Dinnerabend 3

13.259 Wörter

Sonntag, 26.11.2023

Für einen Sonntag war es eindeutig zu früh. Dennoch konnte ich nicht mehr schlafen, irgendein Gedanke hatte mich geweckt. Ich konnte mich zwar nicht erinnern, aber ein Alptraum war es definitiv nicht gewesen. Eher ein schöner Traum. Genüsslich streckte ich mich einmal aus, ließ meinen Rücken knacken und rollte mich noch einmal unter meiner Bettdecke auf die Seite. Ein bisschen Zeit hatte ich noch, bis ich mich aus meinem warmen Bett schälen musste. Ein wenig konnte ich meine Akkus also noch aufladen, da die letzten fünf Tage mich doch mehr Energie gekostet hatten, als ich gedacht hatte. Natürlich hatte ich mich zunächst mit Haut und Haaren gegen die Teilnahme an perfekten Weihnachtsdinner gewehrt. Jeder, der mich kennt, hätte mich für verrückt erklärt, dort teilzunehmen, lediglich mein Manager Matt hatte das für eine gute Idee gehalten, aber der war eh nicht ganz normal. Böse Stimmen behaupteten, dass er es nur deswegen mit mir aushielt.

Erstaunlicherweise hatte ich gegen jede Erwartung niemanden mit meinem Essen vergiftet und auch meine Verletzungen hatten sich in Grenzen gehalten. Am erstaunlichsten war jedoch, dass ich trotz allem bei den beiden Dinnerabenden wirklich Spaß hatte. Und das lag mit Sicherheit an den anderen Teilnehmern: David Beckham war schon immer mein Fußballidol gewesen. Jetzt mit ihm Zeit verbringen zu können war schon irgendwie cool. James Corden war schon auf eine gewisse Art und Weise nervig, weil er mich ständig dazu überreden wollte, in seine Show zu kommen und ich dummerweise mittlerweile zugesagt hatte, andererseits hatte er als Showmaster auch so viel Erfahrung, dass er immer dafür gut war, die Gespräche in Gang zu halten und er war wirklich lustig. Genauso, wie man ihn aus dem Fernsehen kannte, war er jetzt auch.

Und dann war da noch der vierte Teilnehmer, der mich eigentlich am meisten überrascht hatte. Langsam drehte ich mich im Bett noch einmal auf den Rücken und kuschelte meinen Kopf in mein weiches Kissen und schloss meine Augen, während meine Gedanken weiter zu Harry Styles wanderten. Wir kannten uns eigentlich schon vorher, wenn man das kennen nennen kann, wenn man sich ab und an auf irgendwelchen Shows begegnete und miteinander konkurriert. Harry war mir bisher immer sehr suspekt vorgekommen, in jeder Hinsicht war er einfach immer eine Spur drüber: zu erfolgreich - nicht nur, dass er „meine" Awards gewann, nein, er stand auch noch vor der Filmkamera und machte sich mit seiner Kosmetiklinie einen Namen. Er war zu extravagant, ich meine, welcher Mann um die dreißig lief bitte in so bunten Farben herum, war nicht in der Lage, seine Hemden richtig zuzuknöpfen oder lackierte sich die Fingernägel - oder war das Promo für seinen eigenen Nagellack? Bei allen Interviews und Auftritten war er eine Spur zu nett und höflich und irgendwie immer flirty unterwegs ohne dabei irgendeine Grenze zu übertreten. So nett konnte doch niemand sein.

Ich seufzte. Diesbezüglich war ich das totale Gegenteil, nicht ohne Grund wurde mir ab und zu das Attribut „sassy" verpasst. Aber ich sagte halt einfach meine Meinung - oft genug auch ohne vorher darüber nachzudenken. Wem das nicht passte, der konnte ja gehen. Von mir aus musste ich nicht so häufig in Interviews sitzen, das war ein Part meines Jobs, auf den ich gut verzichten könnte. Das sah mein Manager Matt aber etwas anders und hatte mich aus eben diesem Grund ja auch beim perfekten Dinner angemeldet. Ich sollte mal mein authentisches Ich zeigen und weniger laut rüberkommen. Ob ich das bei dem Stress der letzten Tage geschafft hatte, weiß ich echt nicht - authentisch bestimmt, aber durch die ungewohnten Aufgaben, habe ich mich bestimmt anders gezeigt, als ich sonst im Privatleben war und war nicht so entspannt rübergekommen, wie ich eigentlich in meiner Freizeit war, denn alles, was ich in den letzten Tagen gemacht hatte, war ganz und gar nicht Bestandteil meiner normalen Freizeit: erst musste ich gefühlt einen ganzen Supermarkt an Zutaten kaufen und mein Haus fernseh-bereit machen. Dann habe ich vorgestern den Tag in der Küche verbracht und mit meinem Freund Robbie gekocht - echt nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber ich scheine niemanden vergiftet zu haben. Und bis auf die falsch gewürzten Beilagen bei der Hauptspeise hat sich auch niemand beschwert. Harry schien das Essen genossen zu haben. Alleine wenn ich daran dachte, wie er seinen Milkshake getrunken hatte, wurde mir schon wieder heiß. Ich wusste immer noch nicht, ob er das mit Absicht gemacht hatte oder ob das wieder nur seine übliche Art zu trinken war. Und auch die Art und Weise, wie er das Obst gegessen hatte. Hui! Mich ließ das auf jeden Fall alles andere als kalt. Wahrscheinlich lag das daran, dass Harry einfach überdurchschnittlich attraktiv war. Und ich auch nur ein Mann. Ein Mann, der zu viel gearbeitet und deswegen zu wenige soziale Kontakte gehabt hatte. Da war es ja normal, dass mein Körper so reagierte. Das war bestimmt auch der Grund dafür, dass ich gestern den Film bzw. den Hauptdarsteller richtig heiß fand...

>>> Flashback zum Vortag

Eigentlich hatte ich den Tag ruhig angehen lassen wollen. Den Vormittag hatte ich mit Cliff auf einem ausgiebigen Spaziergang vertrödelt. Anschließend hatte ich entgegen meines ursprünglichen Plans tatsächlich noch aufgeräumt und alles gespült, statt das Chaos für Mrs. Robinson stehen zu lassen. Dummerweise hatte ich dabei meine Mikrowelle zerstört, als ich den Schokobrunnen reinigen wollte. Ich dachte, das ginge am besten, wenn die Schokolade flüssig wäre, deswegen hatte ich ihn in die Mikrowelle gestellt. Nun, die Schale unten war aus Metall und offenbar durfte man kein Metall in die Mikrowelle tun. Das hatte mir aber niemand gesagt. Deswegen kamen viele Blitze aus eben dieser und als ich sie öffnete verbreitete sich eine Rauchwolke in der Küche. Ich schuldete Ayda und Robbie neben meinem Dank jetzt also auch noch einen Schokobrunnen. Ihren restlichen Kram hatte ich schon in die Kiste zurück gestellt. Sobald ich Ersatz für den Schokobrunnen und einen Wellness-Gutschein besorgt hatte, würde ich die Sachen zurück zur Familie Field-Williams bringen.

Während ich die Küche gründlich lüftete, wollte ich mir einen Film anschauen, um den Schock zu verdauen und die Füße hochlegen. Deswegen machte ich es mir vor meinem Fernseher im Schlafzimmer gemütlich. Und ja, vielleicht war ich auch ein bisschen neugierig darauf, wie Harry sich so als Schauspieler machte. Meine Wahl fiel auf „My Policeman". Auf einen Kriegsfilm hatte ich keine Lust, weswegen „Dunkirk" ausschied und „Don't worry Darling" war irgendwie nicht direkt auffindbar, wobei ich über diesen Thriller sowieso schon sehr ambivalente Kritiken gehört hatte. Aber ein Krimi wäre bestimmt auch die bessere Entscheidung. Ähm, zumindest hatte ich den Film aufgrund des Titels für einen Krimi gehalten und war dann doch überrascht beim Schauen, vielleicht hätte ich doch die Filmbeschreibung lesen sollen. Obwohl ich also in einem Drama und einer Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern gelandet war, fesselte der Film mich von Anfang an. Und das lag nicht zuletzt an Harry, der als bisexueller Polizist wirklich gut war. Dafür, dass man ihn in der Öffentlichkeit meistens mit Frauen sah, waren seine homoerotischen Szenen ziemlich überzeugend. Und die Uniform sah an ihm wirklich heiß aus. Ganz vielleicht mochte ich Männer in Uniform. Aber nur ganz vielleicht. Aus irgendeinem Grund wünschte ich mir, ich sei derjenige, der von Tom geküsst würde. Diese Lippen sahen schon sehr weich und anschmiegsam aus. Und erst gestern hatte ich ja die hübsche Farbe und den wirklich attraktiven Schwung der Oberlippe mehrfach anschauen können. Da war es doch sicherlich normal, sich vorzustellen, dass man an Stelle von Patrick wäre. Außerdem fühlte ich bei Filmen grundsätzlich immer sehr aktiv mit. Bei Bambi musste ich weinen, bei Rocky boxte ich in die Luft und bei Mamma Mia und Grease – übrigens mein Lieblingsfilm und ich hatte damals im Schulmusical auch schon mal die Rolle des Danny Zuko gespielt - sang ich laut mit. Und jetzt träumte ich mich halt an die Stelle von Patrick und an die Seite von Tom. Fühlte, wie starke Arme mich umarmten. Lief mit ihm gemeinsam durch italienische Städte. Offenbar war ich dabei irgendwann auch eingeschlafen.

Flashback Ende <<<

Bei dem Gedanken an den Film fingen meine Lippen schon wieder an zu kribbeln. Wahrscheinlich war das auch der Traum, der mich geweckt hatte. Ich schüttelte meinen Kopf über meine verrückten Gedankengänge und streckte mich noch einmal. Die Erlebnisse und der Stress der letzten Tage hatten mich ganz offenbar verwirrt. Es gab doch keinen vernünftigen Grund, von Harry Styles zu träumen. Oder zumindest keinen, den ich mir eingestehen wollte. Jetzt musste ich aber doch raus aus den Federn, sonst könnte ich eine lange Gassi-Runde mit Cliff heute wieder vergessen, schließlich stand nachher noch die nächste Interviewrunde an. Und heute Nachmittag würde ich dafür auch keine Zeit haben.

Ein paar Stunden später saß ich dann auch schon mit David in dem Café, in dem schon das erste Interview aufgezeichnet worden war. Begrüßt wurden wir wie auch schon zuvor von Antje.

„Hallo ihr beiden. Schön, dass ihr heute hier seid. Ihr hattet ja beide noch kein Doppelinterview, deswegen gebe ich euch noch ein paar kurze Infos. Möchtet ihr vorher etwas trinken?"

Ich entschied mich für einen Yorkshire-Tee und David nahm schwarzen Kaffee. Während wir auf die Getränke warteten, erklärte Antje uns, dass sie uns einige gemeinsame Fragen, aber auch einzelne Fragen stellen würde. Anschließend bekämen wir wieder das Menü des heutigen Tages. Hier sollten wir abwechselnd einen Gang vorlesen und dann wieder unsere Kommentare dazu abgeben.

„David, Louis, ihr habt beide eure Dinner schon hinter euch, was waren die größten Herausforderungen für euch?"

„Da ich das erste Dinner ausgerichtet habe, konnte ich gar nicht einschätzen, was mich bei meinen Gästen erwarten würde. Ich hätte ja auch auf einen hardcore Veganer oder jemanden mit einer Lebensmittelunverträglichkeit treffen können. Stattdessen habe ich aber drei echt nette Jungs kennengelernt, die auch eigentlich alles essen." David lächelte in die Kamera und nickte mir zu.

„Und bei dir, Louis?"

