5. Das Schwert des Caligár
Soundtrack: Hans Zimmer - Jack Sparrow aus dem POTC: Dead Man's Chest OST. Am besten ab Minute 1:41 abspielen, in dem Moment, in dem Sindrak in den Wald läuft. Stellt es euch ruhig bildlich vor.
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Der grünschuppige Knochensammler packte mich am Kragen und warf mich über die Reling. Ich kam nicht einmal mehr dazu, meinen Fuß zu heben, so erschöpft war ich nach den Stürmen, die Siarthys über uns gebracht hatte. Mit dem Gesicht voran fiel ich in den nassen Sand, Wasser spritzte auf.
„Vorwärts, Karr", befahl der Geschuppte beinahe freundlich, ein seltsamer Gegensatz zu seinen rüden Taten.
Mit einem finsteren Blick erhob ich mich und schüttelte mir das warme Wasser aus der Mähne. Sand scheuerte zwischen den Seilen und meinen Handgelenken. Mein Magen rebellierte noch immer.
Ich hatte gedacht, dass Erraxas Biss der Banshee's Wrath eine Schneise zwischen den haushohen Wellenbergen, die Siarthys auf uns hetzte, bereitete, doch ich hatte mich geirrt. Der Biss hatte das Schiff nur vor der Zerstörung bewahrt. Gepackt, geschüttelt, durchnässt und erschöpft hatten die Wellen und die brüllenden Windböen uns dennoch. Ich hatte zitternd in der Dunkelheit zwischen Marre und Vailorne gesessen und mich an den Gitterstäben meiner Zelle festgeklammert, Erbrochenes, vermischt mit dem Wasser, das durch die Luken auf uns hinab rann, war über meine Füße geflossen. Arcauls wütende Schreie, das Poltern seines Körpers gegen die Zellenwand und das Geräusch von Krallen auf Holz hatten jedoch selbst Wind und Meer übertönt. Bei jedem Grollen, jedem Scharren war ich zusammengezuckt. Marre hatte mich mit skeptischen Blicken bedacht, doch sie hatte keine Fragen mehr gestellt.
Ich wischte mir über die Augen, Sand kratzte selbst in ihnen, und sah mich schniefend um. Noch immer ballten sich dunkle Wolken über uns zusammen, doch der Wind war zu einer Brise verraucht. Die Insel, auf der Caligár Rha'Ytun bezwungen hatte, war identisch mit tausenden anderen Vulkaninseln. Hohe, schroffe Felsen ragten über einem dichten Gestrüpp auf, der mit viel gutem Willen als kleiner Wald zu bezeichnen war. Er war unberührt, ohne jede Spur von Messern, die sich einen Weg hindurch gebahnt hatten, und der Schatzjäger in mir jubelte leise. Unberührte Wälder bedeuteten meistens, dass nichts geplündert war und es dementsprechend viel Beute gab. Oder aber, dass alle Abenteurer, die es bis hierher geschafft hatten, bereits auf dem Strand gestorben waren.
Oder es noch nicht einmal bis zum Strand geschafft hatten. Ich sah die Überreste mehrerer Schiffe im Sand stecken. Masten stachen aus dem Wasser zwischen den vorgelagerten Felsen. Niemand außer uns hatte wohl jemals einen Fuß auf die Insel gesetzt. Wir und Caligár.
Marres Crew saß, zusammen mit Vailorne, bewacht von einigen Knochensammlern, neben dem aufragenden, zersplitterten Bug eines Schiffes. Ihr Captain wurde von zwei Männern von Bord geleitet, doch sie wurde, ebenso wie ich, zu Farraday und Myazi geführt, der nahe der Bäume und Büsche mit seinen offensichtlich besten Männern sprach. Rotchcaft stand mit verschränkten Armen neben ihnen.
„Nun denn." Myazi konnte seine Gier kaum verbergen. „Wo ist das Schwert, Master Farraday?"
Farraday nickte auf die schwarzen Felsen. „Der Legende nach bekämpften Caligár und Rha'Ytun sich auf Caligárs Schiff, das durch den Zorn des Meeresgottes gegen die Klippen getrieben wurde. Und dort, auf dem Wrack, muss es sein. Die Insel ist nicht groß. Es wird nicht schwer zu finden sein."
Myazi blickte zu den Felsen auf. „Dann..."
