1. Tote Männer erzählen keine Geschichten
Willkommen, meine lieben Freunde, in der Kopflosen Ziege, einem der hässlichsten Pubs von ganz Triport. Einem wahrhaft strahlenden Ort für den Beginn eines neuen Abenteuers.
Soundtrack: Copilot Music & Sound - Watery Grave aus dem Dishonored 2 OST.
Spotify-Playlist zum Buch: auf den externen Link am Ende des Kapitels klicken.
~
„Rum."
Wortlos kramte der Wirt eine schmutzige Flasche unter dem Tresen hervor. Nur noch ein lächerliches Schlückchen brauner Flüssigkeit bedeckte den Boden, und er goss sie mit einem desinteressierten Blick in einen Becher.
„Mach das Glas voll", verlangte ich.
Er warf mir einen verächtlichen Blick zu. „Rum ist aus."
Ich seufzte gereizt. „Bist du dir sicher?", hakte ich nach und klopfte mit meinen metallenen Klauen auf den schmierigen Tresen. Der grünliche Hex-Core auf meinem Handrücken summte leise.
Der Wirt verdrehte die Augen, zog eine weitere Flasche ans Licht und füllte meinen Becher bis zum Rand. „Halbe Dukate", knurrte er.
Ich stieß ein schnaubendes Lachen aus ob des horrenden Preises und legte ein angelaufenes Goldstück auf den Tresen. Er griff danach, doch ich legte einen metallenen Finger darüber. „Ich suche einen Mann namens Farraday. Mir wurde gesagt, er sei hier", raunte ich.
Der Wirt blickte an mir vorbei zu einem Tisch in einer Ecke. Ein Halbork und ein Mensch saßen dort, gebeugt über Karten. Eine Schnapsflasche stand neben ihnen, zusammen mit zwei kleinen Gläsern. Schließlich warf der Mann seine letzte Karte ab und lehnte sich wortlos zurück. Der Ork goss die klare Flüssigkeit in sein Glas und stürzte sie herunter, dann begann er von neuem zu teilen.
„Der Kleine ist es", knurrte der Wirt.
Ich blickte ihn skeptisch an, doch nahm den Finger von der Münze. Mit dem Glas in der Hand sah ich mich um.
Die Kopflose Ziege war ein äußerst hässlicher Pub, mit brandfleckigen Wänden und überlaufenden Kerzen in Flaschen auf den Tischen, durchdrungen vom Gestank nach brennenden Rauschmitteln und verschüttetem Alkohol. Ich erkannte weder die Brandzeichen an den Bierfässern noch die angerissenen Etiketten der Schnapsflaschen. So, wie der Pub aussah, konnte er sich nichts anderes als Schwarzgebranntes leisten.
Die Gäste waren ebenso unangenehm. Ein Zwerg, der in einer Mischung aus Erbrochenem, Vodka und seinem eigenen Bart zu ersticken schien. Ein zerrupfter Tengu, der im Flüsterton mit einem Tiefling diskutierte. Bei jedem seiner krächzenden Worte fielen weitere seiner Rabenfedern zu Boden. In den Schatten eines weiteren Alkoven erkannte ich eine schemenhafte Gestalt, gelbe Augen mit geschlitzten Pupillen leuchteten auf. Unsere Blicke trafen sich, und ich sah hastig zurück in meinen Becher.
Von ihnen allen schien der Mensch am vertrauenswürdigsten. Er war schlank unter seinem Mantel, den ich als den eines Marineoffiziers des noxischen Imperiums identifizierte. Kurze blonde Haare, noch zerzauster als die Federn des Tengu, bedeckten seinen Kopf, struppige Bartstoppeln seine untere Gesichtshälfte. Er schien nicht im Geringsten gefährlich zu sein. Weder drohte er seinem Gegner, noch beleidigte er ihn, während der Ork sichtlich die Muskeln spielen ließ. Der Mann ließ sich nicht beeindrucken. Schweigend trank er einen Schluck seines Getränks.
Ich war mehr als froh, mit ihm sprechen zu müssen statt mit einem der anderen. Allein der Anblick des Zwergs ekelte mich entsetzlich an.
Einige Zeit lang beobachtete ich sie beim Kartenspielen und haderte mit mir, doch schließlich gab ich mir einen Ruck und trat auf die beiden zu. „Dürfte ich einsteigen?"
Die beiden Spieler musterten mich von oben bis unten. „Aye. Ich lasse mich nicht länger von ihm ausnehmen", lallte der Ork, erhob sich schwankend und warf sein Blatt auf den Tisch. „Viel Glück, Schmutzfell."
