2018 | Funken der Hoffnung

Das Leben ist nicht immer einfach, das musste die 16-jährige Liara schon früh lernen. Mit gerade einmal sieben Jahren musste sie aufgrund der Arbeit ihres Vaters das erste Mal umziehen, weg von ihren Freunden und ihrer gewohnten Umgebung. Nur ein Jahr später, nachdem sie sich endlich an ihr neues Zuhause gewöhnt hatte, war der nächste Umzug. Und so ging es immer weiter, kaum war sie irgendwo angekommen und hatte es geschafft, Freunde zu finden, zogen sie wieder an einen anderen Ort. Es war schwer, für sie etwas Beständigkeit in ihrem Leben zu empfinden, weil jeder noch so kleine Hoffnungsschimmer auf ein normales Leben mit einem erneuten Umzug zerstört wurde. Und so kam es, dass sie irgendwann nicht einmal mehr versuchte Freunde zu finden oder einem neuen Hobby nachzugehen. Sie begann ihre Freizeit nur noch in ihrem Zimmer zu verbringen, schloss sich ein und lass Bücher über alle möglichen Themen. Das sorgte jedoch auch dafür, dass sie bei den anderen nicht besonders beliebt war.

Mittlerweile wohnte sie nun seit zwei Jahren in Bayern und dennoch galt sie als Außenseiterin, als der Eindringling, der mitten im Schuljahr in die Klasse kam, um alles zu zerstören. Sie war das schon gewohnt, in ihren alten Klassen war es nicht anders gewesen, immer wurde sie als die sonderbare Einzelgängerin gesehen und nie hatte es sie gestört. Doch jetzt war etwas anders, ihre Mitschüler zeigten ihr auch, dass sie nicht willkommen war und einer von ihnen nicht nur mit Worten.

Tobias, ein 1,80 Meter großer einschüchternder Junge aus ihrer Klasse. Mit seinen blonden kurz geschorenen Haaren wirkte er noch bedrohlicher und für sie war er auch genau das: eine riesengroße Bedrohung. Mehr als einmal hatte er sie inzwischen schon körperlich verletzt und mindestens genauso oft den Tod angedroht. Er sorgte dafür, dass sie sich nicht mehr sicher fühlte, in der Schule achtete sie immer genau darauf, wer hinter oder vor ihr war und wenn sie nach Hause lief, schaute sie sich immer panisch um. Sie konnte nicht mehr im Dunkeln schlafen und auch ihre beängstigenden Albträume sorgten dafür, dass sie psychisch ziemlich am Ende war.

Heute war wieder einer dieser Tage, an denen sie von ihm komplett fertiggemacht wurde. Sein Mobbing wurde immer schlimmer und heute hatte er es das erste Mal so weit getrieben, dass sie ernsthaft Angst um ihr Leben hatte.

Sie kam von der Schule heim und legte sich erst einmal in ihr Bett, dort schluchzte sie und weinte sich alle Sorgen vom Leib. Ja am Anfang hatte es noch geholfen, sie hatte geweint, ihren Sorgen freien Lauf gelassen und dann war die Welt wieder in Ordnung. Doch dies war nun schon ein gutes Jahr her, mittlerweile half auch das nichts mehr und heute weinte sie nicht nur wegen ihrer kaputten Seele, sondern auch weil ihre Finger wahnsinnig schmerzten.

