Der Anruf

Die Nacht war still, zu still. Lucy lag in ihrem Bett und starrte an die Decke, während die Gedanken in ihrem Kopf wie ein Sturm tobten. Der Fund der Kiste, die seltsamen Initialen, die unbehagliche Art, wie ihre Mutter sie angesehen hatte – alles fühlte sich wie ein Puzzle an, das Lucy kaum zu begreifen wagt. 

Lucy wusste, dass sie alleine nicht weiterkommen würde. Wenn die Menschen, denen sie vertraut hatte, ein Geheimnis dieser Größenordnung vor ihr verbargen, musste sie jemanden finden, der unabhängig war. Jemanden, der nicht Teil ihrer Welt war. 

Also griff sie zu ihrem Handy und suchte nach der Nummer von Elias. Er war ein alter Schulfreund, jemand, der immer ein Händchen für Rätsel und seltsame Geschichten gehabt hatte. Ihr hattet euch in letzter Zeit aus den Augen verloren, aber er war immer loyal gewesen – und vor allem: er stellte die richtigen Fragen. 

Das Freizeichen schallte leise durch den Raum, bis eine verschlafene Stimme sich meldete: „Hallo? Wer …?“ 

„Elias, ich bin’s.“ 

„Lucy? Es ist mitten in der Nacht … was ist los?“ 

Sie zögert, aber nur einen Moment. „Ich brauche deine Hilfe. Es ist … etwas Komisches passiert. Und ich glaube, ich kann niemandem sonst davon erzählen.“ 

Das Rascheln von Bettzeug war zu hören, dann sein ernster Ton. „Okay, ich bin wach. Was ist los?“ 

Lucy schilderte ihm alles – die Kiste, die Ausschnitte, die Initialen. Während sie sprach, wurde ihr erst richtig bewusst, wie absurd die ganze Geschichte klang. Doch Elias hörte ihr zu, ohne zu unterbrechen, und am Ende war er ruhig. 

„Das ist … seltsam“, sagte er schließlich. „E.H., sagst du? Und ‚Fall 37-B‘?“ 

„Ja. Hast du irgendeine Idee, was das bedeuten könnte?“ 

„Vielleicht“, murmelte er, und Lucy hörte das Klicken einer Computertastatur. „Ich kann ein paar Datenbanken durchforsten. Wenn das wirklich ein ‚Fall‘ ist, könnte es irgendwo registriert sein. Aber …“ Er machte eine Pause, und seine Stimme wurde leiser. „Hast du schon daran gedacht, dass das vielleicht nicht nur ein Geheimnis deiner Eltern ist? Sondern auch deins?“ 

Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. „Was meinst du?“ 

„Was, wenn du nicht bist, wer du glaubst zu sein?“ 

Die Worte hingen schwer in der Luft, und bevor Lucy antworten konnte, hörte sie plötzlich ein Geräusch – ein Knarren vor ihrer Zimmertür. Sie hielt die Luft an. 

„Elias, ich muss auflegen“, flüstert sie hastig und drückst das Gespräch weg. Die Stille kehrte zurück. Doch Lucy war sich sicher: Jemand hatte gelauscht. 

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