Ich rutschte auf den Platz dem Mann gegenüber. Er war tatsächlich nicht sehr groß, ich überragte ihn um einen Kopf, und für einen Karr bin ich beinahe klein. Böse Zungen behaupten, ich hätte Gnollblut in den Adern. „Du bist Farraday?"
Der Mann hob eine Augenbraue. „Aye, der bin ich. Marius Farraday. Zu Euren Diensten. Und mit wem habe ich das Vergnügen?" Seine Stimme war freundlich und beinahe sanft, wenn auch mit dem Hauch von Misstrauen, den niemand, der jemals die Welt so sah, wie sie wirklich ist, je wieder ablegen kann.
„Ich bin Sindrak Herrera", stellte ich mich vor.
„Aus Gnomdon?"
Ich war aus Tarensvault, doch wenn er mich aus Gnomdon kannte, nun, dann würde ich mich als solcher vorstellen. „Aye."
„Spielt Ihr?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Nicht so gut, wie ich sollte", gab ich zu. „Doch das ist nicht der Grund, warum ich hier bin."
„Warum dann?" Er lehnte sich zurück und legte scheinbar beiläufig die Hand auf seinen Säbel, goldverziert mit dem Wappen von Nox und dem der Kriegsmarine.
Ich habe es seit jeher gehasst, meine Gründe zu offenbaren. „Das Schwert", sagte ich ein wenig widerstrebend.
Erkennen flammte in seinen Augen auf. „Welches Schwert?"
„Das Schwert des Caligár." Ich hatte es gesagt. Nun lagen meine Worte auf dem Tisch, zwischen abgewetzten Karten und Pfützen aus Schnaps, so schwer, dass ich förmlich die alten Tischbeine knarzen hörte.
„Das Schwert des Caligár", wiederholte er. „Eine schöne Legende habt Ihr Euch ausgesucht."
„Es heißt, dass Ihr mehr über das Schwert wisst als alle anderen", sagte ich verteidigend.
Farraday schnaubte leise und sah zur Seite. „Das mag sein", meinte er sinnierend. „Was wisst Ihr über das Schwert?"
Ich senkte verlegen den Blick in meinen Becher. „Es kann Schiffe beherrschen. Wer es trägt, braucht keine Crew mehr, nur ein Schiff. Man kann es dorthin segeln, wo man will."
Er lachte leise. „Es ist viel mehr. Kennt Ihr die Legende?"
„Caligár band einen Meeresgott in das Schwert. Seitdem hat es diese Kräfte." Das war es, was ich gehört hatte, von betrunkenen Luftseglern und berauschten Seefahrern. Eine Legende, die jeder kannte, und jede Fassung war eine andere.
„Hundescheiße. Wisst Ihr, wer Rocarron Caligár war? Er gehörte einer reichen Schmugglerfamilie hier in Triport an. Doch ihn interessierte das Seefahrertum nicht im Geringsten. Ihn faszinierten Dämonen und Geister, und so trat er den Magiern der Akademie bei. Doch Dämonen sind stark. Sie lassen sich nicht gerne bändigen."
Ich biss die Zähne zusammen und strich über die Narben an meinem Arm. „Ich weiß", murmelte ich.
Über Farradays Gesicht huschte ein skeptischer Ausdruck, doch er enthielt sich einer Bemerkung. „Caligár wurde größenwahnsinnig und versuchte, den niederen Meeresgott Rha'Ytun zu bändigen. Doch der Gott befreite sich, zerstörte mehrere Gebäude und tötete Dutzende Novizen. Caligár wurde zum Tode verurteilt, doch noch in seiner Zelle beschwor er einen Dämon, befreite sich mit seiner Hilfe und floh. Er stahl ein Schiff, sammelte eine Crew um sich und floh in die See der Stürme hinaus, dort, wo all die anderen Piratenbanden lauern, und schon bald war er berüchtigt. Für seine Grausamkeit, für seine Gnadenlosigkeit, und dafür, dass er im Kampf Dämonen beschwor und sie gegen seine Gegner nutzte."
„Hat er sich ihnen angeschlossen?"