„Meine größte Herausforderung war es, nicht die Küche abzufackeln und ohne größere Verletzungen aus der Sache wieder rauszukommen", ich zeigte kurz auf meine Finger, die mittlerweile nur noch von zwei Pflastern geschützt wurden. „Ich koche sehr selten und wenn dann keine aufwändigen Menüs. Insofern war es für mich auch eine Herausforderung das alles zu koordinieren und die richtigen Zutaten einzukaufen." Bei dem Wort „aufwändig" schmunzelten David und Antje kurz, aber ich war echt stolz, dass ich meinen Gästen drei Gänge vorgesetzt hatte. „Übrigens hätte ich das mit dem Feuer in der Küche gestern doch noch fast in die Realität umgesetzt", berichtete ich noch kurz von meiner Aufräum- und Reinigungsaktion des Schokobrunnens.

„Gut, dass dir nichts weiter passiert ist, Louis. Mit den Erfahrungen, die ihr beiden sammeln konntet, was denkt ihr, wie gestresst der heutige Koch, Harry, jetzt gerade in diesem Moment ist?"

David: „Ich schätze Harry als ziemlich strukturiert ein und er hatte auch erwähnt, dass er regelmäßig kocht. Sofern er sich also kein zu kompliziertes Menü vorgenommen hat, denke ich, dass er gut zurechtkommt. Er wird also nicht sehr gestresst sein."

„Glaube ich auch! Der steht bestimmt mit einer weißen Kochjacke mit seinem eingestickten Namen und passender Kochmütze in der Küche. Damit seine anderen Klamotten bloß sauber bleiben. Und die Kochmütze schützt seine weichen Locken, wer will schon Haare im Essen haben. Wobei, vielleicht wird die Kochjacke auch nicht weiß sein. Ich traue ihm auch eine rosafarbene zu. Oder gibt es auch welche mit Blumenmuster? Ganz bestimmt wird er auch nach jedem Zwischenschritt die Küche aufräumen und sauber machen. Ich habe das mal bei einem Fernsehkoch gesehen, der hat seine Hilfsköche immer angeschrien, wenn die Chaos verbreitet haben. Harry hat es bestimmt auch gerne ordentlich. Und er hat mit Sicherheit auch ein Messerset, bei dem jedes Messer für eine bestimmte Funktion vorgesehen ist. Ich glaube, er hat auch eine toll eingerichtete Küche mit allem Schnickschnack. Anders als ich wird er wahrscheinlich nicht vom Kochen selbst überfordert sein, sondern seine Kochhilfe wird ihm vielleicht auf die Nerven gehen oder aber er erwartet zu viel von sich. Wobei ich ja denke, dass er das perfekt machen wird. Sich also gar nicht stressen muss", was zur Hölle war los mit mir? Warum konnte ich gar nicht aufhören zu reden?

„Danke, Louis", unterbrach Antje mich. „Da hast du dir ja tatsächlich einige Gedanken gemacht. Du hast das Thema Kochhilfe erwähnt. Deine Unterstützung war dein X-Factor-Kumpel Robbie Williams. Hast du eine Idee, ob Harry eine Hilfe hat und wenn ja, wen?"

„Hm, gute Frage. So gut kenne ich ihn ja nicht. Er hat mehrfach erwähnt, dass seine Mutter auch gut kochen kann, aber ich kann nicht einschätzen, ob sie dabei wäre. Und von seinen Freunden habe ich bis jetzt nur James kennengelernt. Der wird wohl kaum heute schon am Herd stehen wollen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass er gerne bei jedem Schritt das Sagen haben will, insofern ist eine Kochhilfe, die einfach allen seinen Anweisungen folgt, wahrscheinlich am besten für ihn." Warum redete ich schon wieder so viel? Ja, ich neigte dazu, viel zu plappern und Gespräche an mich zu ziehen, wenn ich mich wohl fühlte. Aber musste ich jetzt hier ausgerechnet vor laufenden Kameras so viel über Harry erzählen? Das war doch fast peinlich.

„David, du meintest, dass der Stressfaktor auch von der Auswahl des Menüs abhängt. Möchtet ihr einen Blick in das Menü werfen? Magst du die Vorspeise vorlesen?", Antje reichte David eine Rolle Papier mit Harrys Essensplan.

„Vorspeise: Feigen-Ziegenkäsetörtchen mit Ziegenfrischkäse-Honig-Espuma. Das klingt lecker und ein bisschen außergewöhnlich. Feige, Ziegenkäse und Honig harmonieren aber für gewöhnlich gut, ich freue mich auf die Vorspeise."

„Äh, ich bin, äh, gespannt auf die Vorspeise. Espuma ist doch dieses ganz klein gehackte, rohe Fleisch, oder? Wenn er das in so einem Ring anrichtet mit dem Ziegenkäse und der Feige sieht das bestimmt aus wie ein Törtchen", war mein sehr sinnvoller Kommentar. David drückte mir den Menüplan in die Hand und ich las vor: „Hauptspeise: Lachs im Sesammantel auf Erbspürree und gedünstetem Fenchel. Hm, ich muss gestehen, dass ich echt nicht so gerne Fisch esse - mal abgesehen von Fish & Chips. Fenchel trinke ich sonst nur als Tee, aber vielleicht schmeckt das ja auch als Gemüse." David schmunzelte leicht bei meinem Gestammel und nahm mir die Papierrolle wieder aus der Hand, die ich offenbar unbewusst wieder zusammengedreht hatte.

„Aber gerne. Nachspeise: Avocado-Schokoladencreme mit Lebkuchencrumble. Das klingt gut. So eine Creme hatten wir schon einmal in einem Trainingslager. Dadurch wird die Schokocreme viel leichter als die übliche Mousse-au-Chocolat. Und der Lebkuchencrumble macht das ganze schön weihnachtlich. Insgesamt scheint es mir ein gut abgestimmtes Menü zu sein und nach den eher deftigen Speisen, die wir beide serviert haben, freue ich mich auf die leichtere Variante mit dem Fisch."

„Danke, David. Louis möchtest du noch etwas zum Nachtisch oder zum Gesamtmenü sagen?"

Wahrscheinlich hätte ich besser zuhören sollen, als David vorgelesen hat. Aber meine Gedanken hingen noch beim Lachs. Ich hoffte echt, dass ich davon mehr als eine Gabel runterkriegen würde. Eigentlich mochte ich wirklich keinen Fisch und am allerwenigsten Lachs. Harry zuliebe würde ich es aber probieren. Ich versuchte mich zu erinnern, was David zum Nachtisch gesagt hatte, irgendwas von Mousse-au-Chocolat. „Schokoladen-Mousse ist immer gut. Darauf freue ich mich. Das Menü klingt für mich ziemlich anspruchsvoll. Ich drücke Harry die Daumen, dass er das zeitlich alles schafft."

„Okay ihr beiden, damit habt ihr es fürs Erste geschafft. Gegen 18 Uhr werdet ihr abgeholt und dann zu Harry gefahren. Ich wünsche euch einen schönen Abend." Mit diesen Worten entließ uns Antje aus dem Interview.

Mir fiel ein, dass ich seit dem ersten Dinnerabend noch ein Anliegen hatte und hielt David kurz zurück. „David, du weißt, dass ich ein großer Fußballfan bin und irgendwie ist es mir auch peinlich, das jetzt zu fragen, aber würdest du mir vielleicht ein Autogramm für meine Erinnerungswand geben?"

„Das muss dir doch nicht unangenehm sein! Ich habe jetzt keine Autogrammkarten dabei, aber ich bringe dir heute Abend total gerne was mit. Ich mag deine Erinnerungswand gerne und freue mich, wenn ich auch darauf Platz finde."

„Wow, danke!"

Damit verabschiedeten wir uns bis zum Abend und ich machte mich auf den Heimweg. Nach einer kleinen Spazierrunde mit Cliff, der fröhlich von Baum zu Baum lief, war es dann auch schon Zeit, mich für heute Abend fertig zu machen. An meinem eigenen Abend hatte ich das ja im Schnelldurchlauf erledigen müssen, aber heute wollte ich mir Zeit nehmen. Ich hatte das innere Bedürfnis, heute gut aussehen zu müssen.

Zunächst einmal widmete ich mich meinem Bart. Der war mittlerweile weit über das 3-Tage-Bart-Stadium hinaus. Mein ursprünglicher Plan war es, ihn komplett abzurasieren, aber tatsächlich gefiel ich mir mit Bart. Ein bisschen brachte ich ihn aber in Form. Und dann benutzte ich ein Bartöl, dass Lottie mir mal von einer ihrer Beauty-Veranstaltungen mitgebracht hatte. Schaden konnte das ja nicht. Unter der Dusche schäumte ich meine Haare ausgiebig mit einem Silbershampoo ein, das mir ebenfalls von meiner Schwester empfohlen wurde. Sie war der Meinung, dass meine Haare dadurch mehr glänzen würden und als Stylistin vertraute ich ihr. Wobei ich manchmal das Shampoo im Verdacht hatte, dass dadurch meine Schläfen eher grau würden, aber um die Haare regelmäßig zu färben war ich dann doch zu faul. Kurz überlegte ich unter der Dusche, ob ich mir meine Brusthaare abrasieren sollte. Das machte ich manchmal, weil dadurch mein Tattoo-Schriftzug besser zur Geltung kam. Allerdings würde ich heute Abend weder im Tanktop noch oberkörperfrei rumlaufen, so dass ich den Plan wieder verwarf. Nach der Dusche trocknete ich mich in Ruhe ab und wickelte mir das Duschtuch um die Hüften. Die Pflaster an meiner linken Hand musste ich ebenfalls ersetzen, die waren durch das Wasser abgegangen. Jetzt zierte ein Tiger meinen Mittelfinger und ein Waschbär meinen Zeigefinger. Ich musste mal meine Hausapotheke aufstocken, irgendwie waren die Kinderpflaster, die Robbie mir hier gelassen hatte nicht ideal.

Nach zwei Fönversuchen verfluchte ich meine Haare. Die wollten heute gar nicht so, wie ich wollte. In meiner Verzweiflung rief ich meine Schwester an.

„Lotts, du musst mir helfen. Komm sofort vorbei! Ich brauche dich jetzt", ich fürchte, ich müsste irgendwann mit einer Menge Spott und Hohn dafür bezahlen, aber jetzt konnte mir wirklich nur noch Lottie helfen. Da sie nicht weit von mir weg wohnte, klingelte es schon kurz darauf an meiner Haustüre und Lottie stand mit Lucky auf dem Arm vor mir, als ich ihr, nur im Handtuch öffnete.

„Bruderherz, was gibt es so Dringendes? Ich musste Lucky mitbringen, auf die Schnelle hatte kein Babysitter Zeit, aber du klangst so, als ob es brennen würde."

„Danke, Lottie du bist meine Rettung. Hallo mein Kleiner, schön, dass du Onkel Lou besuchst", begrüßte ich meine Schwester und zog Grimassen für meinen kleinen Neffen. „Was ich dir jetzt sage, muss unter uns bleiben. Tomlinson-Geschwister-Schwur?"

„Klar, jetzt rück schon raus mit der Sprache."

Ich erzählte Lottie, dass ich beim perfekten Dinner mitmachen würde und heute besonders gut aussehen müsste. Nachdem sie kurz über meine Teilnahme gelacht hatte - dabei war sie mindestens genauso schlecht in der Küche wie ich - versprach sie, sich um meine Haare zu kümmern und mir bei der Outfitauswahl zu helfen. Ich hatte ihr erklärt, dass ich vor der Ausstrahlung nicht sagen dürfe, wer noch mitmachen würde, das hielt sie natürlich nicht davon ab, nachzubohren, warum ich gut aussehen wollte. Dabei konnte ich das nicht einmal wirklich erklären, warum ich das wollte, ganz sicher würde ich ihr aber nicht sagen, dass ich heute Abend zum Essen bei Harry Styles war.

