Beth
Freitag, 04. Juli
Rick und die Kinder sind beim Fischen gewesen, während ich im Garten alles für das Grillen vorbereitet habe. Ich habe gerne meine Ruhe beim Saubermachen und Dekorieren und ich fühle mich besser, wenn die Kinder nicht in der Nähe des ganzen Feuerwerkszeugs sind, das Rick angeschleppt hat. Es ist ja schön, wenn er seinen Patriotismus auslebt, aber ich habe nicht gerne explosive Substanzen im Haus.
Ich habe ihnen gesagt, dass sie ja nicht mit leeren Händen nach Hause kommen sollen, denn ich habe kein anderes Fleisch im Haus, das wir auf den Grill legen können. Melanie hat zwar eine Schnute gezogen – sie ist gerade in einer Phase, in der sie ihr Mitgefühl mit Tieren entdeckt – aber auf ihren Anteil am Fisch will sie dann doch nicht verzichten. Es wird Zeit, dass dieses Mädchen die Realitäten des Lebens lernt: Wenn man Fisch essen will, muss man ihn fangen, töten und ausweiden. So ist das.
Ich weiß, dass alle jungen Menschen Idealisten sind. Sie halten es für klug, alles zu hinterfragen, was ihre Eltern ihnen erzählen. Sie wollen mehr vom Leben als das, was sie bei den Alten sehen und bei Gott ich wünschte, ich könnte es ihnen ermöglichen. Aber die Wahrheit ist, dass jedes Leben ausleiert wie ein zu oft getragener Pullover. Die Farben gehen mit der Zeit verloren, er kommt aus der Mode, verzieht sich, verliert den ein oder anderen Faden. Wir können ihn vielleicht ab und zu in die Wäsche geben, die Flecken ausbürsten und seine Löcher flicken, aber los werden wir ihn nicht. Wir können nicht einfach in ein Geschäft gehen und uns ein neues Leben kaufen. Wir können uns auch keine neue Haut überstreifen und behaupten, jemand anderer zu sein.
Melanie würde am liebsten alles ausprobieren. Sie ist eine richtige Draufgängerin. Ihre Enttäuschung wird erschütternd sein, wenn sie irgendwann festsitzt in einem Netz aus Verantwortungen und Pflichten. Aber so ist das Erwachsen-werden: Man öffnet die Augen und die Welt, die man sieht, ist nur ein Schatten dessen, was man sich zuvor ausgemalt hat. Zum Teufel mit Platon!
Aber da mussten wir alle durch und ich finde es nicht richtig, diejenigen mehr zu bedauern, die mehr darunter leiden. Es würde bedeuten die Anstrengungen der anderen kleinzureden. Nicht immer sind diejenigen, die sich nie beschweren, die Glücklichsten. Nicht immer sind die Stillen die Zufriedensten.
Wenn Dan in das entsprechende Alter kommt, wird er es ebenso schwer haben. Die Jugend von heute hat durch all die Kinofilme und Zeitschriften völlig überzogene Erwartungen an das Leben, aber wer kann es ihnen verübeln. Es ist ja nicht ihre Schuld, dass man ihnen diese Anspruchhaltung einredet.
Rick versucht sein Bestes, ihnen einen gesunden amerikanischen Pragmatismus beizubringen, aber in den Schulen werden solche Bemühungen heutzutage ja völlig zunichte gemacht. Wir würden es bevorzugen, wenn die ideologische Perspektive eines Lehrers seinen Unterrichtsstoff nicht überschatten würde. Bildung bedeutet, die Fakten zu kennen. Sie einzuordnen sollte jedem selbst überlassen bleiben. Durch Beeinflussung – auch in den Schulen – wird die natürliche Schärfe des Verstandes abgestumpft und die Wirklichkeit in den Köpfen junger Menschen verfälscht.
Melanie ist leicht beeinflussbar und wir müssen aufpassen, dass sie nicht entgleitet. Was soll nur aus einem Kind werden, das sich seine Lehrer zum Vorbild nimmt? Immerhin wird nur derjenige Lehrer, der zu schlecht ist, um wirklich in seinem Fachgebiet zu arbeiten.
