Das Phänomen Tim Bendzko
Das Phänomen Tim Bendzko
„Och bitte! Komm doch mit. Jetzt habe ich dir sowieso schon eine Karte für dich mitgekauft. So schnell finde ich doch keinen, der mit mir dahin geht.", bisher hast du auch noch keinen, der mit dir dort hingeht, dachte ich und schüttelte den Kopf. Leider sagte mein Mund selten, dass was mein Hirn dachte. „ Du kannst aufhören! Wenn dieser Tom so ein toller Sänger ist, wie du mir die ganze Zeit schon glaubhaft machen willst, dann würdest du zwar sicher noch jemanden finden, der mit dir geht...", sagte ich und wurde schon vor dem entscheidenden Satzteil von der Sprecherin am anderen Ende der Leitung unterbrochen. „Das heißt: ja?", kreischte sie mir voller Freude ins Ohr. Ich hielt den Hörer ein Stück von meinem Ohr weg. Meine beste Freundin sprach in solch einer Lautstärke, dass ich sie auch so ohne Probleme verstand. „ Aber du solltest dir für Freitag merken, dass er Tim heißt und nicht Tom. Sonst könnte es gut möglich sein, dass dich die Hyper-Fans einen Kopf kürzer machen", lachte sie in ihr Handy. Das klang ja super. So wie sie mir diesen Tim beschrieben hatte, war der mit Sicherheit so ein Teenie Schwarm und lauter 14 bis 16 jährige Mädels würden sich auf dem Konzert, die Stimmen heiser kreischen. Ich wusste das. Ich war schließlich auch mal in diesem Alter gewesen und hatte sowas schon damals mehr als schlimm gefunden. „ Jaja, Tim Benzdings", gab ich genervt von mir. „ Bendzko!", verbesserte mich meine bessere Hälfte erneut. Auch wenn Gerry schon fast so etwas wie meine Schwester für mich war, war ihr drang einen andauernd zu verbessern manchmal mehr als nervig. Ich kritzelte den Namen, dieses ominösen Sängers auf eine Seite meines mehr als abgenutzten Kalenders. Sie teilte mir noch mit wann ich zu kommen hatte. Was wieder eine Ewigkeit zu dauern schien, denn statt mir einfach eine Uhrzeit zu sagen begann sie mir eine genaue Auswertung aller möglichen Plätze und deren Vor- bzw. Nachteilen zu schildern. Das Konzert war natürlich nicht in einer Halle oder zumindest irgendwo wo man sich setzen konnte - nein es musste ein Open-Air Konzert mit freier Steh(!)-Platzwahl sein. Meine Vorfreude wurden noch mehr gesteigert, als ich auch noch erfuhr, dass ich den ungewollten Spaß auch noch selbst bezahlen musste. Na super. „ Ach komm es sind doch nur 40€!", sagte sie und zog dabei das u bei „nur" in die Länge. Als würde das den Preis weniger schlimm machen. 40€ waren natürlich nicht die Welt - da hatte ich bei weitem schon mehr bezahlt - aber für so einen kleinen möchte gern Bubi, den ich nicht einmal kannte, war das doch recht happig. „Kaja! Jetzt komm schon. Du bist doch sonst nicht so geizig. In ein paar Jahren werden wir uns bis zum Mond freuen, dass wir mit so wenig Geld schon auf ein Konzert gekommen sind. Ich sage dir, in ein paar Jahren ist der ein ganz großer. Das garantiere ich dir!", versuchte Gerry mich weiter zu überreden. Sie sollte zwar Recht behalten, aber zu dem Zeitpunkt überzeugte mich das recht wenig. Ich gab mich aber schließlich geschlagen. Ich kam hier sowieso nicht mehr raus. Das war mir schon nach dem ersten Satz klar gewesen, den sie mir nach der Begrüßung ins Ohr gequiekt hatte: „Ich weiß genau was wir am Freitag machen werden!!" Es dauerte noch gefühlte 4 Stunden und 30 Versprechungen, dass ich versuchen würde pünktlich zu sein, bis ich endlich auflegen durfte. Wie es schien würde ich also am Freitag um 20 Uhr auf ein Konzert gehen. Nein, um 20 Uhr würde ich mir natürlich schon seit 2 ½ Stunden die Füße platt gestanden haben. Ich freute mich jetzt schon.
