Teil 3 - Szene 5 (Letzte Szene)


Als James sah, wie sein Freund und Partner von der Königin erstochen wurde und allmählich zusammensackte, riss er sich aus der Erstarrung, in die ihn das Gesehene versetzt hatte.
So schlimm Jeffs Tod auch war, er musste jetzt an sich denken. Der Weg nach oben war nun frei! Er konnte es noch schaffen. Konnte sich sein Haus wieder erkämpfen.

James sprintete los. Schon war er auf der Treppe in die zweite Etage. Die Wespenkönigin schien noch nichts bemerkt zu haben. James konnte nicht wissen, dass das Ungetüm sich noch weitere Happen aus der Kopfhaut und dem Nacken ihres toten Opfers gönnte.

Im zweiten Stock angekommen, eilte James auf die Doppeltür seines Schlafzimmers zu. Gleichzeitig hörte er, wie das dröhnende Summen wieder in eine andere Tonlage wechselte.
Er wusste, was das hieß. Die Wespe ließ von Jeff ab und würde sich wieder mit ihm befassen.

Doch er hatte es geschafft! Mit einem 'Rumms' knallte er die Flügel der Doppeltür zu und schob den länglichen Holzbalken vor, der beide Flügeltüren einmal quer abriegelte.
Das sollte ihm erstmal Zeit verschaffen! 

Eilig hastete er nach links zum großen Panoramafenster, ging zielstrebig um die Ecke des großes Doppelbettes herum und strebte zu seinem Nachtschrank an der hinteren Wand. Er öffnete die oberste Schublade und nahm seinen Revolver zur Hand. Was für ein herrliches Gefühl!

Währenddessen war das laute Summen wieder nähergekommen. Die Wespe war auf der zweiten Etage! Doch das störte James nicht mehr. Er hatte jetzt seine Waffe in der Hand und würde diesem Ungetüm gleich zeigen können, wo es lang ging. 

Er griff in eine kleine Pappschachtel, in der früher mal Tabletten gewesen waren, und zog ein Pistolenmagazin heraus. Er prüfte, ob das Magazin vollständig beladen war, nickte zufrieden, als er bemerkte, dass es komplett mit Patronen befüllt war, und rammte es in die Pistole.

Plötzlich hörte er einen dumpfen Schlag. Die Flügel der Doppeltür schwangen ein Stück nach innen, hielten aber dank des Querbalkens stand. Die Wespenkönigin schien nun zu wissen, wo James war, und versuchte hier herein zu kommen.

‚Na wenn schon!', dachte James hitzig. Er zog die Pistole einmal durch und entsicherte sie.
Jetzt fühlte er sich richtig gut! Die Schwere des geladenen Metalls in der Hand brachte ihm seine angeknackste Selbstsicherheit wieder zurück.
Sechs Schuss fasste ein ganzes Magazin – sechs Schuss! Und er war ziemlich gut darin, das wusste James. Schließlich fuhr er jedes zweite Wochenende auf eine Ranch für reiche Hobbyschützen, auf der man unerlaubte Schieß- und Jagdübungen abhalten konnte.

Wieder krachte es gegen die Doppeltür. James Herz klopfte, aber nicht mehr vor Angst, sondern vor Vorfreude. Denn er hatte hier genug Munition zur Hand. Die Situation war bizarr, hatte aber auch etwas Abenteuerliches an sich und Erregendes. Er wollte jetzt sogar, dass die Wespe hier hereinkam, wollte sie vor sich fliegen sehen! So ein schönes großes Ziel direkt vor Augen war für den guten Schützen James Winter eine Kleinigkeit.

James spürte, wie das Adrenalin der Angst immer mehr dem einer Jagdlust wich. Er fühlte sich wie ein Krieger, der sich in dem Moment seines bevorstehenden Triumphes wähnt.
Gleich würde es vorbei sein! Gleich würde sein Haus wieder ihm gehören!

Und dann konnte immer noch alles gut gehen.
Denn wenn dieses Monster tot war, hatte er wieder alles in seiner Hand. Dann würde er die Sache mit Antiquake bereinigen können. Er musste neben William eben jetzt auch Jeff und die Reste der Riesenwespe verschwinden lassen. Die kleinen Wespen waren ja schon so gut wie vertrieben.

Es krachte zum dritten Mal gegen die Doppeltür und zum ersten Mal ächzte der hölzerne Balken verdächtig auf. Das tief dröhnende Summen der Königin schien nun etwas wütender zu klingen.

James ließ sich davon nicht stören. Er stand wie gebannt vor dem großen Panoramafenster, die Waffe im Anschlag und wartete darauf, dass die Wespe auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers durch die Tür brechen würde. 

Zeitgleich spielte er das weitere Vorgehen durch. Zugegeben, Jeffs Leiche verschwinden zu lassen, würde etwas schwieriger sein, als die von William. Den alten McArthur würde niemand vermissen, Jeff aber war nicht gerade unbekannt. Allerdings war er auch zum Mitwisser über Antiquake geworden und so gesehen ist sein Tod für James nicht gerade von Nachteil.