Nachdem Lottie mir Lucky in die Arme gedrückt hatte, platzierte sie mich auf dem Badewannenrand und schmierte mir irgendeine Creme ins Gesicht, damit ich „frischer aussehen würde". Sie lobte mich, dass ich das Bartöl verwendet hatte und kämmte meinen Bart in Form. Lucky bewunderte derweil den Tiger auf meinem Mittelfinger und ich versprach ihm, ihm ebenfalls ein Pflaster aufzukleben. Im Schlafzimmer wühlte Lottie sich dann durch meinen Kleiderschrank, während ich mit Lucky auf dem Bett spielte. Sein fröhliches Kinderlachen, als ich ihn kitzelte, war einerseits herzerwärmend, andererseits versetzte es mir einen Stich. So sehr ich meinen Neffen liebte, erinnerte er mich doch daran, wie selten ich meinen Sohn Freddie sah, der nun mal auf einem anderen Kontinent lebte als ich. Und durch die anstrengende Phase der Albenproduktion hatte ich ihn viel zu lange nicht mehr gesehen. Ob Harry wohl Kinder mochte? Vater war er meines Wissens nach noch nicht, aber ab und an sah man Fotos von ihm mit kleinen Kindern in der Presse. Und war nicht auch eine Kinderstimme bei einem seiner Lieder als Intro zu hören? Lucky quietschte erneut und ich wanderte mit meinen Gedanken zurück ins hier und jetzt. Warum hatte ich mich schon wieder von Gedanken an Harry ablenken lassen?

Als erstes warf Lottie mir schwarze Calvin-Klein-Briefs, ein schwarzes Unterhemd und schwarze Socken zu. Dann blieb ihr Blick an einer grauen Hose hängen. „Nimm die, Lou. Darin sieht dein Hintern richtig gut aus!" Mein Hintern war wirklich nicht der typische Männerpo sondern eher rundlich und auch meine Hüften eher ausladend, aber wenn Lottie fand, dass ich in der Hose gut aussah, würde sie wohl recht haben. Sie vervollständigte mein Outfit dann mit einem schwarzen, schmal geschnittenen Rollkragenpullover. „So sieht man deine schmale Taille und der Rollkragen lenkt den Blick nicht von deinen Augen ab. Wen auch immer du beeindrucken willst, er wird nicht wegschauen können", kommentierte sie ihre Auswahl. Ich schlüpfte schnell in die Kleidung und ließ mein Handtuch auf dem Bett liegen.

Zurück im Badezimmer kümmerte sie sich dann um meine Haare. Während wir im Badezimmer waren, klingelte es kurz an meiner Türe, die sich aber auch quasi direkt darauf öffnete.

„Hey Lou, ich bin's!", hörte ich Daisy aus dem Flur. Sie sollte eigentlich erst nachher vorbeikommen, um Cliff abzuholen. Da sie sich häufiger um Cliff kümmerte - auch wenn ich auf Tour war - hatte sie einen Hausschlüssel von mir und hatte sich jetzt offenbar selbst reingelassen, weil ich ihr nicht schnell genug die Tür geöffnet hatte.

„Wir sind im Bad, Daisy", rief ich sie zu uns. Nachdem meine Schwestern sich umarmt hatten, nahm Daisy mir Lucky ab und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Dann nahm sie neben mir auf dem Badewannenrand Platz und Lottie wuselte weiter in meinen Haaren herum. Sie verwendete dazu verschiedene Bürsten, Wachs und Haarspray. Ich hatte keine Ahnung, was genau sie damit machte, aber ein Blick in den Spiegel überraschte mich. Statt des typischen Wuschellooks, hatte sie die Haare an den Seiten einzelne Strähnen ins Gesicht gezupft. Das Haupthaar hatte sie zu einer Tolle geformt - Cinnamon-Roll, nannte sie das - so dass meine Stirn frei war. Und tatsächlich strahlten meine Augen, ohne dass einzelne Haarsträhnen immer mal wieder davor hingen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich so gut aussehen konnte. Da waren mir auch die leicht grauen Schläfen egal. Angeblich sahen Männer damit ja eh interessanter aus.

„Du siehst toll aus, Lou!" - „Oh ja, das hast du toll hingekriegt, Lottie." Da waren sich meine Schwestern also einig und ich errötete leicht. Mit Komplimenten konnte ich noch nie so richtig gut umgehen.

„Bruderherz, gibt es einen Grund, warum Lottie dich heute so stylen sollte? Sonst ist dir dein Aussehen doch nicht sooooo wichtig?"

„Äh...", war alles, was ich dazu sagen konnte.

„Er will jemanden beeindrucken. Er verrät mir aber nicht wen." Danke Lottie, das war jetzt nicht notwendig.

„Komm schon, Lou, du kannst uns doch alles sagen. Kennen wir ihn? Bitte, bitte."

„Sorry ihr beiden, ich darf jetzt nichts sagen. Meine Lippen sind versiegelt." Ich machte eine Geste als wenn ich einen Reißverschluss an meinen Lippen zuziehen würde.

„Aber es ist schon wegen der anderen Teilnehmer, oder? Du warst vor deinem Kochtag schon irgendwie ein bisschen aufgeregt. Und jetzt sag nicht, dass das nur war, weil du kochen musstest. Das glaube ich dir nicht."

„Daisy, ich werde jetzt nichts mehr dazu sagen."

„Lou-Boo, versprich uns einfach, dass du uns erzählst, wie die Reaktion heute Abend war. Bitte. Du siehst wirklich toll aus. Du solltest die Haare öfter so tragen und die Hose steht dir auch richtig gut. Mal was anderes als immer nur Skinny-Jeans und Jogging-Hosen. Ich wäre ja fast auf deinen Hintern neidisch", mit diesen Worten gab Daisy Lucky wieder an Lottie zurück und schnappte sich Cliffs Leine.

„Genau Lou, wir wollen wissen, wie der Abend ausgegangen ist. Schick uns doch nachher mal ein Foto von deinem Crush! Und wenn du für den vierten Abend nochmal Styling-Hilfe brauchst, du weißt ja, wo du mich findest. Ich habe dir noch Schuhe und den schwarzen Blouson mit dem blau-grünen Karo-Muster bereitgelegt. Komm Daisy, wir müssen los zum Sonntags-Dinner bei Dad." Damit verabschiedete sich auch Lottie. Nach dicken Geschwister-Umarmungen und einem feuchten Kuss von Lucky, verließen die drei mich wieder.

Ich war meinen Schwestern echt dankbar für ihre Unterstützung. Jetzt brauchte ich aber erst noch einmal eine Zigarette. Im Laufe des Abends würde ich wahrscheinlich nicht wirklich zum Rauchen kommen, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Harry das in seinem Haus haben wollte. Ich stellte mich unter mein Terrassendach und inhalierte den Rauch, der direkt eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ich ließ den Blick durch den Garten schweifen und sah, dass Cliff die Blätterhaufen, die erst letzte Woche zusammengekehrt worden waren, überall verteilt hatte. Er fand das toll, im Garten zu toben. Als ich meine Zigarette ausdrückte, fiel mein Blick auf mein Handy. Ich hatte noch ein paar Minuten, bis ich abgeholt würde. Ich beschloss, noch einmal ins Bad zu gehen und meine Zähne zu putzen. Frischer Rauchgeruch musste ja auch nicht sein.

Kurz darauf wurde ich auch schon von dem Fahrer abgeholt. Offenbar wohnte Harry gar nicht so weit entfernt von mir, denn wir kamen deutlich vor 19 Uhr an seinem Haus an. Als ich aus dem Auto ausstieg öffnete sich im gleichen Moment Harrys Haustür. Hatte er mich erwartet? Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer. Doch dann sah ich, dass Harry mit irgendeinem komischen blondierten Typen aus der Tür trat. Die beiden umarmten sich innig und hielten sich viel länger fest als es für Freunde üblich war. Ich merkte, wie sich eine steile Falte zwischen meinen Augenbrauen bildete. Harry schien dem Typen auch noch etwas ins Ohr zu flüstern und küsste ihn doch dann tatsächlich noch auf die Wange. Unwillkürlich ballten sich meine Hände zu Fäusten. Hatte er etwa einen Freund? In den Medien hatte ich nichts darüber gelesen. Andererseits wurde ihm mit jeder Person, die mit weniger als 1m Abstand bei ihm stand, eine Affäre angedichtet. Warum also nicht. Ich hatte übrigens natürlich nicht im Internet danach gesucht, ob er liiert war. Ich hatte mich lediglich über meine Mitstreiter beim Dinner informiert. Oder über einen. Bei den anderen beiden wusste man ja, dass sie Familie hatten. Der komische Typ ging vom Haus weg und ich sah noch, dass er offenbar versucht hatte, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen. Tatsächlich sah das aber aus, wie bei einem Teenie, dem die ersten Haare im Gesicht wuchsen. Lächerlich. Ich strich mir noch einmal über meinen Bart.

Als ich merkte, dass Harrys Blick auf mich fiel, atmete ich einmal tief durch. Er sollte mir meine Reaktion von gerade bloß nicht anmerken. Ich straffte die Schultern, setzte ein Lächeln auf und lief auf ihn zu. „Louis, hey!", begrüßte er mich und seine Stimme klang gar nicht so tief wie gewohnt. Er zog mich in eine Umarmung und hielt mich fest und ich hatte fast das Gefühl, dass er den Kopf auf meiner Schulter ablegte. „Schön, dass du da bist." Ich nickte lediglich, weil ich nicht wusste, was, ich sagen sollte, denn trotz meiner Verärgerung über den Typen von eben, beschleunigte sich mein Herzschlag. Oder war das seiner, den ich spürte? Er ließ mich wieder los und bat mich ins Haus und dirigierte mich in Richtung Wohnzimmer.

Irgendwie kam ich mir doof dabei vor, so stumm vor ihm her durch sein Haus zu laufen. Aber er schien auch nichts sagen zu wollen. „Nett hast du es hier", war mein Versuch, die Stille zu brechen und Harry schien aus seiner Stille zu erwachen. Er bedankte sich und lächelte mich strahlend an, so dass meine Mundwinkel ebenfalls automatisch nach oben zuckten. Doch dann erinnerte ich mich wieder daran, wie er den blonden Typen angelächelt hatte und ich merkte, dass mein Körper sich wieder anspannte.

„Soll ich dir kurz alles zeigen?" fragte Harry mich und ich nickte lediglich. Daraufhin unterbrach er sich kurz und blickte auf sein Handy. Was sollte das denn jetzt? Gut, ich war bis jetzt nicht gerade gesprächig gewesen, aber musste er jetzt auf seinem Handy rumtippen? Dann ließ er mich auch noch hier stehen und ging zu einer Ecke im Wohnzimmer. Ich merkte, dass es plötzlich noch stiller im Haus wurde und man eigentlich lediglich die Geräusche der Kameraleute hören konnte. Erst als jetzt Weihnachtsmusik erklang, wurde mir bewusst, dass vorher Musik überall im Haus zu hören gewesen war.

Harry kehrte zurück zu mir und sagte irgendetwas, das ich gar nicht richtig wahrnahm, weil ich auf einmal seine große, warme Hand an meinem unteren Rücken spürte. Trotz der angenehmen Wärme breitete sich von dort aus eine Gänsehaut an meinem Rücken aus, als er mich vor sich her durch das Wohnzimmer schob. Während wir durch das Zimmer liefen, das ich so von der Einrichtung her eher bei einer älteren Dame erwartet hatte, plapperte er irgendetwas über den Einrichtungsstil, so genau konnte ich ihm aber immer noch nicht zuhören. Moment, entschuldigte er sich gerade für die Einrichtung? Vielleicht war das ja gar nicht so wirklich sein Geschmack, sondern jemand anderes hatte die Räume für ihn dekoriert. Aber das konnte ich mir auch nicht wirklich vorstellen. „...auch hier ist es ein wenig kitschig, aber ich steh halt auf sowas", drang noch an mein Ohr. Okay, also doch sein Geschmack.

„Auch nicht kitschiger als deine komische Blumen-Bluse vom ersten Abend, aber immerhin nicht so kitschig wie dieser komische Mantel. Der würde bei mir höchstens vorm Kamin liegen. Alles nicht mein Geschmack, aber du sollst dich hier wohlfühlen, Mann", reagierte ich auf seine Entschuldigung.

„Hast du meinen Gucci-Fake-Pelz gerade Flokati genannt?", grinste er mich an.

