Die Vier Prinzen
Geschockt starrte ich auf den offenstehenden Schrank wo vor kurzem meine Schwester in den Händen eines rattenähnlichen Ungetüms verschwunden ist. Ich konnte es nicht glauben. Träumte ich? Was ging hier vor?
Immer noch herrschte Tumult in dem Kinderzimmer. Die vier Soldaten kämpften verbissen mit den pelzigen Monstern. Einer der Rattenmenschen schaute plötzlich über die Schulter zu dem Schrank und rief seinen Kumpanen etwas in einer seltsamen Sprache zu.
„Sie wollen verschwinden“ ertönte es aus dem Kampfgetümmel.
Widerwillig wandte ich den Kopf zu den Kämpfenden und sah wie die Monster auf den Schrank zu liefen mit den vier Soldaten auf den Fersen.
Einer der Soldaten, gekleidet in einer schwarzen Uniform mit silbernen Stickereien, war an vorderster Front und stieß plötzlich seinen Degen dem hintersten Monster in den Oberschenkel. Ein Schmerzensschrei hallte durch den Raum und er fiel zu Boden. Seine beiden Mitmonster nahmen die Beine in die Hände und spurteten durch die offenstehende Schranktür.
Die vier Soldaten versammelten sich rund um das vor Schmerzen sich windende Rattenmonster.
„Gut gemacht, Henry“ johlte einer der Männer, der eine auffallend dunkelgrüne Uniform trug und beugte sich über das Ungetüm.
„Nun, du Ungetüm: Was verschafft uns die Ehre deines scheußlichen Anblicks?“ wandte er sich an die am Bodenliegende und Wimmernde Ratte.
„Das werdet ihr nie erfahren, eure königliche Würdelosigkeit“ zischte die Ratte und stieß einen Laut aus der mich an Lachen erinnerte.
Unbewusst war ich näher an das Schauspiel herangetreten. Einer der Prinzen, der mit der dunkelroten Uniform und den goldenen Stickereien, stieß seinen Nebenmann an, der sich sofort zu mir umdrehte.
Die vier Soldaten betrachteten mich abwartend, doch ich hatte nur Augen für das Monster am Boden. Es war eine Abscheuliche Kreatur, halb Mensch, halb Ratte, die vor mir auf dem Boden vor Schmerzen wimmerte.
„Wo ist meine Schwester?“ brachte ich mit Mühe hervor.
„Könnt ihr euch das nicht denken, eure Hoheit?“ Die letzten Worte spie er mir entgegen.
„Eure Hoheit? Ich bin keine Hoheit. Was geht hier vor? Was soll dieser ganze Zauber? Ich will wissen wo Penny ist“ brach es aus mir hervor.
„Eine Zukünftige Königin, die nicht einmal weiß, dass sie eine ist“ lachte die Ratte. „Das Reich der vier Jahreszeiten ist dem Untergang geweiht. Mein Herr wird sehr erfreut sein“ sinnierte er Träumerisch. „Schon bald wird er die Herrschaft übernehmen. Oh, was für ein Triumph“
„Einen Triumph, den du nicht mehr erleben wirst, wenn du mir nicht sofort sagst was diese Spinner mit meiner Schwester vor Haben“ fauchte ich aufgebracht.
Die Ratte drehte mir grinsend, soweit eine Ratte grinsen kann, sein Gesicht entgegen. „Habe ich das nicht gerade gesagt? Sie bringen sie zu meinem Herrn“
„Und wer ist dein Herr? Der Rattenfänger?“
„Aber, Aber. Diesen Namen trägt er schon lange nicht mehr“ tadelte mich die Ratte. „Ihr müsst noch viel lernen, wenn ihr einmal Königin werden wollt.“
„Ich möchte keine Königin werden“ sagte ich bestimmt. „Ich möchte meine Schwester zurück“ Meine Stimme brach. Schmerz erfüllte meine Brust. „Ich möchte einfach nur aus diesem Alptraum aufwachen und meine Schwester zurückbekommen“ Tränen liefen über meine Wangen und verschleierten meinen Blick. „Oh, Penny“
„Sie wird zum Erlkönig gebracht“ Die Stimme der Ratte war nun sanft. „Dem König hinter den Bergen, hinter den Grenzen des Winterreiches, dem vierten der vier Reiche“
„Von was für einem Reich redet ihr die ganze Zeit? Ich verstehe nichts mehr. Was ist das? Ein Alptraum? Und warum sprecht ihr mich die ganze Zeit mit ‚Hoheit‘ an? Ich heiße Emilia. Einfach nur Emilia“
Vor meinen Augen drehte sich alles. Ich fühlte mich als würde ich keine Luft mehr bekommen. Da griffen zwei warme Hände nach meinen. Verwundert hob ich meinen Kopf, der sich seltsam schwer anfühlte. Warme braune Augen trafen auf meine. Dieser Blick berührte mich bis ins innere und auf einmal fühlte ich mich leicht wie eine Schneeflocke.
„Emilia“ Mein Name aus seinem Mund war süß wie Zuckerwatte. „Ich weiß es ist schwer zu verstehen. Du fühlst dich in eine Welt hineingeworfen, die du nicht kennst“ begann er und seine Worte erwärmten mein Inneres. Dieser Unbekannte verstand mich. Aufmerksam folgte ich seinen Worten. „Aber je länger wie warten, desto schwerer sind sie einzuholen“ Mein Herz begann schneller zu schlagen. Penny! Wir mussten sie verfolgen. Und zwar so schnell wie möglich. Warum hatte ich meine Zeit damit verschwendet der Ratte zuzuhören? Ich fühlte mich wie ein Idiot. Ich riss mich von ihm los und drehte mich zu den anderen.
