13. Fremde Gezeiten
Soundtrack: Bear McCreary - A Nation of Thieves aus dem Black Sails OST und natürlich Hans Zimmer - Drink Up Me Hearties Yo Ho aus dem PotC: At World's End OST. Was sonst.
https://youtu.be/AnHXRyabx2A
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Regennasse Leichen glänzten im Schein der trüben Morgensonne. Goldene Strahlen krochen an der sich langsam auflösenden schwarzen Wolkenbank vorbei, schimmerte verheißungsvoll auf den leichten Wellen und trockneten mein durchnässtes Fell. Sanfter Wind ließ die zerfetzten Segel der Raguza träge flattern und sang in der Takelage der Dragon's Pride.
Leichen noxischer Soldaten lagen in friedlicher Eintracht neben denen der Wyrdail, kreuz und quer über das Deck verteilt. Blut strömte über die Planken und sickerte in das verrottende Holz. Manchen fehlten Gliedmaßen, andere schienen wie ausgesaugt von ihrer Seele, einige wenige schien ein einfacher Tod durch Kugeln und Schwerthiebe ereilt zu haben. Sie alle blickten, sofern sie noch Augen hatten, glasig in die ersten Sonnenstrahlen.
Ich stand auf dem Achterdeck der Raguza und beobachtete, wie die Geister des Caligár die letzten Leichen von der Dragon's Pride an Bord brachten. Ich spürte, wie die See am Kiel des Luftschiffes leckte, wie die Geister um mich herum streiften, wie der Ozean die Raguza zum Grund des Meeres zerren wollte, und ich hielt es an der Oberfläche. Noch brauchte ich Erraxas verfluchtes Schiff.
Versonnen blickte ich vom Ballon der Dragon's Pride über die ferne Küstenlinie Jades zur endlosen Weite des Horizonts. Der Wind fuhr mir in die Glieder und ließ ein Zittern in mir aufsteigen, ein Gefühl, als könnte ich die Welt erobern. Denn sie gehörte mir. Mein waren das gefährlichste Schiff am Himmel und das Schwert, mit dem ich es beherrschen konnte.
Meine Geister. Mein Schiff. Und ein Abschied für einen Mann, ohne den ich nichts davon bekommen hätte.
Das Gewissen biss mich sanft, sobald ich daran dachte, dass ich über Farradays Tod beinahe erleichtert war. Den Kampf zwischen ihm und mir, verstärkt durch die Geister und Arcaul, wäre ungleich gewesen. Ich wusste nicht, wer gewonnen hätte, nicht, nachdem ich gesehen hatte, was das Schwert vermochte. Nicht, nachdem ein weiterer Meeresgott mir ins Ohr flüsterte. Ich war froh, um die Wahrheit nicht kämpfen zu müssen.
Ich spürte die erwartungsvollen Blicke der Geister auf mir, unsichtbare Augen durchbohrten mich. Beinahe hätte ich mich unter dem Gefühl geduckt, doch Arcauls Blick, streng und stolz, hielt mich davon ab. Ich nickte auf die Dragon's Pride, und sie huschten an mir vorbei auf mein Schiff. Nicht mehr lange, und wir wären fort von allem, weit über der See, weit über dem Land. Ich konnte es kaum erwarten.
Doch zunächst mussten wir Farraday bestatten. Der ehemalige noxische Offizier lag neben Marre zu meinen Füßen, den Mantel ordentlich über seiner Wunde geschlossen, die Hand mit Segeltuch am Stumpf befestigt. Eine Kette aus Knochen, Korallenstücken und Segelfetzen lag auf seiner Brust. Sein Säbel war an seiner Seite, seine Augen geschlossen.
Ich blickte mich zu Rotchcaft um, und der Goblin trat neben mich. Arcaul gesellte sich ebenfalls zu uns, drei Atmende in einem Meer aus Toten.
„Nun denn", knurrte Rotchcaft. Ihre Stimme war rau und wütend wie eh und je, doch schwankte zuweilen. „Wir sind heute hier, um Marius Farraday den Ewigen Fluten zu übergeben. Ich wünschte, es wären mehr von seinen Freunden hier, doch es scheint, als wären wir, sein meuternder erster Offizier und zwei Karrs, die ihn nur benutzt haben, die einzigen, die ihm noch bleiben. Marius, du warst ein Mann mit Fehlern, getrieben von Hass und Trauer und dem Wunsch, dein eigener Herr zu sein, nachdem alle, denen du vertraut hast, dich verließen oder verrieten. Aber du warst auch ehrenhaft, ein Funken des Guten in einer Welt, die so dunkel und böse war, dass ich dachte, dass er erstickte, in dem Moment, in dem du nach Hogarth kamst. Aber du hast ihn nie ganz verloren."
