Kapitel 4, die untergehende Sonne


An Schlaf war keines Weges zu denken. Unruhig wälzte ich mich hin und her in dem viel zu kleinen Bett. Noch immer befand ich mich in dem Zelt und ehrlich gesagt, hätte ich mich nach Farruns deutlicher Drohung auch nicht sofort heraus gewagt.

Die Nacht war herein gebrochen und das Stimmengewirr Draußen wurde immer lauter. Die Leute schrien herum, lachten oder sangen Lieder. Irgendwo weit weg hörte man das leise Knistern des Feuers. Mein Feuer im Zelt war nach ein paar Minuten ausgegangen und ich hatte Angst, jemanden zu rufen, deswegen saß ich in der völligen Dunkelheit. Nicht einmal eine Decke hatte ich.

Nach einiger Zeit entfuhr mir ein leises Gähnen. Meine Augen waren müde und selbst mein Körper wollte mir nicht mehr gehorchen. Aber ich durfte nicht schlafen, ich musste wach bleiben. Einen dringenden Fluchtplan, das brauchte ich. Seufzend stand ich auf. Noch immer trug ich keine Schuhe. Es wurde langsam Zeit, dass ich irgendwo welche fand. Tante Kaisslin würde mich dafür rügen. Tante Kaisslin, wie es ihr echt ging?

Ganz langsam schlich ich durch die Dunkelheit des Zeltes und orientiere mich an dem schwachen Mondlicht, welches ein wenig hinein schien. Die Hände hielt ich vor mir, um mich im schlimmsten Falle eines Sturzes, zu schützen. Meine Füße versanken beinahe in der weichen Erde. Jedes nur so kleine Geräusch, selbst mein Atem, schien ohrenbetäubend laut in dieser Stille zu sein.

Behutsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich endlich am Zelteingang angelangt war.

Es musste doch eine Möglichkeit geben, irgendwie raus zu gelangen. Nur welche?

Ich warf einen Blick durch den kleinen Spalt an der Zeltwand. Zwei große Männer hatten mir ihren Rücken zu gekehrt, in ihren linken Händen hielten sie Schwerter.

Und was jetzt?

Ganz langsam drehte ich mich wieder um und lief an das andere Ende des Zeltes.

Ich vergewisserte mich mit einem kurzen Blick zu dem Zeltausgang, dass wirklich niemand kam, ehe ich mich flach auf den Boden legte. Der Geruch von nasser Erde stieg mir in die Nase. Das schwarze Kleid raschelte ganz kurz, dann war es wieder still. Von Draußen drang erneutes Gelächter.

Behutsam streckte ich die rechte Hand aus und hob die Zeltwand ein wenig hoch. Zu meinem Erstaunen ging das ganze ziemlich leicht. Ich warf erneut einen schnellen Blick zu dem Eingang.

Gut so weit.

Schnell rollte ich mich durch den kleinen Spalt und blieb dann flach liegen.

Den Atem angehalten und die Augen geschlossen, so lag ich da auf der nassen Erde. Mucksmäuschenstill

Nach einer Weile öffnete ich langsam die Augen. Niemand war zu sehen. Ich stand auf, klopfte mir die Hände an dem schwarzen Kleid ab und sah mich suchend um. Dass es so leicht war, aus dem Zelt zu kommen, hätte ich nicht gedacht.

Ich lief durch die naheliegenden Zelte und duckte mich jedes Mal in den Schutz der Dunkelheit, sobald ich in der Nähe Geräusche vernahm. Die Zelte wurden immer weniger und bald war ich, so wie es schien, am Ende des Lagers angelangt. Ein dichter Wald lag vor mir. Der kalte Wind blies mir durch das Haar.

Ohne mich noch einmal umzudrehen, rannte ich los. Ich rannte hinein in den dunklen Wald. Äste streiften mir durch das Gesicht, Blätter verfingen sich in meinen Haaren und nur mit Mühe gelang es mir, weiter zu rennen, ohne über die herausragenden Wurzeln zu stolpern.

Ich sprang immer weiter und weiter, bis meine Lungen verzweifelt nach Luft rangen. Seufzend hielt ich an und sank auf den Waldboden.

Ich hatte es geschafft.

Ich war dem dunklen Prinzen entkommen!

Ein Heulen unmittelbar in meiner Nähe ließ mich aufhorchen. Und da noch eines. Es schien, als ob ein ganzes Wolfsrudel in meiner Nähe wäre. Ich stand wieder auf. Nichts wie weg hier.

Ich rannte weiter hinein in den dichten Wald. Das Heulen drang in meine Ohren und verwandelte sich in dasselbe Wispern, wie das Stimmengewirr im Palast der weißen Königin.

Das sind bestimmt ihre Grauwölfe, sie suchen mich.