Ein Schrei unterbrach ihn. Einer der Männer, die die Beiboote sicherten, brach zusammen. Ein Pfeil steckte in seinem Hals, das Blut rann über seine Brust. Gurgelnd brach er zusammen. Alarmierte Rufe erhoben sich, hektisch sahen die Umstehenden sich um. Schwerter klirrten in den Scheiden. Mir wurde plötzlich schmerzhaft bewusst, dass ich keine Waffe außer meinen rostigen Dolch besaß, doch den musste ich geheim halten. Die Knochensammler würden ihn mir abnehmen, sobald sie ihn entdeckten.
„Zu den Waffen!", bellte Rotchcaft. „Musketen und Pistolen!"
Ein zweiter Pfeil traf eine Frau in der Stirn, und sie sackte zusammen. Ich konnte das Rasen der Herzen beinahe spüren. Angespannt blickten die Knochensammler um sich.
Ein dritter Pfeil surrte, und einer der Männer neben Myazi umklammerte keuchend seinen Hals. Sein Blut vermischte sich mit dem Sand.
„Das kommt aus dem Wasser!", schrie Rotchcaft. „Feuert, sobald ihr etwas seht!"
„Oh, beim Einäugigen", murmelte Myazi. Heftig stieß er den Sterbenden zur Seite, Blitze spielten um seine halbversehrte Hand. „Weg vom Wasser!"
Hastig stolperten die Männer von den Beibooten fort, die Waffen fest in den Händen. Einer von ihnen wurde von einem Pfeil in den Rücken getroffen. Heulend fiel er vornüber. Das Wasser kräuselte sich.
Myazi schrie ein Wort, die Luft begann zu summen, und es roch stechend nach Ozon. Mein Fell sträubte sich. Ein Kugelblitz bildete sich um Myazis Hand, und er schleuderte ihn ins Meer.
Er schien keinen Effekt zu haben, doch einer der Männer, der noch im nassen Sand gestanden hatte, wurde gegen die Beiboote geschleudert. Er zuckte, dann lag er still.
Erneut flackerten Blitze um Myazis Hand. Das Wasser wellte sich, stärker als zuvor, als lauere etwas Großes unter der Oberfläche. Angespannte Stille breitete sich aus. Ich meinte, eine Schlange unter Wasser zu erahnen, doch der Anschein verflog so schnell, wie er gekommen war. Nur noch türkisblaues Meer.
Farraday trat vor. „Siarthys!" Stille war die Antwort.
„Sie wird wohl nicht so freundlich mit Euch sprechen wie Erraxa", bemerkte Myazi spöttisch.
Eine Idee stieg in mir auf. Ich vergewisserte mich, wo mein Dolch steckte, und positionierte mich. Mein Herzschlag hämmerte in meinem Hals.
Der Geschuppte neben mir lächelte flüchtig. „Keine Angst, Mann", murmelte er, wohl mehr zu sich selbst als zu mir und meinen scheinbaren Bemühungen, mich hinter ihm zu verstecken. Beinahe tat er mir leid. Sein breiter Rücken gab eine hervorragende Deckung ab.
„Siarthys!", rief Farraday erneut.
Das Wasser wellte sich, begann zu brodeln. Der Wind frischte auf. Schwarze Rückenflossen, hoch und gerade, stachen durch die Wasseroberfläche, Blaswolken stiegen zischend in den Himmel. Die Wellen schienen sich zurückzuziehen, zurückgehalten durch die Macht einer Göttin. Ich wollte nicht wissen, was geschah, wenn sie die See auf uns hetzte. Innerlich betete ich zu allen Unheiligen, dass Erraxas Segen uns noch immer schützte.
Das Meer brach auf den Strand, als suche eine neuerliche Sturmflut uns heim, überspülte uns alle und riss viele von den Füßen. Manche wurden gar bis ins Meer gespült, blaue, schlangenartige Leiber mit schiefen Stacheln und Kämmen auf den Rücken näherten sich den Unglücklichen. Ich erhaschte einen Blick auf einen weiteren Seedrachenkörper, bläulich grün changierend wie jener, der sich um Erraxas Wrack gewunden hatte, doch statt eines Kopfes endete dieser im Oberkörper einer Frau, mit schwarz flackernden Mustern an den Armen, die sie mit dem Meer verschmelzen ließen, gekleidet in eine Rüstung, die aus einem riesigen Krebs gefertigt zu sein schien. Ihr Helm war mit einem Kamm aus roten Korallen geschmückt, und sie trug Pfeil und Bogen in den Händen. Ihre Augen schienen golden zu glühen.