Farraday schüttelte den Kopf. „Nein. Sie fürchteten ihn und riefen zum Kampf gegen ihn. Doch sie alle hatten das Nachsehen, selbst, als sie seine Crew für eine Meuterei bezahlten. Danach beschwor er hunderte Dämonen, doch auch sie rebellierten gegen seine Herrschaft. Er bändigte sie erneut, und für jedes Wort, das er sprach, tötete er, und band mit ihrem Blut die Dämonen an sein Schwert. Von jenem Tag an gehorchte das Schiff allein seinen Wünschen und Gedanken. Kanonen luden sich und schossen, Taue zogen sich fest und der Wind fuhr von allein in die Segel, ohne, dass er auch nur einen Finger rühren musste. Schiffe wandten sich gegen ihre Besatzungen und erdrosselten die Männer an Bord. Er überzog die Inseln in der See der Stürme mit Tod und Verderben, und ein jeder fürchtete sein Geisterschiff, mit einer einzigen aufrecht stehenden Gestalt auf dem Achterdeck."
Mein Fell sträubte sich. Ob durch die Vorstellung von Caligárs Gräueltaten oder durch den beinahe manischen Tonfall, mit dem Farraday die Geschichte erzählte, konnte ich nicht sagen.
„Doch Caligár hatte nicht genug. Er wollte den Gott bezwingen, der sich ihm in der Akademie verweigert hatte, doch egal, wie viele Geister er in seine Klinge band, Rha'Ytun schüttelte ihn ab wie einen lästigen Floh. Schließlich kam es zu einem Kampf, der Gott in einem Schiff aus Treibholz, verrosteten Kanonen und den Überresten Ertrunkener, Caligár in seinem gestohlenen Schiff, der Mad Slut, mit seiner Crew aus Dämonen. Ein Sturm entbrannte um sie, der sie gegen die scharfen Riffe einer Insel warf. Gott und Captain verstrickten sich in ein Duell, ein Schwert aus dem Splitter einer Kanone gegen die Klinge voller dämonischer Seelen. Rha'Ytun stieß Caligár seine Klinge ins Herz, doch bevor er starb, band der Captain den Gott mit seinem eigenen Blut an sein Schwert. Seitdem ruht ein Meeresgott in seiner Waffe, und niemand weiß, was geschehen wird, sollte man es jemals finden." Farraday lehnte sich zurück. Seine Wangen unter den Stoppeln waren gerötet, und er goss sich mit einem tiefen Atemzug Schnaps in sein Glas.
Ich starrte Farraday an. „Ist das Schwert immer noch auf dieser Insel?"
„Aye." Er kippte sein Getränk in einem Zug herunter.
„Weißt du, wo sie liegt?"
„Ich war beinahe dort."
„Beinahe?"
„Ein Sturm brach um uns aus und zerriss unser Schiff. Ich und einige meiner Crew konnten gerettet werden, und ich versuchte es erneut, doch als der nächste Sturm am Horizont dräute, brach eine Meuterei aus, und ich wurde in Ketten gelegt, nach Triport gebracht, und seitdem sind sowohl das Schiff als auch meine Crew spurlos verschwunden." Erneut füllte er sein Glas. „Viele haben versucht, die Insel zu finden. Sogar jene, die Rha'Ytun immer noch huldigen. Und jeder, der es versuchte, fiel dem Wahnsinn anheim."
Ich musterte Farraday genauer. Seine Augen schimmerten im Kerzenschein, doch er schien nicht, als hätte er den Verstand verloren. Doch auf dem Weg dorthin war er sicher bereits gewesen. Seinen besorgniserregenden Schnapskonsum zählte ich als sicheres Anzeichen dafür. Mich selbst müsste ich ebenfalls dazu zählen, bemerkte ich mit einem traurigen Blick in meinen leeren Becher.
„Keine Angst, Herrera, ich bin so geistig gesund, wie man es von einem gescheiterten Captain erwarten kann." Er lächelte halb und trank. „Warum seid Ihr auf der Suche? Warum sucht Ihr das Schwert?"
„Ich suche meinen Bruder, das Schwert und die Dragon's Pride", sagte ich nach einem Moment.
Farraday verschluckte sich an seinem Schnaps. „Die Dragon's Pride? Was zur Hölle wollt Ihr mit der Dragon's Pride? Dem größten und gefährlichsten Schiff unter der Flagge des Imperiums?"
„Lange Geschichte."
Farraday grinste und goss sich und mir neuen Schnaps ein. „Ich will sie hören."
Ich seufzte. Ich grub nicht gerne in meiner Vergangenheit umher. „Ich war dereinst bei den Luftseglern von Tarensvault."
Er prostete mir zu und zupfte an den Ärmeln seines zerschlissenen Mantels. „Auf das elende Imperium."