Sie ging ins Bad und wusch sich die Hände, das Wasser färbte sich von Rot in Rosa und wurde langsam wieder klar. Ihre Finger betrachtend schluchzte sie wieder, warum war die Welt nur so grausam, warum tat er ihr all das Leid an. Sie ging zum Erste Hilfe Schrank und kramte zwei Pflaster heraus. Umständlich klebte sie sich diese auf ihre geschundenen Finger und begutachtete ihr Werk kritisch. Sie hätte nie gedacht, dass Tobias zu so etwas imstande war, natürlich war ihr klar, dass er gewalttätig war und auch, dass er ihr schon oft den ein oder anderen blauen Fleck beschert hatte, aber dass er sie mit einem Messer verletzten würde, hatte sie nicht erwartet. Er hatte zwar schon oft mit dem Messer vor ihrer Nase herumgespielt, weil er das Gefühl genoss, ihr Angst einzujagen und eine gewisse Macht über sie zu haben, doch dass er es heute benutzt hatte, kam völlig überraschend. Er schnitt ihr zweimal tief über ihre Finger und zuckte dabei nicht einmal mit der Wimper. Sie hatte es mit Würde ertragen, sie würde niemals weinen, nicht wenn er hinsah, diese Genugtuung würde er nie bekommen. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass ihre Selbstachtung nicht mehr lang standhalten würde, nicht wenn er sie weiterhin derart verletzte.

Jeden Tag aufs Neue überlegte sie, die Schule zu wechseln, aus Angst er würde sich noch etwas viel Schlimmeres einfallen lassen. Nur wie sollte sie ihren Eltern erklären, dass sie die Schule wechseln möchte, wo sie doch dachten, dass die Schule die beste für Liara war und ihr Vater es endlich geschafft hatte, die richtige Arbeit zu finden. Nein das wäre nicht fair, sie könnte nicht mit dem Wissen leben das Glück ihrer Eltern zerstört zu haben.

Sie musste aus der Wohnung an die frische Luft, sie wollte in Ruhe nachdenken und das würde sie nicht mehr können, wenn ihre Mutter in wenigen Minuten heimkam. Also ging sie in den Park, auf dem Weg dorthin war ihr Kopf völlig leer. Es gab nur sie und den Gehweg, auf welchen sie sich konzentrierte. Aber dennoch war ihre Angst, er könnte in der Nähe sein, präsent, sodass sie sich immer wieder umdrehte, um sicherzugehen, dass dort niemand war. Im Park angekommen, gab es viele Bänke und normalerweise setzte sie sich auf ihre Lieblingsbank in der Nähe einer alten Linde, doch genau heute saß dort ein altes Ehepaar, also steuerte sie eine Bank weiter zum See gelegen an.

Sie setzte sich und starrte ins Leere. Mit ausdruckslosem Blick beobachtete sie das alte Ehepaar, sie lachten und unterhielten sich. Sie fragte sich, ob sie jemals auch so glücklich wie dieses Ehepaar sein würde. Würde sie es jemals schaffen, aus diesem verdammten Teufelskreis herauszukommen?

Eine Weile saß sie einfach nur da und starrte ins Leere, aber irgendwann wurde ihr das Sitzen zu unbequem und sie wollte sich auf die Bank legen. Gerade als sie ihren Rücken auf die Sitzfläche plumpsen ließ, spürte sie ein unangenehmes Gefühl in ihrem Rücken. Sie hatte sich irgendwo draufgelegt, mühsam richtete sich wieder auf und rieb sich den Rücken, was auch immer das war, es hatte ihr genau zwischen die Rippen gedrückt. Endlich sitzend betrachtet sie das komische Etwas, was neben ihr auf der Bank lag. Zuvor war es ihr gar nicht aufgefallen, doch jetzt erkannte sie, was sie da in den Rücken gepikst hatte. Ein altes, sehr abgegriffenes Notizbuch. Sie sah sich um, doch sie konnte niemand ausfindig machen, dem es gehören könnte. Vorsichtig, sehr bedacht darauf, es nicht kaputtzumachen, nahm sie es in die Hände und betrachtete es kritisch. Kurz schlug sie es auf und blätterte darin, etwas in ihr sagte ihr, dass es falsch war, einfach in einem fremden Notizbuch zu lesen, aber ein anderer Teil von ihr war einfach zu gespannt, was sich darin befand.