Der Immobilienmanager seufzte. Es hätte unter Umständen traurig wirken können, aber der harte Ausdruck in den Augen bewies das Gegenteil. ‚Armer, dummer Jeff – was musstest du dich auch so vehement gegen mein Mittel einsetzen', dachte James streng, ‚das hast du jetzt von deinem Eingemische!'

Plötzlich hörte man das Splittern von Holz. James erblickte, wie sich der Riesenstachel der Wespe mehrfach durch die Tür bohrte. Offensichtlich versuchte das Mistvieh jetzt eine andere Strategie. Scheinbar wahllos durchstach die Königin wütend die beiden Türflügel. 

Mit einem Mal glitt der Stachel genau in den hölzernen Sicherheitsriegel hinein und durch diesen hindurch. Da der riesige Wespendorn etwa gleich dick war wie der Holzbalken, konnte der Riegel das nicht aushalten. Es ächzte einmal, dann brach der Sicherheitsriegel an der Einstichstelle auseinander.

James fasste erneut seinen Mut zusammen. Er wusste, das der Kampf jetzt kam, jetzt kommen musste. Gleich darauf wurde seine Vorahnung bestätigt. Wieder krachte die Königin gegen die Tür und diesmal gab es keine Sicherung mehr, die diesen Ansturm abwehren konnte.
Die Doppeltür schwang auseinander brechend auf und mit lautem Getöse schnarrte die Riesenwespe ins Schlafzimmer.

Darauf hatte James nur gewartet. Mit beiden Händen den Revolver umfassend zielte er auf die Wespenkönigin, die auf der anderen Seite des Raumes neben der kaputten Tür schwebte und sich für einen Angriff auf James wappnete.

„Jetzt mach ich dich alle, du Mistgeburt!", brüllte er und drückte ab. Es knallte ordentlich laut in dem Zimmer, als die erste Kugel an der Wespe vorbei in die Wand knallte. Doch selbst dieses Geräusch war nicht lauter als das dröhnende Summen.

Die Wespe flog nun Richtung James, aber sie konnte nicht so schnell fliegen wie im Flur.
Das Schlafzimmer war trotz seiner hohen Decke doch bedeutend kleiner als der Flur.
Darauf hatte James gehofft. Er feuerte erneut auf die Wespe. Dabei zielte er bewusst auf den Kopf und nicht auf den Leib, obwohl das ein größeres Ziel war. Er wollte dieses Drecksding dort erwischen, wo es richtig weh tat.

Der zweite Schuss ging links daneben und die Wespe schwebte über dem Doppelbett. Als James zum dritten Mal abdrückte, ging alles ganz schnell: er hörte ein Platschen und sah zeitgleich, wie ein Stück des unheimlichen Wespenkopfes an die hintere Wand verteilt wurde. Im gleichen Moment fiel die Königin wie vom Dampfhammer getroffen reglos auf das Doppelbett.

James stockte der Atem. Irgendetwas kam ihm komisch vor. Dann merkte er, was es war: das tief dröhnende Summen, das die ganze Zeit über zu hören gewesen war, hatte nun ebenso abrupt aufgehört. Als wäre es nie dagewesen. Die eingetretene Stille wirkte regelrecht fehl am Platz.

James ließ den Revolver langsam sinken. Erst jetzt stellte er fest, dass sein Mund offen stand. Anscheinend hatte er während des Kampfes die ganze Zeit geschrien. Er schloss den Mund und betrachtete die hingerichtete Riesenwespe, die auf der anderen Seite des Doppelbettes lag. 

Die rechte Seite ihres Kopfes fehlte. Wie von selbst ging sein Blick zu den Flecken an der ihm gegenüberliegenden Wand. Er hoffte, dass er das Zeug wegbekommen würde. Plötzlich stieg ihm ein penetranter Geruch in die Nase. Jetzt fängt dieses tote Ding auch noch zu stinken an!

James drehte sich langsam um und öffnete die längliche Flügeltür an der linken Seite des Panoramafensters. Er hatte jetzt keine Eile mehr. Er würde hier erstmal ordentlich durchlüften und das Ganze sacken lassen. Schließlich wurde man nicht jeden Tag von irgendwelchen Monsterwespen verfolgt.

Er drehte sich wieder zu der toten Wespenkönigin um und gönnte sich ein Grinsen.
Er hatte es geschafft! Er wusste, dass es knapp gewesen war, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. 

Es war vorbei! Er war wieder Herr seines Hauses. Den Rest würde er auch noch schaffen.

Plötzlich sah er etwas Seltsames. Die riesige Wespe auf dem Bett schien sich irgendwie aufzulösen. Zuerst blätterten vom restlichen Kopf Teile ab, dann zerfielen die klauenartigen Greifarme und die Flügel. 

James staunte nicht schlecht. Doch ihm fiel ein, dass Wespen ja aus so einem leichten Material bestanden, das leicht zerstörbar war. Er wusste nicht genau, wie der Stoff hieß, aber offensichtlich war das der Grund, dass die Wespenkönigin nun auseinanderfiel.
Umso besser! Dann brauchte er ja gar nicht mehr so viel von dem Drecksvieh wegschaffen.