Der Geschuppte neben mir strauchelte, und ich rammte ihm von unten den Dolch in den Hals. Keuchend brach er zusammen. Wütende Rufe erhoben sich, doch sie wurden verschluckt vom Tosen des Wassers. Ich wandte mich um und rannte, hinein in die schier undurchdringliche Mauer aus Bäumen und Büschen.
Lianen und herabgefallene Äste schienen Fallen gebaut zu haben, eigens dafür, dass ich hinein trat. Ich stolperte, mein eigener Dolch schlitzte mir den Arm auf, und ich fluchte innerlich. Nun hatten sie eine Spur, der sie folgen konnten.
„Der Karr ist verschwunden!", schrie jemand.
Ich fluchte erneut, diesmal geflüstert, und steckte meinen Dolch in den Gürtel. Hektisch rappelte ich mich auf und lief weiter, tiefer in den Wald hinein. Zweige peitschten in mein Gesicht, während ich mir im Slalom einen Weg durch die Bäume bahnte.
„Ihr da!", vernahm ich die schrille Stimme Rotchcafts. „Kommt mit mir! Ihm nach!"
Blut rann meinen Arm hinab. Ich konnte nicht einmal eine Hand darauf pressen. So schnell ich konnte, lief ich weiter, strauchelte, fing mich wieder, warf mich an Dornenbüschen vorbei, fiel, rollte mich ab und sprang wieder auf die Füße. Mein eigener Atem kam mir obszön laut vor.
Ein kleiner Tümpel tat sich vor mir auf, winzige, bunte Frösche sprangen aus meinem Weg, als ich an dem abschüssigen Ufer entlang sprang. Doch der letzte Tritt erwischte nur einen Haufen feuchter Blätter statt des erhofften festen Bodens, ich rutschte, und klatschte unangenehm laut in den Teich.
„Dort drüben!"
Ich fluchte prustend und erhob mich aus dem Dreck. Der Grund war weich und schlammig. Ich schauderte vor Ekel, kletterte die Böschung empor und rannte weiter. Die Geräusche meiner Verfolger waren erschreckend nahe.
Es gab nur eine Möglichkeit, wie ich diese Insel nun noch lebend verließ. Ich musste das Schwert finden, die Banshee's Wrath kapern und mit ihr und Arcaul von dannen segeln. Dann hatte ich alles, was ich wollte. Außer der Dragon's Pride. Und einen Bruder, der mich nicht töten wollte. Doch wenn ich das Schwert hatte, würde ich für beides sorgen können, dessen war ich mir sicher.
Zunächst einmal musste ich jedoch meinen Verfolgern entkommen, bewaffnet nur mit einem Dolch, einem verletzten Arm und mit gefesselten Händen. Oder aber ich musste mich gut genug verstecken. Die Bäume waren allesamt nicht tauglich, und meine blutigen und gebundenen Hände taugten nur dazu, um gut sichtbare Abdrücke auf den hellen Rinden zu hinterlassen.
Schnell sah ich mich um, schlich so schnell ich konnte durch das Unterholz, als mir plötzlich der Boden unter den Füßen wegbrach. Steine kullerten dumpf übereinander, Holz knackte und Lianen rissen, als ich nach ihnen griff. Ich schnappte nach Luft, um einen Schrei zu unterdrücken.
Mein Fall endete abrupt und schmerzhaft. Der Aufprall trieb den Atem aus meinen Lungen. Steine knirschten gegen das Hex an meinem Rücken, und ich betete, dass die Zylinder mit dem Serum gehalten hatten. Alles in mir schrie danach, liegen zu bleiben und auf Rettung zu warten, doch die einzigen, die kommen würden, würden mich nicht retten.
Ich rollte mich herum, aus dem hellen Schein, der durch das Loch weit über mir fiel, und drückte mich tiefer in die kühlen Schatten. Fledermäuse wisperten irgendwo in der Dunkelheit. Hastig begann ich, meine Fesseln durchzuschneiden. Irgendwo über mir verklangen die Schritte meiner Verfolger.
Meine Rettung blieb, dass, selbst wenn der Dolch rostig war, ich die Schneide immer scharf gehalten hatte. Wenn meine Befreiung länger gedauert hätte, hätte ich sicherlich die Nerven verloren. So rieb ich mir nur den Dreck aus meinen aufgescheuerten Handgelenken und dachte sehnsüchtig an den Handschuh mit den Metallklauen und die Armschiene mit der Armbrust. Mit dem Dolch schnitt ich einen Streifen meines Hemdes ab und verband meinen Arm. Ein blutstillendes und wundreinigendes Mittel hing an meinem Trankgürtel, doch der lag sicher verwahrt auf der Banshee's Wrath. Schätze jagen ohne vollständige Ausrüstung wurde weithin als wahnsinnig angesehen, fiel mir ein, und das Wissen, dass es wahr war, ließ meine Nerven noch mehr flattern.