In dem alten Büchlein befanden sich lauter kleine Notizen, doch Zeit sich alles genau anzuschauen hatte sie nicht, den es dämmerte bereits und sie musste schnell wieder nachhause, ehe ihre Mutter sich Sorgen machte. Also nahm sie das kleine Büchlein und spazierte wieder nachhause. Den gesamten Weg fragte sie sich, was es mit dem kleinen Büchlein auf sich hatte, dadurch vergaß sie all ihre Sorgen für einen kleinen Moment und es war, als wäre die Welt wieder in Ordnung.

Zu Hause angekommen legte sie das kleine Buch in ihre Schreibtischschublade und ging anschließend wieder die lange Wendeltreppe herunter zu ihren Eltern, in die Küche. Es roch herrlich und sie half, den Tisch zu decken. Freudig setzte sie sich, an den Tisch und begann ihre dampfenden Spaghetti mit Tomatensoße zu essen, ihre Freude hielt so lange an, bis ihre Eltern, die eine Frage stellten, die sie über alles hasste und welche sie innerhalb von Sekunden wieder in die Realität beförderte. »Und wie war es in der Schule?« Sie setzte ihr Lächeln auf und antwortete, wie jedes Mal, mit »super«, auch wenn es alles andere als super war. Aber wie sollte sie es schaffen, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen, es wäre nicht fair, jetzt wo sie endlich einen Ort gefunden hatten, wo sie glücklich waren alles wieder zu zerstören.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf zwang sie sich noch ein paar Bisse das Essen herunter und wartete, bis ihre Eltern fertig gegessen hatten. Nachdem sie den Tisch abgeräumt hatte, ging sie in ihr Zimmer und setzte sich auf ihr gemütliches Bett. Ihre Gedanken drifteten wieder zu Tobias ab und wieder stellte sie sich die gleiche Frage, wieso war das Leben so schrecklich zu ihr?

Um sich etwas abzulenken, ging sie zu ihrem Schreibtisch und holte das kleine Büchlein heraus. Ehrfürchtig betrachtete sie es. Es fühlte sich wie ein Schatz an, von dem niemand etwas wusste, fast so, als wäre das Buch die Lösung für all ihre Probleme. Lachend schob sie diesen Gedanken wieder beiseite, so ein Quatsch, es war nur ein albernes, kleines Notizbuch, es würde rein gar nicht verändern. Sie legte das kleine Buch auf ihren Schreibtisch und begann erneut darin zu blättern, die ersten Seiten waren schon sehr alt, der erste Eintrag stammt aus 1953, sie blätterte weiter und je weiter sie blätterte, desto mehr erfuhr sie über das kleine Buch. Es hatte schon viel erlebt und wurde schon von den unterschiedlichsten Menschen benutzt.

Plötzlich wurde ihre Tür geöffnet und sie ließ das Buch so schnell wie möglich verschwinden. Sie drehte sich um und starrte ihre Mutter an. So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie aber auch wieder. Denn sie wollte nur sagen, dass es Schlafenszeit war und Liara endlich das Licht ausmachen sollte. Nachdem sie das Notizbuch wieder in ihre Schublade verstaut hatte, machte sie sich bettfertig und ließ sich völlig erschöpft auf die Matratze fallen. Es dauerte nicht lange, da war sie auch schon in einen unruhigen Schlaf gesunken.

Dichter Nebel, vollkommene Dunkelheit, eine schwarze Gestalt, die immer näherkommt und Liara mittendrin.

Auf einmal ertönt eine schaurige Stimme.

»Du Schlampe, was fällt dir ein, mich einfach zu verpetzten. Du glaubst doch nicht wirklich, dass dir überhaupt jemand glaubt, so einer kleinen Missgeburt wie dir. Du wirst dir wünschen, nie auch nur ein Wort gegen mich gesagt zu haben.«

Die schwarze Gestalt, die sich als Tobias entpuppt hatte, verschwand wieder im dichten Nebel. Völlig allein stand Liara mitten im schwarzen Wald und drehte sich verzweifelt im Kreis. Was war nur passiert, wieso hatte sie etwas gegen ihn gesagt, wieso nur? Sie hätte einfach ihre Klappe halten sollen, sie hatte es gewusst, es machte alles nur schlimmer, wenn sie sich dagegen wehrt.