„Vielleicht", antwortete ich und unwillkürlich stellte ich mir ein Fell vor meinem Kamin vor, auf dem er lag. Unbekleidet, während sein Körper von den zuckenden Flammen des Kaminfeuers beleuchtet wurde. Prompt blitzte das Bild von dem Schnurrbart-Typen auf und ich ergänzte gepresst: „Außerdem passt doch der Typ von eben gut hier rein, dein roter Faden zieht sich also durch." Hoffentlich hatte er das nicht gehört. Das war doch peinlich.

Er nahm seine Hand aus meinem Rücken und stupste mich stattdessen mit seinem Ellbogen an. „Da vorne ist das Gästebad und ob du es glaubst oder nicht, es kommt ganz ohne Kitsch aus." Dann zeigte er auf die Glastüren, die nach draußen führen. „Da vorne geht's übrigens raus auf die Terrasse, hab dir extra einen Heizpilz und einen Aschenbecher hingestellt, damit du dir den Hintern nicht abfrieren musst."

Oh, sowas hatte ich nicht erwartet. Eher hatte ich ihn so eingeschätzt, dass er Rauchen komplett verurteilen würde. „Oh, danke, das wäre aber nicht nötig gewesen. Als Raucher kennt man es, in der Kälte rum zu stehen."

„Ich weiß. Aber wäre doch schade drum." Moment, schaute er mir etwa auf den Po? Hatte ich das Lotties Hosenwahl zu verdanken? Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden. Dennoch fühlte ich mich langsam sicherer, was neben meinem Outfit sicherlich auch dem Umstand zu verdanken war, dass aktuell kein Körperkontakt zwischen uns bestand. Mein Blick wanderte in den Garten und Harry nahm seine Führung wieder auf.

„Draußen ist auch noch ein Pool, der ist sogar beheizt. Fühl dich also frei, ihn zu benutzen."

„Äh, ich wusste nicht, dass das hier eine Pool-Party wird, sonst hätte ich eine Badehose eingepackt. Nacktbaden ist jetzt nicht so mein Ding, obwohl ich gerne nackt schlafe", das war halt deutlich gemütlicher. Aber beim Schwimmen fand ich das dann doch eher unbequem. Da bevorzugte ich Schwimmshorts. „Aber manchmal ist Nacktbaden besser, als so manche hässliche Badehose. Auf der letzten Tour am Hotelpool waren ein paar besonders hässliche Exemplare: Modell Quietschente", ließ ich meinen Gedanken freien Lauf. Ganz ehrlich, hatten sich die Männer in den zitronengelben Badehosen mal angeschaut? Auf blasser Haut sah man damit einfach ungesund aus und außerdem wurden die leicht durchscheinend, sobald sie nass waren. Dann konnte man wirklich direkt nackt schwimmen. Harry schien kurz irritiert aufgrund meines unerwarteten Redeschwalls, ganz abgeneigt schien er der Vorstellung des Nacktbadens aber nicht zu sein. Er grinste mich kurz verschmitzt an: „Wie gesagt, fühl dich frei."

Harry und ich gemeinsam nackt im Pool? So schlecht war die Vorstellung jetzt wirklich nicht. Wobei mir ein Whirlpool ein bisschen lieber wäre. Um nicht zu sehr darüber nachzudenken, wanderte ich weiter durch das Esszimmer und entdeckte Harrys Klavier. Das Kirschholz machte sich gut vor der hellen Wand und fühlte sich angenehm an, als ich kurz darüber strich. Schick, auch wenn ich ihm ja durchaus einen protzigen Flügel zugetraut hatte. Kaum war der Gedanke in meinem Kopf, sprach ich ihn auch schon aus: „Irgendwie hatte ich erwartet, du hättest hier einen Flügel stehen."

Plötzlich stand er direkt hinter mir, so dass ich seine Wärme an meinem Körper spürte. „Enttäuscht?", sprach er so nah an meinem Ohr, dass ich seine Atemluft an meinem Hals und an der Wange spürte und unwillkürlich die Luft anhielt. „Tröste dich, das hier ist nur das Gesindehaus. Mein Flügel steht im Haupthaus."

Ich atmete hörbar ein und mein Körper spannte sich unter seinen Worten an. In einer noch tieferen Tonlage fuhr er fort: „Wenn du möchtest, zeige ich dir meinen Flügel gerne, wenn die Kameras weg sind."

Neben meiner Atmung beschleunigte sich auch mein Herzschlag spürbar. Ich war schon im Begriff, mich nach hinten, an ihn zu lehnen, als die Türglocke mich aufschrecken ließ und auch Harry machte einen Satz nach hinten. Was zur Hölle war das gewesen? Um mich aus der Situation zu befreien und meine Nerven zu beruhigen, musste ich dringend nach draußen. „Ich würde kurz eine rauchen", mit diesen Worten ging ich rasch zur Terrassentüre und verschwand in der Dunkelheit.

Mit dem ersten Zug an der Zigarette beruhigte sich mein Herzschlag langsam wieder. So ging das nicht weiter. Ich war doch sonst nicht derjenige, der so defensiv reagierte. Im Gegenteil, sonst war ich immer der forschere, derjenige mit einem flotten Spruch auf den Lippen, der die anderen aus dem Konzept brachte. Wenn die Sendung irgendwann ausgestrahlt werden würde, was würde bitte das Publikum für einen Eindruck von mir bekommen. Und viel schlimmer, was dachte Harry sich, wenn er merkte, wie ich auf ihn reagierte. Nein, für den restlichen Abend würde ich mich zusammenreißen und der Louis sein, der ich immer war. Locker, vorlaut. Mal schauen, ob ich nicht mal derjenige sein konnte, der Harry dazu brachte, zu erröten. Und außerdem war ich doch sonst auch nicht zu schüchtern zu flirten, warum reagierte ich also wie ein scheues Reh auf Harry? Klar war es länger her, dass ich in einer Beziehung war und ich hatte zuletzt viel Zeit im Studio verbracht, aber das werde ich doch wohl nicht verlernt haben. Ich nahm einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette. Um mich herum wurde es plötzlich heller und einige Lichterketten tauchten die Terrasse in angenehm warmes Licht. Von drinnen hörte ich mittlerweile auch Stimmen und sah die anderen drei im Esszimmer stehen. Zur Begrüßung winkte ich ihnen kurz zu. Dann drückte ich meine Zigarette aus und ging zu ihnen nach drinnen.

Drinnen nickte ich kurz den beiden anderen zu, als Harry auch schon das Wort ergriff: „So, wenn dann jetzt alle beisammen sind, würde ich euch rüber ins Wohnzimmer bitten und den Aperitif bringen. Gut, dann alle Mann rüber."

Ich hängte noch schnell meine Jacke über einen der Stühle. Dann gingen wir durch den breiten Durchgang und ich ließ mich in einem gemütlichen Sessel nieder. David wählte den anderen Sessel, während James sich auf die Couch setzte und zu mir rüber lehnte. „Louis, da bist du ja auch. Hat Harry dir hier schon alles gezeigt?", fragte er mit einem süffisanten Lächeln, von dem ich keine Ahnung hatte, wo es herkam. Ich nickte kurz, was sollte ich auch sonst entgegnen, weder die Episode am Klavier noch unser Gespräch über den Pool waren für die beiden anderen bestimmt. James redete einfach weiter: „Bei mir auf dem Sofa ist noch Platz. Und in meiner Show ist auch ein Sofa-Platz für dich reserviert. Ich habe mich so gefreut, dass du zugesagt hast. Oder möchtest du lieber ein Special mit machen? Carpool-Karaoke, du bist doch Sänger? Oder etwas sportliches? Du magst doch Sport? Ach, wir finden schon das richtige für dich. Du musst mir nur noch einen Termin nennen."

„Ich habe keine Ahnung, wann das passen könnte, das muss ich mit meinem Manager besprechen", während ich das aussprach, kam Harry mit den Getränken wieder zurück ins Wohnzimmer. „Komm schon!", versuchte James noch, jetzt sofort einen Termin aus mir rauszukitzeln, als Harry jedem eine Tasse an Stelle des üblichen Aperitif-Glases in die Hand drückte und neben James Platz nahm.

„Also, auf einen schönen Abend. Ich hoffe, ihr fühlt euch hier wohl, fühlt euch bitte wie zuhause. Cheers", begrüßte Harry uns noch einmal offiziell. Wir prosteten uns zu und während ich schon Angst hatte, dass James etwas von der heißen Flüssigkeit auf mich schütten würde, so schwungvoll, wie er seine Tasse an meine stieß, blickte ich in Harrys Augen und stellte zum wiederholten Male fest, was für einen schönen Grünton seine Augen hatte. Er hielt meinen Blick ebenfalls fest, bis ich ihm kurz zunickte und die Tasse an meine Lippen führte. Vorsichtig trank ich einen Schluck, weil ich fürchtete, mir den Gaumen zu verbrennen. Aber die Gefahr bestand nicht, der Aperitif hatte genau die richtige Temperatur. Ich war zwar kein Fan von Glühwein und ähnlichen weihnachtlichen Spielereien, aber das hier schmeckte tatsächlich gut.

Nachdem wir uns zugeprostet hatten, blieb mein Blick an Harry hängen. Er sah heute so anders aus als sonst? So normal? So wenig bunt? Er trug einen schwarzen Tweedanzug, der ihm wirklich gut stand und seine leicht gebräunte Haut betonte. Dazu hatte er ein schwarzes, weitausgeschnittenes Shirt kombiniert – ich tippte auf ein Tanktop, aber das ließ sich durch die Anzugjacke nicht so genau erkennen. Der Ausschnitt des Shirts gab den Blick auf seine Schwalben frei. Auch Schmucktechnisch hatte er sich heute zurückgehalten, weder die absurde Bananenkette noch große Perlen, sondern lediglich eine dezente filigrane Kette mit kleinen Perlen und ein silbernes Kreuz zierten sein Dekolleté. Der Look stand ihm wirklich gut und gefiel mir. So war mehr vom eigentlichen Harry zu erkennen. Harry trank einen Schluck und mein Blick wanderte weiter zu seinen Händen, die die Tasse festhielten. Oh, keine Ringe heute? War das ein Zugeständnis ans Kochen oder wollte er heute ganz neutral sein? Ach nein, seine Fingernägel waren immer noch Pink. Zwar war der Nagellack an vielen Stellen abgeplatzt, aber das kannte ich von meinen Schwestern. Im Alltag gab es immer wieder Lackschäden und Abplatzer. Wenn man da nicht übervorsichtig war oder dauernd den Lack erneuerte, sah es so aus. Irgendwie machte das Harry noch sympathischer. Er war immer noch er selbst mit einem kleinen bisschen Extravaganz, nahm sein Erscheinungsbild aber offenbar doch nicht so wichtig, als dass er nicht auch mit solchen Nägeln rumlief. Ob sein sonst so makelloses Erscheinungsbild noch andere Dinge aufwies? Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich mal was von vier Nippeln gelesen hatte. Vielleicht sollte ich doch auf das Nacktbadeangebot eingehen. Mit Sicherheit würde er mir dabei einen mehr als angenehmen Anblick bieten.

Während ich einen weiteren Schluck zu mir nahm, sprach Harry mich an: „Pass auf, Lou. Die Sache mit James ist die: wenn er dich anruft, dann ignorierst du ihn. Dann wird er weiter anrufen und wenn du ihn weiter ignorierst, wird er dir texten und dich fragen, ob du seine Anrufe bekommen hast. Dann taucht er vor deinem Haus auf, danach bei deiner Arbeit, bei deinem Friseur, deinem Pilates Kurs. Und dann... sagst du zu und fragst wann. Es gibt kein Entkommen. Glaub mir. Ich hab' das auch schon durch."

Hatte er mich gerade „Lou" genannt? Das tat normalerweise nur meine Familie. Aber aus seinem Mund hörte sich das angenehm vertraut an. Und was hatte er gerade von Pilates gesagt? Machte er das? Ich kannte das nur aus Erzählungen meiner Schwestern, ich selbst machte außer Fußball und den Spaziergängen mit Cliff eigentlich keinerlei Sport. Sofern man Spazieren-Gehen überhaupt als Sport zählen konnte. Aber Harry im Pilates-Dress auf der Gymnastikmatte, doch, das war sicherlich äußerst ansehnlich. Passend zum Thema Pilates-Outfit, durchbrach James auch schon Harrys Wortschwall: „Komm, diese kurzen roten Shorts haben extrem gut an dir ausgesehen."