Rick sagte gestern zu ihr: „Mit Mathematik kannst du vielleicht berechnen, wie du dein Gewehr anlegen musst, aber bis du damit fertig bist, ist das Kaninchen schon in seinem Bau verschwunden. Bücher machen dich nicht satt und bauen dir kein Haus. Wenn du es schon ekelhaft findest, einen Frosch zu sezieren, wie willst du dann jemals eine Weihnachtsgans ausnehmen? Du musst die Dinge sehen, wie sie sind, nicht durch die Brille irgendwelcher Schemata!"
Melanie hat geweint, aber ich glaube, sie versteht, dass er Recht hat.
Erziehung ist eine große, verantwortungsvolle Aufgabe, an der nachgiebige Charaktere schnell scheitern. Das Ergebnis ist dann ein unsicheres, ein verwirrtes, ein unreifes Kind, das in dieser Welt keinen Schritt weit kommt, ohne sich Gedanken um die Ameisen zu machen, die es dabei zerquetscht.
Es geht nicht darum, hart, sondern realistisch zu sein, praktisch zu sein, ein Ziel zu finden, es zu verfolgen und zu erreichen. Wer herum eiert, nicht genau weiß, was er will, sich von Zweifel zurückwerfen lässt, der vergeudet Zeit und Energie und ich möchte nicht, dass meine Kinder bereits vom Nachdenken Erschöpfungszustände bekommen. Sie sollen wissen, was richtig und falsch ist, aber sie sollen es selbst erkennen und nicht vorgekaut bekommen, Sie sollen es mit ihren eigenen Augen sehen und nicht theoretisch darüber schwadronieren.
Das Leben, das ist die Welt um uns herum und nicht die Träume in unseren Köpfen. Dieses Land ist groß geworden, weil Menschen es erschlossen und bearbeitet haben. Kein Gedanke hat je die Welt nachhaltig verändert. Sie können sie kurzfristig beeinflussen, früher oder später kommt jemand mit einer Gegenthese um die Ecke und wirft alles über den Haufen. Was bleibt, ist der Mensch und seine Bedürfnisse, die er befriedigen muss. Und das muss er unabhängig davon, welcher Dampfplauderer gerade in Washington das Sagen hat.
Rick ist ein fleißiger Mann und ich eine moderne, gebildete Frau. Wir versuchen, die bestmöglichen Vorbilder für unsere Kinder zu sein. Sie müssen wissen, dass Fleiß und Ausdauer die wichtigsten Tugenden und Ziele nicht gleich Träume sind. Sie sollen wissen, dass sie dann belohnt werden, wenn sie für etwas gearbeitet und sich gegebenenfalls überwunden haben. Sie sollen nicht glauben, dass ihnen die gebratenen Tauben in den Mund fliegen.
Deshalb nimmt Rick sie mit zum Fischen und auf die Jagd. Deshalb traut er ihnen zu, mit Werkzeugen und Waffen umzugehen. Es bringt nichts, sie von allem Gefahren des Lebens fernzuhalten, das fördert nur irrationale Ängste und etwas, das ich Lebensverneinung nennen würde.
Lebensverneinung ist die größte aller Todsünden, sie ist die Ablehnung, die Nicht-Akzeptanz des Konzeptes der Sünde und das wäre die Umkehrung aller etablierten und bewährten Werte.
Mit diesem Hintergrund können Melanie und Dan es einmal weit bringen. Melanie ist klug und mitfühlend. Dan ist ehrgeizig und großzügig. Sie beide haben viele Freunde und es fällt ihnen leicht, ihre Position innerhalb einer Gruppe zu definieren und zu besetzen. Das ist wichtig, denn nur wenn die Positionen klar sind, kann produktiv gewirtschaftet werden.