Obwohl ich mir während des Telefonats sicher gewesen war, dass mich dieser Tim Bendzko nicht die Bohne interessierte, erwischte ich mich keine halbe Stunde später dabei, wie ich seinen Namen in Google einzugeben versuchte. Wie gesagt: versuchte! Denn schon nach ein paar Buchstaben wurde ich von Google darauf hingewiesen, dass er keine Person mit dem Namen Bennts (und somit auch nicht mit Benntsco) gab. Auf welche Person hatte meine beste Freundin mich da angesetzt, dass nicht mal Google sie finden konnte? Genervt tippte ich den Namen erneut in ein. Und voilà mit ein paar Änderungen in der Schreibweise lud sich die Seite erneut und ich erhielt eine Menge Ergebnisse. Geht doch. Schon im nächsten Moment bereute ich Gerry so deutlich gezeigt zu haben, dass ich ihn nicht kannte, denn das World Wide Web kannte ihn nicht nur... es verehrte ihn regelrecht! Ich öffnete ein paar Seiten, indem ich auf die von Google vorgeschlagenen Links klickte. Schon beim ersten Bericht musste ich keine 2 Zeilen lesen, um zu merken wie begeistert der Redakteur oder wohl eher die Redakteurin „ von dem Traum einer jeden Schwiegermutter" war. Naja, ob ich auf das Konzert eines Schwiegermutterlieblings gehen wollte, bezweifelte ich in diesem Moment sehr. Ich bekam schon von meiner Mutter zu genüge (unmissverständlich) mitgeteilt, dass sie, wenn das mit mir und den Männern so weiter ginge, ohne Enkel sterben würde. Und DAS würde sie mir nie verzeihen! Ich hörte ihr schon gar nicht mehr zu, wenn sie nur meinen Namen und das Wort: „Mann" in einem Satz sagte. Denn natürlich hatte es sich meine Mutter nicht nehmen lassen jedem und damit meine ich wirklich jedem auf die Nase zu binden, dass ich schon seit Jahren keinen festen Freund mehr gehabt hatte. Dabei war ich gerade mal 27 Jahre alt und meiner Meinung nach hatte ich noch reichlich Zeit den „Mann fürs Leben" zu finden. Ich öffnete einen anderen Link. Ich gelangte auf eine Website, die ich nur zu gut kannte. Auf dieser Seite war schon jeder halbwegs prominente Mensch mindestens einmal schlecht gemacht worden, doch nicht einmal DIE Kritikerseite des gesamten Internets hatte eine Sache an dem Wunderkind auszusetzen. Er war jung, schlank, sportlich, hatte das Abitur, hatte 5 Semester Evangelische Theologie und nichtchristliche Religionen studiert (und das nur um sich zu bilden- ich meine hallo? Streberalarm?) und war dazu noch Veganer. Der war ja schlimmer, als die Leute aus dem Deutscharbeitsheft, dass wir für die Schule immer hatten kaufen müssen. Und die waren schon nervig gewesen. „Für Bioprodukte würden meine Eltern auch mehr bezahlen.", äffte ich in Gedanken einen dieser erfunden Musterschüler nach. Für Faire Trade würden sie natürlich NOCH mehr bezahlen, da war ich mir sicher. Ich schüttelte den Kopf. Über was machte ich mir hier Gedanken? Dieser Musterknabe mit dem süßen Lächeln hatte bestimmt auch seine Marotten! Die waren von der Presse wahrscheinlich nur noch nicht entdeckt worden. Ich stöberte weiter und kam schließlich auf einen Link, der mich zur Videoplattform YouTube führte. Ich war auf ein Lied gestoßen das „ Wenn Worte meine Sprache wären" hieß. Was für ein blöder Titel für ein Lied, dachte ich, stellte aber dennoch die Boxen meines Computers lauter und... wurde überrascht. Es war diesem Tim nicht nur positiv anzumerken, dass er auf Deutsch sang, nein, dazu musste ich zugeben, dass er das gar nicht so schlecht tat. In den Kommentaren erfuhr ich, dass er es nicht