1973 | Vergessene Weisheiten

Page, Arizona.

Seit Tagen kletterte das Thermometer über die einhundert Grad Marke, der laue Wind fühlte sich an wie ein Heißluftgebläse; am Himmel entdeckte sie nichts als das langweilige Azur, das an Intensität abnahm, je mehr sie den Blick zum flimmernden Horizont hin senkte. Kleine Schweißperlen folgten der Schwerkraft über ihren Hals bis zum Saum ihres grünen Tanktops, wo sie aufgesogen wurden und die Farbe des Stoffes verdunkelten.

Izzy war müde. Müde von der Warterei, müde vom Fußmarsch, müde von der drückenden Hitze, die am Straßenrand durch den Asphalt noch verstärkt wurde. Der Highway 89 nach Süden war früher zu dieser Jahreszeit jeweils von Touristen stark befahren gewesen, sodass es am Stadtrand von Page regelmäßig zu Verkehrsstaus gekommen war, doch das war früher. Nun, während der Erdölkrise, lag die breite Straße grau und leer vor ihr, zu beiden Seiten eroberte die Natur sich ihr Terrain zurück, der Belag war aufgerissen und spärliches Gras wuchs hervor.

Die Siebzehnjährige klaubte ein T-Shirt aus ihrem Rucksack und band es sich als Kopfbedeckung um. Ihr langes, schwarzes Haar verstaute sie dabei unter dem Shirt, damit der Nacken frei wurde und trocknen konnte. Seit vielen Stunden wartete Izzy nun auf einen Bus, der vielleicht nie kommen würde. Diesel war knapp, viele Buslinien mussten bereits eingestellt werden, doch insgeheim hoffte sie, die wichtige Verbindung nach Flagstaff würde noch bedient.

War es vielleicht doch keine so gute Idee, von zu Hause auszubüxen? Andererseits: Was konnte die ›Homebase‹, wie Vater das Zuhause immer nannte, ihr noch bieten? Der Vater war ständig betrunken, seit er kein Benzin mehr verkaufen und dadurch die Raten für die Werkstatt nicht mehr bezahlen konnte. Die Mutter verdiente mit ihrem Tankstellenshop auch nichts mehr, weil die Touristen ausblieben. An Studium war mitten im Nirgendwo nicht mehr zu denken. Da schien der Weg an die Küste, dorthin wo es noch Leben gab, die einzig sinnvolle Alternative zu ›Toni's Gas-Heaven‹ zu sein. ›Benzinhimmel‹ - wäre die Situation nicht derart traurig, könnte Izzy über den Namen von Vaters Werkstatt lachen.

Auf einmal konnte sie ein Motorengeräusch hören; einen Diesel, denn Izzy kannte sich mit Motoren aus. Tatsächlich näherte sich ein Greyhound, der wie ein außerirdisches, grau glänzendes Ungetüm langsam über die Ebene kroch, auf der Suche nach Futter, gefährlich knurrend. Doch das Mädchen freute sich, der Sound des mächtigen Motors klang wie Musik in ihren Ohren. Sie schnappte sich ihren Rucksack, stellte sich an den Straßenrand und begann zu winken. Der Bus stoppte, die Tür schwang auf. Ein schwitzender, dunkelhäutiger Mann in fleckiger Uniform grinste ihr entgegen.

»Na, junge Dame, wo soll es denn hingehen?«

»Fahren Sie bis Los Angeles?«, fragte Izzy, bereits ahnend, dass ihre Frage verneint werden würde.

Der Mann hörte auf zu lächeln. »Nein. Fernfahrten sind nicht mehr. Nur bis Flagstaff, leider, ... wenn der Sprit reicht.« Die letzten Worte murmelte er bloß noch.

»Flagstaff ist schon mal gut.« Izzy bezahlte den Fahrer und drängte sich durch die Sitzreihen nach hinten. Außer ihr saßen bloß noch vier weitere Fahrgäste im Bus. Ein Touristenpaar mit mächtigen Rucksäcken, eine alte Frau und ein junger Kerl im Anzug, kaum älter als sie selbst, der eine Aktentasche neben sich auf den Sitz gestellt hatte. Izzy setzte sich ganz nach hinten und machte es sich auf der durchgehenden Sitzreihe bequem. Der Bus ruckelte los.