Rick meint, Dan sei der geborene Anführer, er könne andere begeistern und mitreißen. Deshalb ist er ein so erfolgreicher Sportler und wir tun alles dafür, seine Talente zu fördern. Er soll wissen, dass Anstrengung belohnt wird und Erfolg sich gut anfühlt. Positive Bestätigung funktioniert besser als Bestrafung, aber negative Erfahrungen können ebenso Ansporn sein. Es gilt, einen Ausgleich zu finden und das ist die Aufgabe der Eltern: Bestätigen, wo etwas gut gemacht wurde, auf Fehler hinweisen und Effekte nicht von den Kindern fernhalten. So lernen sie von ganz allein, welches Verhalten sie weiter bringt und welches in eine Sackgasse führt.
Ich bin froh, einen Mann zu haben, der diese Ansichten vertritt und mir klar gemacht hat, worauf es im Familienleben ankommt. Ich will, dass wir an einem Strang ziehen, denn damit lässt sich mehr erreichen, als wenn man gegeneinander arbeitet und seine Zeit mit Streit und Grabenkämpfen vergeudet. Unsere Kinder sollen lernen, dass Kooperation innerhalb der Familie der Schlüssel zur Zufriedenheit und Konkurrenz in der Arbeitswelt der zum Erfolg ist. Sie sollen stark sein, wenn es drauf ankommt, sich durchzusetzen und loyal, wenn es ihnen einen Vorteil bringt. Das Leben ist keine komplizierte Sache, wenn man sich an diese simplen Grundsätze hält. Rick hat es damit zum Filialleiter einer Bank gebracht, wo er die Verantwortung für über zwanzig Angestellte übernimmt.
Er sagt, er brauche den Ausgleich. Wenn er die ganze Woche über mit Geld und Zahlen arbeitet, so muss er am Wochenende etwas Handfestes tun. Er will die Natur spüren, die Kraft der Elemente und der Wildnis. Er müsse spüren, dass er am Leben sei, sagt er, den Kontakt herstellen und neu justieren.
Er hat eine sehr feine Verbindung zu seinen Mitmenschen. Immer hat er die richtigen Worte parat. Immer weiß er, was zu tun ist. Alles scheint er schon erlebt zu haben und damit vermittelt er uns Sicherheit. Ein Mann muss eine Person sein, der man vertrauen und eine Frau muss eine Person sein, die vertrauen kann. Das hat meine Mutter immer gesagt und sie war mit Rick als meiner Wahl äußerst zufrieden. Er wird dich gut versorgen, hat sie gesagt und Recht behalten.
Ich kann mich wirklich nicht beschweren. Es geht uns gut, unsere Kinder sind beliebt und werden von allen gelobt. Unser Haus und unseren Garten halte ich gepflegt. Wir achten auf unser Äußeres und darauf, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Wir reden nicht über Politik oder andere Themen, über die man leicht in Streit gerät und das ist auch schon das ganze Geheimnis einer und unseren glücklichen Ehe.
Man muss kein extravagantes Leben führen oder unrealistischen Traumbildern hinterher jagen. Es reicht, seinen Ehrgeiz auf erreichbare Ziele zu richten und zufrieden zu sein, wenn man sich eine kleine Existenz aufgebaut hat. Stolz steht dem Glück im Weg, Ehrgeiz ist sein Wegbereiter.
Diese Nation hat eine ruhmreiche Geschichte und sie ist nicht getrieben von leerem Stolz, sondern von Ehrgeiz und dem Willen, etwas zu erreichen, ein lebenswertes Umfeld zu schaffen und jedem die Möglichkeit zu geben, sein Glück zu machen.
Rick und die Kinder kommen vom Fischen zurück. Ich habe den Grill gesäubert, aber es ist Ricks Aufgabe, das Feuer zu entfachen. Während er Dan in diese Kunst einweisen wird, werde ich Melanie zeigen, wie man einen Fisch zubereitet. Wo der Künstler mit seinen Farben hantiert, hantiert die Hausfrau mit ihren Gewürzen und wie der Maler kann sie damit ein Meisterwerk erschaffen oder sich in Grund und Boden blamieren.