Wütend ballte ich meine Fäuste. Dieser Traum ging mir so langsam aber sicher auf die Nerven.

Das Wispern wurde lauter.

Ich rannte in meiner Verzweiflung noch schneller. Ich wagte es nicht einmal, mich umzudrehen.

Zweige verfingen sich in meinen langen Haaren und zogen schmerzhaft daran. Wurzeln schlugen gegen meine nackten Beine und rissen mir die Haut auf.

Verzweifelt rannte ich weiter, aber wohin eigentlich? Wohin rannte man, wenn man sich gar nicht auskannte?

Kalte Angst strich um meine Beine. Irgendwo neben mir schrie ein Käuzchen auf. Fledermausschwärme sausten über meinen Kopf hinweg. Ich prallte gegen einen dicken Ast, verlor kurz das Gleichgewicht und rappelte mich dann aber wieder entschlossen auf. Meine Füße schmerzten. Der unebene Waldboden hatte meine Fersen aufgerissen.

Das Wispern kam wieder wie aus dem nichts, als ob etwas auf meiner Schulter hocken würde und mir ganz leise ins Ohr flüsterte. Dieses seltsame Wispern wurde von einem ärgerlichen Wolfsgeheul unterbrochen.

Ich wandte mich suchend um, aber in der Dunkelheit nach jemandem zu suchen, war so sinnvoll, wie Feuer mit Feuer zu bekämpfen.

Jetzt bekam ich es langsam mit der Angst zu tun. Das Einzige, was mich daran hinderte, nicht laut aufzuschreien und in bittere Tränen auszubrechen, war die Tatsache, dass es schließ und schlussendlich nur ein Traum war

...ein Traum...oder?

Ein sanftes Knurren erklang genau neben meinem Ohr. Ich schloss die Augen und hielt mir die Ohren zu. »Das ist nicht echt. Das ist nicht echt...«, flüsterte ich immer wieder.

Ich nahm die Hände ganz behutsam von den Ohren und öffnete meine Augen. Ein riesiger Grauwolf stand genau vor mir. Hechelnd sah er mich an, das Maul leicht geöffnet. Speichel tropfte über seine rosa Zunge und fand seinen Weg auf den dunklen Waldboden. Die Brauen hatte er wütend zusammen gezogen. Ich wollte schreien, aber kein einziger Ton entwich meinen Lippen.

Der Wolf knurrte und machte einen gewaltigen Satz nach vorne. Schützend hielt ich meine Hände vor den Kopf, aber der große Grauwolf warf mich um und stand nun über mir. Das Maul immer noch bedrohlich weit aufgerissen.

Plötzlich schabten lange Krallen an meiner Seite. Ich schrie auf. Auf einmal wurde der große Grauwolf auf die Seite gedrängt. Vor ihm stand ein anderer Wolf.

Es war der Wolf, welcher vor der Palasttüre gelegen hatte, als mich die Schemengestalten in den Keller brachten.

Der Palastwolf knurrte den anderen Wolf an.

Erschrocken sah ich zwischen den beiden hin und her. Dann wie aus dem nichts, kamen noch mehr Grauwölfe. Sie umzingelten den Palastwolf und mich. Ein besonders großer sah mich mit offenem Maul an. Nichts regte sich mehr. Es wirkte beinahe, als ob die Zeit für einen kurzen Moment angehalten hätte. Wie betäubt lag ich da und blickte auf das Szenario, welches sich vor mir bot. Dann verebbte die Stille und der Alptraum fuhr fort.

Der große Wolf stellte sich auf die Hinterläufe, sprang ab und riss noch im Sprung sein Maul weit auf, ehe er mit einem dumpfen Geräusch auf mir landete und seine langen Fangzähne in meinem Körper vergrub.

Ich schrie!! und schrie!

Schwärze umhüllte mich und Schmerzen breiteten sich langsam in meinem Körper aus. So musste sich also der Tod anfühlen. Grausam, unbarmherzig und kalt.

Zwei starke Hände legten sich um meine Handgelenke und drückten diese hinunter. Erschrocken riss ich die Augen auf. Der Schmerz war verschwunden und tot war ich auch nicht. Ich befand mich nicht einmal im Wald, sondern lag noch immer auf dem Bett im Zelt.

Das kleine Feuer in der Mitte brannte still vor sich hin.

Nach Luft ringend starrte ich in die Augen von Farrun, der immer noch meine beiden Arme an das Bett drückte. Neben ihm standen zwei weitere Gestalten. Es waren zwei Männer. Die beiden trugen ähnliche Bekleidung wie der dunkle Prinz.

Der eine glich ihm von der Größe und Statur. Er hatte ebenfalls dunkles Haar, aber hellbraune Augen.

Während der andere hellblondes Haar hatte und ein wenig jünger wirkte.

