Kapitel 14 ~ wenn Welten zusammenbrechen
10.01.2115
Und nun liege ich hier. Ich kann mich kaum bewegen. Mir tut alles weh. Selbst atmen ist anstrengend. Ich hab Angst. Angst davor, einzuschlafen, weil ich nicht weiß, ob ich morgen früh wieder aufwache. Ich muss kämpfen. Ich darf noch nicht aufgeben.
Ich klappe das Tagebuch wieder zu und schiebe es unter mein Kissen. Die letzte Woche war anstrengend. Nicht nur für mich. Elle hat viel durchgemacht. Die Evolution Company hat erst nicht eingewilligt, als sie den Besitzer wechseln wollte. Doch dank Luke und seinem wunderbaren Anwalt gehört sie nun Mauricio.
Die Medikamente bekommen mir nicht gut. Doch ihr noch weniger. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, sah sie aus wie ein Skelett. Ein Skelett, überzogen mit Haut.
Ihre Haare hingen in dünnen Strähnen an ihr herab und ihre sonst so freundlichen Augen waren leer und tot. Der Funke war erloschen. Mauricio macht alles, um ihr zu helfen. Doch es steht sehr schlecht um sie.
Ich gähne. Der Tag war anstrengend und ich bin froh, dass ich nun im Bett liegen kann. Da klopft es. Luke steckt den Kopf ins Zimmer und lächelt mich an.
"Darf ich ein kommen?" Fragt er. Ich nicke und gähne erneut.
Er setzt sich auf meine Bettkante und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Wie geht es dir?" Fragt er. Auf seiner Stirn bilden sich kleine Sorgenfältchen, als er die Augenbrauen zusammen zieht.
"Es geht schon." Sage ich. Er seufzt.
"Wir wollen morgen früh mit Elle und Mauricio essen gehen. Schlaf dich aus, damit du morgen fit bist ok?"
Er legt die Decke über mich, geht zur Tür und schaltet das Licht aus. Dann flüstert er ein "Gute Nacht" und schließt die Tür.
Kaum ist es dunkel in meinem Zimmer, sinke ich in einen tiefen Schlaf.
-
Als ich am nächsten Morgen von dem surren der elektrischen Rolläden vor meinem Fenster geweckt werde, fühle ich mich schon viel besser. Ich ziehe mich um und tapse in die Küche, wo Luke schon mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Esstisch sitzt und die Zeitung liest.
Ich räuspere mich und er sieht auf.
"Guten Morgen." Sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich erwidere das lächeln und setze mich ihm gegenüber hin.
"Möchtest du auch?" Fragt er und deutet auf die Tasse in seiner Hand.
Bevor ich antworten kann, klingelt sein Handy. Er wirft einen Blick drauf und seufzt. Dann hält er sich das Handy ans Ohr. "Daria, was gibts?"
Ich kann nicht verstehen, was sie sagt, ich höre nur Lukes genervtes "Ja, Nein, Auf keinen Fall, ruf Sam an" und dann irgendwann ein "Bis dann.".
Er sieht mich an und seufzt. "Wie es aussieht, gab es einen Maschienenausfall."
Er guckt auf die Uhr an der Wand und steht dann auf. "Wir müssen los." Sagt er, stellt seine Tasse auf die Arbeitsfläche. Wir gehen zum Auto. Er hält mir die Tür auf und lächelt mich an. Ich erwidere sein Lächeln und lasse mich auf das kühle Leder des Autositzes sinken. Luke schließt die Tür und geht dann auf die andere Seite. Er setzt sich ins Auto, lässt den Motor an und fährt los.
-
Als wir eine Viertelstunde später auf dem Parkplatz eines Restaurants anhalten, muss Luke mich wecken. Ich bin so erschöpft, dass ich während der Fahrt wieder eingeschlafen bin. Ich steige aus und hacke mich bei ihm ein.
Die Frau am Empfang führt uns zu unserem Tisch. Mauricio und Elle sind schon da. Als Elle mich sieht, lächelt sie. Sie ist noch dünner geworden, falls das überhaupt möglich ist. Ihre dünnen, braunen Haare hat sie unter einer langen, blonden Perücke versteckt und ihr Körper ist in einen eleganten schwarzen Rollkragenpullover und eine etwas weitere dunkle Jeans gehüllt. Ich setze mich neben sie und nehme sie vorsichtig in die Arme, aus Angst, ich könnte sie zerbrechen.