Allein: Sie kommen mit leeren Händen zurück.
Ich sehe Rick fragend an, aber er wirft nur seine Angelausrüstung in den Flur und stapft hinauf ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Dabei hinterlässt er matschige Schuhabdrücke im Flur und auf den Treppenstufen. Ich weiß, dass es nichts nutzt, sauer auf ihn zu sein, aber ein wenig ärgert mich Ricks Rücksichtslosigkeit. Mag sein, dass er wütend ist, dass sie nichts gefangen haben, mag sein, dass er sich deswegen vor mir schämt, mag sein, dass er fürchtet heute Abend nichts Ordentliches zu Essen zu bekommen, aber das an den frisch geputzten Böden auszulassen, wäre nicht nötig gewesen.
Ich gehe zum Wandschrank und suche Schrubber und Putzeimer hervor, währenddessen läuft mir Melanie in die Arme und weint sich an meiner Schulter aus. Eigentlich ist sie zu alt für so etwas, aber ich warte bis sie sich beruhigt hat, um ihr das zu sagen.
Sie schluchzt: „Es ist einfach unfair!"
„Was?", frage ich.
„Dad erlaubt mir nicht zu Chloes Party zu gehen. Ich habe ihm gesagt, dass keine Jungs da sein werden. Es ist eine ganz normale Party. Warum lässt er mich nicht gehen? Weiß er wie das aussieht, wenn ich da nicht hingehen darf? Stattdessen schleppt er mich mit zum Angeln! Das ist so unfair! Sieh, wie ich aussehe und wie ich rieche! Ich werde niemals wieder sauber, Mom! Sieh dir meine Haare an! Sie sind völlig durcheinander und Dan blockiert das Bad."
„Aber was ist denn das für eine Party?", frage ich.
„Na, eine für den vierten Juli. Chloes Dad hat gesagt, er fährt uns in den Park, um das Feuerwerk zu sehen. Das ist viel cooler als das hier draußen, wo jeder seine eigenen Sachen in die Luft jagt. Aber Dad sagt, er will mich nicht hinfahren."
„Wir haben gesagt, dass wir den vierten Juli zusammen verbringen, Schatz", sage ich, „Das ist ein Familientag und wir haben alles dafür vorbereitet."
„Wir haben ja nicht einmal einen einzigen Fisch gefangen!", ruft sie verzweifelt und ich argwöhne, dass sie etwas mit diesem Misserfolg zu tun hat.
In diesem Moment kommt Dan aus dem Bad und rubbelt sich die Haare trocken. Dabei verteilt er Schaum und Wasser auf dem ohnehin schon verdreckten Fußboden.
„Was ist los?", frage ich.
„Sie hat den ganzen Eimer voller Fische in den See gekippt. Vorsätzlich!"
„Es war ein Versehen!", besteht Melanie.
„Ach ja? Sonst bist du doch nicht so ungeschickt!", sagt Dan, „Du wolltest doch von Anfang an nicht mitkommen. Du bist einfach eine Zicke, Mel, das ist alles. Du kannst nicht damit umgehen, wenn sich mal nicht alles um dich dreht."
„Das kann ich sehr gut!", behauptet sie, „Ihr wärt mich den ganzen Abend los, wenn Dad mich zu Chloe fahren würde."
„Dad wird dich nicht zu Chloe fahren", interveniere ich. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie die Fische mit voller Absicht zurück ins Wasser geworfen hat und dafür kann ich sie ja wohl kaum damit belohnen, dass sie heute Abend nicht hier sein und sich die schlechte Laune ihres Vaters antun muss.
Melanie beginnt zu schmollen, lässt von mir ab und stürmt ins Bad. Die Tür knallt sie hinter sich zu, nur um sie dann wieder aufzureißen und Dan anzubrüllen: „Hast du wirklich vor, mir das Bad so zu hinterlassen?"
„Wie denn?", fragt Dan und grinst.