Wieder hinauf zu klettern war unmöglich. Die Wände waren glatt und steil, und die Lianen viel zu dünn, als dass ich mich an ihnen festhalten konnte. Ich erahnte einen Weg in den Berg hinein, und er war der einzige, den ich einschlagen konnte. Schicksalsergeben folgte ich dem Gang.
Myazi hatte es nicht für nötig gehalten, mir meine Fliegerbrille abzunehmen, und so sah ich trotz der Dunkelheit jedes Detail. Fledermauskolonien hingen an der Decke. Salzwasser rann die Wände hinab. Zuweilen musste ich durch tiefe Tümpel schwimmen, und ich dachte mit Grauen daran, was geschah, wenn mich hier unten etwas überraschte. Doch nichts schien mich zu finden. Mich verstecken und durch die Finsternis schleichen konnte ich.
Der Gang wurde immer breiter, immer höher, und ich erahnte einen Hauch von Tageslicht. Ich huschte die letzten Schritte darauf zu, verbarg mich erneut in einem Alkoven, und lugte hinaus.
Ich war in einer Höhle angelangt, groß genug, um mehrere Schiffe darin unterzubringen. Licht fiel durch ein Loch in der Decke herein. Ich verstand nicht viel davon, doch ich konnte mir denken, dass das Meer den Berg so lange ausgehöhlt hatte, bis die Decke eingestürzt war. Weitere Sonnenstrahlen schienen durch den riesigen Eingang der Höhle hinein, klaffend wie das lächelnde Maul eines stumpfsinnigen Riesen. Ich sah ein paar Büsche an seinem Rand, herabhängende Lianen und dahinter die See, leer bis an den Horizont. Felsen durchsetzten den Sand am Boden der Höhle. An dem höchsten von ihnen lehnte, wohl hereingetragen durch einen mächtigen Sturm, ein gewaltiges Wrack.
Die Masten waren gebrochen, Taue und Segel waren längst verrottet. Der gesplitterte Bug schien den Felsen zu umarmen wie eine eifersüchtige Geliebte. Wie Rippen stachen grünlich graue Spanten und Planken in die kühle, feuchte Luft. Die Galionsfigur stellte eine Dämonenfrau dar, mit ausgestreckten Krallen und verzerrtem Gesicht. Sie erinnerte mich unangenehm an Erraxa.
Ich wusste, wessen Schiff dies war. Mein Herzschlag beschleunigte. Dort musste es sein. Das Schwert des Caligár.
Bewacht von einem Seedrachen, dessen schlangenartiger Leib sich zwischen die Felsen wand. Sein Leib war an der dicksten Stelle groß genug, dass eine Kutsche hindurch gepasst hätte. Er war der größte Seedrache, den ich je gesehen hatte, mit den gleichen schwarz changierenden Mustern auf der Haut wie Siarthys. Sein mit Kämmen geschmückter Kopf ruhte schlafend und doch furchteinflößend neben dem Bug des Schiffes. Seine Zähne waren länger als meine Schwerter. Von meinem Dolch ganz zu schweigen.
Ich würde das tun müssen, was ich am besten konnte. Schleichen und mich verstecken. Bis ich auf das Schiff gelangt war. Ich war so nahe an meinen Zielen. Meine Finger zuckten, als schlossen sie sich bereits um den Schwertgriff.
Kurz sammelte ich mich, dann lief ich los, von einem Felsen zum anderen, immer darauf achtend, dass der Wind meinen Geruch nicht zu dem Drachen trug. Ich sprang elegant über Pfützen aus Seewasser und drückte mich gegen das raue Gestein, mein Herz so laut, dass ich glaubte, der Drache müsste es hören. Ich musste nur wenige Augenblicke gebraucht haben, doch mir kam es vor wie eine schreckliche, zitternde Ewigkeit.
Plötzlich lief ein Beben durch den Körper des Drachen. Die Muster auf seinem Rücken wurden dunkler, flackerten schneller, und mit einem Geräusch, das nach dem Tosen von Wellen auf Klippen klang, hob er den Kopf. Seine Augen waren schwarz, ohne Iris, ebenso wie das Innere seines Mauls. Erneut brüllte er, die Höhle erzitterte. Beinahe klang es klagend. Das Rauschen des Meeres nahm zu. Panisch drückte ich mich gegen den Felsen, doch er beachtete mich nicht. Fauchend löste er seinen Griff um das Schiff, glitt aus der Höhle und verschwand.
