DES ERLKÖNIGS SCHERGEN
Fasziniert nahm ich die Figuren in die Hände. Das schwere Holz war künstlerisch bemalt worden. Jedes kleine Detail wirkte wie echt im Gesicht des Nussknackers. Hände und Arme waren mechanisch und steckten in der Uniform eines Soldaten in den Farben Schwarz, Rot und Gold.
„Das ist ein Prinz" stellte Penny fest.
„Wie kommst du darauf?" wollte ich von ihr wissen. „Er trägt die Uniform eines Soldaten und hier hat er einen Degen" Ich zeigte auf den filigranen Gürtel, den er um seine Hüfte trug. „Aber wie erkennst du das er ein Prinz sein soll?"
Sie zeigte auf seinen Kopf, der mit schwarzen Haaren bedeckt war. Inmitten der dichten Haarpracht lugte ein filigraner goldener Reif hervor: Eine Prinzenkrone. Langsam beneidete ich meine kleine Schwester um ihre außergewöhnliche Beobachtungsgabe.
„Gut Beobachtet" lobte ich sie. „Ich kann mich an diese Figuren gar nicht erinnern" fügte ich nachdenklich hinzu und begann die Kleidung des Nussknacker Prinzen zu ordnen. Als ich den filigran gearbeiteten Degen grade rücken wollte zuckte ich erschrocken zusammen.
„Autsch", fuhr ich zusammen und betrachtete erschrocken meinen Finger. Aus einem feinen etwa zwei Zentimeter langen Schnitt quollen Blutstropfen. „Er ist echt" stellte ich verwundert fest.
„Natürlich" antwortete mir Penny. „Wie soll er sonst die Schergen des Erlkönigs bekämpfen" erklärte sie mir, während sie die drei Zinnsoldaten aus der Schachtel nahm. „Schau Emilia, das sind auch Prinzen" Als ich über ihre Schulter lugte sah ich auch bei den anderen drei Figuren den filigranen Ring auf dem Kopf, doch jeder war anders verarbeitet und alle trugen verschiedene Uniformen.
„Schaut aus als währen es Prinzen aus verschiedenen Reichen" kam mir in den Sinn.
„Sieht so aus" gab mir Penny recht und trug die Figuren achtsam zum Kamin. „Ich finde wir sollten sie hier auf dem Kaminsims hinstellen. Was sagst du?"
„Auf dem Kaminsims sagst du? Wie du möchtest" gab ich Penny Recht, während ich meinen Finger verarztete. Ich trug den Nussknacker Prinz zu Penny die gerade die anderen beiden Zinnsoldaten auf das Sims stellte.
„Perfekt" sagte sie stolz, nachdem sie den Nussknacker in Position stellte. „Von hier aus haben sie alles im Blick"
Ich fragte gar nicht was sie damit meinte und ließ ihr ihren Willen.
„Na los, Penny. Machen wir weiter mit dem Baum. Es wird langsam dunkel" ermahnte ich sie mit Blick auf die Uhr deren Zeiger schon auf fünf Uhr abends standen.
Die nächsten zwei Stunden waren wir beide damit beschäftigt den Boden fertig zu schmücken und die Lichterkette, die vollkommen verknotet war zu entwirren.
Trotz der anstrengenden und zeitaufwendigen Arbeit (mit einer zehnjährigen einen Weihnachtsbaum zu schmücken war wie mit einem Äffchen auf Zucker) schaute ich immer wieder zu den Holzfiguren auf dem Kaminsims. Seltsamerweise nahmen sie mein gesamtes Denken ein.
„Er ist ein verzauberter Prinz" sagte plötzlich Penny.
Verdattert schaute ich von der Lichterkette auf, wo ich damit beschäftigt gewesen war einen besonders großen Knoten zu lösen.
„Wovon sprichst du?"
Penny saß inzwischen mit angezogenen Beinen auf dem Sofa und streichelte gedankenversunken Luzifer der genüsslich schnurrte.
„Der Nussknacker Prinz. Er ist verzaubert" erklärte sie mit träumerischem Blick.
„Wie kommst du darauf?" Langsam machte ich mir Sorgen. Hatte ich die letzten Monate irgendetwas falsch gemacht? Hatte sie sich in irgendeine Fantasiewelt geflüchtet, von der ich nichts mitbekommen hatte.
Penny rollte mit den Augen. „Siehst du es nicht Emilia? Er leuchtet"
Ich drehte mich langsam zum Kamin, doch ich sah kein Leuchten. „Penny, er ist aus Holz. Er kann nicht leuchten" erklärte ich ihr mit sanfter Stimme. „Er ist einfach nur eine Holzfigur"
„Nein, Emmy. Er ist ein verzauberter Prinz und um ihm zu helfen musst du ihn Küssen" Sie sagte es mit einer Überzeugung das ich mir kurz nicht mehr so sicher war. Kurz sah ich zu dem Kaminsims und mir kam es so vor als würde ein leichtes Glühen von der Nussknacker Figur aus gehen.