„Wie ein Saustall, Dan! Was hat du da drin gemacht? Ein Schwein gewaschen, das sich im Schlamm gesuhlt hat?"
Ich gehe hinüber zu Melanie und drücke ihr Putzeimer und Lappen in die Hand: „Wenn du ein sauberes Zuhause haben willst", sage ich, „Dann musst du auch etwas dafür tun."
Ich weiß, dass ihr das nicht gefällt, aber sie ist keinen Deut weniger dreckig als ihr Bruder und wenn nicht alles an mir hängen bleiben soll, muss ich meine Tochter dazu erziehen, ihren Teil der Haushaltsaufgaben zu erfüllen.
Dan hat sich seine kurze Freizeithose angezogen und schlendert mit freiem Oberkörper hinaus in den Garten, wo er sich aus dem bereit gestellten Getränkekühler eine Cola nimmt.
„Mom, du glaubst gar nicht, was ich für einen Fisch an der Angel hatte!"
„Ich glaube dir", sage ich, „Aber unter den gegebenen Umständen gibt es heute nur Salate."
Rick kommt hinunter. Auch er hat sich gewaschen und umgezogen. Seine Wut ist ein wenig verraucht, aber er gibt mir trotzdem keinen Kuss, sondern grummelt: „Mel nimmt sich zu viel heraus. Ich habe ihr zwei Wochen Hausarrest erteilt und du wirst ihr das Makeup in dieser Zeit wegsperren. Sie muss nicht aufgedonnert wie ein Filmstar im Haus herum laufen."
Ich bestätige seine Strafe und versuche ihn ein wenig aufzumuntern: „Ob Fisch oder nicht, mein Kartoffelsalat hat dir doch noch immer am besten geschmeckt."
Er lächelt nicht, sondern geht nach draußen in den Garten, setzt sich zu Dan und nimmt sich ein Bier.
„Für nichts und wieder nichts", murmelt er vor sich in, „All die Anstrengung."
„Dad, das nächste Mal nehmen wir sie einfach nicht mehr mit", schlägt Dan vor, „Es hat ihr sowieso keinen Spaß gemacht und das versaut uns die ganze gute Laune."
„Ja, Dan", sagt Rick, „Das nächste Mal gehen nur du und ich. So ein richtiger Vater-Sohn-Nachmittag, wie es sich gehört!"
Das scheint ihn aufgeheitert zu haben und ich bringe die Salate nach draußen.
„Wo bleibt nur Mel?", frage ich.
„Ach, lass sie auf dem Klo schmoren!", sagt Dan.
Wir essen, ohne dabei zu reden. Wir kauen auf den Salatblättern herum und tun so, als würde es uns schmecken und als würden wir davon satt. Es ist ein Gebot der Höflichkeit, sich nicht über Dinge zu beschweren, die niemand der Anwesenden mehr beeinflussen kann.
Melanie taucht an diesem Abend nicht mehr auf und Rick erwähnt ihren Namen in keinem unserer Gespräche. Dan genießt unsere Aufmerksamkeit. Ich argwöhne, er spekuliert auf eine Position als Lieblingskind, die er – wenn es nach Rick geht – ohnehin inne hat.
„Ich brauche einen neuen Baseballhandschuh", sagt er schließlich, „Wir können in dieser Saison wirklich etwas reißen und ich habe dem Trainer versprochen, dass ich mein Bestes geben werde."
„Aber du hast doch erst vor Kurzem neue Schuhe bekommen", sage ich.
„Stellt nicht eure Schule das Equipment?", fragt Rick.
„Nur denjenigen, die kein eigenes haben und das Schulzeug ist uralt und löst sich schon fast in seine Bestandteile auf und es riecht ekelig. Dad, ich kann da nicht auftauchen und mit einem Handschuh der Schule spielen. Alle sehen mich an, wenn ich auf dem Platz stehe."
„Wo ist das Problem mit deinem alten Handschuh?", frage ich.
„Der passt nicht mehr", behauptet Dan.
„Wie das?", fragt Rick.