nur schaffte mich mit seinem Gesang zu begeistern und dass dieser Streber nicht nur ein sehr guter Live-Künstler war, sondern dazu noch alle Lieder selbst komponierte. Die Texte schrieb er natürlich auch selbst. Natürlich! Langsam war ich richtig genervt von diesem Charmebolzen! Ich sah mir weitere Videos an und ich konnte nichts dagegen tun, aber... er begann mir zu gefallen. Na gut, wenn ich ehrlich mit mir war, musste ich mir eingestehen, dass er mich schon nach dem erste Lied gehabt hatte. Nach dem ersten Interview, das ich mir von ihm ansah, war ich dann vollends fasziniert von diesem Kerl. Bis auf die Tatsache, dass er sein Studium nicht beendet hatte, war mir noch nichts Negatives an ihm aufgefallen, was mich zugegebenermaßen nicht nur verwunderte, sondern auch nervte! Jeder hatte etwas Negatives an sich und ich kannte keinen Prominenten, der nach über 2 Jahren im Rampenlicht noch keinen Skandal gehabt hatte. Ich begann gezielter zu suchen. Zunächst gab ich in die Suchleiste den Namen Tim Bendzko und dazu das Wort: „Skandal" ein. Ich hatte schon ein Lächeln auf dem Gesicht, als ich sah, dass ich tatsächlich Suchergebnisse erzielt hatte. Wie wild klickte ich alle vorgeschlagenen Links an. Doch leider musste ich feststellen, dass in allen Artikeln hinter den Links nur darüber berichtet wurde, dass es erstaunlich war, dass dieser Sänger noch keinen Skandal hatte. „Mist!", fluchte ich und wusste gar nicht wieso mich dieses Ergebnis so aufregte. Ich wusste generell nicht wieso es mir so wichtig war diesen Tim schlecht zu machen. Ich kannte ihn gar nicht und eigentlich dürfte er mir mehr als egal sein, doch das war er mir nicht. Also suchte ich weiter und gab alle möglichen negativen Begriffe zusammen mit dem Namen des jungen Sängers ein. Von Drogen bis Alkohol, Geldstrafe, Betrug, ja sogar Falschparken(!)- alles gab ich ein und fand absolut nichts! Nichts, dass ihn schlecht dastehen ließ. Ich las mir seine Biographie in Wikipedia durch und das einzige was mich nicht begeisterte war, dass er auf einem Sportgymnasium gewesen war und dort sehr viel Fußball gespielt hatte. Doch daraus wollte ich ihm keinen Strick drehen. Er konnte schließlich nichts dafür, dass ich außerhalb der Weltmeisterschaft nie Fußball schaute. Es hieß also weiter suchen. So schnell gab ich nicht auf!
Ich trat wie eine Wilde aufs Gas. Ich hatte es tierisch eilig und wusste nicht wie ich es jetzt noch pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt schaffen sollte. Meine Recherchen bezüglich des Schmusesängers waren dann doch ins Leere gelaufen und ich musste mich geschlagen geben. Er war perfekt - naja, zumindest seine Öffentliche Weste war mehr als Blüten weiß. Wie es schien war wirklich jeder von ihm verzaubert. Die Einzigen, die ihn nicht mochten, waren Hasser der Deutschen Musik oder die, die nur auf „harte" Kerle standen. Das war er nicht gerade, ein harter Kerl, doch das störte mich nicht. Lieber ein Weichei, als einen elenden Macho, der sich für die Sonne hält, um die sich alles dreht. Die Medienwelt feierte ihn bis ins unermesslich und das, obwohl er noch gar nicht so bekannt war. Er hatten den BuViSoCo gewonnen - okay, ich gebe zu, daher hätte man ihn kennen können (leider hatte ich von der Existenz des Bundesvisionsongcontestes bis zum letzten Jahr gar nichts gewusst). Sonst hatte er wohl noch keine erfolgreiche Single heraus gebracht, denn mir war keins der Lieder, die ich gehört hatte, bekannt vorgekommen.