Plötzlich tauchte die Gestalt wieder auf und sie hatte ein scharfes Messer in der Hand.

»Nein Tobias, bitte, es tut mir leid, ich mache es wieder rückgängig.«

»Nein, du hattest deine Chance, selbst schuld, wenn du zu blöd bist, deine Klappe zu halten.«

Das Messer funkelte im Mondlicht, welches plötzlich durch den dichten Nebel schien, er schwang das Messer zu ihr und zog es einmal quer über ihren Arm. Sie wollte ausweichen und stolperte, sie schlug hart auf dem Boden auf. Tobias holte erneut aus, doch Liara griff neben sich und fand mit ihren Händen das alte Notizbuch, jenes welches sie zuvor im Park gefunden hatte. Sie griff es und hob es hoch, sie wollte ihn damit schlagen, doch plötzlich traten Funken daraus hervor und sie warf es in seine Richtung. Es gab einen lauten Knall und das Buch explodierte in tausend Teile.

Sie schreckte auf. Was war gerade passiert? Verwirrt sah sie sich im Raum um und musste feststellen, dass sie auf dem Boden lag. Es war alles nur ein Traum, nichts war passiert, kein Tobias, keine Schnitte und keine Explosion. Sie betrachtete ihren Arm, nur um ganz sicherzugehen, dass es nicht der Realität entsprach und wie sie es erwartet hatte, war er völlig unversehrt. Nur ein paar Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und ihre besorgte Mutter schaute in den Raum. Nachdem sie sich versichert hatte, dass es Liara gut ging und ihr ins Bett geholfen hatte, verschwand sie auch wieder und sie schlief erneut ein, doch diesmal ohne einen Albtraum.

Am nächsten Morgen wurde sie von ihrem Wecker geweckt, welcher fröhlich vor sich hin piepte. Völlig genervt schlug sie auf die Snooze-Taste des alten Weckers und drehte sich noch einmal um. Es waren gefühlt nur zwei Sekunden, bevor er erneut klingelte. Noch genervter als zuvor setzte sie sich in ihrem Bett auf und starrte die gegenüberliegende kahle Wand an. Die letzte Nacht hatte sie ganz schön fertiggemacht, mittlerweile hatte sie immer öfter solche Albträume. Doch meistens enden sie damit, dass sie erstochen wird, doch der heutige Albtraum war anders. Sie hatte gegen ihn gewonnen, diesmal war nicht sie es, die starb, sondern er. Sie wusste nicht genau warum, aber die Tatsache, dass sie gegen ihn gewonnen hatte, gab ihr ein wohliges Gefühl.

Mit diesem guten Gefühl stand sie auf und ging zu ihrem großen Schreibtisch. Das Büchlein war noch genau da, wo sie es gestern hingelegt hatte. Ehrfürchtig strich sie erneut über den Einband. Das kleine Ding hatte sie in dem Traum gerettet, konnte es sie vielleicht auch im echten Leben retten? Nein, das wäre nicht möglich, was sollte das alte Buch schon verändern?

Sie packte das Buch in ihren Schulranzen und zog sich einen ihrer Lieblingshoodies an. Einen flauschigen schwarzen ohne jegliches Motiv, dieser sorgte immer dafür, dass sie ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit hatte und auch wenn er ihr eigentlich viel zu groß war und ihre zierliche Figur in ihm verschwand, liebte sie es, ihn anzuziehen. Zu guter Letzt zog sie noch eine einfache Jeanshose an und band ihre langen dunkelbraunen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. Nachdem auch das erledigt war, machte sie sich Frühstück und ging in die Schule. In der Schule angekommen, wartete ihr größter Albtraum schon auf sie.

»Na Liara, wie hat dir unser kleines Zusammentreffen gefallen?«, lachte er in einem widerlichen Ton.