Irritiert blickte ich ihm nach. Doch ich durfte keine Zeit verlieren, falls er zurück kam. Schnell überquerte ich den letzten Streifen Sand zwischen meinem Versteck und dem tief im Sand vergrabenen Heck des Schiffes und drückte mich zwischen zwei Planken hindurch ins Innere des Schiffes.
Ich war auf dem Orlopdeck des Schiffes, erkannte ich, zwischen rostigen Kanonen und verfaulten Pulverfässern. Beinahe war ich versucht, nach Gold im Schiffsbauch zu suchen, doch zuerst wollte ich das Schwert, bevor die anderen mich fanden. Die Schätze, die die Banshee's Wrath bei sich trug, waren sicherlich auch nicht zu verachten, tröstete ich mich.
Stück für Stück kämpfte ich mich an Stützpfeilern, Spanten und Luken entlang, bis hin zu einer Treppe, die aufs Hauptdeck führte. Die Planken zerfielen unter meinen Füßen, und ich stolperte hastig bis zum Mast.
Das Schwert entdeckte ich auf dem Achterdeck. Ich schlich die Treppe hinauf, immer mit Blicken um mich, bevor der Drache zurück kam oder Myazis Männer mich doch entdeckten. Doch niemand hielt mich auf, als ich auf das Steuerrad zutrat und das Schwert, das zwischen den Speichen in der Halterung steckte, genauer betrachtete. Die Knochen eines Drachenbluts lagen verstreut um es herum. Beinahe war ich versucht, die Goldzähne aus dem Schädel zu brechen, doch ich sah davon ab.
Das Schwert war ein Säbel, zur Spitze hin etwas breiter, leicht gekrümmt. Der Stahl schimmerte bläulich, die Linien darauf erinnerten mich an Wellen und Schaumkronen auf dem Meer. Das Leder des Griffs war blank und abgenutzt. Der Korb war geformt wie ineinander verschmolzene Haie und Tentakeln, der Knauf hatte die Form eines Hammerhais. Weitere Tentakeln ringelten sich über die Klinge.
Als ich die Hand nach ihm ausstreckte, spürte ich die gleiche dunkle, boshafte Aura, die ich bereits bei Erraxa bemerkt hatte, ein Gefühl von kalter, spröder Gischt, von Stürmen und aufgetürmten Wolken, von Haischwärmen und dem Ruf einer stahlgrauen See. Wenn ich eine Wahl hätte, wenn nicht mein Leben und Arcauls von dieser Klinge abhängen würde, würde ich sie dort lassen, wo sie war. Alles in mir sträubte sich dagegen, diese Waffe zu berühren. Ich schluckte hart, dann schloss ich meine Finger um den Griff.
Das Schwert schien vor Magie zu vibrieren, doch als ich es probeweise schwang, fühlte es sich an, als hätte ich nie eine bessere Waffe getragen. Es schmeckte nach Macht und Unbesiegbarkeit, ein so berauschendes und doch unangenehmes Gefühl, dass ich es am liebsten wieder fallen gelassen hätte. Ein dunkles, heiseres Flüstern schlich durch meinen Kopf, die Stimmen hunderter gefangener Dämonen und eines gebannten Gottes, und murmelte unverständliche Versprechen.
Ich verzog das Gesicht, steckte die Waffe in meinen Gürtel und schlitterte durch den Schiffsbauch zurück auf den sicheren Boden. Das Raunen des Schwerts verstummte nicht, doch zumindest wurde es leiser. Dennoch war es verflucht unangenehm, ununterbrochen das Gefühl zu haben, als stünde etwas hinter mir und zischte mir in Ohr. Es trieb mich ein wenig in den Wahnsinn.
Ich schlich aus dem Höhleneingang, hinein in die niedrigen Büsche, und huschte geduckt hinein in den Wald, dorthin, wo ich den Strand vermutete. Mein Gefühl ließ mich nicht im Stich. Ich lief über einen letzten kleinen Kamm, lugte zwischen den Palmen hervor, und erblickte den Strand. Noch immer saßen Marres Männer zwischen den Wrackteilen, bewacht von einigen gelangweilt wirkenden Wachen. Einige Knochensammler blickten aufmerksam in die Wand aus Grün, die vor ihnen aufragte, die Waffen bereit. Manche wirkten beunruhigt und warfen verstohlene Blicke auf einen riesigen, verschmierten roten Fleck in der Nähe der Wasserlinie. Verstreute Schuppen schimmerten im diesigen Sonnenlicht. Palmblätter bedeckten mehrere Erhebungen, unter einem lugte ein Arm hervor. Ich fragte mich plötzlich, was nach meiner Flucht hier geschehen war. Dämonen flüsterten in meinem Kopf.