Ich hatte beschlossen mich jetzt einfach auf das Konzert zu freuen und wenn nicht darauf, dann auf einen schönen Abend mit meiner besten Freundin. Die hatte nämlich seitdem sie einen neuen Freund hatte auch nicht mehr so viel Zeit für mich wie früher. Doch im Moment hatte ich einfach keine Zeit mich auf irgendetwas zu freuen. Mein letzter Kundentermin hatte nämlich eindeutig mehr Zeit beansprucht, als ich dafür eingeplant hatte. Nun hatte ich den Salat. Mit meiner stets viel zu knappen Zeitplanung hatte ich mir schon so einige Male unnötigen Stress beschert. Ich drückte genervt auf die Hupe. Musste der vor mir auch so quälend langsam fahren? Ich war schon fast da, doch ich musste mir schließlich noch einen Parkplatz suchen und so wie ich die Gegend kannte würde das alles andere als einfach werden. Endlich bog das Auto vor mir in eine Seitenstraße ein und ich konnte mein Tempo beschleunigen. Dank einer Sperrung von der ich im Vorfeld nichts gewusst hatte musste ich anschließend einen großen Umweg fahren. Kurzerhand endschloss ich mich dazu mein Auto in einem der kleinen Gässchen abzustellen. Als ich ausstieg wechselte ich noch schnell meine Schuhe. Egal wie wenig Zeit ich hatte, 4 Stunden auf 10cm Hacken zu stehen, das würde ich mir nicht antun. Als ich fertig war schaute ich beinahe beiläufig auf die Uhr und bekam einen Schock. Ich hatte noch 10 Minuten um zum vereinbarten Treffpunkt zu kommen und das hieß: ich war quasi schon zu spät. Ich hasste es spät zu kommen und Gerry hasste es zu warten. Das wäre vielleicht der richtige Zeitpunkt und etwas zu klären. Ja, Gerry war wirklich eines dieser armen Kinder dessen Eltern vom Land kamen und das deshalb noch nach ihrer Urgroßtante benannt worden war. Oder so etwas Ähnliches. Ihre Eltern hatten somit die Auswahl zwischen Giesela und Gerda gehabt. Sie hatten sich schließlich für die Variante mit dem besseren Spitznamen entschieden. Beide hatten keine große Lust auf eine Gisi oder ähnliches gehabt. Also entschieden sie sich für Gerda. Ich hatte aber noch niemanden getroffen, der sie wirklich so genannte. Von allen wurde sie einfach Gerry gerufen und damit konnte sie mittlerweile auch ganz gut leben. Als Kind war das schwieriger gewesen. Doch nachdem ich ihr in der 6. Klasse eine Liste mit 100 Namen geschrieben habe, die um einiges schlimmer sind, als ihr eigener hatte sie begonnen sich damit anzufreunden oder es zumindest zu akzeptieren. Über meine Unpünktlichkeit hingegen würde sie sich beschweren das war sicher. Und falls wir deshalb einen schlechteren Platz bekommen würden, würde sie mir das noch die nächsten 10 Jahre vorhalten. Ich legte noch einen Zahn zu und rannte so schnell ich konnte durch die ganzen verwinkelten Gässchen und Nebenstraßen. Zum Glück kannte ich mich hier ziemlich gut aus. Ein Fremder würde sich hier nicht so gut zurechtfinden und mindestens alle 100 Meter denken er wäre im Kreis gelaufen, denn es sah hier einfach überall nahezu gleich aus. Als Kind hatte ich mich hier mehrfach verlaufen, doch mittlerweile hatte ich dazu gelernt und ich könnte den Weg im Schlaf finden. Doch noch nie war mir der Weg so lang vorgekommen. Es war als wäre ich in den letzten 5 Minuten keinen Meter vorangekommen. Plötzlich spürte ich eine immer wieder kehrende Vibration in meiner um meine Schulter hängenden Handtasche. Ich versuchte den Störenfried während dem Laufen