Ich verlagerte das Gewicht, und nur Arcauls strafender Blick hielt mich davon ab, von einem Bein aufs andere zu treten. Ein wenig beeindruckt war ich dennoch. Niemals hätte ich dem groben Goblin zugetraut, eine derartige Rede zu halten. Ich begann, zu begreifen, dass sie ihn ehrlich gemocht hatte.
„Auch nicht, als ich dich verraten habe. Ich will nicht sagen, dass ich es bereue. Aber ich will mich auch nicht rechtfertigen. Denn, bei allen Göttern, nach allem, was du erlebt hast, war es nicht fair." Sie straffte die Schultern und zügelte sichtlich die Tränen. „Du warst der erste Mensch, der mich je sofort respektierte, ohne Fragen, ohne Drohungen, und das rechne ich dir hoch an. Du hast nicht das Schwert bekommen, das du immer wolltest. Aber so wirst du der König über ein Schiff der Toten. Sie werden dich niemals infrage stellen. Und wenn", sie schluckte hart, „werde ich sie in die tiefsten Abgründe der Hölle werfen."
Rotchcaft trat zurück, sah zur Seite und spuckte wütend auf die Planken. Mit verschränkten Armen blickte sie zu uns.
Arcaul trat vor und vollführte eine Geste, die ich von früher kannte. Die Unterwelt von Tarensvault hatte sie benutzt, wenn jemand ihrer Bande starb. Ich wusste, mehr tat mein Bruder nie. Selbst bei Todesfällen in seiner Crew auf der Lady Indestructible hatte er das Reden stets dem Priester oder seinem Ersten Offizier überlassen. Knapp nickte er mir zu.
„Ernenne ihn zum Captain", wies Rotchcaft mich an, ohne zu mir zu sehen.
Ich kam nicht umhin, mich linkisch zu fühlen. Ich hatte so viel Macht in meinen Händen, und doch schüchterten mich die Blicke, die lebendigen, die toten und die unsichtbaren, schrecklich ein. Doch ich überwand das Bedürfnis, mich zu verstecken, und trat auf Farraday zu. Das Schwert des Caligár war rutschig in meinen schwitzigen Händen, doch ich hielt es fest umschlossen.
Sanft tippte ich mit der Spitze auf seine Brust. „Marius Farraday. Mit der Macht von Rha'Ytun, mit der Macht von Erraxa und Siarthys ernenne ich, Sindrak Herrera, Captain der Dragon's Pride, dich zum Captain über die Raguza." Das Flüstern der Meeresgötter rauschte in meinen Ohren. Ich meinte, ihre Finger in meiner Mähne zu spüren.
„Dein Wille sei Befehl, die Crew sei gebunden an deine Worte. Auf ewig sollst du die Meere besegeln, bis du deinen Frieden findest", endete Rotchcaft. Sie blickte ein letztes Mal auf den Toten, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und lief über die Gangway zurück auf die Dragon's Pride, als verfolge Farradays Geist sie.
Ich sah ihr nach, dann hinab zu Farraday. Ich dachte an eine Taverne in Triport, einen Schiffsbauch der Wyrdail, an einen Strand auf einer verfluchten Insel, an all die Uneinigkeit und unausgesprochenen Drohungen, die vertagten Streite und das Wissen, dass wir einander bis zum Ende nicht vertraut hatten. So war das Leben, und niemand konnte etwas dagegen tun. Wir hatten gemeinsam gekämpft, und nun trug ich die flüsternden Früchte unserer Arbeit bei mir.
Ich legte meine Hand auf seine Schulter, der Mantel war feucht und warm unter meinen Fingern. „Danke für alles", murmelte ich betreten.
Ich nickte meinem Bruder zu. Er hatte noch zu tun. Dann wandte ich mich um und ging an Bord meines Schiffes, hinauf zum Achterdeck. Mit einem Schnipsen und einem gedachten Befehl verscheuchte ich den Geist vom Steuerrad. Ich wollte selbst spüren, wie mein Schiff flog.