Ja, das konnte ich mir auch vorstellen... Harrys Beine waren auf jeden Fall lang genug für kurze Shorts. Er selbst schien das aber anders zu sehen: „Du hast die extra so kurz ausgesucht, um mich zu ärgern!"

„Dass du mir so etwas zutraust", entgegnete James beleidigt und mir gefiel der lockere Schlagabtausch zwischen den beiden. Da hätte ich durchaus gerne noch länger zugehört. Harry brach aber das Thema ab und verabschiedete sich in die Küche.

Als Harry den Raum verlassen hatte, nutze James die Chance: „Wollt ihr mal Bilder vom Dodgeball sehen?" David und ich stimmten natürlich zu und James winkte uns zu sich auf die Couch. In seiner Handygalerie öffnete er ein Album und zeigte ein paar Fotos von Harry und anderen Jungs, die wohl seine ehemalige Band waren, mit der er damals berühmt geworden war. Die Shorts waren wirklich etwas knapp bemessen, aber Harry konnte das tragen. Und die langen Haare mit dem Stirnband standen ihm auch wirklich gut. Ein weiteres Bild zeigte die Spieler beim Abklatschen. Dann folgten ein paar Action-Fotos und ein paar kurze Videosequenzen vom Dodgeball-Match. James erzählte uns dazu ein paar Anekdoten. Wir waren so fasziniert von James Erzählungen, dass wir gar nicht gemerkt hatten, dass Harry den Raum durchquerte. James swipte weiter und auf dem nächsten Foto sah man, wie Harry sich zusammenkrümmte und sein Gesicht verzog. „Und hier hat er grad einen Ball mitten dahin bekommen, wo es weh tut."

„James", hörten wir Harry schneidend sagen und sahen auf. „Ja, Harold?", war James freundliche Rückfrage.

Hatte er gerade Harold gesagt? Ich hatte immer angenommen, dass Harry nicht nur eine Abkürzung sondern sein richtiger Name war. Das wollte ich genauer wissen: „Harold?"

Harry überging meine Frage und wandte sich wieder an James: „Was zeigst du meinen Gästen da?" Er schien nur mäßig begeistert zu sein.

James schien Harrys Unmut egal zu sein: „Ich zeige Louis nur, was ihn erwartet, wenn er zu mir in die Show kommt."

„Das ist aber ein eher abschreckendes Beispiel", mischte David sich ein und klopfte James auf die Schulter. „Ich mein, wer ist schon scharf darauf, sich mit Bällen abwerfen zu lassen?"

„Sagte der Profi-Fußballer", konterte James. Ich schaute kurz amüsiert zu Harry - der hatte sein Sakko ausgezogen und im schwarzen Tanktop – ich hatte also richtig vermutet - sah man deutlich seine trainierten Arme. Ich schluckte kurz und konzentriere mich wieder auf den Schlagabtausch zwischen David und James. Okay, wir waren verbal also zurück auf dem Kinderspielplatz und es wurde sich um Sandspielzeug oder viel mehr Bälle gestritten. James wollte das Spiel aber noch weiter auf die Spitze treiben: „Harold, wie hat der Kommentator damals noch gesagt?"

Harry stand da wie ein bockiges Kind mit verschränkten Armen und antwortete „right into the styles", während er meinen Blick suchte. Dieser niedliche bockige Gesichtsausdruck zusammen mit dem doch sehr passenden Spruch gab mir den Rest und ich brach in lautes Lachen aus. Solche Videos brachten mich schon im Internet immer zum Lachen, aber Harry jetzt so vor mir stehen zu sehen, war wirklich zu Krönung. Er schmollte weiter und sagte noch leise: „das hat ganz schön weh getan", bevor er mit einem Stapel Teller in der Küche verschwand.

Oh, was war das jetzt? „Da ist er etwas empfindlich", versuchte James die Reaktion seines Freundes zu erklären. Er zeigte uns noch ein paar weitere, harmlosere Fotos von dem Spiel und ich entschied, dass egal wann ich bei James in der Show sein würde, ich ganz sicher kein Dodgeball spielen würde. Meine Familienplanung war noch nicht abgeschlossen. Ich entschuldigte mich kurz bei David und James und ging in Richtung Gästebad, weil ich vor dem Essen noch einmal kurz meine Hände waschen wollte. Harry hatte recht gehabt, das Gästebad war wirklich nicht kitschig. Es war stimmig und funktional eingerichtet. Lediglich über der Toilette hing ein großes Schwarz-Weiß-Foto, das Füße zeigte, die offenbar auf einer Wiese Gänseblümchen gepflückt hatten. Auch wenn ich sicherlich nicht der größte Fuß-Fan war, war dieses Foto ansprechend gestaltet und die Füße sahen auch hübsch aus mit den kleinen Tätowierungen oberhalb des Fußrückens.

Auf dem Rückweg machte ich noch einen kurzen Abstecher in Küche. Harry war in seine Arbeit vertieft und nahm mich gar nicht richtig wahr. Ich räusperte kurz, um auf mich aufmerksam zu machen und erklärte, dass ich gerade im Bad gewesen sei. Er wirkte irritiert und setzte an zu sprechen. Ich stütze mich mit beiden Händen auf seiner Kochinsel ab und versuchte mit einem tiefen Blick in seine Augen, seine Aufmerksamkeit bei mir zu belassen. „Sorry, ich wollte nicht lachen. Wäre doch sehr schade, wenn da", ich löste den Blick von seinen Augen und senkte ihn tiefer in Richtung seiner Schürze, „etwas kaputt gegangen wäre."

Da ich relativ leise gesprochen hatte, war das Klirren, mit dem ihm die Gabeln aus der Hand auf die Marmorarbeitsfläche fielen, umso lauter. Ich lächelte ihn an und hob den Blick wieder zu seinen Augen: „Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Soll ich den anderen sagen, dass wir uns an den Tisch setzen sollen?" Nach Harrys Nicken verließ ich wieder die Küche. Gemeinsam mit James und David ging ich ins Esszimmer, wo wir in der gewohnten Sitzordnung am Tisch Platz nahmen. Erst jetzt nahm ich wahr, dass auf unseren drei Plätzen noch kleine Geschenke lagen. Vorsichtig löste ich die Schleife und es kamen drei Beautyartikel zum Vorschein. Harry betrat mit zwei Tellern den Raum und ich legte, die Geschenke beiseite, nahm mir aber vor, ihn später noch einmal darauf anzusprechen. Von David wusste man ja, dass er Kosmetik nicht abgeneigt war und immer als Rolemodell für den androgynen, metrosexuellen Look gegolten hatte. Aber dachte Harry echt, dass James und ich uns so ein Zeug ins Gesicht oder wohin auch immer schmieren würden? Gedanklich machte ich mir einen Knoten ins Ohr, als Harry einen Teller vor mir platzierte, dann zu seinem Platz ging und sich mit beiden Händen auf der Stuhllehne abstützte: „So, wir starten jetzt mit der Vorspeise. Vor euch habt ihr kleine Feigen-Ziegenfrischkäse-Törtchen. Ihr nehmt euch bitte so viel Honig wie ihr mögt dazu", er deutete auf das Honigglas, das er mittig auf den Tisch gestellt hatte, „daneben auf dem Teller ist Ziegenfrischkäse-Espuma, ganz frisch aufgeschäumt. Zur Vorspeise habe ich einen kalten Sauvignon-Blanc für euch."

Harry nahm die Weinflasche und füllte unsere Gläser. Er erhob sein Weinglas und sprach weiter: „ihr Lieben, schön, dass ihr hier seid. Nochmal auf einen schönen Abend. Lasst es euch schmecken." Wir hoben unsere Gläser als Zustimmung.

Ich schaute mir meinen Teller an. Da stand eines der Gebäckstücke, die Harry eben in der Küche aus der Form gehoben hatte und daneben war ein Schaumklecks, der wie Sahne aussah. Ich konnte mich ja irren, aber hatte im Menü heute Morgen nicht was mit Fleisch gestanden? Das hier sah eher wie eine Nachspeise oder ein Bestandteil des High-Tea aus, den sich meine Mum früher immer einmal jährlich anlässlich ihres Geburtstags mit ihren Freundinnen gegönnt hatte. Mein Blick fiel auf James, der sich eine große Gabel voll in den Mund schob. Auch David hatte bereits zum zweiten Mal das Messer angesetzt. Beiden schien das Essen gut zu schmecken, was sie auch wortreich Harry gegenüber kundtaten. Vorsichtig schnitt ich ein Stückchen von dem Törtchen ab und schob es in den Schaumklecks, bevor ich es zum Mund führte. Ich roch noch kurz daran und merkte, dass sich meine Nase kräuselte. Vorsichtig kaute ich und versuchte herauszufinden, wonach das alles schmeckte. Zwischen meinen Augenbrauen bildete sich wieder die bekannte Falte während ich das Essen im Mund hin und her schob und schließlich schluckte. Es schmeckte tatsächlich leicht süßlich, aber auch fruchtig und der Ziegenkäse hatte einen speziellen Geschmack, den ich gar nicht beschreiben konnte.

Der Honig tauchte in meinem Blickfeld auf und ich warf einen kurzen Blick auf mein Gegenüber, der mir aufmunternd zu nickte. Vorsichtig träufelte ich mit dem Honiglöffel etwas über das Törtchen und nahm einen neuen Bissen. Der Honig neutralisierte tatsächlich den Ziegenkäsegeschmack, ohne dass das Essen zu süß wurde. Interessant. „Und?", schien Harry an meiner Meinung interessiert zu sein.

„Hab sowas noch nie gegessen. Aber schmeckt tatsächlich nicht so schlecht", versuchte ich meinen Eindruck in Worte zu fassen. Harry schien meine Meinung zu gefallen, denn erst jetzt schob er sich ebenfalls eine Gabel voll in den Mund. Hatte er Angst, dass es mir nicht schmeckte? Oder war das seine fürsorgliche Gastgeberart? Während ich weiterhin über den Geschmack nachdachte, aßen wir alle relativ still weiter. Die Musik im Hintergrund sorgte dafür, dass die Stille nicht unangenehm wurde. Irgendwann verabschiedete sich Harry in die Küche und wir aßen weiter. James Teller war als erster leer und er erzählte uns, dass er für seine Show ein Weihnachtsspecial plante. Mit seinen Gästen wollte er dort Plätzchen backen und den Weihnachtsbaum schmücken. Michelle Obama sollte die Weihnachtsgeschichte vorlesen und er suchte noch eine Band, die Weihnachtslieder singen sollte. Wir unterhielten uns über Weihnachtslieder und jeder von uns hatte mindestens eins, das er nicht mehr ertragen konnte aber auch Lieder, die auf keinen Fall fehlen durften. Mittendrin fiel uns auf, dass Sinatra verstummte und James stand auf, um eine neue LP auf den Plattenspieler zu legen. Er kannte sich hier offenbar wirklich gut aus und fand schnell eine andere Weihnachtsplatte. Während wir weiterquatschten, kam Harry irgendwann, um zu sehen, ob uns irgendwas fehlte und da niemand von uns mehr Nachschlag haben wollte, nahm er die Teller direkt mit in die Küche.

Irgendwann tauchte Harry mit den ersten beiden Tellern der Hauptspeise auf und uns war gar nicht aufgefallen, dass doch schon einige Zeit vergangen war. Nachdem er auch die letzten beiden Teller auf den Tisch gestellt und das zweite Weinglas mit einem anderen Wein gefüllt hatte, erhob er wieder das Wort: „So, dann haben wir hier die Hauptspeise, bestehend aus Erbspürree, einem Lachssteak und einem gedünsteten Fenchel. Wie auch schon bei der Vorspeise hoffe ich, dass es euch schmeckt. Ach so und in euren Gläsern befindet sich ein Chardonnay."