aus meiner Tasche zu kramen. Ich war mittlerweile an der Hauptstraße angekommen. Ich sprintete zu der Ampel und hämmerte wie verrückt auf den Knopf ein und wartete vergeblich auf das grüne Männchen. Das gibt es doch nicht! Hatte sich jetzt alles gegen mich verschworen? Noch immer hatte ich mein Handy nicht gefunden, doch der Anrufer gab nicht auf und weiter spürte ich die unangenehme Vibration. Ich schaute einmal nach rechts und links um zu sehen, ob die Straße frei war. Alles frei- immerhin! Ich nahm die Tasche von meiner Schulter und öffnete den Reißverschluss ein Stückchen weiter. Da war es doch! Ich nahm im Gehen mein Mobiltelefon aus dem Seitenfach in dem es steckte. Als ich es den Reißverschluss der Tasche wieder zu gepfriemelt hatte drückte ich auf das grüne Zeichen, klemmte mir das Gerät zwischen Ohr und Schulter und versuchte dabei irgendwie meine Tasche nicht zu verlieren. Ich hatte mich noch nicht gemeldet, als der Anrufer (Gerry natürlich) mich schon zu textete. Plötzlich hörte ich ein Motorengeräusch gefährlich nah an meinem Ohr. Ich hatte nicht gemerkt, dass ich mich noch immer in Mitten der Straße befand. Ich beeilte mich vom Höllenasphalt des Todes zu entkommen und ging weiter meines Weges.
„Hörst du mir überhaupt zu?", hörte ich da auch schon Gerrys Stimme an meinem Ohr.
„Jaja, ich war gerade nur dabei zu verhindern nicht für dein Timmilein sterben zu müssen. Nichts besonders.", bevor Gerry überhaupt nur Luft holen konnte, versicherte ich ihr, dass es mir gut ging und ich gleich bei ihr sein würde. Tatsächlich dauerte es keine 10 Minuten, da stand ich meiner besten Freundin gegenüber. Die sah mit angesäuert entgegen. Wegen meiner Unpünktlichkeit würden wir mit Sicherheit keinen guten Platz mehr bekommen.
„Du wolltest dich doch bitte nicht zu den kreischenden Teenies in die erste Reihe stellen?", fragte ich sie belustig, während sie mich durch die Menge schleifte. Als ich mich auf dem Marktplatz so umsah, musste ich feststellen, dass ich wohl wirklich die einzige war, wem der Name Tim Bendzko nichts sagte. Obwohl es noch über 1 ½ Stunden bis zum Konzertbeginn waren. Gerry schaffte es trotz meiner Frechheit erst 1 ½ vor Beginn eines Konzertes des Weltstars Tim Bendzko, dessen Namen ich schon beim Denken falsch buchstabierte, zu kommen, einen ordentlichen Platz zu beschaffen. Von hier aus hatten wir einen guten Blick auf die Bühne und damit verbunden auf die erste Reihe, die, wie ich es bereits vermutet hatte, bis zum letzten Platz mit Mädchen zwischen 12 und 14 Jahren gefüllt war. Sie alle saßen enganeinander gepresst auf dem Boden direkt vor der Absperrung, die sie zumindest davor aufhalten sollte, direkt zu ihrem Idol auf die Bühne zu springen. Ich traute es diesen Smombies zu. Die ihren Namen ihrem klischeehaften Benehmen verdankten. Wie es sich für richtige Jugendliche der 2000er Jahre gehörte, sprachen sie nicht miteinander, sondern hatten stattdessen jeder ein Smartphone mit angeschlossener Powerbank in der Hand. Dabei war vermutlich eines teurer als das andere. Ihre Blicke klebten praktisch an den Dingern. Ich traute ihnen allerdings nicht nur zu, dass sie noch bis kurz vor Beginn des Konzerts die Facebookseite des Mannes ihrer Träume stalkten - und noch beim Klang der letzten Melodien ihre Videos und Bilder auf Instagram posteten, um sich gegenseitig darauf markierten und davon zu