Ich wischte meine Finger an der Hose ab, zog das Schwert und ließ es locker in der Hand hängen. Mit geschlossenen Augen lauschte ich auf das Flüstern der Götter, das Raunen der Geister. Erraxas Lachen wob sich in den auffrischenden Wind, Rha'Ytuns Fauchen vermischte sich mit dem lauter werdenden Zischen des Ballons.
Das Gefühl von trügerischer Sicherheit, von Freiheit und endloser Weite, von Schießpulver im Fell und flammender Wehmut nach der Ferne fuhr mir in die Glieder, so stark, als müsste ich nur danach greifen. Als streiche ein Dämon um mich herum, geschaffen aus Erraxas Verführung und der Verheißung von erfüllten Wünschen.
In Gedanken griff ich danach und stieß zeitgleich das Schwert nach vorn. Eine Sturmbö fuhr in die Segel der Dragon's Pride und schleuderte sie voran, so kräftig, dass ich stolperte und mich am Steuerrad festhalten musste. Das stumme Gelächter meiner Crew ließ meine Wangen brennen, doch das Gefühl des Triumphs verebbte nicht. Höher und höher stiegen wir, der Wind peitschte mir ins Gesicht und ließ meine Mähne und meinen Umhang flattern. Ich kam nicht umhin, meinen Schattenriss zu bewundern.
Ich befahl einem Geist, das Steuer zu halten, und trat an die Reling. Weit unten schaukelte die Raguza auf den Wellen, eine Nussschale in endlosem Dunkelblau.
Flammen barsten plötzlich aus ihr hervor, eine orangefarbene Wolke in einem aufgewühlten Himmel. Einen Wimpernschlag später stand Arcaul neben mir, Schattenfetzen tanzten um seine massigen Schultern. Die Runen verblassten.
Ich wandte mich um und trat wieder zum Steuer. Die unsichtbare Präsenz räumte bereitwillig seinen Platz. Arcaul folgte mir und sah zu, wie ich Befehle rief, die Segel dicht holen ließ und das Schiff in den Wind brachte.
„Du bist ein besserer Captain, als ich dachte."
Ich warf mich stolz in die Brust. „Besser als du?"
„Niemals."
„Aber ich habe das Schwert des Caligár."
„Wenn du es mir geben würdest, könntest du sehen, was ich damit erreichen könnte."
Ich sah ihn misstrauisch an.
Er hob abwehrend die Hände. „Keine Angst, ich will es dir nicht wegnehmen. Es ist deines. Du hast dafür gekämpft."
„Vielleicht darfst du es mal berühren, wenn ich, der Captain über die mächtige Dragon's Pride und eine Crew aus Dämonen, in guter Stimmung bin", sagte ich arrogant.
„Ich kann es kaum erwarten." Arcaul blickte am Ballon und den Segeln vorbei in den diesigen Himmel. „Du hast mich befreit. Dafür schulde ich dir eine Menge, Kleiner."
Ich grinste. „Ich werde es mir merken. Wenn ich jemals deine Hilfe brauche."
„Das wird früh genug passieren."
Ich hob das Schwert. „Das glaubst du."
Arcaul lächelte milde amüsiert. „Und nun? Werden wir Rotchcaft nach Hogarth bringen?"
„Vielleicht. Wenn wir dort vorbei kommen. Oder wir bringen sie in den nächsten Hafen, an dem wir anlegen, und sie geht dort von Bord."
„Angesichts der Tatsache, dass wir ein Schiff gestohlen haben, werden wir um die Piratenstadt nicht herum kommen", seufzte Arcaul.
„Aber nicht jetzt. Wir haben das gefährlichste Schiff der Welt gekapert und ein schrecklich mächtiges Artefakt, um es zu steuern. Und das erste, was du sehen willst, ist eine verdammte Pirateninsel?"
„Wohin willst du denn?"
Ich blickte zum Horizont, eine verheißungsvolle Linie zwischen Azur und Türkis. Der Himmel und die See riefen nach mir, und ich konnte es kaum erwarten, ihrem Locken Folge zu leisten. Meeresgötter und Takelage wisperten in mein Ohr, versprachen Gold und Freiheit und Verachtung im Angesicht tödlicher Gefahr. Ich konnte alles machen. Ich war der König des Himmels.
Ein Grinsen breitete sich auf meinen Zügen aus. „Was wolltest du schon immer mal tun?"
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