DER NUSSKNACKER
Pünktlich um drei Uhr nachmittags stand der Baum in seinem eisernen Ständer und wartete darauf von uns geschmückt zu werden. Auf dem Dachboden fanden wir auch schon bald den alten Weihnachtsschmuck von Großmutter begleitet von vier dicken Ratten, die wohl die Schachteln anknabbern wollten.
„Verzieht euch" schimpfte ich und hörte hinter mir Luzifer fauchen. Als ich mich umdrehte sah ich nur noch einen buschigen weißen Schweif, der hinter Kartonschachteln verschwand.
„Das waren aber seltsame Ratten" Pennys Gesicht war nachdenklich.
„Was meinst du?" fragte ich meine kleine Schwester. „Wie können Ratten den seltsam sein, Penny? Das sind nur kleine nervige Viecher"
„Mir kam es so vor als hätten sie mich beobachtet" murmelte sie.
„Das hast du dir bestimmt nur eingebildet" lachte ich. „Ratten können keinen Menschen beobachten, dafür fehlt ihnen die Intelligenz" erklärte ich ihr und schob sie vor mir die Treppen hinunter. „Jetzt mach ich uns eine leckere heiße Schokolade und du suchst Mamas alte Weihnachtsmusik"
„Oh ja" jubelte Penny und düste auch schon los ins Wohnzimmer.
Nachdenklich ließ ich die Kartons auf den Boden sinken. Ratten die meine kleine Schwester beobachteten? Das war so seltsam, dass es sich kein Kind ausdenken kann. Oder doch? Ich verwarf den Gedanken und schob ihn auf die lebhafte Fantasie meiner Schwester.
Ratten waren niemals so intelligent, um einen Menschen zu beobachten. Als ich die oberste Schachtel öffnete sprang mir eine dicke Fette Ratte entgegen. Kreischend fiel ich nach hinten. Ich setzte mich auf und erstarrte. Die Ratte saß vor mir auf dem Boden und betrachtete mich feindselig. Angriffslustig schaute sie mir geradewegs in die Augen.
„Emmy! Ich habe sie gefunden" dröhnte es in dem Moment durch das Haus als die Ratte zum Sprung ansetzte. Erschrocken drehte sie ihren Kopf in die Richtung, aus der der Lärm kam.
Die Ratte warf mir einen letzten Blick zu und dann verschwand sie auf der Kellertreppe.
„Emmy, was machst du auf dem Boden?" lachte Penny als sie über die Treppen herunter gerannt kam.
„Ich bin nur... ach, nicht so wichtig!" Ich hievte mich auf die Beine und wankte in die Küche. Zitternd nahm ich die Milchtüte in die Hand. Die Begegnung mit der Ratte steckte mir immer noch in den Knochen. Dieser Feindselige Blick. Hatte ich ihn mir nur eingebildet?
Eine Stunde später war die Begegnung schon vergessen und meine Schwester im Weihnachtsschmuck und Schokolade Rausch. Lauthals sang sie die Lieder mit und schmückte mit kindlicher Präzision den Baum. Luzifer war inzwischen von seiner Rattenjagd zurück und fläzte sich auf dem Sofa.
Ich war mir nun zu hundert Prozent sicher das ich es mir den Blick der Ratte eingebildet hatte. Ratten konnten niemanden feindselig ansehen. Ich musste inzwischen über mich selbst lachen. Wenn ich nicht aufpasste würde ich noch verrückt werden. Vielleicht sollte ich mir mal eine Pause gönnen, überlegte ich, während ich eine alte Hölzerne Truhe entdeckte, die ich nicht kannte. Verwundert schob ich den Gedanken nach Urlaub beiseite und nahm die Truhe in die Hände.
„Was ist das, Emmi?" ertönte die neugierige Stimme von Penny hinter mir. Flink sprang sie von dem Stuhl, auf dem sie gestanden ist, um an die oberen Äste des Baumes zu gelangen.
„Ich weiß es nicht" gab ich nachdenklich zu. „Sie muss von Oma stammen" überlegte ich laut. „Sie scheint sehr alt zu sein"
Vorsichtig erhob ich mich mit der Truhe in den Händen und stellte sie auf den Esstisch. Im Licht der Deckenlampe erkannte ich Schnitzereien im dunklen Nuss Holz. Das Eiserne Schloss war in einem weniger gutem Zustand.
„Sieht aus als hätte jemand versucht es auf zu brechen" Ich strich mit meinem Finger über die Spuren eines Werkzeuges, das im Eisen hinterlassen wurde.
„Er hat wohl Omas Schlüssel gesucht. Wie dumm" lachte Penny und flitzte los. Nach wenigen Minuten kam sie zurück und hielt mir stolz einen Alten eisernen Schlüssel vor die Nase.
Perplex starrte ich auf den Schlüssel. „Wo hast du den her?"
Penny zuckte mit den Schultern. „Lag auf Mamas Bett als sie... naja, an dem Tag als sie verschwunden ist"
Ich nahm ihr den Schlüssel aus der Hand und betrachtete ihn misstrauisch. Er schien zu der Truhe zu gehören. Aber warum hat er auf Mutters Bett gelegen an dem Tag als sie verschwand?
„Worauf wartest du Emmi? Warum schließt du es nicht auf?" unterbrach mich die quengelnde Stimme meiner kleinen Schwester. Luzifer schien auch darauf zu warten das ich die Truhe öffnete. Der weiße Kater hatte inzwischen aufgehört sein Fell zu putzen und saß vor mir auf einem der Stühle und betrachtete wachsam die Holztruhe.
Seufzend steckte ich den Schlüssel ins Schloss. Es passte. Mein Herz begann zu schneller zu schlagen, während ich ihn langsam drehte, bis ein Klicken ertönte. Das Schloss sprang auf und ich hielt den Atem an.
Langsam hob ich den Deckel an. Der Geruch von Heu und Stroh stieg mir in die Nase. Ich traute meinen Augen nicht: Fein säuberlich aufgereiht lagen darin ein Nussknacker und drei Zinnsoldaten.
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