»Willkommen unter den Lebenden«, sprach Farrun. Wütend funkelte ich ihn an. Er ließ meine Hände los.

Blitzschnell kratzte ich ihm durch das Gesicht. Erschrocken starrte er mich an, ehe er anfing zu lachen. Ein winziger Kratzer zeichnete sich auf seiner Wange ab. Viel war es nicht, aber für einen kurzen Moment überkam mich das Gefühl eines Triumphes. Auch der Prinz war verwundbar.

»Was sollte das? Was war das? Ich bin doch gerade von einem Grauwolf zerfleischt worden!«, zischte ich sogleich.

»Alptraumschach, meine Liebe. Jedoch nur die ungefährliche Variante davon.«

»Was hatte das mit Schach zu tun? Das war Real! Alles! Ich habe den Wolf über mir gespürt und sogar seinen warmen Atem an meinem Hals«, flüsterte ich mit zitternder Stimme.

»Im Grunde genommen nicht viel. Nur, das man wie beim Schach Figuren hat. Jede Figur ist eine bestimmte Person. Der Gewinner ist der, der am Ende Schach Matt hat. Alptraumschach spielt in der Welt der Visionen, in deinen Träumen.« Er warf einen kurzen Blick zu dem Blonden, welcher gelangweilt an dem Pfosten in der Mitte lehnte.

»Kann mir das jemand mal genauer erklären. Ich verstehe gar nichts.«

Farrun seufzte und rollte mit den Augen.

»Menschenkinder. Zuerst werden die einzelnen Spielfiguren in ihre eigenen Alpträume geschickt. Sie müssen versuchen, einen Weg hinaus zu finden, ohne dabei zu sterben. Also nehmen wir an, das vorhin wäre schon richtig gewesen, dann wärst du tatsächlich tot. Es kommt natürlich auch darauf an, was für eine Spielfigur du bist. Bist du nur ein nutzloser Bauer, interessiert das niemanden. Jedoch der König, du kennst dich sicher ein wenig mit Schach aus. Ist der König tot, ist das Spiel zu Ende, Schach matt.

Du musst einen Weg finden den Gefahren zu entkommen, so zu sagen aus deinen eigenen Alpträumen zu fliehen. Nur so gewinnst du«, sprach er.

Schluckend sah ich ihn an. »Also, also warte. Wieso bin ich dann auch tot, wenn ich im Traum sterbe?«

Der Blonde knurrte genervt auf und sah in meine Richtung. »Das ist doch logisch. Wenn man in einem Alptraumschach-Spiel stirbt, ist man gefangen in diesem. Man erwacht nie wieder.«

»Aber das alles hier, ist ja auch nur ein blöder Traum!«, zischte ich ihn feindselig an.

Ist es nicht. Es ist die Realität, auch wenn du das noch immer nicht kapierst. Der Spiegel war ein magisches Tor direkt in diese Welt«, fuhr Farrun fort.

Der Spiegel, warum immer ich?

Langsam fuhr ich mir durch das rote Haar. Das alles war schon kompliziert genug.

»Und wer steuert diese Alpträume?«, fragte ich langsam nach.

»Du selbst, es sind deine Ängste. Aber wir können das trainieren, wir haben noch Zeit.«

»Aber wenn ich das heil überstehe, komme ich dann wieder zurück?«

Farrun lief mit den Armen hinter dem Rücken verschränkt im Zelt hin und her. Er schien zu überlegen.

»Wenn wir tatsächlich die weiße Königin besiegen, dann ja. Wenn nicht, weißt du ja was dir blüht.« Farrun sah wieder in meine Richtung. Der Blonde schüttelte nur den Kopf.

"Wir verlieren mit der!«, zischte er.

Farrun wandte sich in seine Richtung. »Du kannst ja gerne für sie spielen, mein lieber Tarif.«

Tarif hieß der Eingebildete also. Wie alt mochte er sein? 18? 19?

Schnell schüttelte Tarif den Kopf.

»Das war nur ein Versuch, Taija. Keine Sorge, du kannst beruhigt schlafen. Ach und der hier«, er zeigte auf den dritten Kerl in diesem Zelt »ist Besart, mein Meister wie du ihn genannt hast. Es wird dich sicherlich erfreuen, dass er heil zurück aus dem Palast gekommen ist. Und nun ruh dich aus. Morgen in der Früh gehen wir weiter«, sprach er und verließ eilig das Zelt. Besart folgte ihm. Tarif starrte noch eine Weile zu mir, bis meine bösen Blicke ihn schließlich doch aus dem Zelt jagten.

Ich sank zurück auf das Bett. Das hieß entweder würde ich das alles heil überleben und zurück in meine Welt kommen, oder ich würde in meinen eigenen Alpträumen sterben und nie mehr aufwachen.

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