Draußen vor den Fenstern zog die rötliche Landschaft der Canyonlands vorbei. Touristenmagnet, wie Vater den Südwesten der USA zu nennen pflegte, bevor der Whiskey aus Kentucky seine Zunge zu lähmen begann und seine Hirnzellen vernebelte. Izzy vermisste die Stunden in der Werkstatt mit ihrem Vater; sie vermisste das Schrauben an den alten Schmuckstücken aus den Fünfzigern, aus einer Zeit, wo das Benzin noch wenige Cent für eine Gallone gekostet hatte. Das orange Signet mit der blauen 76 drauf erinnerte an jene Zeit, in welcher Benzin, ganz ähnlich wie Grundnahrungsmittel, im Überfluss vorhanden gewesen war. Heute kletterten die Preise täglich höher, Privatpersonen durften sich nur eine begrenzte Menge Benzin kaufen und der motorisierte öffentliche Verkehr war, sehr zur Freude der Bahnlinien, eingeschränkt.

Izzy hoffte, in Flagstaff auf den Zug umsteigen zu können. Zufrieden legte sie ihren Rucksack unter den Kopf und döste ein. Schon nach kurzer Zeit erwachte sie aus ihrem Halbschlaf. Sie spürte, dass der Bus noch rollte, aber Motorengeräusch konnte sie keines mehr ausmachen. Dann hielt der Bus an. Die Feststellbremse zischte.

»Leute, Pech gehabt. Endstation. Der Sprit hat nicht gereicht. Tut mir echt leid, wir haben es versucht.«

Die Touristen lachten. »Alles cool, Kumpel. Da kannst du nichts dafür. Das ist ein Abenteuer! Dann heißt es wohl: trampen! Wie weit noch bis Flagstaff?«

»Schwer zu sagen, siebzig Meilen vielleicht. Wir sind irgendwo zwischen Page und Tuba City Junction. Da drüben«, er zeigte nach Osten, »müsste der Flughafen von Tuba City liegen. Ich könnte versuchen, da hinzugehen, und nach etwas Diesel zu fragen, damit wir wenigstens bis in die Stadt fahren könnten.«

Die Touristen blickten noch immer fröhlich in die Gesichter der Leidensgenossen. Offensichtlich handelte es sich um Abenteuer-Reisende, schloss Izzy daraus. ›Outdoor-Hippies‹, wie Vater sie nannte.

»Und was sollen wir unterdessen hier tun?«, fragte der junge Mann im Anzug.

»Es gibt einen Trading Post der Navajo, der liegt ganz in der Nähe. Dort können Sie bestimmt kalte Getränke kaufen«, erklärte die alte Frau ruhig. »Ich gehe dorthin und warte auf Sie.« Es war Izzy, als blickte die Frau zu ihr. »Dass Sie ja daran denken, mich wieder aufzuladen, junger Mann.« Dabei blickte sie deutlich den Busfahrer an und Izzy bemerkte, sich in ihrer Wahrnehmung getäuscht zu haben. Der Mann nickte und schwitzte.

»Wir kommen mit Ihnen zum Flugfeld. Vielleicht nimmt uns ein Frachtflugzeug mit oder es gibt eine Touristenmaschine, die noch Sprit hat.«

»Geht in Ordnung. - Mister? Was tun Sie?«

»Ich bleibe hier beim Bus und warte. Das darf doch alles nicht wahr sein!« Der Schlipsträger wirkte verärgert.

Izzy blickte die Leute an und grinste. »Ich bleibe auch hier. Jemand muss den Bus bewachen, denke ich.

Der Fahrer nickte erneut, mit einem Tuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Die Touristen schnallten sich ihre Rucksäcke auf und folgten dem Fahrer nach draußen. Zwei bunte Taschen mit Beinen, die sich zwischen den Sitzreihen nach vorne schaukelten. Ihnen folgend, amüsierte sich Izzy bei dem Gedanken an einen grünen und einen orangefarbenen Mondastronauten; denn so sah es irgendwie aus. Ihr eigener kleiner Rucksack rutschte hinter ihr zu Boden.

Die Hitze war draußen angenehmer, trockener, die frische Luft tat gut, obwohl sie heiß war. Der Busfahrer öffnete ein Gepäckfach im hinteren Teil des Buses und zog zwei blecherne, graue Kanister heraus. Der hohle Klang bestätigte: Sie waren leer. Danach schloss der Fahrer die große Klappe wieder und stellte sich, die zwei Kanister schleppend, vor Izzy.

»Ich vertraue dir. Frag mich nicht, warum; es ist einfach so. Hier sind die Schlüssel für den Bus. Wenn ihr weggeht, schließ ihn bitte zu, versprochen?« Er stellte einen Kanister in den Straßenstaub und reichte ihr seinen Schlüsselbund.