Sie versuchte, ihn einfach zu ignorieren, und lief an ihm vorbei in das Schulgebäude, doch er wollte es nicht darauf beruhen lassen und lief ihr hinterher.

»Sag mal, gehts noch, du kannst nicht einfach weglaufen, wenn ich mit dir rede.«

So langsam platze ihr der Kragen und ihre ursprüngliche Angst rückte in den Hintergrund.

Als er sie dann auch noch am Arm gepackt hatte, war es endgültig um ihre Beherrschung geschehen und sie schrie in an:

»FASS MICH NICHT AN UND LASS MICH ENDLICH IN RUHE, DU VOLLIDIOT«

Verdutzt von ihren Worten ließ er Ihren Arm tatsächlich los, doch dass es nicht nur an ihren Worten lag, stellte sie fest, als sie sich umdrehte und geradewegs gegen einen ihrer Lehrer rannte.

»Was ist hier los?«, fragte er in strengen Ton.

Sie war zu geschockt, um Antworten zu können, doch das musste sie auch nicht, denn Tobias hatte sofort eine Antwort parat.

»Wir sind in unsere Freizeit in einer Theater-AG und dafür haben wir gerade geprobt, nicht wahr Liara?«, er sah sie auffordernd an.

Sie zögerte, sollte sie die Wahrheit sagen oder doch lieber schweigen. Es war eine schwere Entscheidung, denn wenn sie die Wahrheit sagte, hatte die ganze Sache vielleicht ein Ende, aber vermutlich würde er sie dafür umbringen. Und gestern hatte ihr gezeigt, dass er dazu imstande war. Wenn sie schwieg, müsste sie das alles noch länger ertragen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass er sie umbringen würde, war geringer. Sie haderte mit sich, was wäre besser, die Wahrheit oder doch die Verschwiegenheit?

Sie entschied sich fürs Schweigen, denn wer weiß, was er sonst gemacht hätte.

Stumm nickte sie.

»Gut, dann jetzt ab in eure Klasse, der Unterricht hat schon vor zwei Minuten angefangen und ihr«, er zeigte auf die ganzen Schüler, welche um die beiden herumstanden, »geht jetzt auch endlich in eure Klassen!«

Während des Unterrichts warf ihr Tobias immer wieder böse Blicke zu welche, sie jedoch versuchte zu ignorieren. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, nicht in Tränen auszubrechen. Was hatte sie nur getan, er würde diese Aktion nicht auf sich sitzen lassen, da war sie sich sicher und wie er es ihr heimzahlen würde, wollte sie sich gar nicht ausmalen.

Als die Schule dann endlich geschafft war, möchte sie nur noch nachhause und sich in ihr Bett legen, doch da hatte er etwas dagegen. Sie war noch nicht einmal richtig aus dem Gebäude, da zog er sie auch schon mit sich. In einer abgelegenen, dreckigen Ecke blieb er abrupt stehen, sodass sie vor ihm auf den Boden fiel.

»Ja jetzt liegst du wieder vor mir und kannst dich nicht wehren, was hast du dir überhaupt dabei gedacht, mich anzuschreien?«

Sie wusste nicht, was sie antworten sollte, und starte ihn nur verängstigt an.

»Ach, was hat es dir jetzt die Sprach verschlagen, vorhin konntest du doch auch so toll reden.«

Als sie auch darauf nicht antwortete, trat er ihr hart in die Seite.

»HALLO ICH REDE MIT DIR!«

Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Also versuchte sie, aufzustehen, doch da hatte sie die Rechnung ohne Tobias gemacht, welcher mit einem harten Tritt, dafür sorgte, dass sie liegen blieb. Er holte ein Messer aus seiner Tasche und fuchtelte vor ihrer Nase damit herum.

»Es tut mir leid, okay, ich mache es nie wieder«, flüsterte sie völlig verängstigt.