„Na los, worauf wartet ihr? Wir müssen ihnen folgen“ rief ich aufgeregt. Warum hatte dieser Fremde so lange damit gewartet?
„Wir müssen erst ein neues Tor öffnen. Dieses ist nur für die Schergen des Erlkönigs zugänglich“ antwortete der Soldat in dunkelblauer Uniform mit silbernen Stickereien.
„Ein Tor?“ Mein Verstand wollte nicht verstehen was dieser Fremde mit den grünen Augen eben zu mir gesagt hatte. „Wenn nur die Schergen dieses Rattenkönigs durch das Tor durften, warum konnten sie meine Schwester mitnehmen?“
„Erlkönig“ meldete sich die Ratte. „Er ist der Erlkönig, der König des Toten Landes“
„Des Toten Landes?“ Diese Worte ließen mir einen Schauer über den Rücken laufen. „Heißt das er ist der…“ Ich verstummte.
„…der Totenkönig“ beendete die Ratte meine Überlegung. „Überall wo Leben ist, ist auch der Tod“
Ich schluckte. „Das erklärt immer noch nicht, was der Erlkönig von meiner Schwester will. Sie ist immerhin erst neun Jahre alt. Er wird sie doch nicht…“ Wieder verstummte ich.
„Es geht nicht um deine Schwester, Prinzeschen“ seufzte die Ratte. „Es geht um den Schlüssel“
„Welchen Schlüssel? Den Schlüssel der Truhe, wo diese Holzfiguren drin waren? Wenn es nur um diesen Schlüssel geht…“
„Nein, doch nicht dieser Schlüssel. Den Schlüssel zum Turm der Zeit“ unterbrach er mich abrupt.
Ich verharrte in meiner Bewegung, den Schlüssel der Truhe aus meiner Schlafanzugtasche zu ziehen. Turm der Zeit? Was für ein seltsames Land das ist.
„Und warum sollte diesen Schlüssel meine Schwester haben?“
Die Ratte seufzte wieder. Meine Unwissenheit schien ihm immer mehr auf die Nerven zu gehen.
„Weil ihr, eure Hoheit, und eure Schwester, die letzten Lebenden aus dem Geschlecht des Königshauses seit“
Seine Worte hallten in mir wider. Es schien als hätte er diesen Satz aus weiter ferne zu mir gerufen. Ich schüttelte den Kopf.
„Das ist nicht möglich“ sagte ich immer wieder. „Ihr müsst euch irren, das ist nicht möglich. Ich bin doch nur Emilia, einfach nur Emilia“ murmelte ich. „Ich habe kein Geld, ich habe kein Adelstitel, ich habe nichts, nur meine Schwester“ Wieder spürte ich wie Tränen hochstiegen, doch ich kämpfte dagegen an.
„Du hast uns“ sagte wieder der Fremde, den die anderen Henry genannt haben. „Und wir werden dir helfen deine Schwester wieder zu finden“
Die restlichen drei Soldaten nickten zustimmend.
„Ach, wie nett. Wird das dann heute noch etwas oder dauert das noch lange?“ ertönte eine gehässige Stimme hinter mir.
Erschrocken wirbelte ich herum. Auf Pennys zerwühltem Bett saß unser graugetigerter Kater Luzifer und wusch sich mit einer Pfote das Gesicht. „Ich will mich ja nicht beklagen, immerhin bin ich auch endlich von meinem Fluch befreit, aber musstest du unbedingt diesen Nussknacker Küssen?“ ertönte wieder diese Stimme und als Luzifer die Pfote sinken ließ und mich vorwurfsvoll ansah da fiel bei mir der Groschen.
„Luzifer? Du kannst reden? Aber wieso?“ stammelte ich.
„Erstens heiß ich nicht Luzifer, sondern Mael und zweitens, ich kann sprechen, weil ich ein Gestalwandler bin und keine dämliche Hauskatze. Können wir nun los, da wir diese Sachen geklärt hätten?“
Maels Schwanzspitze peitschte ungehalten.
Ich Übergang seine Ungeduld. „Und von was für einem Fluch sprichst du?“
Der graue Kater rollte mit den Augen. „Dem Fluch der vier Kronprinzen natürlich“
„Spann mich nicht so auf die Folter und erzähl endlich“ fauchte ich ungehalten. „Warum muss ich hier jedem von euch alles aus der Nase ziehen?“
„Er spricht davon das alle hundert Jahre, die vier Kronprinzen des Reiches in Holzfiguren verflucht werden und nur der Kuss der Kronprinzessin der Zeit den Fluch brechen kann“ erklärte Henry mit monotoner Stimme.
Langsam drehte ich mich zu den vier Fremden und betrachtete sie nun näher. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie alle drei die Uniformen der Holzfiguren trugen. Dunkelblau mit silbernen Stickereien, dunkelrot mit goldenen Ornamenten, dunkelgrün mit goldener Verzierung und schließlich der letzte mit der schwarzen Uniform und den silbernen Stickereien.
„Ihr seid es“ stieß ich hervor. „Der Nussknacker und die Zinnsoldaten“
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