„Na, meine Hand ist gewachsen. Der Handschuh ist schon zwei Jahre alt. Da bin ich raus gewachsen. Der war ja noch für Kinder. Dad, niemand spielt mehr mit so einem Handschuh. Ich brauche unbedingt einen Neuen, wenn die Schule wieder losgeht. Es wäre furchtbar peinlich, wenn ich keinen hätte."
Das sehe ich ein und ich sage: „Na schön. Du spielst ja sehr gut. Also fahren wir nächste Woche in die Stadt."
„Moment mal", grätscht Rick dazwischen, „Dazu habe ich noch nicht ja gesagt!"
„Wo ist das Problem?" frage ich, „Er braucht den Handschuh, er ist in der Schulmannschaft."
„Wenn ich Dan etwas kaufe, will Mel auch gleich wieder etwas. Wir dürfen sie nicht so verwöhnen."
„Mel hat es nicht verdient, etwas zu bekommen", mischt sich Dan ein.
„Du hältst dich da raus", sage ich.
„Hast du es denn verdient?", fragt Rick.
„Dad, ich bin in der Schulmannschaft. Die zählen auf mich!"
„Rick, es ist in Ordnung. Er braucht den Handschuh", sage ich.
„Einen feuchten Kehricht braucht er!", ruft Rick und schlägt mit der Faust auf den Tisch, „Wenn dir dein Handschuh zu klein ist, werden wir auf dem Dachboden nachsehen, ob mein alter Handschuh noch irgendwo dort oben ist. Ich bin sicher, mit dem kannst du genauso gut spielen."
„Aber Dad! Alle anderen bekommen einen neuen Handschuh!"
„Genug davon!"
„Was hast du denn?", frage ich.
„Diese Kinder bekommen zu viel und tun so wenig dafür", sagt Rick.
Ich bedeute Dan, er solle hinein gehen. Er hat schon verstanden, dass er seinen Vater zur falschen Zeit gefragt hat. Er wird es morgen oder übermorgen wieder versuchen. Bis zum Ende der Ferien jedenfalls wird er seinen neuen Handschuh haben, da ist er sich sicher und da bin ich mir sicher. Rick will ihm nur die Grenzen aufzeigen, will ihn ein bisschen zwiebeln, ihm eine kleine Machtdemonstration darbieten. Väter tun so etwas manchmal, denn Söhne brauchen es von Zeit zu Zeit.
Dan geht hinein und ich spreche unter vier Augen mit Rick: „Vielleicht können wir ja zu seinem Geburtstag..."
„Beth, ich habe nein gesagt! Was veranlasst dich, zu glauben, dass ich nicht bei meinem Wort bleibe? Du und die Kinder, ihr habt euch einen Lebensstil angewöhnt, der auf Dauer ein wenig kapriziös wird."
„Was?", frage ich.
„Kapriziös. Melanie redet nur noch davon, auf Parties zu gehen und sich teure Kleider zu kaufen. Dan hält es für selbstverständlich, dass man ihm jeden Wunsch erfüllt und du scheinst überhaupt nicht mehr auf die Preise für unsere Lebensmittel zu achten. Erst gestern habe ich gesehen, wie du einen ganzen Sack Kartoffeln weggeworfen hast."
„Aber sie sind schlecht geworden", sage ich, „Willst du etwa verfaulte Kartoffeln essen?"
„Dann kauf halt nicht so viele Kartoffeln!", brüllt Rick mich an. Ich erstarre. Sowas hat er noch nie zu mir gesagt. Er hat mir immer freie Hand bei der Haushaltskasse gelassen. Er hat mir vertraut.
„Entschuldige", sage ich, „Sie sind schlecht geworden. Wir haben in letzter Zeit zu selten Kartoffeln gegessen."
„Ich möchte, dass wir unsere Ausgaben reduzieren", sagt Rick, „Ich möchte, dass du ein Haushaltsbuch führst und ich möchte, dass du mich vorher fragst, wenn du außergewöhnliche Dinge kaufst."
