Kapitel 4 - Brunch

Am nächsten Morgen wurde Magnus durch ein Schnauben und einem anschließenden Stupser gegen die Schulter geweckt.

Träge öffnete er die Augen und sah in Cats längliches Pferdegesicht, das ihn besorgt zu mustern schien. Sie lag noch neben ihm im Stroh, aber als sie sich sicher war, dass er langsam wach wurde, schnaubte sie erneut und stand schwerfällig auf.

Magnus blinzelte, denn durch mehrere kleine Fenster in den Wänden fiel Sonnenlicht herein und blendete ihn. Nochmals wurde er angestubst, bevor er taumelnd aufstand und sich streckte. Es knackte mehrere Male in seinem Rücken, was zeigte, dass er vielleicht doch nicht auf dem Stroh hätte schlafen sollen. Zwar fühlte er sich hier wohl und Cat spendete genug Körperwärme, um ihn nicht erfrieren zu lassen, aber dennoch war es mehr als ungemütlich.

Magnus fragte sich, wie spät es denn war, bis ihm auf einmal eiskalt wurde.
Der Brunch!

Seine Stiefmutter hatte heute einen alten Freund eingeladen, mit dem sie frühstücken wollte. Die Geschwister waren auch dabei. Noch Gestern Nachmittag hatte Magnus die Bröttchen dafür vorbereitet. Er war spät dran. Zu spät.

Er murmelte einen kurzen Abschied zu Cat, bevor er schon aus der Scheune stürmte. Seine Stiefmutter würde ihn für seine Verspätung bestimmt umbringen, denn es gab nichts, das sie mehr hasste als Unpünktlichkeit.

Dabei hatte er sich fest vorgenommen, nach dem gestrigen Vorfall ersteinmal nicht mehr negativ aufzufallen. Oder eher, nicht noch negativer.

Nicht zum ersten Mal glaubte Magnus nämlich, dass ihn sowohl seine Stiefgeschwister als auch Lilith schlichtweg verabscheuten und nur zu gerne auf die Straße werfen wollten.

Das machte ihn traurig, aber er erwiederte ihren Hass nicht. Er konnte es einfach nicht, denn für ihn gab es so etwas wie Hass nicht. Fur ihn wäre es falsch, das für andere zu empfinden also ließ er es sein.

In Windeseile setzte er Tee auf und platzierte die Bröttchen und verschiedene Aufstriche auf einem Tablett. Er versuchte, so schnell wie möglich, alles so schön wie möglich herzurichten. Als der Tee endlich fertig zu sein schien, stellte er die Teekanne und vier Tassen auch noch auf das volle Tablett, zog schnell noch den Mantel aus, bevor er mit dem Tablett nach oben eilte.

Wie er bereits befürchtet hatte, saßen bereits alle am Tisch. Camille und Sebastian schienen sich zu langweilen, während Lilith mit ihrem Gast, der sich als Mr Aldertree herausstellte, redete.

Als er ins Speisezimmer gehetzt kam, lagen alle Blicke auf ihm und er wurde nicht gerade freundlich angestarrt. Sofort straffte er die Schultern und richtete sich auf.

~Die Verspätung tut mir leid. Ich hoffe, ihr habt noch nicht allzu lang warten müssen.~, entschuldigte er sich, bevor er mit dem Servieren begann.

Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Sebastian seine Worte wohl kommentieren wollte, doch auf Liliths strengen Blick hin, schwieg er.
Dafür jedoch sagte Mr Aldertree~Diese Verspätung ist unverzeihlich! Ich habe Besseres zu tun, als hier rumzusitzen und zu warten!~

Magnus nickte nur, denn was sollte er schon dazu sagen? Man würde eine weitere Entschuldigung nicht hören wollen und mit der Erklärung würde er auch nur auf wenig Wohlwollen treffen.

Sein Schweigen schien Mr Aldertree jedoch noch mehr zu reizen, denn er fügte schnippisch hinzu~Wie siehst du überhaupt aus? Schläft Euer Bediensteter etwa in einem Misthaufen, Lilith?~

Nun schluckte er verletzt. Es war tatsächlich nicht das erste Mal, das Besucher ihn für einen Bediensteten hielten.

Er sah schließlich mit seinen schlichten und nicht selten geflickten Kleidern und den nicht immer sauberen Gesicht wirklich so aus. Oft fühlte er sich auch eher wie ein Bediensteter, aber er war nunmal keiner. Er war immer noch ein Teil dieser Familie, auch wenn drei da anderer Meinung zu sein schienen.