Ich schüttelte den Kopf und wandte mich wieder an meine Schwester.
„Du hast wirklich eine lebhafte Fantasie" stellte ich an sie gewandt fest, dann klatschte ich in die Hände. „Los, Penny. Räumen wir dieses Chaos auf, suchen wir was zum essen und dann ist es schon wieder Zeit fürs Bett"
„Oh ja, ich hab einen Bärenhunger" rief sie und wir machten uns daran die staubigen Kartone wieder nach oben zu tragen.
Eine halbe Stunde später standen wir in der Küche und sahen den Spaghetti im Topf beim kochen zu.
Gegen Neun Uhr fiel Penny schließlich müde ins Bett. Ich setzte mich todmüde in meinem Schlafanzug auf das Sofa, direkt neben Luzifer. Jeder Muskel in meinem Körper schmerzte. Gedankenverloren begann ich den Kater hinter den Ohren zu kraulen und er begann prompt wollig zu schnurren.
„Seltsame Dinge gehen hier vor" überlegte ich laut und mein Blick wanderte automatisch zum Kaminsims und den vier Holzfiguren.
„Verzauberter Prinz" Ich rümpfte die Nase und stand wieder auf. Bevor ich wusste was ich tat, hielt ich den Nussknacker in der Hand. „Wenn es doch nur so einfach wäre" seufzte ich, während ich an Penny's Worte dachte. „Als würde ein Kuss so viel bewirken"
Minutenlang stand ich so da und betrachtete die Holzfigur, die schwer in meiner Hand lag.
„Schaden kann es ja nicht" sagte ich zu mir selbst und zuckte mit den Schultern. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich das Luzifer mich skeptisch beobachtet. Langsam bewegte ich den Nussknacker zu meinem Gesicht. Je näher mein Mund dem Gesicht der Holzfigur kam, desto nervöser wurde ich.
Dann schloss ich meine Augen und meine Lippen trafen auf die kühle glatte Oberfläche. In meiner Brust breitete sich Wärme aus die augenblicklich meinen gesamten Körper erfüllte.
Dann war der Moment vorbei und meine Lippen lösten sich wieder von dem Nussknacker. Mein Herz klopfte wie wild doch nichts geschah.
Enttäuscht stellte ich die Figur wieder zurück auf seinen Platz.
„Was habe ich mir nur dabei gedacht" murmelte ich verärgert und ließ mich zurück aufs Sofa fallen. Luzifer zuckte nervös mit seiner Schwanzspitze.
„Was willst du? Man kann doch wohl noch hoffen" seufzte ich an ihn gewann. Der Kater zuckte als Antwort mit seinen Ohren.
„Du bist mir keine große Hilfe" knurrte ich. So saß ich da, in meinen Gedanken versunken und nach einiger Zeit versank ich in einen unruhigen Schlaf.
Ein lautes Rumpeln ließ mich aus meinem Schlaf hochschrecken. Verwirrt setzte ich mich auf. Es sah so aus als wäre ich im Schlaf auf die Lehne runtergerutscht. Ich konnte mich allerdings auch nicht daran erinnern, wann ich das Licht ausgeschalten und den Kamin angezündet hatte.
Das warme Licht des Feuers erwärmte teilweise den kalten Raum. Ich erhob mich von dem Sofa und trat an das warme Feuer. Zufällig fiel mein Blick auf den Kaminsims und ich stockte: Die vier Holzfiguren waren verschwunden. Wieder drang ein lautes Poltern an mein Ohr und ich zuckte erschrocken zusammen. Dann ertönte ein gellender Schrei, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Sofort rannte ich die Treppe hoch, doch ich kam nicht weit. Am oberen Treppenabsatz versperrte mir ein seltsames haariges Knäuel, das fauchte und um sich Schlug den Weg. Ich brauchte einige Minuten, um zu realisieren das dieses Knäuel Luzifer war, der sich mit einer riesigen Ratte balgte. Erschrocken wich ich zurück als die beiden an mir vorbei die Treppen runter kullerten. Schnell lief ich weiter.
„Penny? Penny!" rief ich verängstigt. Als ich die Tür zu ihrem Zimmer aufstieß traute ich meinen Augen nicht: Das Zimmer sah aus als hätte ein Wirbelsturm darin gewütet. Dazu kamen vier Uniformierte Männer, die sich mit menschengroßen Ratten einen Schwertkampf lieferten. Das Geräusch von Metall auf Metall hallte durch den Raum.
Dann fiel mein Blick auf die offene Schranktür: Darin stand eine weitere menschengroße Ratte. Und die hielt eine um sich schlagende Penny in den Armen. Bevor ich reagieren konnte, drehte sich die Ratte um und verschwand in den Tiefen des Kleiderschrankes.
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