»Oh, das will ich auch hoffen, aber damit du dir das auch merkst, werde ich dir zeigen, was passiert, wenn du dich nicht daranhältst.«

Sie schaute ihn mit großen Augen an und versuchte verzweifelt, erneut aufzustehen, doch wieder schubste er sie zu Boden.

»Bitte es tut mir doch leid.«

»Nein, du hattest deine Chance und hast es vergeigt!«

Er holte aus und schlug ihr hart ins Gesicht, ehe er mit dem Messer einmal über ihren kompletten Arm zog.

Von Schmerzen geplagt, krümmte sie sich auf dem Boden zusammen. Ein letztes Mal tritt er ihr hart in die Rippen Gegend, ehe er endlich verschwand und sie durchatmen konnte.

Allerdings klappte das Durchatmen nicht besonders gut, da jedes Einatmen und Ausatmen immens wehtat und dafür sorgte, dass sie immer weniger Luft bekam. Mit letzter Kraft robbte sie sich zu ihrer schwarzen Schultasche und wählte den Notruf. Als am anderen Ende der Leitung eine Stimme ertönte, brachte sie nur vier kleine Buchstaben über ihre Lippen: »Hilfe«, dann wurde alles um sie herum schwarz.

Als sie das nächste Mal aufwachte, lag sie in einem sterilen, weißen Bett und im Raum um sie herum war nur das konstante Piepen eines EKG-Gerätes zu hören. Verwirrt darüber, was passiert war, schaute sie sich um Raum um. Wie war Sie bitte in ein Krankenhaus gekommen und warum tat ihr Brustkorb so verdammt weh?

Wie durch einen Blitzschlag fiel ihr plötzlich alles wieder ein. Sie war in der Schule gewesen und dann die Sache mit Tobias, sie hatte den Notruf gewählt, doch dann war alles schwarz gewesen. Angst ergriff sie, sie hatte sich gegen ihn gewehrt und er hatte ihr gezeigt, was passiert, wenn sie sich wehrte. Was, wenn er etwas davon mitbekam, dass sie im Krankenhaus war, das wäre die perfekte Stelle, um sie endgültig zu beseitigen.

Ehe sie länger darüber nachdenken konnte, öffnete sich die Tür und ein Mann mit langem weißem Kittel kam herein.

»Hallo, ich bin Doktor Müller, freut mich zu sehen, dass Sie wach sind. Können Sie sich erinnern, was passiert ist?«, sie schaute den Arzt skeptisch und voller Panik an und nickte.

»Gut, ich denke mal, sie wollen mir nicht erzählen, wie das passiert ist, deshalb belassen wir es dabei, heute Nachmittag werden noch zwei Polizisten kommen, bei denen sie dann eine Aussage machen müssen. Sie haben zwei gebrochene Rippen, wobei eine in ihre Lunge gedrückt hat, dadurch kam es zu einem Pneumothorax, das heißt, es ist Luft in den zwischen Raum der Brustwand und ihrer Lunge gekommen, dies war auch der Grund, weshalb sie so schlecht Luft bekamen. Wir haben das Ganze im OP gerichtet, sodass es eigentlich gut verheilen müsste. Ihre Wunde am Arm wurde genäht und ihre Nase haben wir vorübergehend geschient, sie ist jedoch nicht gebrochen, sondern nur verstaucht, da haben sie wirklich Glück gehabt. Falls sonst noch etwas sein sollte oder sie Schmerzen haben, drücken sie einfach den roten Knopf neben ihrem Bett«

So schnell, wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden und sie war erneut auf sich allein gestellt.

Sie starrte eine Weile an die Wand und dachte über alles Mögliche nach, es war schwer zu begreifen, was die letzten 24 Stunden geschehen war und so langsam wurde ihr auch das ganze Nachdenken zu viel. Also schaute sie sich im Raum um und ihr Blick fiel auf ihre Schultasche.

Vorsichtig versuchte sie aufzustehen und ging so langsam, wie nur möglich zu ihrem abgenutzten Ranzen und öffnete diesen. Dort nahm sie das alte Notizbuch heraus und legte sich wieder auf ihr Bett, anschließend begann sie darin zu lesen.

