Manchmal bedeutet Lieben Loslassen // Oneshot

Hallo, ihr Lieben. Ich melde mich auch mal wieder - diesmal zum ersten Mal mit einer Geschichte. Es geht um Elrond, und ich weiß nicht, wie gut man die Geschichte ohne Hintergrundwissen zu seinem Leben verstehen kann, weil ich in der Geschichte wenig dazu erkläre. Falls ihr also nicht so gut über Elronds Vergangenheit Bescheid wisst, fasse ich das hier mal kurz zusammen (das wird die Geschichte natürlich in gewisser Weise spoilern - wenn ihr das nicht wollt, überspringt die Zusammenfassung einfach und lest direkt die Geschichte. Oh, und Spoiler für das Silmarillion und Der Herr der Ringe wird es hier natürlich auch geben).

Elrond und sein Zwilling Elros werden gegen Ende des ersten Zeitalters geboren, er ist der Sohn von Earendil (Sohn der Elbe Idril und des Menschen Tuor, und damit ein Halbelb) und Elwing (eine Enkelin von Beren und Lúthien, also auch eine Halbelbe). Als Elrond noch jung ist macht sich Earendil auf, um über das Meer nach Valinor zu segeln und die Valar dort um Hilfe beim Kampf gegen dunklen Herrscher Morgoth zu bitten. Etwas später überfallen andere Elben den Ort, an dem Elrond und Elros mit ihrer Mutter leben. Elwing stürzt sich ins Meer, wird aber gerettet und trifft auf Earendil und zusammen erreichen sie Valinor. Elrond und Elros werden von einem der angreifenden Elben (Maglor) gerettet und aufgenommen (es ist kompliziert xd).

Dank Earendils Bitten kommen die Valar den Elben zu Hilfe und besiegen Morgoth. Außerdem stellen sie alle Halbelben vor eine Wahl: entweder sie entscheiden sich dafür zu den Menschen zu zählen, und eines Tages zu sterben und die Welt zu verlassen, oder sie entscheiden sich dafür Elben zu sein. Elrond entscheidet sich für die Elben, sein Bruder Elros für die Menschen.

Das zweite Zeitalter bricht an. Elrond lebt jetzt in Lindon bei dem Elbenkönig Gil-Galad, Elros wird der erste König der Númenorer. Im zweiten Zeitalter kämpfen die Elben und Menschen gegen Sauron (unter anderem im Letzten Bündnis) und Gil-Galad stirbt zusammen mit Elendil im Kampf gegen Sauron. Außerdem gründet Elrond Imladris (oder Bruchtal) als Zufluchtsstätte und wohnt von da an dort.

Im dritten Zeitalter heiratet Elrond Celebrían, die Tochter von Galadriel, und sie bekommen zwei Söhne (Elladan und Elrohir) und eine Tochter (Arwen). Celebrían wird aber eines Tages von Orks in den Nebelbergen überfallen und gefangen genommen. Sie erholt sich nicht mehr von dem Trauma und den seelischen Wunden von der Gefangennahme und fährt nach Valinor, um dort heilen zu können.

Aragorn kommt mit zwei Jahren zusammen mit seiner Mutter nach Bruchtal, nachdem sein Vater gestorben ist, und wird dort von Elrond wie sein Sohn aufgezogen. Allerdings als Estel und nicht als Aragorn, um seine Abstammung von Elendil zu verbergen. Als Arwen, die bis dahin für einige Zeit in Lothlórien gelebt hat, nach Bruchtal zurückkommt verliebt sich Aragorn in sie. Elrond bemerkt das, und sagt ihm, dass er es für unwahrscheinlich hält, dass Arwen sich auch in ihn verliebt, und dass, sollte dieser Fall tatsächlich eintreten, sehr schmerzhaft für ihn werden, weil Arwen als Halbelbe nur so lange das Leben der Elben hat wie Elrond in Mittelerde bleibt. Verlässt Elrond Mittelerde, und Arwen entscheidet sich zu bleiben, weil sie Aragorn liebt, dann wird sie wie ein Mensch sterben. Leider (für Elrond) kommt es genau dazu, und er muss sich von seiner Tochter verabschieden bevor er selbst in den Westen segelt.

