Bratpfannenargumente
Piroska überlegte. Wenn sie jetzt klopfte, damit die Frau Großmutter sie hineinließ, würde diese wissen, dass das Mädchen draußen gewesen war und das Gespräch mitbekommen hatte. Wartete sie bis morgen, wäre das auch nicht besser, denn die Frau Großmutter würde sie auf jeden Fall draußen entdecken.
Zunächst umkreiste sie das Häuschen und suchte einen unverschlossenen Fensterladen. Aber die Frau Großmutter hatte alle Läden gut verschlossen. Sie konnte vielleicht einen aufbrechen, aber das würde Lärm verursachen. Und wenn sie dabei das Fenster der Schlafkammer der Frau Großmutter erwischte, wäre sie ohnehin fällig.
Sie zählte nochmals die Fenster an der linken Hausseite ab. Drei und sie glaubte sich zu erinnern, dass die Küche keines zu dieser Seite hin gehabt hatte. Jetzt konnte ein Fenster zu dem Kämmerchen gehören, in welches sie die Frau Großmutter geführt hatte, eines zur Kammer der Frau Großmutter und eines zu dem Zimmer, in welches die Tür am Ende des Flurs führte. Es konnte aber auch sein, dass die große Schlafkammer zwei Fenster hatte und das schmale Kämmerchen gar keines. Piroska war einfach zu müde gewesen, um das noch zu registrieren, sie hatte nur noch das Bett gesehen.
„Hast du Probleme?"
Um ein Haar hätte sie laut aufgeschrien. Aber schon legte sich eine warme, kräftige Hand auf ihren Mund. „Sssh! Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich dachte nicht daran, dass du mich nicht kommen hören kannst."
Erleichtert atmete Piroska auf. Diese dunkle, etwas raue Stimme kannte sie erst seit kurzem, aber sie hatte sie stundenlang fast ununterbrochen gehört und der Klang hatte sich ihr ins Hirn eingebrannt. „Ylvigur!"
„Genau. Du hast dich ausgesperrt, stimmt's?"
„Ja. Und ich trau mich nicht zu klopfen. Weißt du, da kamen seltsame Männer zur Frau Großmutter. Und ich hörte ihr Gespräch mit an. Sie brachten ein Mädchen zu ihr und gingen wieder."
„Ja, ich weiß. Ich habs gesehen, konnte allerdings das Gespräch nicht verstehen, dazu war ich noch zu weit weg."
„Aber es ist Nacht!"
„Ja, sieht ganz so aus."
„In der Nacht sieht man nicht weit."
„Ich schon. Wir Waldbewohner haben eine gute Nachtsicht."
Piroska wurde rot. „Dann hast du auch gesehen, wie ..."
„Oh, nein", beruhigte er sie. „Von mir aus gesehen warst du hinter dem Busch. Aber jetzt ist erstmal die Frage, wie bekommen wir dich ins Haus?"
„Das überlege ich auch gerade. Die Fenster sind alle geschlossen. Und ich weiß nicht, welches Fenster in welches Zimmer führt."
„Ich seh mir das mal an." Ylvigur ging um das Haus herum und begutachtete es genau. Allerdings sah er dabei auch nach oben und grinste plötzlich. „Das eine Speicherfenster scheint offen zu sein."
Piroska folgte seinem Blick. „Ja. Aber wie soll man da dran kommen?"
„Das mache ich. Vorausgesetzt, du bist sicher, dass du da wieder reinwillst. Geputzt hast du jedenfalls schon genug."
„Woher weißt du?"
„Die Aschenlauge, die du so oft gewechselt hast, kann man im ganzen Tal riechen."
„Oh. Aber ich muss unbedingt wieder rein. Ich glaube zwar nicht, dass die Frau Großmutter sich Sorgen macht, wenn sie mich morgen nicht mehr vorfindet. Sie – sie ist irgendwie keine sehr nette Person." Piroskas jahrelang anerzogene Ehrfurcht vor der Frau Großmutter ließ eine stärkere Äußerung nicht zu.
„Also könntest du genausogut jetzt wieder nach Altkirch zurückgehen."
„Vielleicht. Aber nicht im Unterkleid. All meine Sachen sind noch drin. Und ich habe mein Kleid und die Schürze selbst bestickt, das war sehr viel Arbeit."
„Glaub ich dir. Also gut, warte mal kurz. Ich mache dir gleich auf." Schon kraxelte Ylvigur an dem Holzbohlen hoch, aus denen das Haus gebaut war.
Piroska staunte. Sie selbst war zwar schon auf viele Bäume geklettert, aber eine Hauswand traute sie sich nicht zu. Aber Ylvigur war ja im Wald aufgewachsen, er mochte schon etliche Bäume erklommen haben und darunter wohl auch welche, die die ersten Äste erst weit oben trugen.
Zu spät fiel ihr auf, dass das Speicherfenster ja viel zu klein für den jungen Mann war. Selbst sie wäre nicht hindurch gekommen, so wie sie das Fensterchen von unten einschätzte. Aber Ylvigur schien sich da keine Sorgen zu machen.