James merkte man den bisherigen Alkohol durchaus schon an, so dass sein „Harry, ich glaub' du willst uns betrunken machen, damit wir dir eine gute Bewertung geben" durchaus passend war.

Ich musterte kurz mein Essen und obwohl ich ja eigentlich keinen Fisch mochte, sah der Lachs ganz ansprechend aus. Aber das Erbspürree erinnerte mich doch eher an was anderes – vielleicht auch, weil wir eben erst über Kinder gesprochen hatten. Offenbar hatte der Wein auch meine Zunge gelöst: „Also ich weiß nicht, Harry, aber mein Sohn hat mir früher als Baby Dinge aufs Shirt gekotzt, die ähnlich aussahen, wie das hier." Ich deutete mit der Gabel auf das Pürree und schmunzelte.

„So lange es nicht so schmeckt", versuchte David die Situation zu retten. Ich schob mir lachend eine Gabel in den Mund und verneinte. Tatsächlich schmeckte es erstaunlich gut, ebenso wie der Fenchel. Heute Abend machte ich ganz neue Erfahrungen, was das Essen anging. Vom Lachs wollte ich ein kleines Stück abschneiden und musterte kurz das Messer, an dem ich keine Schneide ausmachen konnte. Und statt zu schneiden drückte es den Lachs auch eher platt. David beugte sich zu mir und flüsterte: „Du musst den Fisch auseinanderschieben, das ist ein Fischmesser." Dankbar nickte ich und tatsächlich funktionierte es so besser. Der Lachs schmeckte trotz des Sesams natürlich immer noch wie Fisch, aber er ließ sich einigermaßen gut essen. Backfisch wäre mir trotzdem lieber gewesen.

Während ich noch über den Lachs nachdachte, erzählte David von seinen modischen Eskapaden zu Beginn seiner Karriere über verschiedene Haarfarben, Frisuren und unterschiedliche Arten seinen Bart zu tragen. Einige davon waren aus heutiger Sicht wirklich schwer zu erklären. Aber Jugendsünden hatte mit Sicherheit jeder von uns. Ich erzählte von meiner Hosenträgerphase und frage mich heute noch, wie ich damals auf die Idee gekommen war, dass Hosenträger zu T-Shirts gut aussehen könnten. James war davon überzeugt, dass es von ihm keinerlei modische Entgleisung gab. Stattdessen erzählte er von weiteren Modesünden von Harry, wie beispielsweise bei dem Konzert auf der Kreuzung, aber auch von David, der ebenfalls schon bei ihm zu Gast gewesen war, bekam sein Fett weg. Irgendwann schien es Harry genug zu sein, vielleicht war es aber auch nur eine Retourkutsche von vorhin, als er sich zu Wort meldete: „So, aber nicht nur du kannst uns vorführen, wir können das ganz genauso!" Er nahm sein Handy aus der Tasche, doch statt die Foto-Bibliothek zu öffnen, zeigte er uns ein YouTube-Video eines Carpool-Karaokes. Die beiden hatten dort wohl dauernd die Kleidung getauscht. In einer Szene trug Harry ein goldenes Shirt, das an ihm verdammt gut aussah und James ein Netzshirt, das ihn eher wie ein Mitglied der Village People aussehen ließ.

David lachte: „Spielst du da an seinem Nippel?"

„Ja klar", antwortete Harry, „das war eine perfekte Steilvorlage."

Das Video lief weiter und jetzt hatte Harry das Netzshirt an und sah darin alles andere als albern aus. Eher heiß. Seine Tattoos blitzten an genau den richtigen Stellen durch die Löcher. Außerdem wirkte er so selbstbewusst, dass er alles tragen konnte. Ich beschloss, dass ich einen Kleidertausch mit James ebenfalls ausschließen würde. Wahrscheinlich wären mir seine Klamotten drei Nummern zu groß und ich würde sie niemals so selbstbewusst wie Harry tragen können. Ich nahm einen weiteren Schluck von dem Wein und mein Blick fiel wieder auf das Gastgeschenk, dass ich vorhin beiseite geschoben hatte. „Harry, was ist das hier? Auch wenn wir eben über Modesünden gesprochen haben, glaubst du, dass ich mich schminke?"

„Hast du was gegen Männer, die Make-Up benutzen?", schaute er mich provozierend an.

„Nein", erwiderte ich seinen Blick und hielt ihn mit meinen Augen fest „kann manchmal ziemlich sexy sein", senkte ich ein wenig meine Stimme, „aber nicht an mir." Mein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln während ich meinen Blick immer noch nicht löste. Harry schien nervös zu werden und seine Augen zuckten über mein Gesicht, während er sich über die Lippen leckte. Doch dann schien er sich wieder gefangen zu haben: „Um deine Frage zu beantworten, da ist kein Make-Up drin. Nur ein paar Pflegeprodukte aus meiner Beautylinie. Ein paar Pflegecremes fürs Gesicht und die Hände."

Das klang vernünftig. Und wenn ich die Sachen nicht benutzen würde, würde ich in Lottie eine willige Abnehmerin finden. Sie war immer auf de Suche nach guten Pflegeprodukten. Wir sahen uns weiterhin an und irgendwie hatte ich die beiden anderen ausgeblendet, als James sich plötzlich in unser Gespräch einmischte: „Hast du mal wieder was von Lloyd gehört?"

„Klar, vorhin erst", antwortete Harry mit einem freudigen Unterton, „er hat mir beim Vorbereiten geholfen und war dann noch Mal da, kurz bevor Louis eingetroffen ist, weil er dachte, er hätte sein Handy hier vergessen." Ach, der komisch blondierte Schnurrbartyp war also Lloyd. Und James schien ihn zu kennen, was wohl bedeutete, dass er einen größeren Platz in Harrys Leben einnahm. „Lloyd?", auch David schien neugierig zu sein und James war direkt zur Hand, um die Neugierde zu befriedigen.

„Er hat Harry auf Tour begleitet und seitdem ist er aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken."

Too much Information. Das wollte ich nicht wissen. Harry sollte keinen Lloyd in seinem Leben haben. Oder von mir aus konnte der irgendwie in seinem Leben sein, aber in seinem Haus und seinem Bett hatte der nichts verloren. Hatte ich gerade „Bett" gedacht? Ich musste raus, raus aus dem Esszimmer, raus aus dem Haus hier. „Ich geh eben eine Rauchen", schnappte ich mir meine Jacke und ging raus zur Terrassentür. Auf meinem Weg nach draußen hörte ich Harry noch stammeln: „Äh, ja klar, du weißt ja, wo es raus geht."

Unter dem Heizpilz zündete ich mit zitternden Fingern meine Zigarette an und atmete tief ein. Mein Blick fiel durch das Fenster auf die anderen drei, die sich freudig unterhielten. Ich ging weiter durch den Garten in Richtung des Pools. Ein bisschen Abstand tat mir bestimmt gut. Ich hockte mich neben den Pool und spielte mit den Fingern der rechten Hand im Wasser. Es war wirklich angenehm warm. Ich beobachtete die Wellen, die meine Finger erzeugten und bemerkte, dass ich innerlich wieder ruhiger wurde. Hatte ich mir vorhin nicht vorgenommen, souveräner zu sein und mich nicht provozieren zu lassen? Toll, mein Abgang gerade war wohl eher das Gegenteil davon. Ich drückte meine Zigarette aus, um sie in dem Aschenbecher auf dem Tisch zu entsorgen und nahm noch einen tiefen Atemzug der kühlen Novemberluft. Dann ging ich wieder nach drinnen und zog meine Jacke aus und warf sie über den Stuhl. Während ich mich hinsetzte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Harry: „Hab' das Wasser getestet. Also ich geh' rein, wenn du mitkommst."

„Wo rein?", fragte James direkt neugierig. Irgendwie musste der sich auch immer wieder einmischen. Aber ich hatte keine Lust mehr, mich provozieren zu lassen, weder von Harry und erst recht nicht von James. „In den Pool. Harry und ich sprachen vorhin übers Nacktbaden."

James ließ sich nicht beirren und nickte wissend: „Nacktbaden also. Alles klar, bin dabei. Aber erst, wenn die Kameras aus sind."

Harry schien davon nicht ganz so begeistert zu sein. „Das war eigentlich nur ein Witz", wiegelte er James ab. Ich hätte auch eher ungern zu dritt nackt Zeit im Pool verbracht. „Schade", ergänzte James noch und schien über die Situation amüsiert zu sein.

Um das Thema zu beenden, begann Harry den Tisch abzuräumen und sich um den Nachtisch zu kümmern. Wir tranken unsere Weingläser leer und auch diese Gläser wurden rasch von Harry in die Küche gebracht. Jeder von uns hing kurz seinen Gedanken nach und James musterte mich von seiner Seite des Tisches aus. Hatte ich noch Essensreste im Gesicht? Ich wischte mir kurz mit der Hand über das Gesicht und strich noch einmal meinen Bart glatt.

„Ach Louis, bevor ich es vergesse, hier sind die Autogramme für dich. Ich habe auch noch ein unterschriebenes Foto der Nationalmannschaft gefunden. Das macht sich bestimmt gut an deiner Fotowand", David zog einen Umschlag aus seiner Jackentasche und reichte ihn mir. „Und wenn ich dran denke, bringe ich dir zu James Dinner auch noch einen Ball mit. Mit dem kannst du dann mit deinem Sohn Fußball spielen."

„Wow, danke, David", ich freute mich wirklich sehr darüber und steckte den Umschlag schnell in die Innentasche meiner Jacke, damit ich ihn auf keinen Fall vergessen würde. „Und über den Ball würden Freddie und ich uns freuen. Ich muss bloß aufpassen, dass Cliff den Ball dann nicht zuerst zwischen die Zähne bekommt."

„Wo hast du deinen Hund heute überhaupt gelassen", fragte James.

„Meine Schwester hat ihn vorhin abgeholt. Sie kümmert sich häufig um Cliff, insbesondere auch dann, wenn ich unterwegs bin, bin ich froh, ihn in guten Händen bei der Familie zu wissen", wir unterhielten uns noch ein wenig darüber, wie das Leben so war, wenn man nicht so viel Zeit zuhause verbrachte, wie andere. Wir drei waren uns einig, dass das insbesondere für unsere Kinder nicht immer einfach war. Insofern war ich schon froh, dass Freddie sowieso die meiste Zeit bei seiner Mutter war und richtiges Familienleben nie kennengelernt hatte. Zwischendurch huschte Harry immer mal wieder ins Zimmer und stellte erst die Dessert-Schälchen und dann eine große Menge Getränke auf den Tisch.

„So, zur Nachspeise habt ihr die freie Auswahl: ihr könnt entweder einen Dessertwein trinken, der relativ süß ist. Oder aber ihr nehmt ein Barley Wine Beer oder ein Porter. Die nette Dame im Fachgeschäft hat mir erklärt, was die einzelnen Eigenschaften der jeweiligen Biete sind, aber wenn ich ehrlich bin, konnte ich mir nichts davon merken. Eins schmeckt süß, eins eher malzig."

Harry wirkte verlegen, als er uns die Auswahl vorstellte. Aber ich fand das richtig toll, dass er daran gedacht hatte, dass ich eigentlich lieber Bier als Wein trank: „oh, Bier!", schenkte ich ihm ein strahlendes Lächeln, was er zögerlich erwiderte und erklärte: „Ja, ich dachte mir, das könnte ganz gut schmecken."

Natürlich musste James mal wieder seinen Senf dazu geben; er schien Spaß daran gefunden zu haben, Harry ein bisschen zu triezen: „Trittst du jetzt in Louis' Fußstapfen? Ich dachte, du wärst eher der Weintyp."

Während die beiden diskutierten, nahm ich mir eine Flasche Porter und begann das Etikett zu lesen. Das schien einen hohen Malzgehalt zu haben und würde dementsprechend auch fast wie Karamell-Toffee schmecken. Das konnte ich mir gut zur Schokocreme vorstellen. Reflexartig öffnete ich die Flasche mit meinem Feuerzeug. „Ich denke, ich nehme dieses hier."