Die nächsten Stunden bekam sie gar nicht richtig mit, sie verschlang Geschichte für Geschichte, Notiz für Notiz und hörte erst damit auf, als es an der Tür klopfte. Schnell legte sie das Buch unter ihre Bettdecke und bat die Person herein. Zwei ihr unbekannte Personen in Polizeiuniform betraten das Zimmer und legten einen mitleidigen Blick auf. Das verriet ihr, dass sie vermutlich doch ziemlich mitgenommen aussehen musste. Der Kleinere der beiden begann die Befragung und stellte Fragen über alles Mögliche, wie sie hieß, wie alt sie wahr und in welcher Klasse sie war. All diese Fragen beantwortete sie, ohne zu zögern, doch als er die Frage stellte, wer ihr das angetan hatte, musste sie kurz schlucken, sollte sie die Wahrheit sagen und würde das alles verändern oder würde es ihr Leben für immer zerstören?

Sie steckte in dem gleichen Zwiespalt wie schon einige Male zuvor, doch war sie sich diesmal sicher, dass wenn sie nicht die Wahrheit sagen würde, war sie so gut wie Tod. Aber wäre es anders, wenn sie die Wahrheit sagen würde? Sie bemerkte, wie ihre Hände zu zittern begannen, und legte sie deshalb schnell unter die Decke. Dort spürte sie das alte Büchlein und begann über den Einband zu fahren, sie dachte an ihren Traum und was das kleine Buch schon alles erlebt und durchgemacht hatte und genau das gab ihr den Mut endlich mit der Wahrheit herauszurücken.

Mit zitternder Stimme beantwortete sie seine Frage: »Tobias Berg, er geht in meine Klasse.«

»War es das erste Mal, dass er sie angriffen hatte oder kam dies schon öfter vor?«

»Es war nicht das erste Mal, er tat es fast täglich, mal mehr, mal weniger.«

»Gut, ich denke, das reicht erst mal, haben sie irgendwelche Beweise?«

Sie sah den Rundlichen der beiden Polizisten fassungslos an, war es nicht genug Beweis, dass sie im Krankenhaus lag. Der Polizist erklärte ihr, dass er ohne Beweise, Tobias nicht festnehmen dürfe, und verabschiedete sich mit den Worten: »Wir werden, nach Beweisen suchen, das verspreche ich.«

Nachdem die beiden Polizist wieder gegangen waren, bemerkte sie, wie sie durch das ganze Chaos in ihrem Kopf langsam müde wurde und es dauerte nicht lang, da war sie auch schon eingeschlafen.

Den nächsten Tag verbrachte sie im Bett und redete mit ihren Eltern, welche sie Besuchen kamen. Als auch diese wieder gegangen waren, kehrte wieder Langweile bei ihr ein und als plötzlich die Tür schwungvoll aufgerissen wurde, erschreckte sie sich fast zu Tode.

In der Tür stand kein Geringerer als Tobias, welcher die Tür wieder schloss und im Stechschritt auf sie zukam.

»DU SCHLAMPE, WAS FÄLLT DIR EIN MICH EINFACH ZU VERPETZEN, DAS WIRST DU NOCH BEREUEN.«

Sie wurde von einer übermächtigen Panik gepackt, so wütend hatte sie ihn noch nie erlebt, er würde sie umbringen, da war sie sich sicher. Sie überlegte fieberhaft, was sie tun könnte, um zu überleben, also drückte sie unauffällig den Notfallknopf und hoffte, dass die Rettung nicht zu spät käme.