schwärmen, was ein tolles Erlebnis sie doch gemeinsam teilten - sondern auch, dass sie hier gecampt hatte, um diesen Platz zu ergattern. Gerry konnte ich ihren Neid an der Nasenspitze ansehen. Immer wieder sah sie sehnsüchtig zu den Handysüchtigen. Die gehörten doch in eine Psychiatrie, also mal ehrlich! Und Gerry am besten gleich mit. Wann war sie zu solch einem Fan dieses Struwwelpeters geworden? Und eine Frage die mich noch mehr beschäftigte: Wie hatte ich dies nicht merken können? Meine beste Freundin schien ja völlig hin und weg zu sein. Kurzerhand nahm ich sie am Arm und quetschte mich mit ihr noch ein Stück nach vorne. Die empörten Aufschreie und gegrummelte „Also sowas unverschämtes!", ignorierte ich dabei geflissentlich. Wenn meine Gerry ihren Timmi sehen wollte, dann sollte sie ihn sehen und das nicht von über 20 Meter Entfernung. Zumindest nicht, wenn es nicht sein musste. Ich schaffte es also tatsächlich uns mit einer Dreistigkeit, die ich selbst nicht von mir gewohnt war, uns bis in Reihe 5 vorzukämpfen. Die Generation Google-Facebook-Instagram-Twitter-Snapchat-aber-viel-zu-cool-für-SchülerVZ waren derweil aufgestanden und einige hatten doch tatsächlich ein Gespräch begonnen. Es konnte also nicht mehr lange dauern.
Bei den Mädchen schien es wirklich um Exemplare der Ultrafans zu handeln, vor denen ich mich im Vorhinein schon gefürchtet hatte. Einige von ihnen trugen sogar selbstgemacht Fan T-Shirts. Auf ihr Rücken stand groß „Timmis" und darunter war ein Bild des Ostberliners zu sehen. Nicht schlimm genug, dass ich das auch noch wusste. „Timmis". Na, ob der Timmi das so toll fand? Ich konnte mir vorstellen, dass Timmi nicht gerade zu den liebsten Kosenamen des Sängers zählte. Das klang mehr nach einer Verniedlichung der Oma. „Na, möchte der kleine Timmi noch einen Keks?" Naja, Bendzkotzer war wohl keine Alternative für sie gewesen. Ich lachte innerlich über meinen eigenen Witz. Um kurz darauf die Stirn zu runzeln. Wow, so böse kannte ich mich eigentlich nicht. Ich hatte wohl heute meinen äußerst sarkastischen Tag. Das kam bestimmt durch die bisher noch nicht erforschte Mischung aus der übermäßigen Handystrahlung und den ganzen Teeniehormonen, die die Mehrheit der Menschen um mich versprühten.
Gerry gehörte eindeutig dazu. Ich kam nicht umher, zu lächeln, als ich sah, wie ihre Augen zu leuchten begannen, als die von Tim am liebsten als „Eventband" bezeichnete namenlose Band die Bühne betrat (Im Ernst, wieso wusste ich so etwas?!). Überrascht stellte ich fest, dass ich mich doch tatsächlich von der allgemeinen Euphorie anstecken ließ. Mein Herz schlug flattern in meiner Brust und das Lächeln war nicht mehr aus meinem Gesicht zu bekommen, während meine Augen aufregt von der einen Seite der Bühne zu anderen huschten, auf der Suche nach dem Lockenkopf, der es in den letzten Tagen doch geschafft haben musste, sich unbemerkt in mein Herz zu stehlen. Mein Herz machte einen Satz, der sich als freudiger Hüpfer herausstellte. Da war er. Die Mädchen um mich und besonders vor mir kreischten, dass mein Trommelfell wohl hätte platzen müssen, aber ich merkte es kaum. ‚Danke, Gerry. ', dachte ich noch, ehe ich mich voll und ganz von der Musik gefangen nehmen ließ. Für die folgenden Stunden hatte ich nur noch Augen und Ohren eine Person. Das Phänomen Tim Bendzko.
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