Sie staunte nicht schlecht, griff nach den Schlüsseln und lächelte den Mann an. »Aber sicher, du kannst mir vertrauen; deine Schlüssel sind bei mir gut aufgehoben. Wie heißt du eigentlich? Ich bin Izzy.«

»T.J. - freut mich.« Sie reichten sich die Hand. »Steht für Theo Joe«, fügte er lachend an, »aber T.J. klingt besser.«

»Ich hoffe, du findest Diesel, T.J.«, lachte sie.

Der Fahrer wies den Touristen den Weg, dann trotteten sie los, überquerten die Fahrbahn in Richtung Osten. Izzy stellte sich in den Schatten und blickte der kleinen Wandergruppe nach. Sie hoffte, der Busfahrer möge erfolgreich sein. Plötzlich spürte sie einen Menschen nah bei sich stehen und drehte den Kopf. Dicht neben ihr stand die Alte und lächelte.

»Du bist ein kluges Mädchen.«

»Wie bitte? Sie kennen mich nicht - wie kommen Sie darauf?«

Völlig überraschend legte die Frau ihre rechte Hand Izzy auf die Stelle über der Brust, wo das Herz lag. »Ich spüre es - hier!« Izzy war so überrascht, sie ließ es geschehen, blickte auf die Hand, dann der Frau wieder in das zerfurchte, vom Wetter und vom Leben gezeichnete Gesicht und direkt in die graublauen Augen. Sie begriff nicht, was hier gerade geschah.

»Du bist auf einer großen Reise, willst nach vorne gehen. Doch sei auf der Hut. Um nach vorne sehen zu können, musst du hinter dich blicken.« Die Frau nahm ihre Hand von Izzys Körper weg, drehte sich um und ging in Richtung Süden, der Straße folgend, weg.

»Die spinnt doch.«

Izzy drehte sich zum Sprecher, es war der Schlipsträger aus dem Bus. »Sag sowas nicht; du kennst sie nicht.«

»Du etwa?« Der junge Mann trat aus dem Bus, in der Hand hielt er seine Tasche.

Izzy musterte ihn. Er war attraktiv, besuchte offensichtlich ein Fitnessstudio und achtete auf seine Ernährung. Er war wenig größer als sie selbst; seine Augen verrieten ihr, dass er nicht das Arschloch war, als das er sich aufführte. Sie ärgerte sich darüber, einen solchen Körper in einen Anzug zu stecken. Plötzlich lächelte er, auf der Wange bildeten sich Grübchen.

»Zufrieden mit dem, was du siehst?«

Voll erwischt, dachte Izzy und murmelte eine halbherzige Entschuldigung. »Und du?«, gab sie indessen schnippisch zurück.

»Hm, geht so.« Sein Gesichtsausdruck erinnerte Izzy an den Moment, wo sie morgens einen Schluck Milch nahm und feststellen musste, dass sie sauer war.

»Ach, halt doch die Klappe!« Beleidigt verschränkte sie die Arme und drehte sich von ihm weg; er lachte. Schnippisch blickte sie über ihre Schulter und blickte ihn kampflustig an. »Bist du nicht etwas unpassend angezogen; so in der Wüste?«

Langsam zog er sein Sakko aus und sie stellte fest, dass ihr das gefiel. »Darf ich meinen Hut auflassen?«

»Welchen Hut?«, fragte sie, obwohl sie den Wink zu Joe Cockers Song durchaus verstand und ihn sofort im Ohr hatte. Nicht durchdrehen, sagte sie zu sich selbst - er ist nur ein Kerl. »Wie heißt du eigentlich?«

»Frederic, aber alle nennen mich Rico.« Er setzte sich neben dem Bus in den Schatten und krempelte die Hemdsärmel zurück. Seine Tasche stellte er neben sich, legte das Sakko sorgsam drauf.

»Ich bin Izzy.« Sie setzte sich in einigem Abstand neben ihn in den Staub, lehnte sich an den Bus. »Schöne Scheiße, in die wir hier geraten sind.«

»Hm, ja, stimmt. Wo wolltest du hin?«

»Nach L.A. - Und du?«

»Auch. Ich sollte nächste Woche wieder im Büro sein.«

»Was arbeitest du?« Izzy erwartete als Antwort sowas wie ›Banker‹ oder ›Versicherungsangestellter‹.

»Ich bin Journalist.«

»Echt? Siehst nicht aus wie einer.«

»Wie sehen die denn aus, deiner Meinung nach?«

»Jeans, Baumwollhemd, lange Haare, John Lennon Brille - eher so halt.«

Er lachte. »Ich bin in Iowa aufgewachsen, auf einer Farm. Als ich den Job bei einer Zeitung bekam, wollte ich alles sein, bloß kein Farmer mehr. Nie wieder karierte Baumwollhemden! - Woher kommst du?«

»Page.« Sie zeigte mit dem Daum in die Richtung, aus welcher sie gekommen waren, und er grinste.