Er kam auf sie zu und gab ihr eine heftige Ohrfeige. Das war der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte und ehe sie genau realisieren konnte, was genau sie da tat, richtete sie sich so gut es ging auf und brüllte ihm ins Gesicht:

»DU ARSCH DU MACHST MIR MEIN LEBEN ZUR HÖLLE UND JETZT BESCHWERST DU DICH DAS ICH DICH VERPETZT HABE, DAS HAST DU DIR SELBST EINGEBROCKT, ALSO MUSST DU JETZT MIT DEN KONSEQUENZEN LEBEN«

Er reagierte blitzschnell und begann sie zu würgen. Sie brach in völlige Verzweiflung aus, was sollte sie nur tun, ihre Luft wurde immer knapper und sie hatte keine Kraft, ihn wegzudrücken. Panisch suchte sie mit den Händen ihre Umgebung ab und bekamen das alte Notizbuch zu packen, ohne lange darüber nachzudenken, schlug sie es ihm kräftig auf den Kopf. Er taumelte zurück, jedoch kam er in derselben Sekunde mit hochrotem Kopf erneut auf die zugestürmt. Genau in dem Moment knallte die Tür gegen die Wand und zwei bewaffnete Polizisten stürmten auf Tobias zu. Sie zerrten ihn von ihr weg und sorgten dafür, dass er wenige Sekunden später mit eisernen Handschellen auf dem Boden lag.

Bevor die Polizisten ihn herausführten, drehte er sich noch einmal zu ihr um: »Du hast es nicht anders verdient, alles, was ich dir angetan habe, war gerecht.«

Mit diesen Worten wurde er endgültig aus ihrem Leben gebracht. Erleichterung machte sich in ihr breit, sie hatte es geschafft, all diese Angst hatte endlich ein Ende und sie brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen, dass er sie jeden Moment umbringen würde.

Die nächsten paar Tage waren immer gleich, ihre Eltern kamen sie besuchen und sagten ihr, wie leid es ihnen tat, dass sie nichts von all den Problemen mitbekommen hatten, der Arzt verabreichte ihr immer wieder Schmerzmittel und die Schwestern zwangen sie dazu, genug zu essen. An einem Tag kam noch einmal der nette Polizist zu ihr und sagte, dass er durch das Spektakel mit Tobias genug Beweise hatte und er jetzt für mindestens acht Jahre in den Knast gehen würde. Ein Gefühl der Genugtuung breitete sich in ihr aus, er hatte endlich die gerechte Strafe erhalten und würde sie nicht mehr zerstören können, nicht psychisch und auch nicht körperlich. Somit war das Problem vorerst für sie gelöst, was nach den acht Jahren passieren wird, wird die Zukunft verraten und darüber wollte sie sich im Moment auch keinerlei Gedanken machen.

Als endlich der Tag der Entlassung gekommen war, wusste sie schon ganz genau, was das Erste sein wird, was sie, sobald sie zu Hause war, erledigen würde. Direkt nachdem sie zu Hause angekommen war, zog sie sich ihre Lieblingssneaker an, steckte das Notizbuch in ihre Tasche und ging in den Park. Dort machte sie sich auf direkten Weg zu ihrer Lieblingsbank und ließ sich auf dieser nieder. Sie nahm das wunderschöne Notizbuch und einen blauen Kugelschreiber aus ihrer Tasche und betrachtete es ein letztes Mal.

15. August 2018

Danke, dass du mir geholfen hast, aus meinem schwierigen Leben auszubrechen, und mir den Mut, die Hoffnung und Zuversicht gegeben hast, mich meinen Problemen zu stellen und dafür zu sorgen, dass sich alles zum Guten wendet. Noch dazu hast du mich davor bewahrt von einer sehr bösen Person erwürgt zu werden und dafür werde ich dir auf ewig dankbar sein.

Ich möchte, dass wer auch immer das gerade liest, sich immer genau daran erinnert. »Mit ein bisschen Mut und Kraft kann man es schaffen, seine Probleme zu besiegen, man muss nur beginnen an sich selbst zu glauben, Hilfe anzunehmen und für seine Ziele zu kämpfen.«

Mit diesen Worten schließt sie ein letztes Mal das kleine Notizbuch, legt es auf die Bank und geht in ihr neues Leben. 

Valerie

Valerie18090


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