„Ich habe auch einen Flaschenöffner", grinste Harry mich an. Ich lächelte zurück und meinte: „Gewohnheit." Prompt hielt mir Harry eine Flasche des anderen Bieres hin – hatte er nicht eben noch gesagt, dass er lieber Wein tränke? „Wenn du schon dabei bist..."

Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand und ließ meine Finger dabei länger als notwendig über seine Hand streichen. Trotz der eiskalten Bierflasche strahlten seine Finger eine angenehme Wärme aus. Ich öffnete die Flasche und stellte sie vor Harry auf den Tisch.

„Gut, dann guten Appetit. Ich hoffe, die Schokocreme schmeckt euch", setzte Harry an, um uns zuzuprosten. Aber hatte er nicht reklamiert, dass richtiges Anstoßen nur mit Blickkontakt funktionieren würde? Ich streckte meinen Arm über den Tisch und stieß meinen Flaschenhals an seinen. „Prost!" Derweil fixierte ich seine unfassbar grünen Augen. Ohne meinen Blick zu lösen setzte ich die Flasche an und nahm einen tiefen Schluck. Dann schloss ich kurz meine Augen, um dem Geschmack nachzuspüren. Die Verkäuferin hatte Harry nicht zu viel versprochen, das Bier schmeckte wirklich gut. Genüsslich nahm ich einen weiteren Schluck und stellte dann die Flasche ab. Und begann die Schokocreme zu löffeln. Auch die schmeckte wirklich gut. Ein wenig anders als die Schoko-Mousse, die ich sonst so gewohnt war und auch die Konsistenz war ein bisschen anders, aber die Creme schmeckte schön schokoladig und gemeinsam mit den Lebkuchen-Streuseln weihnachtlich. Als ich schon etwa die Hälfte aufgegessen hatte, lobte James die Creme und ich wollte mich schon anschließen, als David sich zu Wort meldete. „Ja, ich hab' vorhin schon zu Louis gesagt, dass wir in einem Trainingslager auch mal Avocadoschokoladencreme hatten, aber die war bei Weitem nicht so gut wie die hier. Ich glaube, der Lebkuchencrumble holt das Beste heraus."

Ich glaubte mich zu verhören und ließ sofort meinen Löffel in mein Schälchen sinken: „Fookin' Avocado?!?" War das sein verdammter Ernst? Avocado? Und dann auch noch im Nachtisch? Nachtisch sollte doch das Beste an einem Essen sein. Und das war mit einer fucking Avocado einfach nicht möglich!

Harry schaute mich erst verwirrt und dann irgendwie besorgt an: „Bist du allergisch gegen Avocados? Müssen wir den Rettungsdienst rufen? Brauchst du eine Spritze?"

„Was? Nein!", ein wenig Anspannung verschwand aus Harrys Gesicht, als ich dies verneinte. Dennoch wirkte er immer noch irgendwie aufgeregt und irritiert. Es war also mal wieder Zeit für meine Aufklärungsrede über Avocados. Und damit meinte ich nicht die schlechte Umweltbilanz oder den enorm hohen Wasserverbrauch. Ich merkte, wie meine Stimme beim Sprechen immer lauter und schneller wurde: „Avocados sind einfach nur total überbewertet und so'n fucking Mode Essen. Jeder, der Avocados isst, muss immer erst ein Foto davon bei Instagram posten, damit auch jeder sieht, wie instagramable und fancy man ist. Das pisst mich einfach an. Warum isst man sowas?" Alle, inklusive des Kamerateams starrten mich an. Aber ich hatte doch recht! Um Harrys Dinner nicht zu ruinieren ergänzte ich mit leiserer Stimme: „Sorry, aber Avocados regen mich echt auf!"

Weiterhin war es still und die Blicke der anderen ruhten auf mir. Selbst die Musik hatte kurz ausgesetzt und es war lediglich das leise Surren der Kameras zu hören. Plötzlich brach Harry in Gelächter aus. „Das merkt man kaum."

Ich stimmte in sein Lachen ein und war froh, dass er mir meine Reaktion nicht übelnahm. Dennoch konzentrierte ich mich bei meiner Portion jetzt auf die Lebkuchenstreusel, die wirklich lecker waren und versuchte, möglichst wenig von der restlichen Creme zu essen. Harry sah irgendwie enttäuscht aus, dass ich die Creme nicht weiter aß und versuchte von dem Thema abzulenken.

„James, wie bist du vorhin eigentlich auf Lloyd gekommen?" On no! Warum musste Harry denn jetzt wieder mit dem Typen anfangen? Wollte er mir doch eins reinwürgen wegen der Avocado-Sache?

James deutete mit seinem Löffel auf seine Oberlippe uns sagte: „Na, wegen dem Ding da in seinem Gesicht." Ha! James schien also meiner Meinung zu sein, dass Lloyd damit einfach nur lächerlich aussah.

„Ach so, das Ding", meinte Harry nur.

„Ja, keine Ahnung, warum sich alle inzwischen so ein Ding wachsen lassen", fuhr James fort, „ich meine Hallo? Die Achtziger haben angerufen, sie wollen ihre Rotzbremse zurück. Und so gut wie jeder sieht damit aus wie Magnum."

„Wie Magnum auf Wish bestellt", war David lachend ein. Gedanklich stimmte ich ihm zu.

James schien das Thema noch weiter verfolgen zu wollen und gestikulierte weiter mit seinem Löffel in Harrys Richtung: „Hast du nicht auch ab und an den Rappel, dir so ein Teil wachsen zu lassen."

Harry mit seinen bunten Hemden und einem Schnurrbart. Ja, das sah wahrscheinlich wirklich aus wie Magnum 2.0 – eine amüsante Vorstellung, die mich kurz lachen ließ: „eine Schenkelbürste?"

Harry stimmte grinsend und mit einem leichten Schulterzucken zu: „manchmal."

„Genau und Lloyd hat sich das bei dir abgeguckt. Auch wenn ihm das Ding minimal besser steht als dir", stimmte auch James ins Lachen ein. Okaaay? Wenn Die Rotzbremse an Lloyd besser aussah als an Harry – was ich mir nun wirklich nicht vorstellen konnte, weil er ja lächerlich damit aussah und Harry eigentlich alles tragen konnte – dann musste ich meine Meinung zu Magnum 2.0 wohl wieder revidieren.

Harry antwortete, ebenfalls lachend: „Na danke. Ich werde ihm das ausrichten, wenn er mir am Wochenende Kirk vorbeibringt."

Wer war jetzt Kirk? „Ach, ist es mal wieder so weit? Hast du schon wieder das Sorgerecht?", fragte James. Meine Irritation wuchs und ich schaute bei David ebenfalls in ein fragendes Gesicht. War nicht nächstes Wochenende der erste Advent und damit der Ausstrahlungstermin des ersten Dinnerabends? Ich wollte nicht, dass Harry dann auf Lloyd traf. Der Typ nahm am heutigen Abend schon zu viel Raum ein. Harry und James führten unbeirrt ihr Gespräch weiter.


„Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich freue", war Harrys sarkastische Antwort.

„Wie? Liebst du Kirk etwa nicht mehr?"

„Anfangs war es ja ganz lustig mit ihm, aber so langsam..." Sprachen die beiden von einem Kind? Das man nach Lust und Laune hin und her schob? Von mir aus könnten wir das Thema jetzt echt mal beenden. Ich merkte, wie sich wieder die steile Falte zwischen meinen Augenbrauen bildete. Aber Harry schien das weiter ausführen zu wollen. „...so langsam könnte er ihn echt abrasieren." Moment, war Kirk doch kein Kind, sondern die häßliche Rotzbremse von Blondie. Kosenamen gab man doch für gewöhnlich nur bestimmten Körperteilen seines Partners, oder? Von mir aus auch seiner Affäre, aber dem Schnurrbart? Schroffer als ich eigentlich wollte, sagte ich: „Du hast dem Schnurrbart von deinem Freund einen Namen gegeben, verstehe ich das richtig?" Und jetzt wollte er auch noch, dass das Ding wieder abrasiert wurde? Warum? Damit „Lloyd" besser aussah? Sich besser anfühlte?

Harry wirkte etwas verwirrt wegen meiner Nachfrage: „Äh ja. Zu meiner Verteidigung, Lloyd, James und ich hatten Football geschaut und dabei war ziemlich viel Alkohol geflossen. Ich war nicht mehr ganz nüchtern."

Ich nickte nur. Was war das für eine dumme Ausrede? Wenn sie das Spiel mit Kirk noch weitergespielt hatten, wird er jawohl nicht seitdem permanent betrunken gewesen sein.

Jetzt mischte sich auch David ins Gespräch ein: „Wenn zwei Kerle mit Schnurrbart knutschen, verheddern sich dann die Barthaare eigentlich, so wie Zahnspangen?"

„Ich weiß nicht", richtete ich meinen Blick auf Harry, „vielleicht kann Harry das ja beantworten", beendete ich schneidend meinen Satz. Bevor dieser jedoch antworten konnte, fuhr ich fort: „Meine Schwester hat mir da ein grandioses Bartöl empfohlen, das hilft bestimmt, wenn sich die Haare verheddert haben." Das konnten er und sein Typ sich ja gerne literweise auf die Oberlippen schütten. Vielleicht half es auch an anderen Stellen. Bevor ich jedoch weiter darüber nachdenken konnte, spürte ich eine große, warme Hand auf meinem Handgelenk und Harry sprach: „Ich würde mich freuen, wenn du mir den Namen des Bartöls verrätst."

Vielleicht war es seine Hand, die mich etwas besänftigte, aber schon ein wenig gelassener antwortete ich ihm: „Ja, kann ich machen. Such ich dir raus."

Harry nickte daraufhin kurz und beendete nach einem kurzen Blick auf unsere Schälchen das Dinner. Gerade rechtzeitig, da JP auch schon James zur Punktevergabe aus dem Raum bat. Er verabschiedete sich und versprach uns eine Überraschung für seinen Dinnerabend in drei Tagen. Na hoffentlich eine gute Überraschung und nicht noch ein Lloyd. Was war das überhaupt für ein Name? Ich beschloss, dass ich, um mich vor der Bewertung noch ein wenig weiter runterzufahren, noch einmal den Platz unter dem Heizstrahler aufsuchen würde. Ich schnappte mir meine Jacke und verabschiedete mich von David: „David, wir sehen uns dann bei James. Mal sehen, was er für eine Überraschung für uns parat hält." Nach einem Fistbump nickte er mir zu und antwortete lachend: „So wie ich ihn kenne, erwarten uns irgendwelche verrückten Kostüme oder wir müssen irgendwelche Spiele spielen."

Während ich schon auf dem Weg nach draußen war, hörte ich noch wie Harry „vielleicht Dodgeball mit Kartoffelklößen oder so", sagen. In Ruhe zog ich an meiner Zigarette und merkte, wie mit dem Rauch auch meine Wut den Körper verließ. Warum brachte Lloyd mich so aus dem Konzept? Harry durfte doch gute Freunde haben und auf James reagierte ich auch nicht so. Ja, James war nervig, aber er traf bei mir einen ganz anderen Nerv als Lloyd. Ich wollte nicht, dass Harry überhaupt darüber nachdachte, ob sich irgendwelche Schnurrbärte beim Küssen verhakten. Er sollte nicht mal an das Küssen von anderen denken. Ja, vielleicht war ich eifersüchtig. Irgendwelche Pressevertreter hatten mich früher schon mal „Jealouis" genannt. Bei Harry hatte ich ja nicht mal einen Grund, eifersüchtig zu sein. Wie lange kannten wir uns jetzt? Drei Abende, wenn man mal unsere vorherigen, flüchtigen Begegnungen außer Acht lässt. Ich hatte doch gar keinen Anspruch auf ihn. Und doch fühlte es sich unangenehm an, wie er über Lloyd sprach. Wenn er mich berührte oder aus seinen sanften grünen Augen ansah, dann fühlte es sich an, als ob wir uns schon ewig kannten. Und ich fühlte mich einfach wohl und irgendwie vollständig. Seine Blicke gaben mir ein Gefühl von Sicherheit. Und das wurde durch die Kommentare über Lloyd zerstört. Ich wollte mich weiterhin sicher bei Harry fühlen und nicht der verunsicherte Louis sein. Das war ich vielleicht als 19-Jähriger zu Beginn meiner Karriere bei X-Factor gewesen. Aber jetzt ich fast 32 Jahre alt und ein gestandener Mann. Und das würde ich ab sofort auch Harry zeigen.