»Hast es nicht weit gebracht.« Er blickte sie an, ihre goldbraunen Augen, ihr langes, schwarzes Haar, das ihr über die Schulter bis zur Brust fiel. »Was wolltest du in L.A.?«

»Ich bin in ähnlicher Mission unterwegs wie du. Weg. Neuanfang. Ich würde gerne studieren, Geschichte, muss aber davor noch etwas Geld verdienen. Mein Vater hat eine Tankstelle, er verdient nichts mehr, seit es kein Öl mehr gibt.« Dass er seitdem nur noch Alkohol trank, verschwieg sie traurig.

Rico nickte, sagte aber nichts. Ein schwacher Windstoß ließ ein verdorrtes Grasbüschel vorüberrollen. Izzy hatte Durst. Sie erinnerte sich an die Wasserflasche, welche sie in den Rucksack gepackt hatte, bevor sie den Tankstellenshop verlassen hatte. Langsam stand sie auf und kletterte in den Bus; im Rücken fühlte sie, dass Rico sie beobachtete und sie schmunzelte. Im Bus war die Hitze unerträglich geworden. Izzy beeilte sich. Ihr Rucksack lag am Boden, halb unter die Sitzbank gerutscht. Sie bückte sich und griff danach, doch ein Bändel hatte sich verhakt. Izzy zog ruckartig, der Bändel löste sich, und ein braunes Etwas fiel zu Boden. Izzy legte ihren Rucksack auf einen Sitz und griff neugierig nach dem Gegenstand.

Es war ein Buch, in Leder gebunden, vergilbte Seiten, an einigen Stellen eingerissen und doch sorgsam verschnürt. Als habe sie gerade einen wertvollen Schatz gefunden, betrachtete Izzy das Buch, drehte es nach allen Seiten. Sie roch daran. Diesel, Bibliothek, Tinte, Leder, Staub - es erinnerte sie an die alten Werkstattbücher im kleinen Büro ihres Vaters und eine Träne bildete sich in ihrem rechten Auge; sie wischte sie weg. Izzy schnappte ihren Rucksack und verließ den Bus. Rico lehnte mit geschlossenen Augen am Bus, sein Hemd hatte er inzwischen zur Hälfte aufgeknöpft, den Schlips auf das Sakko gelegt.

»Schau mal, was ich gefunden habe!«

»Diesel?« Rico blieb regungslos sitzen.

»Ein Buch! Es lag unter meinem Sitz.«

»Du meinst ›hinter‹ deinem Sitz.«

»Was? - Wieso?«

»Die Alte! Hast du ihr nicht zugehört? - Keiner hört mehr zu heutzutage«, murmelte er, noch immer regungslos dasitzend.

Izzy versuchte sich an die Worte der alten Frau zu erinnern. »Sie faselte etwas von ›zurückschauen‹ und ›vorwärts gehen‹, glaube ich.«

»Um nach vorne sehen zu können, muss du hinter dich blicken. - Das hat sie gesagt. Das Buch lag infolgedessen hinter deinem Sitz.«

»Wills du damit andeuten, die Alte wusste davon?« Izzy verstand nichts mehr und begann sich über den eingebildeten Kerl zu ärgern, der so desinteressiert am Bus lehnte.

»Jap, genau das.«

»Kannst du mich bitte mal etwas ernster nehmen und mich wenigstens anschauen, wenn du solche Weisheiten von dir gibst?« Ihre Stimme war lauter, als sie es beabsichtigt hatte. Der Kerl machte sie nervös.

Er öffnete die Augen und fixierte sie. »Setz dich. Lass uns das Buch ansehen, das du gefunden hast.«

Vorsichtig löste Izzy das edel anmutende Band und schlug den ledernen Buchdeckel auf. Rico schaute ihr sehr interessiert zu, dann und wann auf ihr Dekolletee abschweifend.

»Hey - die interessanten Dinge sind hier auf Papier, nicht unter dem Stoff«, machte sich Izzy über ihn lustig.

»Wie man's nimmt - sieht beides vielversprechend aus«, er zwinkerte ihr zu und sie spürte eine neue Hitze in sich aufsteigen.

»Sieht aus wie eine Art Tagebuch«, stellte er fest. Sie drehte vorsichtig eine Seite nach der anderen um.

»Es scheint auf jeden Fall alt zu sein; Schau, hier steht eine Jahrzahl: 1955.«

Rico starrte fasziniert auf das Buch. »Gibt es einen Hinweis, wem es gehören könnte? Vielleicht der alten Frau?«

Izzy blätterte weiter. »Nein, