Epilog: Am Weihnachtsabend
Als Caro am Morgen des 24. Dezembers die Haustür öffnet, um frische Luft zu schnappen, fällt ein Brief zu Boden, der im Tüspalt steckte. "Wer bringt denn am 24. Dezember die Post?", murmelt sie und zieht die Augenbrauen hoch. Merkwürdigerweise ist auch kein Absender angegeben, doch der schneeweiße Umschlag ist mit einem Wachssiegel verschlossen, auf dem eine Nikolausmütze zu sehen ist. Caro möchte das Siegel schon aufbrechen, als ihr eine Notiz darunter auffällt: Zu öffnen am Weihnachtsabend im Kreise aller Freunde unter dem geschmückten Baum am Marktplatz.
Aha. Anscheinend macht es dem anonymen Briefeschreiber Spaß, sie hinzuhalten. Hoffentlich winkt am Abend eine tolle Überraschung, die sie alle für ihre Mühen entschädigt. Schließlich wurde Juli während seines Ausflugs in den Zoo von einer wild gewordenen Tierpflegerin verfolgt, Sarina auf ihrem Weg zum Superstar von Jessie gemobbt und Olly im Altenheim von den Senioren und Seniorinnen als lebendiger Teddybär geknuddelt. Und sie selbst hat vom begeisterten Gekreische ihrer Geschwister während des Plätzchenbackens bestimmt einen Gehörschaden erlitten.
Eine kurze Nachricht in der WhatsApp-Freundesgruppe bestätigt, dass auch Juli, Sarina und Olly Briefe erhalten haben. Sie beschließen, sich um 18 Uhr am Weihnachtsbaum auf dem Marktplatz zu treffen. Caro wird ihrer Familie sagen, dass sie nur schnell Geschenke mit ihren Freunden austauscht, sonst gehen ihre Geschwister auf die Barrikaden, wenn sie sich am Weihnachtsabend davonschleicht.
*
"Und Leute, seid ihr aufgeregt?", ruft Olly und springt von einem Fuß auf den anderen. "Jetzt erfahren wir endlich, was der Unbekannte uns schenken möchte! Seht ihr unter dem Weihnachtsbaum ein Paket? Ich nicht, aber vielleicht kommt der Briefeschreiber ja noch selbst vorbei und gibt es uns?"
Sarina nickt. "Unter dem Baum liegt wirklich nichts!", bestätigt sie und hebt sicherheitshalber die dicken Zweige in Bodennähe an, um nichts zu übersehen. "Allerdings hat es in den letzten paar Stunden geschneit, vielleicht wollte der Briefeschreiber nicht, dass das Geschenk nass wird?"
Juli sieht sich um. "Stimmt. Schaut nur, wie wunderschön der alte Marktplatz mit den Fachwerkhäusern aussieht. Schneebedeckte Dächer, ein Weihnachtsbaum mit goldenen Kugeln und rotem Lametta, überall funkelnde Lichter... Genau so würde ein Gemälde des perfekten Weihnachtsabends aussehen."
Caro atmet die frische, kühle Luft tief ein und dreht sich im Kreis, um die Bilderbuchatmosphäre auf sich wirken zu lassen. Juli hat recht. Genau so sollte der perfekte Weihnachtsabend sein. Trotzdem hätten die Freunde nach ihren Mühen gegen eine Belohnung nichts einzuwenden.
"Der Briefeschreiber oder die Briefeschreiberin kommen nicht mehr!", nörgelt Olly schließlich, denn Geduld war noch nie seine Stärke. "Er oder sie wusste ja auch nicht, wann genau wir hier auftauchen. Wenn das Geschenk nicht unter dem Baum liegt, steckt es in den Briefumschlägen. Vielleicht sind es QR-Codes für einen Nachmittag im Wellnessbad? Oder für den Escape-Room?"
"Du hast recht, machen wir die Umschläge auf!", stimmt Sarina ihm zu und kratzt mit den Fingernägeln am Siegel. "Auf drei. Eins, zwei..."
Ratschen ertönt, als die Freunde die Siegel brechen und die Briefe aus den Umschlägen ziehen. "Kein QR-Code!", murmelt Olly, bevor Caro ihn stoppt.
"Lesen wir die Briefe der Reihe nach vor, okay?", schlägt sie vor. "Fang du an, Olly! Schließlich warst du der Erste, der die Herausforderung des Briefeschreibers angenommen hat!"
"Meinetwegen", grummelt Olly, der bereits die Schultern hängen lässt. "Lieber Olly, herzlichen Glückwunsch, dass du über deinen Schatten gesprungen bist, um anderen zur Weihnachtszeit eine Freude zu bereiten. Du wartest bestimmt schon sehnsüchtig auf deine Belohnung und es überrascht dich vermutlich zu hören, dass du sie bereits erhalten hast. Sie steckte im Lachen der alten Menschen, ihrem warmen Händedruck und der Wärme, die durch deinen Körper strömte, als du all das Glück und die Ausgelassenheit erleben durftest. Im ersten Moment magst du enttäuscht sein, dass die Belohnung anders ist, als du erwartet hast, aber bald wirst du es verstehen. Leider kann ich euch heute Abend nicht persönlich besuchen, da ich sehr beschäftigt bin, aber ich versichere dir, dass du dabei geholfen hast, Weihnachten seinen wahren Sinn zurückzugeben. Liebe Grüße vom Nordpol, dein S.C."
Juli lacht schallend los. "S.C. wie Santa Claus? Da hat uns jemand veralbert. Und es gibt keine Belohnung, aber das Lächeln der alten Menschen hat dein Herz erwärmt, nicht wahr, Olly?"
Caro bleibt ernst. "Aber S.C. hat recht, oder nicht? Zeit mit meinen Geschwistern zu verbringen hat sie viel glücklicher gemacht, als ein materielles Geschenk es könnte. Und ein Besuch im Spaßbad geht schnell vorbei, die Freude, die wir anderen gebracht haben, bleibt in ihrer Erinnerung noch lange bestehen."
"Ich stimme zu!", verkündet Sarina, während sie ihren Brief überfliegt. "In meinem steht, dass ich anderen jungen Leuten gezeigt habe, dass es sich lohnt, für ihre Träume zu kämpfen, auch wenn es einem Angst macht. Und mal ehrlich: Wir hatten alle riesigen Spaß, während wir die Herausforderungen gemeistert haben! Wir werden uns an diese Adeventszeit noch lange erinnern, sie ist dank des Briefeschreibers besonders geworden. Was will man mehr?"
"Na gut, überzeugt!", gibt Olly nach und grinst. Statt enttäuscht wirkt er inzwischen amüsiert. "Eine Frage bleibt allerdings: Hat sich jemand als Santa Claus ausgegeben, damit wir in der Vorweihnachtszeit alten Leuten, Tieren, Kindern und quengelnden Teenies eine Freude machen oder hat uns der echte Santa Claus geschrieben?"
Sarina zeigt in den sternenbedeckten Himmel. "Das weiß wohl nur S.C. selbst. Aber seht mal, blinken die Sterne dort oben nicht, als bewege sich ein beleuchteter Rentierschlitten auf unsere Stadt zu? An Weihnachten gibt es doch noch Wunder."
Und damit umarmen sich die Freunde und sehen gemeinsam in den Sternenhimmel, um den Weg des Weihnachtsmannes um die Erde zu verfolgen.
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