Sommer

„Weg! Geht doch weg! Lasst doch endlich meine Saat in Ruhe!"

Ameise war den Tränen nahe. Keuchend sank sie auf die Knie, mitten auf dem Acker, auf dem der Weizen keimte. Und sich die Krähen ungeniert bedienten.

„Alle meine Arbeit ist umsonst! Lasst mich doch endlich in Ruhe!" Sie erhob sich taumelnd und rannte erneut auf den Schwarm zu. Mit dem gleichen Ergebnis wie schon die Tage zuvor: Die Krähen erhoben sich kreischend, flogen eine Runde über die Felder und Wiesen und kehrten dann zu Ameises Acker zurück.

„Kusch!" Rosen lief mit beiden Armen wedelnd auf den Schwarm zu. Erneut flatterten die Vögel auf.

„Danke", sagte Ameise erschöpft. „Ich versuche schon seit Tagen, sie zu vertreiben, aber sie kommen immer wieder. Da tut es gut, wenn mal jemand anders rennt."

„Ich würde dich gerne ablösen", meinte Rosen betrübt. „Aber die Kirschen sind reif und wenn ich sie nicht schnell pflücke, werden sie uns weggefressen. Und ich muss sie ja noch alle einkochen oder zu Saft verarbeiten."

Ameise nickte. „Das ist doch klar. Mach du deine Arbeit und ich die meine."

„Ja, aber ich werde jedes Mal, wenn ich bei dir vorbeikomme, auch mal scheuchen." Rosen nahm ihr Schultertuch ab und schwang es mehrmals durch die Luft, was die Krähen ziemlich erschreckte. Dann legte sie es wieder um und schritt weiter Richtung Waldrand.

„Das ist ja nicht mit anzusehen", Gelbrand tätschelte tröstend Ameises Schulter. „Es muss doch irgendetwas geben, was die Biester gründlich vertreibt."

„Sie fressen mir alles weg", schluchzte Ameise. „Ich habe mich so gefreut, dass der Weizen doch noch gekeimt ist, obwohl er schon im Herbst hätte ausgesät werden müssen. Und jetzt werden wir doch kein Mehl und kein Brot haben."

Gelbrand stellte den Eimer und den Kescher ab und rollte die Angelschnur aus. Kräftig holte er aus und die Angelschnur sauste zischend und knallend über den Acker.

Wieder flogen die Krähen auf. Und kamen umgehend zurück.

„Verdammt! Hilft nichts, ich gehe jetzt fischen, sonst haben wir außer keinem Brot auch keine Fische."

„Ist gut." Ameise seufzte und machte sich auf einen neuen Spurt gefasst.

„Was wird das denn? Wolltest du nicht die Möhren ernten?" Grilles sonst so muntere Stimme klang besorgt. „Weinst du etwa, Ameise? Was ist passiert?"

Ameise wies auf die Krähen. „Sie fressen den Weizen auf."

„Und das, nachdem du dir soviel Mühe gegeben hast?" Vor Verblüffung versiegten Ameises Tränen. Sie hatte Grille noch niemals wütend erlebt.

„Wie können sie nur all deine Arbeit zunichte machen! Wartet, ich werde euch das schon austreiben!" Grille zog den Bogen aus dem Köcher, den ihm Ameise aus den von Heupferd gemähten Stengeln geflochten hatte und griff zur Geige, die stets bereit an seinem Gürtel hing.

Die Töne, welche die Geige diesmal von sich gab, waren entsetzlich. Noch wesentlich schlimmer als jene, mit denen Grille im Frühling die Vögel von den Schlehen vertrieben hatte. Ameise verstand auch bald, warum dem so war. Damals hatte Grille die Vögel nur fernhalten wollen, bis Rosen fertig gepflückt hatte. Diesmal war sein Lied eine eindringliche Warnung, niemals wiederzukommen.

Nicht nur die Saatkrähen flohen, auch die Rehe, welche an den Trieben knabberten und die Hasen, welche die Möhren und den Salat stahlen. Drei Tage lang spielte Grille, solange es hell war und umschritt dabei alle Felder und Äcker, welche Ameise angelegt hatte. Danach wagte sich kein Tier mehr dorthin.

„Verdammt! Schon wieder alles verloren!", schimpfte Gelbrand, als er verschwitzt, erschöpft und mit leerem Eimer ankam.

Rosen blickte verwundert von ihrer Kirschmarmelade auf. „Wenn du so rennst, muss ja alles aus dem Eimer fallen!"

„Ja, glaubst du, ich bin freiwillig gerannt? An der Stelle am Fluss, wo es die besten Barsche und Forellen gibt, halten sich immer wieder Bären auf. Ich musste ihnen meinen Fang vorwerfen, sonst wäre ich selbst zur Beute geworden."

„Oh weh, ein Glück, dass sie dich nicht erwischt haben." Rosen löffelte Marmelade in ein Schälchen. „Hier, damit du wenigstens etwas zu essen hast."

Ameise reichte ein Brötchen herüber. „Da, als Unterlage."

„Danke, aber ich kann euch heute keinen Fisch geben", entgegnete Gelbrand verlegen.

„Dann gibst du uns eben morgen mehr", Ameise zuckte die Schulter. „Sind wir nicht eine Gemeinschaft, in der jeder etwas beiträgt?"

„Hm", Heupferd blickte zu Grille, der über ihnen im Geäst einer Linde saß und sich an den Blättern und Blüten gütlich tat. „Fast jeder."

Spinne schüttelte verwundert den Kopf. „Warum isst du diese Blätter?"

„Sie schmecken gut. Willst du auch?"

„Also ich kenne ja Lindenblütentee, aber die Blätter und Blüten so zu essen, finde ich schon etwas suspekt."

„Sie sind aber essbar. Solltet ihr auch mal probieren." Grille blickte zu Rosen hinüber. „Gib mir mal eine Schale hoch, ja?"

Rosen gehorchte, erinnerte Grille aber auch gleich: „Wir essen keine Blätter. Gibt es eigentlich etwas, was du nicht magst?"

„Nee. Ich esse alles." Grille zupfte mehrere Handvoll Blüten ab und reichte Rosen die gefüllte Schale wieder herunter. „Bitte sehr, für deinen Tee."

„Danke." Rosen wandte sich an Gelbrand. „Wie nahe sind die Bären denn? Was ist, wenn sie uns überfallen?"

„Dann werden sie Bekanntschaft mit meinen Speer machen!", verkündete Spinne kämpferisch. 

Ameise lachte leise. „Wir haben doch Grille. Der vertreibt jedes Tier mit seinem Spiel."

„Hm, würdest du dann morgen mit an den Fluss kommen?", erkundigte sich Gelbrand. „Kannst du auch dafür sorgen, dass die Bären mich in Ruhe angeln lassen?"

„Klar, mach ich!"

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