Das verschlossene Zimmer

 

Am nächsten Morgen war die Atmosphäre im Haus seltsam angespannt. Ihre Eltern verhielten sich normal – zu normal. Ihre Mutter summte leise, als sie das Frühstück zubereitete, und ihr Vater las die Zeitung, doch Lucy spürte, dass sie sie genau beobachteten. 

Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, so zu tun, als wäre alles wie immer. Aber ihr Blick wanderte immer wieder zum Flur, dorthin, wo das Arbeitszimmer ihrer Eltern lag. Es war das einzige Zimmer im Haus, das fast immer abgeschlossen war. Luce hatte es nie hinterfragt – warum auch? Aber jetzt warst sie sich sicher: Wenn es Antworten gab, dann dort. 

Als ihre Eltern schließlich aus dem Haus gingen, angeblich für einen Einkauf, war ihre Chance gekommen. Lucy wartete ein paar Minuten, bis das Geräusch des Autos verklang, dann schlich sie zum Arbeitszimmer. Der Schlüssel steckte natürlich nicht. Lucy testete die Tür trotzdem, aber sie war wie erwartet verschlossen. 

Frustriert ließ sie ihren Blick durch den Flur schweifen, bis ihr Blick auf eine kleine Schublade in der Kommode fiel. Eine vage Erinnerung blitzte auf – ihr Vater hatte dort einmal einen Ersatzschlüssel versteckt. Mit klopfendem Herzen zog Lucy die Schublade auf, und tatsächlich: ein kleiner, altmodischer Schlüssel lag dort. 

Mit einem schnellen Blick über die Schulter – obwohl sie allein im Haus war – ging Lucy zurück zur Tür. Der Schlüssel passte. Ein leises Klicken, und die Tür öffnete sich. 

Das Arbeitszimmer war klein und unscheinbar, aber ordentlich. Ein massiver Schreibtisch stand an der Wand, daneben ein Bücherregal voller alter Aktenordner und ein unscheinbarer Aktenschrank. Sie durchsuchte den Schreibtisch, aber alles, was Lucy fand, waren belanglose Papiere. Doch als sie den Aktenschrank öffnete, wurde ihr Herz schwer. 

Ordner um Ordner, sorgfältig beschriftet, lagen darin – alle mit kryptischen Bezeichnungen wie „Projekt Spiegel“, „Identitätscode Alpha“, oder … „Fall 37-B“. 

Sie zog den Ordner heraus und öffnete ihn vorsichtig. Innen lagen Fotos, Berichte und Protokolle. Das erste Bild ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren: Es war von ihr, als Kind. Darunter stand: „Subjekt 37-B: Zustand stabil.“ 

Die Dokumente waren voller medizinischer Fachbegriffe und Nummern, die sie kaum verstehen konnte. Doch immer wieder tauchten die gleichen Wörter auf: „Ersetzt“, „Versuch“, „Anpassung erfolgreich“. 

Ein dumpfes Geräusch ließ Lucy aufschrecken. Schritte im Flur. Sie waren zurück. 

Sie riss den Ordner an sich, schloss den Aktenschrank und schob die Tür des Arbeitszimmers gerade noch rechtzeitig zu, als das Geräusch des Schlüssels im Schloss ertönte. Mit pochendem Herzen stand sie da, den Ordner hinter ihrem Rücken versteckt, als die Tür aufging. 

„Was machst du hier?“ Ihre Mutter starrte sie an, ihre Augen eine Mischung aus Sorge und Misstrauen. 

„Ich … hab nur ein Buch gesucht“, murmelte Lucy, und hoffte, dass ihre Stimme nicht zitterte. 

„Im Flur?“ fragte ihre Mutter, aber sie ließ es dabei. Noch. 

Während Lucy an ihr vorbeiging, war ihr klar: Die Wahrheit, was auch immer sie war, würde sie nicht mehr loslassen.

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