Ich zog mich hinter den Kamm zurück und schlich durch den Wald auf die Felsen zu, die den Strand an beiden Enden säumten. Die Banshee's Wrath lag dunkel und majestätisch im türkisblauen Wasser, so nahe und doch ein ekelhaftes Stück weit weg.
Die Steine schnitten in meine Fußsohlen, und ich dachte sehnsüchtig an meine Stiefel. Bevor ich das Schiff übernehmen würde, würde ich meine Ausrüstung zurück stehlen, nahm ich mir vor.
Das Wasser war angenehm warm, und dennoch schauderte ich. Zu viele böse Wassergeister waren mir zuletzt begegnet. Rha'Ytun schien zu seufzen, als das Schwert ins Meer eintauchte. Ich watete an den Felsen vorbei, so nahe an die Banshee's Wrath heran wie nur möglich, dann stieß ich mich unter die Wasseroberfläche.
Ich glaubte, die Seedrachen würden mich zerreißen, sobald ich das sichere Ufer verließ, doch ich irrte mich. Das Riff war bevölkert von unzähligen Fischen, ich erkannte sogar ein paar wenige Drachen unter ihnen, beinahe perfekt getarnt, doch alle schienen vor mir zurückzuweichen. Selbst ein einzelner Hai, der das Blut an meinem Arm riechen musste, schien kaum Notiz von mir zu nehmen. Rha'Ytuns Flüstern in meinem Kopf wurde lauter.
Die Strömung hatte die Banshee's Wrath zwischen die Ankerkette und den Strand getrieben. Niemand konnte sehen, wie ich die schweren eisernen Kettenglieder hinauf an Bord kletterte und durch die Ankerklüse in den Schiffsbauch kroch. Meine Habseligkeiten fand ich in der Waffenkammer, achtlos in einen Beutel geworfen. Ich steckte das neue Schwert zu den anderen beiden an meinem Rücken, behandelte meine Wunde und legte meine Waffen an. Das Kribbeln des Hex-Cores an meinem Handrücken, abgeschirmt nur durch das Leder des Handschuhs, ließ mich wohlig schaudern. Ich war wieder ich selbst.
Im Schutz der schweren, eisenbeschlagenen Tür betrachtete ich das Schwert des Caligár genauer. Es musste einen Weg geben, wie ich das Schiff beherrschen konnte, doch ich wusste nicht, wie. Plötzlich bereute ich es, Farraday nie danach gefragt zu haben, wie das Schwert genau funktionierte. Vielleicht hätte ich ihn nicht auf der Insel zurücklassen sollen.
Mühsam kratzte ich alles zusammen, was ich über das Schwert und Caligár wusste. Er war ein Magier gewesen, der Dämonen beschworen hatte. Ich hatte bereits gegen Dämonen gekämpft, sie waren heimtückisch unangenehme Gegner, doch über sie geherrscht hatte ich noch nie. Magische Waffen kannte und besaß ich ebenfalls.
Ich konzentrierte mich auf das Schwert, stellte mir die Macht Rha'Ytuns vor, hörte auf, mich gegen ihn zu wehren und ließ sie zögerlich in meinen Körper fließen. Es fühlte sich an, als ränne das Wasser des Ozeans durch meine Adern, warm und eisig zugleich, ein Gefühl von Stürmen und unbekannten Tiefen, von Riffen voller Leben und durchs Wasser fallenden Sonnenstrahlen. Ich dachte an die Dämonen, eine geisterhafte Crew, die nur darauf wartete, meine Befehle zu empfangen. Ich versuchte, das Schiff zu fühlen, die fremdartigen Segel, die Flagge mit der Laterne der Banshee darauf, Tampen, Kanonen, Seile, Steuerrad, Masten, das Wasser unter dem Kiel, der Wind in der Takelage. Das Schwert in meiner Hand schien wärmer zu werden, ein merkwürdiges Gefühl stieg in mir auf, als breitete ein Vogel in meiner Brust langsam die Flügel aus. Mit einem gedämpften Triumphschrei stieß ich das Schwert nach vorn.