Damit dann viel Spaß beim Lesen, und keine Sorge, wenn ihr die Hälfte von dem Vortrag schon wieder vergessen habt, es ging mir nicht um die Details, sondern mehr darum, dass ihr schonmal so grob gehört habt, was passieren wird.



„Heil, Elrond Halbelb, heil Elros, der das Schicksal der Menschen teilt, Söhne von Elwing und Earendil, Nachfahren von Lúthien der Schönen, willkommen. Heil und willkommen in Lindon!"

Aufrecht steht Elrond vor dem Hochkönig der Noldor, seinem König, und sieht ihm in die hellen Augen. Das Gesicht des Königs ist schön und freundlich, und in seinen Augen sieht Elrond einen Rest des Lichts aus dem Segensreich glänzen. In Gil-Galads Blick strahlt es klarer als in den Augen seiner Ziehväter, denkt Elrond. Die waren gleichzeitig stumpf als hätten zu viel Grauen den Glanz von Aman überdeckt, und erfüllt von einem dunklen Feuer, das besonders Maedhros ruhelos zurückließ. Aber Gil-Galad wirkt als hätte ein helles Strahlen das Grauen in seiner Vergangenheit überdeckt. Gil-Galad ist der Neuanfang, den die Elben brauchen. Unsere Hoffnung. Ehrfürchtig sinkt Elrond auf die Knie.

„Mein König", sagt er als er wieder steht, „wir können Euch nicht genug für Eure Freundlichkeit danken." Er weiß, dass Elros das Reden in solchen Situationen lieber seinem Bruder überlässt, deshalb ist er überrascht als sein Zwilling auf einmal das Wort ergreift.

„Herr", sagt der und mit einem Mal weiß Elrond, was passieren wird. Instinktiv greift er nach der Hand seines Bruders, eine alte Angewohnheit aus Kindertagen. Er streift Elros' Finger und lässt die Hand wieder sinken. Es hat keinen Zweck ihn festzuhalten

„Mein Bruder hat Recht, wir können uns glücklich schätzen bei Euch leben zu dürfen.", fährt Elros fort als wäre nichts geschehen und Elronds Herz fällt ein Stückchen auseinander, „Aber mein Herz verlangt nach den Menschen, meinem Volk."

Noch ein Stückchen. Wie Sand rieselt Elronds Herz aus seiner Brust, zerfällt in kleine Körner, die ihm aus den Fingern rinnen. Er kann sie nicht zusammenhalten, sie sind zu klein, zu schnell, zu trocken. Mein Volk. Elros' Volk und nicht das von Elrond.

Elrond wusste, dass dieser Moment kommen würde. Er weiß es seit Monaten, seit Eonwe ihn und seinen Bruder vor die Wahl gestellt haben, an diesem verhängnisvollen Abend als der Herold der Valar die Zwillinge zu sich rief. Mensch oder Elb? Sterblich oder unvergänglich? Sonne oder Sterne? Elros hat die Sonne gewählt und Elrond das unvergängliche Sternenlicht. Und dann ging ihr Leben weiter, und Elrond verdrängte, dass die Entscheidung der Zwillinge irgendwann zu einem Abschied führen würde.

„Ihr seid großzügig, Herr, und das schätze ich, und doch hoffe ich, dass ich eure Gastfreundschaft nicht verletze, wenn ich ankündige Euch bald wieder zu verlassen."

Elros sieht Gil-Galad an während er spricht, und trotzdem fühlt es sich so an als wären seine Worte an Elrond gerichtet.

Einmal als Elros vor Albträumen nicht schlafen konnte waren es die Lieder und Legenden der Menschen, die ihn vor den Monstern der Nächte bewahren, fällt Elrond ein. Maglor sang sie unermüdlich für Elronds Bruder.

„Die Edain warten auf mich."

Elrond wird nie vergessen, wie Elros' Gesicht glänzte, als er die Elbenfreunde zum ersten Mal sah.

Elrond wird nie vergessen, wie sein Bruder ihn jetzt ansieht. Sein Blick bittet um Vergebung, und um Verständnis.

„Ich habe meinen Weg gewählt, und du den deinen, Bruder.", sagt er ruhig, gefasst, obwohl in ihm ein Meer tobt und die Wellen den Sand mit sich an die Oberfläche reißen bis er in den Schaumkämmen untergeht.

„So sei es", sagt Gil-Galad, „so will es euer Schicksal. Aber bleibe noch bis zum Frühjahrsfest, Elros. So haben du und dein Bruder Zeit für euren Abschied und du musst nicht alleine zum Lager der Edain reisen, sondern kannst mit den Menschen, die zum Fest erscheinen, gehen. Dann werden sich die Wege der Zwillinge trennen."

***

„Manchmal bedeutet Lieben Loslassen."

Das hat Maglor einmal zu Elrond gesagt, als der ihn gefragt hat, warum seine Eltern nicht mehr hier sind. Dann hat er ihm Lieder über Earendil vorgespielt bis es dunkel wurde und die Sterne am Himmel leuchteten.

Auch jetzt leuchten die Sterne über Elronds Kopf, und zu seinen Füßen rauscht das Meer. Er sitzt in einer kleinen Bucht auf dem Sand und denkt an Maglor, an seine Eltern, an Elros, und an den Weg, der vor ihm liegt. Elrond weiß, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat. Er weiß es, wenn er in Gil-Galads klare Augen blickt, die Hoffnung versprechen, wenn er an Mittelerde denkt, die die Elben braucht, um zu heilen, und an das vergangene Zeitalter, dessen Erinnerung er ehren will.

Aber sobald er sich seinen Bruder vor das innere Auge ruft, tut es nur noch weh. Dann möchte Elrond ein Schiff nehmen, und nach Valinor reisen, und seinen Bruder vor die Valar zerren, um diese anzuflehen seine Entscheidung rückgängig zu machen. Aber das geht nicht. Und eigentlich will Elrond das auch nicht. Genauso wie er weiß, dass er selbst die richtige Entscheidung getroffen hat, weiß er, dass dieselbe Entscheidung seinen Bruder brechen würde. Er versteht es nicht, aber das muss er auch nicht, um zu wissen, dass es die Wahrheit ist.

Earendil hat seine Kinder verlassen, um für ein besseres Leben für sie zu sorgen.

Maedhros und Maglor haben die Zwillinge verlassen, um ihnen ihr eigenes Schicksal zu ersparen.

Und jetzt muss Elrond seinen Bruder loslassen, damit er glücklich sein kann.

Der junge Elb lässt seine Hand neben sich sinken und schließt eine Handvoll Sand in seiner Faust ein. Fest presst er seine Finger zusammen, dann lässt er los.

Feine Körnchen rieseln aus seiner Hand.

***

31 Jahre später steht Elrond an den Grauen Anfurten und sieht zu wie die Schiffe seines Bruders den Hafen verlassen. Elrond ist kaum verändert. Die Jahre haben auf seinem Körper keine Spuren hinterlassen, aber er ist vielleicht ein bisschen weiser geworden, ein bisschen erfahrener, und er hat sich daran gewöhnt seinen Bruder selten zu sehen.

Aber Elros' Gesicht ist älter geworden – er ist jetzt ein Mann, wie die Edain nicht müde werden zu betonen, er ist ihr König.

Elrond weiß, dass das hier an den grauen Anfurten kein Abschied für immer ist – noch nicht. Noch kann er ein Schiff nehmen, und in das Land seines Bruders reisen, um ihn zu sehen. Númenor wird das Land heißen und es wird prächtiger sein als jedes andere Menschenreich zu allen Zeitaltern in Arda, und sein Bruder wird dort glückliche Tage erleben, auch das weiß Elrond. Aber trotzdem läuft eine einzelne Träne seine Wange hinunter als er die Schiffe auf den Horizont zu segeln sieht und er ist froh um die tröstende Hand Gil-Galads auf seiner Schulter.

***

410 Jahre später erreicht das Königreich Lindon die traurige Botschaft, dass der geliebte König der Númenorer Elros Tar-Minyatur verstorben ist. Trauerfahnen werden auf dem Palast von Lindon gehisst und ein Barde besingt in den goldenen Hallen des Elbenkönigs die Taten von Tar-Minyatur von Númenor.

Es ist dreißig Jahre her, dass Elrond seinen Bruder das letzte Mal gesehen hat. Damals war sein Haar schon grau, und Elrond hat geahnt, dass dies der Abschied sein würde.

Aber das hat ihn nicht für diesen Moment vorbereitet. Wie kann man auch für die Nachricht vorbereitet sein, dass man seinen Bruder niemals mehr wiedersehen wird? Wie kann man darauf vorbereitet sein, dass das eigene Schicksal ist für immer zu bleiben, während das Schicksal für einen Geliebten vorsieht dorthin weiterzugehen, wohin man ihm nicht folgen kann?

Elrond weiß die Antwort nicht und wieder zerreißt der Schmerz ihm das Herz.

Endgültigkeit ist schwer zu begreifen für einen Elb, und noch schwerer zu akzeptieren.

***

Vielleicht stimmt es, dass die Zeit alle Wunden heilt, besonders, wenn man so viel davon hat wie ein Elb. Aber die Zeit schlägt auch neue Wunden und irgendwann kommen die alten darunter wieder zum Vorschein. So fühlt sich Elrond als er das nächste Mal an den Grauen Anfurten steht und beobachtet, wie ein Schiff am Horizont verschwindet.

5509 Jahre sind seit dem Tod von Elros Tar-Minyatur vergangen. Dunkle Jahre, gefüllt mit Trauer, Schmerz und Krieg, und glückliche Jahre voller Liebe und Leben.

Elrond hat unter Gil-Galads Banner gekämpft und seinen großen Helden fallen sehen.

Er hat Imladris gegründet und einen Elbenring erhalten.

Er hat sich verliebt, geheiratet und Kinder bekommen.

Er hat Helden auf ihren Reisen geholfen und guten Rat gegeben.

Er ist weise geworden, und mächtig, eine der größten Persönlichkeiten unter den Elben Mittelerdes.

Und trotzdem steht er jetzt wieder hier. Er kann Celebrían nicht heilen, mag er auch noch so viel Erfahrung haben. So vielen Wesen hat er geholfen, und jetzt scheitert er bei seiner Frau. Er denkt an Beren und Lúthien, die über den Tod hinaus aneinander festhielten, und an Elwing, die ihrem Mann über das Meer hinweg folgte. Warum muss es sein Schicksal sein wieder und wieder loszulassen? Aber während für Celebrían Mittelerde grausam und freudlos geworden ist, weiß Elrond, dass er selbst hier noch Aufgaben zu erfüllen hat. Seine Zeit in Mittelerde ist noch nicht vorbei, das spürt er. Und dieser Abschied wird nicht endgültig sein. Denn eines Tages wird Elrond seiner Frau folgen, und die Unsterblichen Lande endlich für sich selbst sehen. Dort wird er mit seiner Frau wiedervereint sein, und vielleicht auch mit seinen Eltern und mit Gil-Galad. Nur Elros, nur sein Bruder wird nicht in Valinor auf ihn warten.

Elrond legt seinen Söhnen, die neben ihm stehen, je eine Hand auf die Schulter. Er weiß, dass der Abschied für die jungen Elben, die weniger von den Zeitaltern der Welt gesehen haben, schwerer ist als für ihn.

„Manchmal bedeutet Lieben Loslassen.", sagt er sanft, „Wenn auch nur für einige Zeit."

Er blickt zu seiner Tochter, dem fünften Mitglied seiner Familie, und auf einmal überkommt ihn die Vorahnung, dass der schlimmste Abschied noch aussteht.

***

Als im Jahr 2933 Aragorn, Arathorns Sohn, Elendils Erbe, und dessen Mutter Gilraen, Tochter Dírhaels, in Imladris Zuflucht suchen, haben zahllose andere Sorgen Elronds Vorahnung von den Anfurten überschattet und sie ist in Vergessenheit geraten. Das zweijährige Kind mit den großen grauen Augen und dem dunklen Haar hat ein großes Schicksal auf sich lasten, das spürt Elrond als er vor ihm in die Knie geht und den kleinen Aragorn in Imladris willkommen heißt. Mögest du hier sicher sein bis deine großen Tage kommen, denkt Elrond bei sich, und er hofft, dass die Lasten, die dieses Kind einmal schultern wird, nicht zu schwer sein werden. Elrond bestimmt, dass der Junge hier Estel genannt werden und seine Herkunft selbst vor ihm geheim gehalten werden soll. Er weiß, dass der Feind wachsam nach Zeichen der Erben Elendils Ausschau hält, und es wäre verhängnisvoll, erführe er zu früh von deren Existenz und Aufenthaltsort.

Und so nimmt das Leben in Bruchtal seinen Lauf. Zum ersten Mal seit der Geburt von Elronds Söhnen und seiner Tochter erfüllt wieder Kinderlachen (und -schreien) das Tal. Gilraen ist froh ihr Kind und sich selbst in Sicherheit zu wissen und die Verantwortung für Estel mit Elrond teilen zu können. Elladan und Elrohir nehmen Estel begeistert als ihren jüngeren Bruder auf und es ist besser, wenn besorgte Elternteile nicht zu genau hingucken, wenn die drei zusammen unterwegs sind. Und Elrond gewinnt einen weiteren Sohn, der ihn mit Fragen durchlöchert, seine langen Roben stielt, um darin majestätisch (oder so majestätisch wie das eben geht, wenn man in einem Meer aus Stoff versinkt) durch die Flure von Bruchtal zu stolzieren, und der abends auf seinen Schoß kriecht und eine Gutenachtgeschichte verlangt.

Mit seinen unbeholfenen, aber begeisterten ersten Versuchen ein Schwert zu führen bringt Estel Elrond zum Lachen, seine schnelle Auffassungsgabe bei den Stunden, in denen Elrond versucht ihm elbische Heilkunst und Geschichte beizubringen, machen ihn stolz.

Manchmal erwischt er sich bei dem Gedanken in die Fußstapfen seiner eigenen Ziehväter zu treten, auch wenn seitdem so viel Zeit vergangen ist, dass er selten daran zurückdenkt. Noch heute ist die Erinnerung an damals mit Schmerz verbunden, weil er der Einzige ist, der von dieser seltsamen kleinen Familie übriggeblieben bist. Er versteht immer noch nicht, wie sie damals zusammen funktionieren konnten. Am Anfang haben er und sein Bruder nur geweint und kaum ein Wort gesprochen. Maglor hat wenig geredet und seine Gedanken in klagende Musik verpackt. Es gab Tage, an denen gar nichts mit ihm anzufangen war. Und Maedhros war immer ruhelos und hielt es selten länger als ein paar Tage bei den anderen aus. Alle vier hatten ein Päckchen zu tragen, das eigentlich zu schwer für sie war.

Aber dann gab es Tage, an denen Maedhros ihnen Geschichten erzählt oder gezeigt hat, wie man im Wald Fallen aufstellt und mit dem Schwert kämpft. Es gab Momente, in denen Maglor Lieder aus glücklicheren Tagen spielte und die Zwillinge mit zum Meer nahm, damit sie im Rauschen Ulmos Stimme hören könnten. Auch bei ihnen gab es Kinderlachen und Gutenachtlieder und Sicherheit.

Der Elrond der Gegenwart lächelt und steht dann auf, um Estel daran zu hindern bis zur obersten Spitze einer Tanne zu klettern, die doch ein bisschen zu hoch für einen Achtjährigen ist.

Viel zu schnell wird der Achtjährige erwachsen und viel zu schnell ist es Zeit, ihm die Bürde seines wahren Namens und seiner wahren Geschichte aufzuerlegen. Elrond ist stolz auf den jungen Mann, aber sein Herz wiegt schwer als er Estel bei seinem wahren Namen nennt, und noch schwerer als sich Aragorn einige Zeit später zum ersten Mal auf in die Wildnis macht. Loslassen. Nachdenklich blickt Elrond seinem Ziehsohn hinterher, und die Vorahnung, die ihn vor Jahrzehnten überkam als er seine Frau bei den Anfurten verabschiedete, taucht wieder in seinem Kopf auf.

Als er vor ein paar Wochen zum ersten Mal bemerkte, wie sein Ziehsohn seine wieder heimgekehrte Tochter ansah, machte er sich mehr Sorgen um Aragorn als um Arwen. Aragorns Liebe zu der so viel älteren, weiseren Elbe erschien ihm aussichtslos. Warum sollte Arwen Undómiel sich in Aragorn von den Dúnedain, einen Menschen, verlieben und ihren Vater hinter sich lassen, um stattdessen das Schicksal der Zweitgeborenen auf sich zu nehmen? Die Vorstellung, wie vor langer Zeit seinen Bruder auch noch seine Tochter auf diese Weise zu verlieren schmerzt Elrond zu sehr als dass er die Möglichkeit, Arwen könnte Aragorn lieben, länger in Betracht ziehen kann.

Er kann – oder will – nicht sehen, was das Schicksal für seine Tochter bringen wird.

„Sorge dich nicht zu sehr um ihn, Vater.", erklingt die Stimme von Arwen hinter ihm, „Arathorns Sohn, ist ein guter Mann und hat noch viele große Taten vor sich."

Elrond lächelt schwer.

„Es ist nicht nur er, um den ich mich sorge.", sagt er leise und dreht sich um, um mit seiner Tochter in das Haus zurückzugehen.

***

Wie soll Elrond den Schmerz beschreiben, der ihn durchfährt, als Nachricht aus Lórien kommt von der Verlobung seiner Tochter mit Aragorn, dem Waldläufer? Es ist nicht die Sturmflut, die den jungen Elrond durchfuhr als ihm klar wurde, dass sich sein Weg und der seines Bruders endgültig und unwiderruflich trennen würden. Der Schmerz ist ein Gewicht, dass sich über die letzten Jahre hinweg immer tiefer auf Elrond hinabgesenkt hat und ihm jetzt den Atem nimmt. Er ist ein lange wiederhallender Schrei in seiner Seele, ein langsames Zerreißen jeder einzelnen Faser seines Herzens.

Er sitzt da, den Kopf in die Hände gestützt. Er schweigt. Alle seine Worte sind verloren gegangen. Er weiß nicht, wie er zu ihnen zurückfinden soll.

Vielleicht sitzt er Stunden so da, vielleicht Tage bevor er sich fasst. Er muss weitermachen. Er muss mit Aragorn sprechen, und mit Arwen, er muss da sein für seine Leute und sich mit Elladan und Elrohir beraten. Der Feind zieht seine Schlingen stetig enger, und Orks machen die Gebirgspässe wieder schwerer passierbar.

Elrond seufzt und steht auf.

***

Im Jahr 3009 des dritten Zeitalters kehrt Arwen zum letzten Mal von Lórien nach Imladris zurück. Elrond ist froh seine Tochter wiederzusehen und einige letzte Jahre mit ihr verbringen zu können, denn er spürt, dass ihr Abschied näher rückt.