"Wie geht es dir?" frage ich vorsichtig. Sie nickt lächelnd. "Ich lebe noch." sagt sie und legt ihre Hände auf den Tisch. Ihre Finger sehen fast aus, wie Salzstangen, so dünn sind sie. Mauricio legt seine Hand auf ihre und küsst ihre Wange. Er liebt sie und sie liebt ihn.
Eine Kellnerin kommt zu unserem Tisch und wir bestellen. Luke und Mauricio reden über Lukes Firma und ich versuche Elle ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, indem ich ihr unglaublich schlechte Witze erzähle. Hin und wieder lacht sie. Aber nur kurz. Es ist zu anstrengend.
Das Essen wird uns serviert. Als wir fertig sind, bittet Elle mich, sie auf die Toilette zu begleiten. Wir stehen auf und ich lege einen Arm um sie, um sie zu stützen. Sie atmet schwer und wir gehen ganz langsam. Wir haben es fast geschafft, als ihre Knie auf einmal nachgeben und sie zusammen sackt. Ich schreie auf und sehe mich suchend nach Luke und Mauricio um. Sie sind schon von ihren Sitzen aufgesprungen und eilen zu uns. Mauricio ist als erster bei uns. Er hebt Elle hoch und rennt mit ihr aus dem Restaurant. Ich sehe Luke an, der gerade einer Kellnerin ein paar Scheine gibt und dann hinterher rennt. Ich laufe ihnen hinterher. Mauricio legt Elle auf die Rückbank seines Autos und Fährt dann los. Luke fährt mit seinem Auto zu mir und lehnt sich rüber, um die Beifahrertür zu öffnen. Ich springe ins Auto und habe die Tür noch gar nicht ganz zu, als Luke mit quietschenden Reifen den Parkplatz verlässt.
"Was ist los?" frage ich. Meine Stimme zittert und ich mache mir unglaubliche Sorgen. "Wir fahren zum Krankenhaus." sagt Luke mit dem Blick auf die Straße. Ich atme zitternd ein und sehe ihn an. Er legt seine Hand auf mein Bein. "Mach dir keine Sorgen. Es geht ihr bestimmt gleich wieder besser." Doch ich weiß, das nicht mal er seinen Worten glauben schenkt.
Am Krankenhaus angekommen, sehe ich wie Mauricio den leblosen Körper von Elle ins Gebäude Trägt. Luke und ich steigen aus dem Auto, welches er einfach nur am Straßenrand hat stehen lassen, und rennen Mauricio hinterher. Zwei Schwestern haben eine Liege geholt, auf der er Elle ablegen kann.Die Schwestern schieben sie in einen Raum. Ein Arzt und eine weitere Schwester kommen dazu. der Arzt rennt in den Raum und die Schwester versucht Mauricio davon abzuhalten, ebenfalls in den Raum zu gehen. "Sir, sie können da nicht rein. Lassen sie den Arzt seine Arbeit machen." sagt sie und hält ihm am Arm fest.
Luke geht zu Mauricio und zieht ihm am Arm zu einer Reihe von Stühlen. Sie setzen sich hin und Luke versucht Mauricio zu beruhigen. Er ist total aufgelöst. Ich habe noch nie einen Mann weinen sehen, bis jetzt.
Geschockt stehe ich in dem Gang und sehe durch ein Fenster in den Raum, in dem sie versuchen, Elle zu helfen. Sie legen ihr zwei Platten auf die nackte Brust. Ihr Körper zuckt einmal. Der Arzt versucht es nochmal. Dann schließt eine der Schwestern die Rolläden des Fensters. Ich gehe hin und her, wie ein Tiger im Käfig. Meine Fingernägel bohren sich in meine Hände und ich sehe hin und wieder zu Luke und Mauricio. Mauricio sitzt mit den Ellenbogen auf den Knien und dem Gesicht in den Händen da. Luke streicht seinem Freund über den Rücken.
Da wird die Tür geöffnet. Mauricio hebt den Kopf und sieht den Arzt erwartungsvoll an. Ich weiß noch bevor er anfängt zu sprechen, was los ist. "Es tut mir leid. Sie hat es nicht geschafft." sagt er. Mauricio steht auf und geht aus dem Krankenhaus. Luke läuft ihm hinterher, doch ich gehe in den Raum. Elle liegt unter einer weißen Decke. Ihre Augen sind geschlossen und sie sieht anders aus, als vorher. Irgendwie friedlich. Ich weine. Elle war nicht nur meine beste Freundin, nein, sie war meine Schwester.
Da wird mir etwas klar: wenn ich die Medikamente weiter nehme, werde ich genau so enden, wie sie.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top