Energisch drückte ich meine Zigarette aus und ging wieder ins Esszimmer. Nur um dieses leer vorzufinden. Lediglich zwei der Kameraleute bauten schon die Beleuchtung ab und trugen sie in den Flur. David war wohl gerade bei der Bewertung oder sogar schon damit fertig. Harry hörte ich in der Küche rumpeln. Wahrscheinlich hatte er angefangen, aufzuräumen. JP kam ins Wohnzimmer: „Louis, kommst du mit mir mit zur Punktevergabe?"

Gemeinsam liefen wir durch den Flur und über eine pinke Treppe hinauf. „Das lila Sofa und die hellgrüne Wand im Wohnzimmer fand ich ja schon speziell, aber hat der hier jetzt echt eine pinkfarbene Treppe?", kamen die Worte schneller aus meinem Mund, als ich nachdenken konnte. „Wir sind hier doch nicht in einem Barbiehaus. Meine Schwestern wollten mich mal in eine Candy-Ausstellung schleppen, um dort coole Fotos für Instagram zu machen – nicht mein Fall, so Fotos. Da war auch alles Pink und Rosa und so", ich lachte kurz.

JP schmunzelte ebenfalls: „Harry meinte, dir würde die Treppe gefallen."

„Mir, eine pinke Treppe? Wie kommt er denn auf sowas?"

„Er hat dich heute Vormittag bei der Hausführung ein paar Mal erwähnt. Ich glaube, das ist ihm nur so rausgerutscht, sprich ihn also lieber nicht darauf an. Er erzählte dann schnell weiter, dass James die Treppe ja schon kennen würde und David sowas bestimmt auch von seiner Frau und Tochter kennt."

Harry hatte mich heute Vormittag erwähnt? Ich spürte, wie sich meine Wangen leicht erwärmten und die Ohrenspitzen rot wurden. Gut, dass das hier bei der pinken Treppe nicht so auffiel. Oben kamen wir ein einem großzügigen Raum an, der wohl als Lounge diente. Eine gemütliche Sitzecke lud dazu ein, hier entspannt Zeit zu verbringen. Ich konnte mir gut vorstellen, hier den einen oder anderen Film mit Harry anzuschauen. Ich ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Mitten im Raum glitzerte eine riesige Discokugel. „Ach, ist hier der Party-Raum? Oder übt Harry hier seine Tanzschritte für seine Touren? Tatsächlich hätte ich in seinem Haus wirklich mehr Bling-Bling erwartet und war schon überrascht, dass das Gäste-Bad so schlicht war", wieder einmal purzelten die Worte schneller aus meinem Mund, als mein Kopf nachdachte, „aber ich bin wirklich froh, dass wenigstens hier eine Discokugel hängt", mit diesen Worten nahm ich auf einem der gemütlichen Sessel Platz.

„Louis, möchtest du etwas zu deinem Gesamteindruck von diesem Abend sagen", leitete JP das Interview ein.

„Harry hat sich super viel Mühe gegeben, ein toller Gastgeber zu sein. Er hat versucht, es allen recht zu machen, aber gleichzeitig dabei seinen Stil durchzuziehen. Von einzelnen Momenten mal abgesehen, hatten wir – glaube ich – alle einen schönen Abend."

„Wie hat dir das Essen geschmeckt? Hast du etwas vermisst?"

„Das Essen war für mich wirklich außergewöhnlich. Viele der Dinge habe ich noch nie gegessen. Auch der Aperitif war überraschend gut. Ich bin kein Fan von heißen, alkoholischen Getränken, aber das schmeckte super. Ich hätte mir richtige Schoko-Mousse gewünscht. Wie ihr mitgekriegt habt, habe ich ein ein wenig gestörtes Verhältnis zu Avocados."

JP schmunzelte aufgrund meiner Untertreibung. Ja, ich hasste halt Avocados. Und das völlig zurecht. Die meisten, die man bei uns kaufen konnten, hießen ja schon Hass-Avocados. Da hatten sie nichts Besseres verdient. Aber Harry hatte meine harsche Kritik dazu vielleicht nicht unbedingt verdient, er hatte sich schließlich viel Mühe gegeben. Und sein trauriger Blick, nachdem ich die Creme nicht weitergegessen hatte, versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz.

„Ja, das haben wir, glaube ich, alle gemerkt. Louis, wie würdest du denn Harrys Dinner und den Abend bewerten. Du weißt, dass du maximal zehn Punkte vergeben darfst."

„Okay, die Vorspeise hat mich wirklich überrascht. Dafür bekommt Harry drei Punkte. Da ich eigentlich keinen Lachs mag und den nur Harry zuliebe gegessen habe, bekommt er für die Hauptspeise zwei Punkte. Für den Nachtisch kann ich leider, auch wenn er eigentlich ganz gut geschmeckt hat, nur einen Punkt vergeben. Einen weiteren Punkt vergebe ich für den leckeren Aperitif. Dann bekommt er noch einen Punkt, weil er beim letzten Gang mir zuliebe Bier besorgt hat. Und schließlich gebe ich ihm noch einen Punkt, weil er ein toller Gastgeber ist, der sich um das Wohl seiner Gäste sorgt. Beispielsweise dadurch, dass er mir extra einen Heizpilz auf die Terrasse gestellt hat", zählte ich die einzelnen Punkte auf, „wenn ich richtig gerechnet habe, sind wir damit bei neun Punkten angekommen. Am liebsten würde ich noch einen Punkt dafür vergeben, dass Harry heute in seinem schlichten Outfit ein zurückhaltender Gastgeber war, der seine Gäste und sein Essen in den Mittelpunkt stellen wollte. Aber für sein Aussehen bekommt er lieber doch keinen Punkt", fast hätte ich auch noch gesagt, dass ich ihm einen Punkt gebe, weil er gut riecht und seine Berührungen angenehm warm sind, aber ich konnte mich gerade noch stoppen. „Es bleibt also bei neun Punkten für einen tollen Abend."

„Danke Louis. Wenn du sonst nichts mehr loswerden willst, sind wir für heute auch durch. Wir sehen uns dann am Mittwoch bei James wieder. Ich freue mich schon auf den letzten Abend mit euch", JP boxte mir kurz gegen die Schulter, „Ähm, ich vermute, ich überschreite jetzt eine Grenze und es steht mir eigentlich nicht zu, das zu sagen, aber ich finde, du solltest es wissen, weil ich dich mag: so, wie ich Harry heute erlebt habe, bei der Hausführung... ich hatte den Eindruck, dass es Harry wichtig ist, was du über seine Einrichtung und auch vielleicht ihn selbst denkst. Ich kenne zwar deine Bewertung jetzt, aber er schien ein bisschen geknickte wegen des Avocado-Gau. Sprich vielleicht nochmal mit ihm. Okay? Du findest den Weg nach unten selbst, oder? Dann können wir hier schon mal abbauen. Schlaf nachher gut."

„Danke JP, ich freue mich auch schon auf den Abend bei James. Macht nicht mehr so lange. Und nochmal Danke", mit einem Schulterklopfen verabschiedete ich mich von dem sympathischen Kameramann und lief die Treppe wieder hinab. Unten im Flur hörte ich leise, melancholische Klavierklänge aus Richtung des Esszimmers. Da die Musik nur aus dieser Richtung zu kommen schien, hatte Harry wohl seine Anlage ausgestellt und sich ans Klavier gesetzt, um den Abend im wahrsten Sinne des Wortes ausklingen zu lassen. Ich folgte den Klängen und blieb hinter Harry stehen. Kaum, dass er mich bemerkte, stoppte er schon sein Spiel.

„Nein, hör nicht auf. Klingt schön, was du da spielst", sprach ich zu ihm. Er drehte sich zu mir um und schien überrascht, mich zu sehen. Schlagartig überzog eine niedliche Röte seine Wangen und er sah mich mit großen Augen an: „Louis?!"

Mein Blick fiel auf ein Tablett mit Shotgläsern und einer Flasche Tequila, die auf dem Klavier standen. Mindestens eins davon war schon benutzt. „Trinkst du immer Tequila, wenn du Klavier spielst?"

Er schien immer noch verlegen zu sein und schüttelte vorsichtig seinen Kopf, während er mich immer noch verwundert, aber auch gleichzeitig erfreut ansah.

„Ich hatte einen Absacker vorbereitet, aber irgendwie hab' ich den vergessen", er lächelte mich vorsichtig an, „trinkst du noch einen mit mir?"

Ich nickte ihm zu: „Klar", ich ließ mich neben ihm auf der Klavierbank nieder und unsere Oberschenkel berührten sich leicht und eine angenehme Wärme breitete sich von dort aus in meinem Körper aus. Ja, das fühlte sich richtig an und ich war froh, zu ihm gegangen zu sein und nicht direkt heimzufahren.

Harry füllte zwei Shotgläser und drückte mir eins in die Hand. Dann hielt er mir den Teller mit den vorbereiteten Orangen und dem Zimt entgegen. Unsere Gläser klirrten aneinander und kurz verlor ich mich in seinen Augen. Als er sein Glas zum Mund hoch, um zu trinken, folgte ich der Bewegung und kippte meinen Tequila ebenfalls herunter. Dann schnappte ich mir ein Orangenstückchen und saugte an dem Fruchtfleisch. Zusammen mit dem Zimt und dem Tequila war das ein angenehmer Geschmack. Ich legte den Rest des Orangenstücks zurück auf den Teller und stellte mein Glas ab. „Spielst du jetzt weiter?", forderte ich Harry auf.

„Nur, wenn du mit mir mitspielst", war seine Antwort. Ich hob meine linke Hand und wackelte mit meinen Fingern, so dass der Tiger und der Waschbär sich munter auf und ab bewegten. „Sorry, mit den verletzten Fingern grad keine gute Idee."

Ich sah, dass sich Enttäuschung auf Harrys Gesicht ausbreitete, obwohl er verständnisvoll nickte. Spontan nahm ich einen Stift, der auf dem Klavier lag und mit Sicherheit sonst genutzt wurde, um Songideen zu notieren. Mit der linken Hand griff ich nach seinem Arm und schrieb meine Handynummer darauf. Innerlich musste ich fast wie ein Schulmädchen kichern, schon ewig hatte ich mit niemandem mehr so die Nummern ausgetauscht. Wahrscheinlich war das letzte Mal wirklich während meiner Schulzeit gewesen. „Aber ruf mich gerne an, dann machen wir mal was aus und spielen zusammen", mit diesen Worten erhob ich mich von der Klavierbank und legte den Stift wieder beiseite.

„Also dann...", ich nahm meinen Mut zusammen, der möglicherweise durch den vielen Alkohol noch verstärkt wurde und beugte mich zu ihm hinunter. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sprach dann noch leise, die Lippen nur wenige Millimeter von seiner Haut entfernt: „Gute Nacht, Harry." Dann richtete ich mich wieder auf und ging ohne eine Reaktion von Harry abzuwarten in Richtung der Haustüre. Hoffentlich hatte ich keine Grenze überschritten und war zu weit gegangen. Aber seine Wange hatte sich unter meinen Lippen genau richtig angefühlt: warm, weich, dennoch ein paar kleine Bartstoppeln und sein typischer Harry-Geruch begleitete mich noch auf dem Weg zum Wagen, wo der Fahrer bereits auf mich wartete.

Ein warmes, beschwingtes Gefühl machte sich in mir breit. Während wir zu meinem Haus fuhren, merkte ich, dass meine Lider immer schwerer wurden. Daheim stolperte ich nur noch ins Schlafzimmer, zog mich aus und schlief sofort mit dem warmen Kribbeln auf meinen Lippen ein und tauchte ins süße Traumreich ab.


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