu. „Sie gleicht nur den Nachteil durch eine kürzlich erlittene Verletzung aus."
Nachdem auch das geklärt war, traten die Kontrahenten aufeinander zu. Natalia versuchte, gelassen zu erscheinen, aber sie ballte doch die Fäuste und bohrte sich selbst die Nägel ins Fleisch. Wer die beiden so direkt voreinander stehen sah, musste Göran den Sieg zusprechen. Der Jäger war ebenso groß wie der hochgewachsene Werwolf, aber wesentlich breiter und muskulöser als der schlanke, sehnige Waldbewohner. Aber dann erinnerte sich Natalia an eine lässig in die Luft geworfene Bank und beruhigte sich etwas. Schwach war Ylvigur jedenfalls nicht.
Göran trat einen Schritt zur Seite und Ylvigur wich sofort zur anderen Seite aus. Keiner der beiden ließ den anderen aus den Augen.
„Er hält das Messer falsch", flüsterte Maciej entsetzt. Natalia sah genauer hin und verstand. Göran hielt beide Messer mit der Spitze nach unten. Das Messer in Ylvigurs linker Hand wies hingegen nach oben. Es sah aus, als habe der Werwolf seine Waffen auf gut Glück gezogen.
Göran trat nun direkt auf Ylvigur zu, der wiederum zur Seite auswich und so Göran zwang, sich ihm zuzuwenden. Aber der Abstand zwischen den beiden hatte sich verringert.
Sekundenlang standen beide starr da. Dann schoss Görans rechte Hand vor, direkt auf Ylvigurs vernarbte Schulter. Sofort brachte der Werwolf die linke Hand hoch und wehrte den Angriff mit der waagerecht gehaltenen Klinge ab. Mit der Rechten stach er auf Görans linke Hand zu, die sich bereits gefährlich nahe seiner rechten Hüfte befand. Göran zog beide Hände weg und sprang zurück.
„Das sah gefährlich aus", flüsterte Natalia. Ihr Sohn schüttelte den Kopf. „Nur ein erstes Kräftemessen. Aber was für ein Teufelskerl! Er weiß genau, was er tut."
Ausnahmsweise verwies die Fürstin Maciej nicht seiner Sprache wegen. „Was meinst du?"
„Er hält das Messer absichtlich so herum. Bei unseren Probekämpfen hat er das nicht getan, darum war ich irritiert. Ich habe vergessen, dass er alle Kämpfe gewonnen hat."
Die beiden Kämpfer umkreisten einander. Trat der eine etwas näher, wich der andere sofort zur Seite aus. Göran ließ den Blick nicht von Ylvigurs Händen, um nicht von einem plötzlichen Angriff überrascht zu werden. Wohin der Werwolf sah, war aufgrund der Maske nicht zu erkennen.
Erneut trat der Jäger vor. Diesmal reagierte Ylvigur auf den Scheinangriff mit einem echten; die Linke hoch erhoben, stach er mit der Rechten auf Görans linken Arm zu. Im letzten Moment zog Göran die gefährdete Extremität aus dem Weg. Mit dem rechten Messer fuhr er auf Ylvigurs Hand zu und ein metallischer Klang ertönte. Er hatte nur die Klinge der kurzen Waffe getroffen und diese hielt der Werwolf eisern fest.
Nun schien Göran genug zu haben. Er wich zur Seite aus, sprang unvermittelt vor und attacktierte seinen Gegner von links. Ylvigur drehte sich zu ihm und blockte den Stich ab. Doch beim Drehen hatte er zuviel Zeit verloren, Görans Messer zerschnitt seinen Handrücken, bevor es von der waagerecht gehaltenen Klinge aufgehalten wurde.
Ylvigur sprang zurück und leckte das Blut von der Hand. Ansonsten schien ihn die Verletzung nicht zu stören.
Göran drang sofort nach, aber diesmal wehrte Ylvigur rechtzeitig ab. Unmittelbar, nachdem er den Angriff blockiert hatte, drehte er den Arm. Görans Hand wurde weggedrängt und Ylvigurs Klinge fuhr ihm über den Unterarm.
Sie trennten sich wieder. Nun waren beide verletzt, um Görans Unterarm hatte sich ein blutiger Ring gebildet. Doch das reichte keinem der Kontrahenten aus, um den Streit beizulegen.
Wieder sprang der Jäger auf den Wolf zu. Diesmal hatte er beide Hände erhoben, um die Messer dem Gegner in die Schultern zu stechen.
Statt auszuweichen, tauchte Ylvigur unter den ausgestreckten Armen durch und kam direkt vor Görans Gesicht in die Höhe. Ein Messer fuhr aufwärts in dessen rechte Achsel, das andere abwärts in die linke Hüfte. Gleichzeitig schlang Ylvigur den rechten Fuß um Görans linkes Fußgelenk und tauchte zu dessen rechter Seite hin wieder ab, bevor ihm der Jäger seine Waffen in den Rücken stoßen konnte.