~Ihr habt Recht, Mr Aldertree, sein Verhalten ist wirklich unverzeihlich~, stimmte Lilith zu, bevor sie sich an Magnus wandte,~Ich dachte wirklich, dass du aus unserem Gespräch Gestern etwas gelernt hast, aber da habe ich mich wohl geirrt, denn jetzt stehst du hier in inakzeptablen Zustand und dazu noch zu spät. Du weißt, dass so etwas nicht geht und da Worte allein nicht auszureichen scheinen ... Zeig sie.~

Magnus lief es kalt den Rücken herunter.
~Bitte nicht. Das kommt auch nicht wieder vor ...~
~Jetzt mach schon!~

Magnus schluckte und zupfte dann an seinen Handschuhen herum.
Er wollte das nicht, immerhin war er die verletztenden Reaktionen gewöhnt. Er schämte sich auch dafür, aber da er so schnell wie möglich von hier wegwollte, musste er wohl jetzt da durch.

Also zog er die Handschuhe aus und hob die Hände. Aldertree schnappte erschrocken nach Luft und Sebastian gab ein würgendes Geräusch von sich.
Magnus hingegen sah zu Boden, denn er kannte das Szenario bereits.

Seine Hände sahen einfach schrecklich entstellt aus. Seine Handflächen waren schwielig und von einer rauen Hornaut überzogen. Überall prangten rote und weiße Narben im krackeligen Zickzackmuster und auf seinen Fingerknöcheln wölbten sich große Narbenwulste, die sie so aussehen ließen, als seien sie übel geschwollen.

Kurzum sie sahen einfach schrecklich aus und zeigten noch dazu sehr genau, wo ihn viele Menschen sahen.

Er wusste gar nicht mehr, woher all die Narben kamen. Es war alles nach und nach passiert.

~Was ist das denn?!~
~Das sind die Hände eines unverschämten Bediensteten mit zweifelhafter Herkunft.~

Jedes Wort war ein kleiner Stich, der in Magnus den Instinkt weckte, zu fliehen. Er wusste doch, dass seine Hände ekelhaft waren. Warum musste seiner Stiefmutter das immer wieder erwähnen?

Wenigstens wusste er, dass ihm nichts geschah, solange Mr Aldertree hier war. Wäre ihm sein Fehler geschehen, wenn niemand zu Besuch war, hätte das meist viel schmerzvollere Folgen für ihn.

Man konnte sich nun fragen, warum sich Magnus all diese Demütigungen antat. Die Antwort darauf war ganz einfach: Es lag am Haus. Er konnte nicht für immer weg, da das hier sein zu Hause war. Seine Eltern hatten sich dieses Heim aufgebaut und es geliebt. Magnus sah es als seine Pflicht, es jetzt für sie zu lieben.

Außerdem hatte er sein ganzes bisheriges Leben hier verbracht. Wo sollte er denn hin?

Dennoch verletzte ihn die Anspielung auf seine Mutter, denn sie stammte aus einem Königreich sehr weit südlich von hier. Dort war es normal, dass die Menschen eine dunklere Hautfarbe hatten.

Sie war aus Liebe zu seinem Vater hierher gezogen, wo alle nur sehr helle Haut besaßen. Magnus war es immer egal gewesen, dass seine Haut einen warmen Karamellton gehabt hatte, nur schien das seine Stiefmutter anders zu sehen.

~Ich verstehe. Warum behälst du ihn noch hier? Wirf ihn einfach auf die Straße!~
~Ich habe einfach ein zu großes Herz~, antwortet sie mit einem winzigen Lächeln, bevor sie sich wieder an ihn wandte,~Du kannst jetzt gehen.~

Das war sein Stichwort und so floh er förmlich in den Keller, durch die Tür und Richtung Scheune.

Währenddessen zog er hastig wieder die Handschuhe über, denn mit ihnen fühlte er sich einfach wohler. Nicht so entblößt.

In der Scheune angekommen, führte er hastig Cat aus ihrer Box und kletterte auf ihren Rücken. Er hatte bereits Übung darin, ohne Sattel aufzusteigen und zu reiten.

Cat schien sofort zu wissen, was in ihm vorging, denn sie lief ohne eine vorgegebene Richtung los und schlug den Weg in den Wald ein. Magnus wollte einfach nur so weit wie möglich weg von allem.

Er wollte weg von denjenigen, die ihn als minderwertig ansahen oder sogar als Abschaum. Es wurde wohl wieder Zeit, seinen zweiten Rückzugsort aufzusuchen.

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