Er starrte auf den Unterleib in Erwartung, dass auch dieser zerstieb. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sich der Leib immer noch leicht bewegte und waberte. Was sollte das? 

Und plötzlich hörte er das Summen. Ein beschissenes Summen, viel leiser und unauffälliger, als das laute von eben, und daher auch nicht sogleich hörbar. James starrte auf den sich hin und her bewegenden Unterleib. Sollte das etwa heißen...

Bevor er den Gedanken zu Ende führen konnte, geschah das Unglaubliche: der Unterleib der Wespenkönigin brach auseinander, löste sich auf und im gleichen Moment drängten Dutzende Wespen aus seinem Inneren hervor.

„Nein!" Das Ereignis war so unfassbar, dass James dies nur flüsternd ausrufen konnte.
Vom Geschehen überrollt, stand er einfach nur so da vor dem Fenster und starrte auf die vielen neuartigen Wespen, die im Leib der Königin scheinbar auf ihre Geburt gewartet hatten und die jetzt auf ihn zustürzten.

Im nächsten Moment war er von dem Wespenschwarm eingedeckt. Das riss ihn aus seiner Trance. Er schrie laut auf und taumelte wild herum, als die vielen Wespen ihn an jeder erdenklichen Stelle seines Körpers stachen und bissen.
Überall zwickte und zwackte es. James fühlte Stiche und Bisse in seinen Haaren und in seinem Gesicht. Er schrie und schrie, fuchtelte wild mit dem Revolver herum und verschoss die übrige Munition in die Decke und durchs Fenster.

Alles schmerzte und brannte ihm. Er tobte wild umher, haute sich selbst mit dem Revolver ins Gesicht, aber es waren einfach zu viele von den Mistviechern. Eingehüllt in einer nervigen Wolke des Summens spürte James, wie die Wespen sein jugendliches Gesicht immer mehr zerstörten und verunstalteten. Er fühlte, wie Blut in feinen Bahnen aus unzähligen kleinen Wunden an seinem Kopf rann. 

Er schrie heulend auf, weil er das Ganze einfach als ungerecht empfand. Er haute mit den Armen blind umher und rannte ein paar Mal gegen den großen Wandschrank. Er war vollständig von den Wespen bedeckt, spürte ihre Bisse im Gesicht und am Kopf, ihre Stiche durch Hemd und Hose seines Anzuges. Und alles um ihn herum war erfüllt von diesem nervigen, lauten Gesumme.

James fluchte mit geschlossenen Augen herum.
Er verfluchte Jeff, er verfluchte Dr. Kane, er fluchte auf die Wespenkönigin und all diese kleinen Drecksviecher, die ihm sein Heim streitig machten. 

Da er nicht mehr sehen konnte, wohin er trat, lief er plötzlich wild herumfuchtelnd durch die geöffnete Flügeltür an der linken Seite des Fensters. Mit einem Ruck stürzte James über die kleine Brüstung, die er vor dem Fenster hatte anbauen lassen. Nur vage bekam er mit, dass er sich plötzlich im freien Fall befand. Die Wespen ließen sogleich von dem fallenden Objekt ab und offenbarten ein grausam entstelltes Gesicht mit verschwollenen Augen. 

Doch der Moment währte nicht lange. Der entstellte Körper von James Winter knallte sogleich mit Wucht auf den großen Marmortisch der Terrasse. Im Moment des Aufschlags hörte man ein platschendes Geräusch und ein unter die Haut gehendes Knacken, dann blieb der Körper regungslos auf dem Tisch liegen, sein Besitzer endgültig verstummt. Aus dem kaputten Schädel floss eine kleine Blutlache die Tischplatte entlang und daran herunter.

Sogleich kehrte der neue Wespenschwarm zum herabgestürzten Körper zurück und setzte seine Biss- und Stichattacken fort. Wie auf ein Kommando kamen jetzt auch weitere Wespen von der anderen Hausseite und vom Dach des Anwesens herbei und gesellten sich zu ihren neuen Kameraden. Es mussten die Artgenossen sein, die James' Angriff auf das Wespennest überlebt hatten.

Auf dem Körper des Immobilienmanagers wimmelte es kurz darauf vor lauter Wespen. Die Insekten tobten sich an dem ehemaligen Hausbesitzer aus. Zum Glück für James Winter war er bereits tot und bekam nichts mehr davon mit. Wespen saßen in seinen Augen, krochen in seine Ohren, zerfraßen sein Gesicht und zerfetzten seine ganze Kleidung.
Er hatte sie besiegen wollen, doch jetzt war er selbst der Besiegte. Das Leben hatte er schon verloren, jetzt nahmen die Wespen ihm auch noch sein gutes Aussehen und seine Würde.

Noch lange hörte man an diesem Nachmittag ein volltöniges Summen im Garten des Anwesens von James Winter. Es klang fast ein wenig schadenfroh.    

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