Gerade jetzt zogen wieder Wolken auf und Piroska konnte kaum noch etwas erkennen. Ylvigur bewegte sich auf dem Dach, sie hörte ein Klicken und vermutete, dass er die nur zugezogenen Läden aufzog und das Innenfenster öffnete. Aber dann hielt er inne und sie glaubte schon, ihm sei jetzt auch aufgegangen, dass er ja viel zu breit war für das schmale Fenster. Stattdessen hantierte er mit irgendetwas. Erst sah es für sie aus, als zöge er sein Hemd aus. Aber dann dachte sie, dass er wohl nur den Rucksack abnahm, den er jetzt dabei hatte. Wo er den wohl auf einmal hergenommen hatte?
Ylvigurs Körper war nur noch als verzerrter dunkler Schatten vor nur schwach helleren Schatten wahrnehmbar. Was Piroska sah, wirkte nicht einmal mehr wie ein Mensch, eher wie ein seltsames Tier. Sie kicherte darüber, wie sonderbar sich Schatten in der Dunkelheit ausnehmen konnten.
Oben schien Ylvigur zu zappeln und sich zu winden. Dann flutschte er regelrecht aus ihrer Sicht. Es war ihm doch gelungen, sich durch die kleine Öffnung zu schlängeln!
Rasch huschte Piroska nun zur Haustür. Aber es dauerte doch länger, als sie erwartet hatte, bis die Riegel behutsam zurückgezogen wurden und der junge Mann ihr die Tür öffnete. „Tritt ein und bring Glück herein", wisperte er ihr schelmisch zu.
„Was treiben die da bloß?" Rando reckte den Hals. „Es sieht aus, als ob er ins Haus klettert, aber warum?"
„Wahrscheinlich ist sie ausgesperrt", mutmaßte Faolán. „Die hohe Dame hat sicher die Tür hinter sich verriegelt."
„Er wird doch nicht – nein, doch nicht", Varg atmete auf. „Ich hatte schon Angst, er klettert durch den Kamin hinein."
„Das wäre keine gute Idee, auch wenn er nicht der erste wäre, der das versucht", grinste Rando. „Aber er hat wohl ein Fenster gefunden. Hei, er ist drin. Jetzt kann die Kleine wieder in ihr Bettchen und er kann zurückkommen – wenn er sich nicht auch gleich in ihr Bett verirrt. Autsch!" Er hielt sich das Schienbein und schielte Tala erbost an. „Sonst trittst du doch immer deinen kleinen Bruder!"
„Der ist nicht hier und du bist genauso frech", fauchte Tala. „Ihr denkt immer nur an das eine!"
„Das ist nicht wahr! Nicht die ganze Zeit! Höchstens die halbe!"
„Ruhe, ihr zwei", mahnte Varg. „Und ich denke, dass Ylvigur jetzt andere Sorgen hat. Er macht sich wirklich Gedanken um das Mädchen."
„Zudem wird er von ihr wissen wollen, was da unten besprochen wurde", meinte Faolán. "Sie wird's ja gehört haben."
Also warteten sie eine Weile. Varg lehnte sich an einen Baum und schloss die Augen, auch Tala nutzte die Gelegenheit für eine kleine Pause. Rando und Uke tuschelten miteinander und Faolán behielt das Haus im Auge.
„Sagt mal, sollte er nicht langsam wiederkommen?" fragte Uke plötzlich. Faolán schrak auf. „Ja – wenn er sie nur hineinbringen und mit ihr reden wollte, dann ja."
„Wir warten bis morgen nachmittag", entschied Varg. „Wir wissen nicht, was er dort unten zu regeln hat. Es ist möglich, dass er die Kleine jetzt nur nicht mehr aus den Augen lassen will, bis sie sich wieder auf den Weg macht und dann würden wir sie nur unnütz verstören. Und die hohe Dame auf uns aufmerksam machen ist nun wirklich nichtnötig. . Eben darum ist Ylvigur ja alleine gegangen."
„Eins sage ich euch, wenn er sich tatsächlich in aller Ruhe zu ihr legt, während wir hier auf ihn warten dürfen, bekommt er auch seinen Tritt ab!" zischte Tala.
„Ich glaube, du brauchst etwas Ablenkung. Du kannst dich ja jetzt auf die gleiche Weise vergnügen und deinen Bruder morgen in aller Ruhe verdreschen", schlug Faolán mit verschmitztem Lächeln vor. Tala blitzte ihn an. „Bist du sicher, dass das dem Baby nicht schadet?"
Ergeben hob Faolán die Hände. „Du hast gewonnen. Ich werde dich nicht mehr ermahnen. Tu, was du für richtig hältst."
Während sich Ylvigurs Freunde am Anfang des Tales stritten, erzählte am anderem Ende Piroska dem Gegenstand ihres Zwists, was zwischen der Frau Großmutter und den maskierten Männern besprochen worden war. Der junge Mann zog die Nase kraus, ihm gefiel überhaupt nicht, was er da zu hören bekam.