Leise tippte die Spitze gegen die Tür der Waffenkammer. Nichts geschah. Gleichmütig schlug das Wasser gegen die Planken.
Enttäuscht ließ ich das Schwert sinken und blickte ein wenig niedergeschlagen in die Dunkelheit. Es war das Schwert des Caligár. Es hatte die Macht, Schiffe zu beherrschen, so hatte Farraday es gesagt. Kurz kam mir der Gedanke, dass er alles nur erfunden hatte, doch Siarthys hatte uns angegriffen. Erraxa hatte uns den Weg gewiesen. Es war die Wahrheit.
Sinnierend schlug ich mit dem Schwert in die Handfläche. Die Waffenkammer um mich war dunkel und stickig.
Ich wusste es. Niemals würde ein Captain von seinem Laderaum aus herrschen. Ich musste an Deck stehen, wo jeder meine Befehle hören konnte. Bevor mich mein Hoffnungsschimmer verließ, zog ich mein Schwert mit den zwei Klingen, hüllte mich in meinen Umhang, und huschte hinaus aufs Orlopdeck.
Schnell und heimlich tötete ich die Wachen, die Myazi zum Schutz der Banshee's Wrath zurückgelassen hatte. Keine bemerkte mich, bis auf die letzte, doch ihr Alarmruf endete abrupt, als ich dem Mann das Schwert in den Hals rammte. Hustend brach er auf dem Deck zusammen. Ich lief an ihm vorbei aufs Achterdeck, zum Steuerrad, und warf einen hastigen Blick zur Insel.
Am Strand, kaum eineinhalb Schiffslängen entfernt, kam Bewegung in die Crew der Banshee's Wrath. Myazi stakste eindeutig wütend aus den Büschen, Farraday, einige seiner Männer und Marre hinter sich. Eine kleine Gestalt, die ich als Rotchcaft erkannte, schrie etwas. Sie hatten wohl erkannt, dass das Schwert fort war, und wahrscheinlich konnten sie sich denken, wer es genommen hatte. Und es würde nicht viel länger dauern, bis sie errieten, wo ich nun war.
Jemand rief etwas und deutete auf das Schiff. Myazi stieß sich grob an ihm vorbei, riss ein Fernrohr aus dem Gürtel und setzte es ans Auge.
Ich zog das Schwert, winkte ihm damit zu, und konzentrierte mich erneut auf die Macht von Dämonen und Göttern. Am Rande hörte ich, wie Befehle gebrüllt wurden, Beiboote wurden zu Wasser gelassen. Ich versuchte, meine Gedanken noch stärker zu bündeln, stellte mir vor, wie die Dämonen aus dem Schwert krochen und ihre Posten bemannten. Wie Rha'Ytun Sturm und Wellen für mich tanzen ließ. Ich spürte, wie der Wind über die Klinge strich. Es erzeugte ein leises Singen, mein Fell sträubte sich. Die flaue Anspannung in meiner Brust nahm zu, und ich stieß erneut das Schwert vor.
Nichts geschah. Es schien, als lachten die Dämonen des Schwerts mich aus. Ich lauschte, versuchte, ihre Worte zu verstehen, doch es war nur ein Rauschen, ein Flüstern von hunderten Stimmen gleichzeitig. Ich schwang blindlings das Schwert, versuchte, eine Verbindung zu den Dämonen zu finden, doch das Schiff gehorchte mir nicht.
Die Boote kamen näher und näher. Blitze spielten um Myazis Hände, wütend trieb er seine Männer zur Eile an. Jemand rief zu den Waffen, Musketen wurden entsichert, und ich duckte mich unter die Reling.
Meine Hände streiften meinen Granatengürtel, doch es würde mir nichts bringen, sie anzugreifen. Ich hätte noch immer ein Schiff bei mir, das ich nicht steuern konnte. Und Myazi würde mich töten, sobald er die Gelegenheit dazu bekam.
Die ersten Knochensammler betraten ihr Schiff, die Waffen im Anschlag. Ich erkannte ein magisches Schimmern um sie. Ein Schild. Ich konnte ihnen kaum etwas antun.
Der Magier schwang sich über die Reling und blickte zum Achterdeck hinauf. „Du hast das Schwert, nicht wahr, Karr?"
„Würdest du mir glauben, wenn ich nein sage?"
„Nein."
Ich seufzte. „Dann habe ich es."
„Schön", schnurrte Myazi. „Du lässt uns gegen Siarthys kämpfen und streichst den Lohn dafür ein. Wie klug von dir."