Ich hob meinen Becher. „Auf das von allen Unheiligen verfluchte Nox." Wir stießen an. „Nun, wir flogen durch die Lüfte über Yellowfall, um Drogenhandel zu unterbinden, als die Dragon's Pride auftauchte. Sie griff uns an, ein Schiff, das unter der gleichen Flagge flog wie das unsere, und schoss uns nieder. Unser Captain war mein Bruder. Ich überlebte als Einziger."
Farraday hob die Augenbrauen. „Und nun sinnt Ihr auf Rache? Der Captain der Dragon's Pride ist tot."
„Aye, ich habe ihn umgebracht. Aber sein Schiff will ich ebenfalls. Für alles, was er und das ganze Imperium mir angetan hat." Ich leerte meinen Becher und winkte dem Wirt.
„Ihr könntet ein paar Piraten anheuern und die Dragon's Pride ganz einfach stehlen."
„Dann müsste ich sie bezahlen."
Farraday lachte, offen und ehrlich. Beinahe begann ich, ihn sympathisch zu finden. „Deswegen also das Schwert."
„Aye."
„Und was hat Euer Bruder mit alledem zu tun? Er starb bei dem Absturz Eures Schiffes."
„Er lebt. Er wurde vom Imperium gefunden und nach Noxus gebracht, heißt es. Ins Gefängnis des Königlichen Palastes."
Farraday hob eine Augenbraue. „Und Ihr wollt ihn befreien."
„Aye."
„Mit der Dragon's Pride, gesteuert durch das Schwert des Caligár."
Ich nahm die Flasche in Empfang, die er Wirt mir reichte. „So, wie Ihr es sagt, klingt es reichlich wahnsinnig."
Farraday lachte trocken. „Es gibt tausende Wege, Euren Bruder zu befreien, und dieser ist bei Weitem der schwierigste."
„Aber ich hätte die Dragon's Pride. Ich bräuchte keine Crew. Ich könnte die gesamte Flotte der noxischen Luftfahrt auf den Palast hetzen, wenn das Schwert die Mächte hat, von denen Ihr erzählt habt."
Farraday seufzte und musterte mich von oben bis unten. Ich spürte den Blick seiner blaugrünen Augen an jeder meiner schmutzig braun gefleckten Fellspitzen, an meiner verkrusteten Mähne, durchsetzt von goldenen Strähnen, wie er an dem grünlich glühenden Konstrukt aus metallenen Rohren, Schläuchen und Schloten an meinem Rücken hängen blieb, verbunden mit den stählernen Knochen meines rechten Arms, die in einer Konstruktion aus Leder, Phiolen mit grünem Serum und Rüstungsteilen steckten. „Was seid Ihr?", wollte er wissen.
Ich rührte mich unbehaglich. „Ein... Freund von mir ist ein Artificer. Er half mir, diese Dinge zu bauen. Sie machen mich stärker."
Er sah hinab auf meine mit Metallkrallen bewehrte Hand. Der grüne Stein pulsierte leicht. „Hex-Cores, nicht wahr?"
„Aye." Ich blickte ihm fest in die Augen und rang mein aufsteigendes Bedürfnis nieder, sofort wieder in meinen Becher zu sehen. „Ihr wisst, wo das Schwert ist, und es ist der erste Schritt, meinen Bruder zu retten. Werdet Ihr mir helfen?"
Ich wusste genau, dass es gefährlich war. Farraday hatte sicherlich einen guten Grund gehabt, sich selbst nach der Zerstörung seines ersten Schiffes auf den Weg zu der Insel zu machen. Er hatte sicher nicht aufgegeben und sah nun erneut eine Möglichkeit, es zu erringen. Am liebsten wäre ich ohne ihn losgezogen, doch er wusste weit mehr als ich. Er kannte die See der Stürme, besser als ich, obwohl ich selbst einige Zeit lang in den Gewässern der Piraten gesegelt war. Ich brauchte ihn, gestand ich mir widerstrebend ein.
Farraday zögerte kaum einen Augenblick. „Aye. Das werde ich. Wir stechen morgen in See. Ich habe noch einiges gut bei einem Schmuggler. Er wird uns nach Süden bringen."
„Sieh zu, dass es gute Männer sind. Ohne Angst vor dem Imperium", erinnerte ich ihn.
Farraday schnaubte. „Es wird eher schwierig, jemanden zu finden, der die Piraten nicht fürchtet. Sobald wir das Schwert gefunden haben, werden wir sie kaum noch brauchen."
~ ~ ~
Endlich endlich endlich. Diese Story hat mich mehr als einmal in den Wahnsinn getrieben, und, oh Götter, sie ist beileibe nicht übel geworden.
Sprecht zu mir! Eindrücke! Ideen! Flüche! Ich will alles wissen!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top