„Außergewöhnliche Dinge?"
„Kleider, Dekoration, Schmuck, Kosmetik. Beth, es kann nicht sein, dass das hier außer Kontrolle gerät!"
„Aber was soll denn außer Kontrolle geraten?", frage ich, „Wir haben doch keine Probleme." Es ist meine feste Überzeugung, keine Frage.
Rick antwortet nicht.
Also wiederhole ich meine Frage: „Was soll außer Kontrolle geraten?"
Rick kann es nicht sagen, das sehe ich ihm an. Es gibt eine Antwort auf meine Frage, aber er bringt sie nicht über die Lippen. Stattdessen starrt er an mir vorbei in den Garten, versucht, nicht zu blinzeln, versucht irgendwie, drum herum zu kommen, die Wahrheit zu sagen.
Die Sonne geht langsam unter und der Garten ist in ein romantisches Licht getaucht. Eigentlich sollten wir jetzt mit Sekt anstoßen und uns auf das Feuerwerk freuen. Normalerweise würde Rick es jetzt herausholen und den Kindern einen Vortrag darüber halten, aber Mel schmollt in ihrem Zimmer und Dan hat uns vermutlich streiten gehört und wagt es ebenfalls nicht mehr, hinaus zu kommen.
Rick und ich sitzen da, zwischen uns eine unausgesprochene Sache, die er kennt und ich nicht. Es geht hier nicht um einen Sack Kartoffeln, das weiß ich. Auch nicht um einen Baseballhandschuh. Es geht auch nicht um Hausarrest, Parties oder Schmuck. Rick hat es schon gesagt, es geht um Kontrolle und egal, was her behauptet, verhindern zu wollen: Er hat sie längst verloren.
„Erinnerst du dich an das Geld, mit dem wir den Fernseher gekauft haben?", fragt er schließlich. Das Grillenzirpen ist lauter als seine Stimme.
„Ja. Du hast ihn bar bezahlt", sage ich.
„Das Geld, es war nicht meins. Ich habe es genommen."
„Von wo hast du es genommen", frage ich.
„Vom Kassenschalter", sagt er.
„Ich habe einfach zugegriffen und es genommen. Dann habe ich die Bücher manipuliert, damit es nicht auffällt."
„Rick, du musst das Geld zurücklegen!", sage ich, „Gleich am Montag, bringst du es wieder hin. Das ist Diebstahl, weißt du!"
„Ich muss es nicht wieder zurücklegen", sagt Rick, „Sie haben es mir schon vom Lohn abgezogen."
Ich blicke ihn ungläubig an: „Das heißt, du hast es deinem Boss gesagt? Hat er es dir als Darlehen gewährt? Rick, es ist in Ordnung, wenn wir diesen Monat etwas zurückhaltender sein müssen. Du musst es mir nur sagen!"
„Nein", sagt Rick, „Sie haben es mir nicht als Darlehen gewährt. Sie haben es als Diebstahl gewertet und mich letzte Woche entlassen."
„Aber...", das liegt jenseits meiner Vorstellungskraft, „aber du bist jeden Morgen zur Arbeit gegangen."
„Nein", sagt er nur.
„Aber du hast das Haus verlassen!"
„Ich konnte es dir nicht sagen, Beth."
„Aber wieso nicht? So etwas muss ich doch wissen. Mein Gott, Rick! Was soll jetzt werden? Werden wir das Haus halten können? Müssen wir den Wagen verkaufen? Was ist mit den Kindern?"
„Wir werden erst einmal sparen müssen", sagt Rick.
„Sparen? Wie sollen wir denn sparen, wenn kein Geld mehr hinein kommt? Wir werden unsere Ersparnisse aufbrauchen müssen. Was wird dann aus den Collegefonds für die Kinder? Was ist mit unseren Rücklagen fürs Alter? Kannst du mit der Vorgeschichte überhaupt jemals wieder eine Stellung bekommen? Rick, wie soll es jetzt weiter gehen?"
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