Zu Besuch
Jetzt war er da, der Tag X, vor dem ich so viel Angst hatte. Heute sollten wir seine Eltern kennen lernen, wir, ja wir...Amelie und ich. Man hatte uns zu Mittag eingeladen und so mussten wir wenigsten eine Viertelstunde vor Termin bei seinen Eltern aufkreuzen.
Anziehen konnte ich mich auch nicht so lässig. Ich trug ein Kostüm, in dem ich eigentlich etwas bieder wirkte. Doch ihm schien es zu gefallen. Mein Haar hatte ich streng nach hinten gekämmt und dann zu einem Zopf gebunden, der dann einfach zu einem Dutt am Oberkopf mit Haarnadeln zusammengesteckt, sein jähes Ende fand.
Irgendwie sah ich aus wie eine Hausfrau aus den frühen Fünfzigern. Caris war ebenfalls in ein Kostüm gekleidet. Der Rock schloss kurz oberhalb des Knies ab. Eine Länge, die akzeptiert wurde, auch von den hohen Herrschaften. Timothy trug einen Anzug, dazu ein ganz spezielles Hemd und eine Fliege. "Hilfe, sah der jetzt vielleicht verkleidet aus, aber nicht nur er. Aber was taten wir nicht alles für das Lebensglück eines kleinen Engels?".
Amelie trug einen Strampler in rosa mit kleinen Entchen vorn auf ihrem Bauch. Dies war eine handgemachte Stickerei und sah sehr edel aus, darüber eine Ausfahrgarnitur in weiß mit passenden Handschuhchen und Mützchen sowie kleinen Babyschuhchen. "Hilfe, nun war es passiert, jedes Wort wurde verniedlicht.", doch das machte man ja so, dachte wohl nicht nur ich. Caris schien meine Gedanken lesen zu können.
Nun fuhren wir mit dem Auto zu seinen Eltern. Ihr Anwesen befand sich etwas außerhalb, war abgeschirmt vor neugierigen Blicken. Nach einer Stunde Fahrt waren wir endlich da. Die kleine Maus schlief tief und fest, eingewickelt in eine kleine rosafarbene Wolldecke. Timothy hielt vor einem großen gußeisernen Tor, stieg aus und betätigte die Klingel. Dann öffnete sich das Tor wie von Geisterhand und wir konnten mit dem Auto hineinfahren.
Dort wartete bereits ein Butler, so einer wie aus einem alten Film, mit Anzug und weißen Handschuhen. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas noch gab. Er begrüßte Timothy mit den Worten: "Junger Herr, Sie werden bereits erwartet." und er beeilte sich und die Tür aufhalten zu können. Erst da bekam er mit, dass er nicht alleine gekommen war, der junge Herr, wie er ihn nannte.
Er entschuldigte sich bei uns, kroch fast zu Boden vor Scham. "Sie konnten doch nicht wissen, dass wir mitkommen würden.". Damit war die Sache für uns erledigt. Nun wurden also auch wir ins Haus geleitet. Timothy benahm sich irgendwie total verkrampft, nicht mehr dieser selbstsichere junge Mann, wie ich ihn kennen gelernt hatte. Nun konnte wir so ungefähr erahnen, was uns erwarten würde.
Begrüßt wurden wir von einer Frau, geschätzte knapp unter sechzig Jahre alt, in einem Ensemble, was genau auf sie abgestimmt war. Hier war nichts dem Zufall überlassen worden. Rein gar nichts. Ihr Haar trug sie streng nach hinten gekämmt und hatte ebenso wie ich einen Dutt, der mit Haarnadeln befestigt war. "Die gleiche Frisur hatten wir schon mal.", dachte ich für mich.
Plötzlich trat diese Frau direkt vor mich, musterte mich von oben bis unten und murmelte etwas in ihren nicht vorhandenen Bart. Unsere Jacken hatte uns der Butler bereits abgenommen. "Und Sie sind wohl jetzt die Frau an der Seite meines Sohnes?". Ich nickte, war total eingeschüchtert von dieser Person. Dann machte uns Timothy mit ihr bekannt: "Mutter, darf ich dir Santina vorstellen, die neue Frau an meiner Seite? Und das ist ihre beste Freundin Caris, unser Kindermädchen.". Sie ging einen Schritt zurück, stockte kurz und fragte: "Wie ihr braucht schon ein Kindermädchen?"