„Ich verstehe das nicht", sagte Piroska leise. „Es scheint das Mädchen zu sein, welches die Soldaten suchen. Aber warum bringt man sie hierher? Meinst du, sie hoffen, dass die Frau Großmutter sie zu ihren Eltern zurückbringt? Ihr wird nichts geschehen, denn niemand würde sie verdächtigen, etwas Unrechtes zu tun."
„Wenn sie das wollen, warum haben sie das Mädchen überhaupt erst entführt?" hielt Ylvigur dagegen.
„Du setzt voraus, dass diese Männer die Wegelagerer sind. Sie kamen mir aber fast vertraut vor. Vielleicht sind es Dorfbewohner, die sie gefunden haben, nachdem die Räuber mit ihr fertig waren. Ich bin nicht naiv! Ich weiß, was Männer von Frauen wollen!" So ganz stimmte das allerdings nicht, sonst wäre ihr aufgefallen, dass ihr Gesprächspartner Schwierigkeiten hatte, ihr in die Augen zu sehen. Piroskas Unterkleid war ziemlich dünn und zudem tief ausgeschnitten, damit es nicht unzüchtig unter der Bluse oder dem Kleid hervorlugen konnte. Nur trug Piroska leider im Moment gar kein Kleid.
Ylvigur versuchte mit einiger Mühe, sein Grinsen zu verbergen und vor allem, sich auf das eigentliche Thema zu konzentrieren. „Deine Idee hat etwas für sich. Aber ich finde, das wäre ein ziemlicher Aufwand. Und die hohe Dame schien sie erwartet zu haben, deinen Worten nach einige Tage früher sogar. Wenn sie nicht gerade eine Kristallkugel besitzt, weiß ich nicht, wie sie davon wissen konnte."
„Unsinn, sie ist doch keine Hexe!" Piroska musste lachen. In Ylvigurs Gegenwart fühlte sie sich wieder sicher, da konnte sie auch vergessen, dass sie ziemlich leicht bekleidet auf ihrem Bett saß und er direkt neben ihr. „Sie ist – naja, viel weniger ehrwürdig und weise, als ich sie mir vorgestellt habe. Aber deshalb muss man ja nicht gleich das Schlimmste von ihr denken!"
„Ich kenne eine sehr nette Hexe", bemerkte Ylvigur gelassen. Er schien noch etwas sagen zu wollen, richtete sich jedoch ruckartig auf und legte den Finger auf die Lippen, als Piroska ihn fragend ansah. Hastig stand er auf und wollte in die Ecke hinter der Tür treten, als diese bereits aufging.
Im Rahmen stand die Frau Großmutter, die schwere Bratpfanne in der Hand und musterte Piroska misstrauisch. „Ich dachte doch, ich habe etwas gehört", begann sie, erblickte Ylvigur und rief entsetzt: „Du hast einen jungen Mann im Zimmer? Eine solche Schamlosigkeit habe ich noch nie erlebt!"
„Nein, nein, er ist nur ein Freund", versicherte ihr Piroska eilig und überlegte, wie sie Ylvigurs Anwesenheit erklären sollte. „Er machte sich Sorgen um mich und wollte sich vergewissern, dass es mir gut geht."
„Ach so? Ich weiß zwar nicht, was dir hier zustoßen sollte, aber es ist nett, dass er sich sorgt", die Frau Großmutter versuchte sogar ein Lächeln, während sie näher trat und den Waldbewohner in Augenschein nahm. „Scheint ein anständiger junger Mann zu sein. Aber nachts im Zimmer eines Mädchens zu sein, das geht wirklich nicht!"
„Ich gehe gleich", versprach Ylvigur ihr, trat zur Tür und wandte sich noch einmal Piroska zu. Aber sie erfuhr nie, was er ihr hatte sagen wollen, denn in diesem Moment hob die Frau Großmutter die Pfanne und schmetterte sie ihm mit voller Wucht auf den Hinterkopf.
Der Schlag reichte nicht aus, um den kraftvollen jungen Mann auf der Stelle zu betäuben. Aber Ylvigur schwankte, drehte sich benommen und viel zu langsam zu der Frau um und bekam diesmal die Pfanne direkt ins Gesicht gepfeffert. Er fiel rückwärts, knallte mit dem Hinterkopf an den Türrahmen und brach endgültig zusammen.
Piroska schrie auf und kniete sich neben ihn. Ylvigur war bewusstlos und blutete aus der Nase sowie aus einer Platzwunde am Hinterkopf. Besorgt sah das Mädchen zur Frau Großmutter auf. „Er war doch keine Gefahr", sagte sie leise. „Ihr hättet das nicht tun müssen."
„Ich entscheide, was zu tun ist", erklärte die Frau Großmutter kalt. „Dieser Wilko ist eine größere Gefahr für mich als du dir je ausmalen kannst." Sie musterte Piroska verächtlich. „So. Und nun zu dir!"
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