Kapitel 34 - Wut im Bauch
Alexanders Sicht
Einst war diese Hütte bestimmt eine Schönheit gewesen mit ihren bunten Wänden und den zusammengewürfelten, aber geschmackvollen Möbeln. Sie war bestimmt auch sehr gemütlich gewesen, aber heute gab es nur noch Hinweise auf diese einstige Oase.
Heute war das Innere der Hütte heruntergekommen, die Farbe der Wände verblasst und auch den Möbeln sah man ihr Alter an. Auf den Arbeitsflächen einer minimalistischen Küche hatte sich eine dicke Schicht Staub abgelagert, der im Sonnenlicht auch deutlich in der Luft zu sehen war, fein und golden, wie Feenstaub. Es stank zwar nicht direkt, aber es war ziemlich klar, dass die Luft hier schon länger stand, denn es müffelte etwas.
Erst ein Husten riss ihn aus seiner Besichtigungstour und sein Blick zuckte zu dem kleinen Bett, das an der Wand stand. Sein Herz schien stehen zu bleiben und plötzlich wurde ihm eiskalt.
Er schien sich wie in Zeitlupe zu bewegen, denn seine Glieder waren auf einmal so steif und es war als würde er durch meterhohen, halb festgefrorenen Schlamm laufen. Als er nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wirklichkeit wohl nur ein paar Sekunden war, wurde aus seiner Vermutung traurige Gewissheit.
Seine Cinderella.
Dort lag er und Alec brauchte kein Arzt zu sein, um zu sehen, in welch schlechtem Zustand er war.
Sein schöner Fremder lag zitternd unter einer von Motten durchlöcherten Decke.
Die karamellfarbene Haut wirkte blass, die schönen Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren vor Qual fest zusammengekniffen. Auf der Stirn glänzten Schweisperlen und auch das rabenschwarze Haar war schweisnass.
Sein schöner Fremder wirkte zudem schrecklich mager.
Bei ihren bisherigen Begegnungen war er zwar auch sehr schlank gewesen, aber das war kein Vergleich hierzu.
Es schien so, als ob er schon eine ganze Weile hier lag und vor sich hin rottete.
Alec zog es das Herz zusammen bei diesem Anblick. Er hatte seine Cinderella so lange gesucht und obwohl er sie jetzt gefunden hatte, fühlte er sich keinen Deut besser als zuvor. Viel eher machte er sich selbst Vorwürfe, nicht schneller gewesen zu sein.
Warum war er nicht gleich auf die Idee gekommen in dieser Region von Idris mit der Suche zu beginnen? Immerhin hatte er den schönen Fremden hier das erste Mal gesehen.
Warum war er nicht schneller hier gewesen, dann hätte er ihn sehr wahrscheinlich eher gefunden und retten können...
Stopp! Er konnte ihn noch retten. Er musste jetzt nur schnell handeln.
Sie konnten nicht hierbleiben, denn Alec konnte dem Fremden nicht helfen. Er hatte keine Ahnung von Krankheiten und Medizin. Am besten nahm er ihn mit zum Palast. Der Hofarzt dort war einer der besten und er würde dem schönen Fremden bestimmt helfen können.
Aber ersteinmal musste er ihn hier raus schaffen. So behutsam wie möglich richtete er die mageren Knie des Fremden auf und schlüpfte mit einem Arm hindurch. Den anderen schob er unter den kantigen Schulterblättern hindurch, bevor er ihn mit einem Ruck hochhob und an seine Brust drückte. Er war erschreckend leicht, beinahe nur noch Haut und Knochen.
Wieder schrie sein Herz auf vor Schmerz, denn er hasste es, seine Cinderella so schwach, so zerbrechlich zu sehen. Es zerris ihm das Herz.
Das Leichtgewicht in seinen Armen bewegte sich träge, bevor sich eine viel zu heiße Stirn in seine Halsbeuge drückte.
~Alex-Alexander?~, fragte ihn eine kratzige Stimme, gefolgt von einem Husten, das seinen ganzen Körper zu erschüttern schien.
Alec drückte ihn automatisch enger an sich.
~Ich bin hier. Alles wird gut.~, redete er, während er versuchte, seiner Stimme einen so beruhigenden Klang zu verleihen, dass sie die Sorge überlagerte.
~Du bist heiß.~, fügte er hinzu als er ans Tageslicht trat und der Fremde seinen Kopf dichter in Alecs Halsbeuge drückte.
Verständlich, wenn man das diffuse Licht im Inneren der Hütte bedachte und das mit der strahlenden Sonne draußen verglich.
Der Fremde schien zu lachen, auch wenn es in Alecs Ohren eher wie ein Röcheln klang.
~Sag mir etwas, das ich noch nicht weiß.~
~Nein, du hast Fieber.~, widersprach er, obwohl ihm die vorherige Aussage zumindest ein kleines Lächeln entlockte.
~Kann sein.~
~Ich bringe dich an einen sicheren Ort, an dem man dir helfen wird.~, versprach Alec, während er den Fremden vorsichtig in den Sattel seines Hengst lupfte.
Er löste die Zügel und stieg ebenfalls auf, bevor der schöne Fremde zur Seite sacken konnte. Behutsam griff er um ihn herum nach den Zügeln, sodass seine Cinderella mehr oder minder bequem gegen seine Brust lehnte.
~Bleibst du bei mir?~, fragte er und schien wieder in den Schlaf wegzudriften.
Dennoch nickte Alec entschlossen~Ich werde dich nie wieder allein lassen.~
Dann spürte er flache, aber regelmäßige Atemzüge, die verrieten, dass seine Cinderella eingeschlafen war.
Alec wollte gerade losreiten, als die, nicht nehr ganz so fremde, Stute zu ihm herantrat. Er wusste nicht genau, woran es lag, aber sie wirkte ziemlich entschlossen und war wohl nicht gewillt, ihrem Reiter von der Seite zu weichen. Über diese Loyalität konnte Alec nicht anders als zu schmuzeln.
~Du willst wohl mit, oder?~
Sie warf einmal den Kopf hoch, um zu nicken, als ob sie ihn wirklich verstehen würde.
Alec zuckte darauf nur die Schultern.
~Dann komm mit.~
Langsam setzte er sich sein Pferd in Bewegung, denn er wollte nicht, dass seinem schönen Fremden etwas geschah, wenn er gerade dabei war, ihm zu helfen.
Während er zurück zu dem dunklen Haus ritt, versank er wieder in seinen Gedanken, die es nicht müde wurden, ihn heimzusuchen.
Mit Wut im Bauch fragte Alec sich, wer seinem schönen Fremden das angetan hatte.
Wer hatte ihn in diese schrecklich kleine Hütte gesperrt und was hatte dieser jemand vorgehabt? Wollte er ihn dort drin etwa sterben lassen?
Bei diesem Gedanken drehte Alec sich der Magen um. Aber was sollte es sonst für einen Grund geben, jemanden in eine heruntergekommene Hütte zu schließen, in der ihn niemand gefunden hätte?
Und dann auch noch zu der Zeit, in der es in der Nacht noch bitterkalt wurde. Er hätte innerhalb dieser unbarmherzigen Wände auch erfrieren können und hatte mit dem Fieber noch vergleichsweise Glück gehabt.
Nur warum hatte man ausgerechnet seine Cinderella dort zurückgelassen? Was hatte dieser wunderbare Mensch einem denn getan? Wer konnte so grausam sein?
Alec wusste es nicht und wenn er ehrlich war, war das im Moment unwichtig. Wichtig war nur, dass er seinen schönen Fremden gefunden hatte und sich jetzt um ihn kümmern musste.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top