Schwarzer Schwan
Die Wasseroberfläche glitzert im fahlen Mondlicht und funkelt wie die kleinen Tränen der Feenkinder, die um ihre unerfüllten Träume weinen. Die ölige schwarze Farbe des Meeres und die längst vergessenen Träume unzähliger Seelen tanzen gemeinsam im dunklen Wasser ihr ewiges Duett. Solange, bis auch die letzten Wellen den Strand erreichen und als Sandkörner wiedergeboren werden.
Ich befinde mich auf der Insel und sitze am Strand, nahe dem Wasser. Langsam grabe ich meine Füße in den warmen Sand, während der Mond sein Licht auf mich fallen lässt und meine schneeweiße Haut streichelt. Ich frage mich, wielange ich schon hier bin und ob ich jemals wirklich weg gewesen war. Ein Lächeln legt sich auf meine Lippen und ich lausche den Wellen, bemerke, dass sich das Lied des Meeres verändert. Jedes mal, wenn die Wellen den Strand erreichen, vernehme ich das Ticken eines Weckers in meinem Geiste, doch das Ticken wird nun leiser und langsamer, bis es schließlich kaum mehr zu hören ist. Tik--tak, Tik---tak, Stille. Und doch spielen die Wellen weiterhin ihr geräuschloses Lied. Was fehlt ihnen, warum sind sie plötzlich so still geworden?
Die feinen Härchen auf meiner Haut richten sich auf und instinktiv blicke ich hinaus aufs offenen Meer. Ich weiß, dass du ganz in der Nähe bist, ich kann dich spüren, nehme dich wahr. Du bist dort draußen, schleichst neugierig um die Insel herum, ohne dich ihr weiter zu nähern. Noch während ich an dich denke, beginnt die Zeit rückwärts zu schlagen, sie fühlt sich anders an, als zuvor. Langsam überbrückt sie die Distanz zwischen uns, bringt uns näher zusammen, bis nichts mehr zwischen uns steht. Bis zu dem Punkt, an dem wir uns begegnen. Wir können uns nicht verfehlen.
Tak-Tik, Tak-Tik. Tak-tik. Und ich muss an Peter Pan und das hungrige Krokodil denken, das lauernd im tiefen Wasser wartet um jene zu verschlingen, die das Lied der Angst vernehmen. Tak-tik, tak-tik. Ich sehe dich langsam aus dem Wasser steigen, du erhebst dich aus dem öligen schwarzen Wasser wie ein Phönix aus der Asche, dessen inneres Feuer so hell brennt, dass ich mich von dir abwenden müsste, um nicht selbst in Flammen aufzugehen. Und doch blicke ich zu dir, schwarzer Schwan! Tak-tik.
Schüttel sie ab, die ölige Farbe, die deine Federn verklebt und dich auf der Stelle festhalten will! Breite deine dunklen Schwingen aus, sodass ich alles von dir sehen kann. Wunderschöner Höllenvogel, dessen Schwingen so schwarz wie die Nacht und feuerrot wie das Blut derer, das du bereits vergossen hast. Ich kann mich nich sattsehen an dir, ich bin hungrig, so hungrig. Komm her zu mir, nähere dich der Insel. Ich möchte dich malen, wenn du es zulässt. Der Wahnsinn tobt in deinen Augen und ich tanze mit dir auf den dünnen Spinnenfäden, den seidenen Fäden, die über allen Dingen liegen. Deine Federn sind spitz und ich muss aufpassen, dass ich mich nicht an ihnen schneide. Willst du, dass ich das Netz mit meinem Blut rot färbe? Glitzerndes, funkelndes Rot? Ich trete auf deine rasiermesserscharfen Federn, schwarzer Schwan, und mir gefällt was ich fühle, wenn du die hauchdünne Oberfläche durchtrennst und mich küsst. Kannst du mich schmecken? Kannst du spüren was uns verbindet? Zeige mir deinen scharfen Schnabel, zeige mir deine Zähne, mit denen du die Knochen der lebenden Toten zermalmst. Zeige mir deine Albträume, die wie wunderschöne, bunte Schmetterlinge durch die kalten Lande flattern, um die trostlose Umgebung zum strahlen zu bringen.
Ich nehme den Pinsel und tauche ihn in den feinen Sand, meine Augen sind dabei auf dich gerichtet. Du öffnest deine gewaltigen Schwingen für mich, sodass ich dich malen kann in deiner ganzen Pracht.
Die feinen Sandspinnenfäden verbinden die Borsten des Pinsels miteinander und das elektrisierende Knistern der Magie erfüllt meine nähere Umgebung. Die Magie erfüllt auch mich, packt mich wie ein Dämon und ich male mit seinen Klauen. Rasch zeichne ich das Spinnennetz in die Luft, auf dem ich dich malen möchte. Ich fülle die Zwischenräume des Netzes mit weißer Farbe aus und tauche den Pinsel in die Stelle, an der du mich geküsst hast. Sie blutet. Du weißt, ich liebe dunkelrot! Der Pinsel fliegt nun über das Netz und ich denke nicht darüber nach was ich tue, sehe durch das Bild hindurch zu dir, während ich dich immer schneller male. Ich spüre was ich auf dem Netz festhalte, fühle deine einzigartigen Züge auf dem hauchdünnen Spinnennetz. Deine schwarzen Augen fesseln mich am meisten und ich versinke in ihnen, falle in die Tiefe.
Du bist lebendig, so lebendig! Ich sehe soviel von dir. Unendlich viele Farben, sich windende bunte Schlangen, neonblaue Lichtblitze, zucken, blenden, zucken, blenden. Flinkes, blitzschnelles Chamäleon, aufgehender Blumenstrauß, dessen Blätter aus bunten Dämmerfedern bestehen. Schwarzes Blitzlichtgewitter, mottenzerfressene Schattenschlangen, schwarz, schwarze augenlose Dämonen. Wunderschöne Sternschnuppen die in den Brunnen fallen und erst dort ihr Leuchten finden. Der Brunnen ist zu tief, ich kann die Tiefe nicht festhalten auf dem Netz, ich muss es mit dem Pinsel durchstechen!
Möchtest du mit meinen Augen sehen? Ich zeige dir das Bild, bevor ich verbrenne. Komm nur her, beeil dich, bevor ich in Flammen stehe! Tak-tik.
Ich träume oft von dir, schwarzer Schwan.
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