***

Als er 3018 die Ringgemeinschaft auf ihren Weg schickt fühlt es sich so an als wären die Jahre unter seinen Fingern zerronnen. Aragorn ist älter und gezeichnet von seinen harten Reisen und Sorgen. Elrond sieht zu wie er ein letztes Mal aus Bruchtal auf eine Reise aufzieht, Andúril neu geschmiedet an seiner Seite, ein König auf dem Weg zurück aus dem Exil. Er wünscht ihm von Herzen alles Gute, auch wenn er weiß, dass auf dieser letzten Reise alles Gute, was geschehen wird, Schmerz für ihn selbst bedeuten wird.

***

Am Mittjahrstag des Jahres 3019 legt Elrond die Hand seiner Tochter Arwen Undómiel in die von Aragorn Elessar, König von Arnor und Gondor. Es ist ein fröhlicher Tag, obwohl Elronds Herz schwer in seiner Brust liegt.

Und dann kommt der Abschied. In den Bergen zwischen Rohan und Gondor, trennen sich die Wege von Vater und Tochter für immer. Es ist bitterer als der Abschied von Celebrían, weil er endgültig ist, und schmerzhafter als der von Elros, denn diesmal ist es seine Tochter, die ihn verlassen und sterben wird. Wieder kann er es nicht verhindern, wieder muss er sich seinem Los beugen. Lange reden Vater und Tochter, Wind in den Haaren, Fels unter den Füßen, und doch hat Elrond hinterher keine Worte für diese Stunden.

Er bewahrt die Erinnerung in seinem Herzen, wo sie für immer ungetrübt bleiben kann, während er seiner Tochter, Gondor und den Menschen den Rücken zukehrt.

***

Elrond ist froh als er seine eigene letzte Reise antritt. Mittelerde ist grau und Bruchtal still geworden mit dem Wissen, dass er seine Tochter endgültig verloren hat. Wenig Elben wohnen nur noch auf dieser Seite des Meers. Unsere Zeit hier ist vorbei, denkt Elrond nicht ohne Wehmut. Er wird Mittelerde vermissen, wenn sie auch in seiner Erinnerung lebendig bleiben kann. Die letzten Wochen hier ziehen wie ein Traum an ihm vorbei, er fühlt sich schon nicht mehr wie ein Teil von dieser Welt. Er ist mehr denn je ein Relikt aus früheren Zeiten, das jetzt endlich zu seinem angestammten Platz reisen wird.

Círdan begrüßt die Reisenden an den Grauen Anfurten, er ist bereit. Sie alle sind das. Endlich wird Elrond nicht nur zusehen, wie jemand von hier aus ablegt.

Froh und traurig zugleich wirft er einen letzten Blick auf sein geliebtes Mittelerde, und tritt auf den Ablegesteg.

Als er den letzten Schritt auf das weiße Boot macht, ist ihm schmerzhaft bewusst, dass er damit nicht nur Mittelerde, sondern auch seine Tochter für immer zurücklässt.

Loslassen. Das hat ihn sein Leben mehr als alles andere gelehrt.



Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem Maglor Elrond und Elros findet, und dem Zeitpunkt, zu dem Elrond bei Gil-Galad in Lindon lebt, gibt es im Grunde eine Lücke im canon. Ich hab das für diese Geschichte folgendermaßen gefüllt: in dem Moment, in dem Maedhros und Maglor einen Silmaril als Stern am Himmel aufgehen sehen, entscheiden sie, dass es Zeit ist Elros und Elrond abzugeben und schicken sie auf die Insel Balar, wo Círdan und Gil-Galad leben. Von dort aus kommen Elrond und Elros dann nach Lindon, wo die Geschichte beginnt. (falls sich das jemand gefragt hat :))

Damit dann einen schönen Sonntag euch noch - I galad en elenath nadh râd gîn

- alja

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