Man bat uns in einen Raum, der zwar antik, aber trotzdem geschmackvoll eingerichtet war. Es passte alles, von den Vorhängen bis hin zu den Servietten, die sich auf dem Tisch befanden. Caris kümmerte sich um die kleine Amelie und fragte, wo sie sich denn um die Kleine kümmern dürfe. Wir nahmen an, dass man erst mal mit Timothy und mir alleine reden wollte.
Also hielt sich Caris erst einmal im Hintergrund, bereit jederzeit das Anwesen fluchtartig verlassen zu können. Solche hohen Herrschaften und ihr geschwollenes Geschwafel waren ihr suspekt und sie war nur mitgekommen, damit ich in Ruhe meine "Schwiegereltern in spe" kennen lernen konnte, ohne mich ständig um Amelie kümmern zu müssen.
Noch immer eingeschüchtert von der Erscheinung seiner Mutter, brachte ich keinen vernünftigen Satz zustande. Caris und Amelie waren inzwischen in ein Kinderzimmer gebracht worden, wo noch eine alte Wiege stand, die man nun eiligst hergerichtet hatte. Wie gesagt alles geschah in drängender Eile. Schließlich sollte es die Kleine gemütlich haben, so lange sie hier war. Und Caris ließ sie keinen Moment aus den Augen.
Timothy versuchte die Situation zu retten und bat seine so streng wirkende Mutter um eine Unterredung unter vier Augen. "Du entschuldigst uns kurz?", sagte er und ich nickte, blieb allein in diesem auf mich beängstigend wirkenden Raum zurück. Was wollte ich hier? Am liebsten wollte ich die Flucht ergreifen, zusammen mit Caris und Klein-Amelie. Doch nein, hatten wir es bisher geschafft, konnte ich doch jetzt keinen Rückzug machen.
Ich fühlte mich total unwohl in meinem viel zu biederen Kostüm und auch mein Haar hätte ich viel lieber geöffnet. Aber es war ja nicht schicklich, wie ich mir zuvor einige Stunden lang anhören durfte.
Nach gefühlten zwanzig Minuten kamen Timothy und seine Mutter wieder zurück. Ich stand noch immer total verkrampft, stocksteif in diesem Raum, fühlte mich wie abgestellt, verlassen, zurückgelassen. Aber jetzt passierte etwas, womit ich niemals zu rechnen gewagt hatte: Seine Mutter reichte mir die Hand und bat uns in ein anders eingerichtetes Zimmer.
Dies wirkte viel frischer und moderner als das vorherige. Ich fühlte mich dort sichtlich wohler. "Nun, meine Liebe, ich bin über alles im Bilde und finde es löblich, dass Sie dem Kindchen ein schönes Zuhause geben wollen. Ich weiß auch, dass mein Sohn Sie dabei unterstützen wird, so wie er es selbst vorgeschlagen hat. Doch Sie wissen auch, das ist eine große Verantwortung, die Sie nun beide gemeinsam tragen wollen?". Ich nickte.
Dann gingen wir die Treppe hinauf in das Kinderzimmer, klopften leise und Caris öffnete uns. Sie hielt einen Finger so vor den Mund, dass alle wussten: "Psst, leise...Die Kleine ist gerade erst eingeschlafen." und nun betrachtete seine Mutter das kleine Engelchen.
Auch sie war sofort in den Bann gezogen worden, obwohl sie noch nicht einmal in ihre kleinen Kulleraugen geblickt hatte. Was hatte sie doch für eine Wirkung auf ihre Umgebung? Jeder und ich meine wirklich jeder, der einmal in ihre kleinen Äuglein geblickt hatte, war angetan von ihr, auf eine Weise, die man mit Worten nicht wirklich erklären konnte.
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