Beinahe fühlte ich mich geschmeichelt. Klug nannte man mich nur selten. „Auch ich habe meine Ziele."
„Einen schönen Tanz hast du dort aufgeführt, in der Hoffnung, das Schwert zu nutzen. Farraday hat dir wohl nicht erzählt, dass man ein Ritual braucht."
Bei allen Unheiligen. Ich hätte es wissen müssen. Ein Ritual. Ich fluchte leise, Scham ließ mein Gesicht brennen. Ich hätte daran denken können. Dennoch, wie das Ritual ablief, wusste ich nicht. Helfen tat mir dieses Wissen auch nicht mehr.
„In dir steckt mehr, als Farraday erzählt hat. Laut ihm bist du nur ein Schatzjäger, der ihm und Marre dabei hilft, das Schwert zu finden. Du bist gut in dem, was du tust, das muss ich dir lassen." Myazi nickte anerkennend. „Ich frage mich, was du mit dem Schwert wolltest, aber das ist kaum von Belang. Denn nun ist es meins."
„Was bekomme ich dafür?", fragte ich, mehr der Form halber. Ein Freund hatte mich gelehrt, dass man für alles eine Gegenleistung verlangen konnte.
„Gib mir das Schwert und verschwinde von meinem Schiff. Sofort. Oder ich sorge dafür." Wieder flammten Blitze um seine Hand auf. Seine Männer hoben die Waffen, Rotchcaft kicherte gehässig.
Seufzend warf ich ihm das Schwert vor die Füße. Beinahe war ich erleichtert, die meereskalte Macht loszuwerden, doch der Gedanke an Arcaul bohrte sich schmerzhaft in meinen Kopf. Mein Bruder war so nahe, dass ich nur die Hand nach ihm ausstrecken musste, und doch konnte ich ihn nicht retten. „Wohin werdet ihr nun segeln?", fragte ich scheinbar beiläufig.
„Nach Bikoyo", erwiderte Myazi abwesend und hob das Schwert auf. Die Gier schimmerte in seinen Augen, sanft strich er über die Klinge. „Rotchcaft, die Befehle", erinnerte er seinen Ersten Offizier, dann wandte er sich um und schritt in seine Kajüte.
Der Goblin verzog das Gesicht zu einer wütenden Grimasse. „Auf eure Posten! Kurs auf Bikoyo! Vollzeug setzen, wir können uns es nicht leisten, auch nur einen Tag zu verlieren!", schrie sie. Hastig kam die Crew ihren Befehlen nach. Rotchcaft trat die Treppen hinauf zum Achterdeck, wo noch immer ich stand und so tat, als sei ich unsichtbar, mit der stillen Hoffnung, man würde mich doch an Bord belassen. „Du. Karr."
Ich wandte mich um. „Aye?"
Sie richtete ihre Pistole auf mich. „Runter von meinem Schiff."
Mein Blick flackerte zu der Insel. „Und die anderen?"
Sie grinste verächtlich. „Du bist zurückgelassen", erklärte sie in einem Tonfall, der normalerweise für ausgemachte Idioten vorbehalten war. „Du wirst auf dieser Insel verrotten, wie all die anderen, die noch dort sitzen. Und jetzt spring."
Ich wusste, mir blieb nichts anderes übrig. Bei dem Gedanken an Arcaul, wie er nun wieder von mir fort segelte, traten mir beinahe die Tränen in die Augen, doch ich beherrschte mich. Ich nahm Anlauf und sprang von der Reling.
Das Wasser umfing mich, warm und weich, die Luftblasen kribbelten in meinem Fell. Ich trat heftig mit den Beinen, all meine schwere Ausrüstung zerrte mich nach unten, und ich durchbrach prustend die Wasseroberfläche. Salzwasser rann in meine Nase.
Frustriert sah ich mich um. Wind fuhr in die roten Segel der Banshee's Wrath, und für einen kurzen Moment erwog ich, ihr nachzuschwimmen und mich an Bord zu schmuggeln. Doch selbst wenn ich nicht entdeckt wurde, hatte ich immer noch einen Bruder, der mich töten wollte, und keinen Weg, das magische Schwert zu nutzen, das mir die Macht über ein Schiff gab, dessen Crew mich ebenfalls tot sehen wollte.
Es gab nur einen Weg, und ich schwamm auf den Strand zu. Hoffentlich wusste Farraday erneut einen Weg, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Oder aber wir wären sehr bald tot.
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