Piroska sah mit weit aufgerissenen Augen zu, voller Angst, den Moment zu verpassen, wenn ihr Liebster schwer verletzt wurde und sie brauchte. Als Ylvigur regelrecht in Görans Arme geflogen war, hatte sie den Atem angehalten und in Gedanken den Werwolf schon tot gesehen. Einen Moment später jedoch war Ylvigur frei und Göran taumelte, aus mehreren Wunden blutend, schwerfällig zur Seite.
„Er schafft das, vertrau ihm", Stepan stand hinter ihr und hatte die Arme um sie gelegt. „Er ist gut, das hat er uns schon in Kronburg gezeigt."
„Göran aber auch", wisperte sie zurück.
„Das stimmt. Aber er ist nicht so schnell. Dein Zukünftiger ist der reinste Irrwisch beim Kämpfen."
In diesem Moment zeigte Göran, dass auch er schnell sein konnte. Erneut drang er auf den Werwolf ein, beide Hände erhoben. Doch als dieser ihn abwehrte, bückte er sich gedankenschnell, stieß mit einer Hand auf Ylvigurs Herz zu und mit der anderen auf dessen Oberschenkel.
Der Wolf erwies sich allerdings als noch schneller denn der Jäger. Mit der Linken blockte er den Angriff auf seine Brust ab und stach blitzartig zweimal hintereinander in die Hand, welche das Messer hielt. Das rechte Messer bohrte er tief in Görans linken Unterarm und zum selben Zeitpunkt riss er das rechte Bein hoch. Sein Knie traf das Kinn des Gegners und als dieser zurücktaumelte, trat er mit den Zehenballen fest in dessen Herzgrube. Göran fiel hintenüber und blieb reglos liegen.
Katinka schrie entsetzt auf und warf sich über ihren Ehemann. „Du hast ihn getötet!", warf sie Ylvigur weinend vor.
„Unfug", erwiderte dieser. „Der ist nur bewusstlos. Aber du solltest seine Wunden verbinden. Ich tu's ganz sicher nicht und ich vermute, Piroska auch nicht."
Damit hatte er recht, denn seine Braut kramte bereits nach Tüchern, um die Hand des Werwolfs zu versorgen. Kriszta kniete am Dorfteich und tauchte ihr Schnupftuch ins Wasser und niemand argwöhnte, dass sie dabei an den Jäger dachte.
Verwirrt sah Katinka auf, ratlos, was nun zu tun war.
„Ich hole dir Wasser und Verbände", Ilona wollte den Platz verlassen, aber ein Wolf trat ihr in den Weg. „Du kannst gerne mitkommen und kontrollieren, was ich tue", lud sie ihn ein, bevor ihr bewusst wurde, mit wem sie sprach. Aber der Wolf nickte nur, gab den Weg frei und ging an ihrer Seite mit ihr ins Haus.
In diesem Moment kam der Brückenwächter mit seinen Begleitern zurück. Als er den bewusstlosen Jäger sah, lächelte er. „Das habe ich mir schon gedacht, als wir ihn damals kontrollierten, dass der Junge nicht so ohne ist."
„Was hast du da?", erkundigte sich Natalia. Der Mann hob das merkwürdige Bündel, welches er in der Hand hielt. „Die Erklärung, warum die Haarfarbe nicht stimmte. Ich dachte mir solches schon."
Das Teil schien ein halb abgeschorenes Fellstück zu sein, es war teils glatt und grünbraun und teils lang- und hellhaarig. Aber kein Tier hatte ein solches Fell.
Der Hauptmann grinste und zog sich das Teil über den Kopf. Und trug daraufhin eine bräunliche Maske sowie eine wilde Mähne goldblonden Haares.
Stepan, der seine Schwester nun wohlversorgt in den Armen ihres Liebsten wusste, stürzte sich darauf. „Ich kenne das!" Er hielt eine Strähne seines eigenen Haares dagegen. Es war die gleiche Farbe.
„Aber wie?", fragte Natalia verwirrt.
„Mit zehn Jahren fiel ich von einem Baum direkt in ein Brombeergestrüpp", erklärte Stepan. „Göran fand mich damals und befreite mich. Damals hatte ich ziemlich langes Haar und er musste es rappelkurz abschneiden, um mich aus den Dornen zu bekommen. Offenbar hat er das Haar aufbewahrt und sich daraus diese Kopfbedeckung gemacht."
„Im Wissen, dass wir dann nach einem Mann mit Haar wie deines suchen würden", hauchte Natalia. „Wie überaus gerissen. Und wir hatten somit den Falschen im Verdacht."
Maciej nickte ernst. „Es war die perfekte Tarnung. So lange jedenfalls, bis ein Wilko kam, der dem Geruch und nicht der Haarfarbe nachspürte."
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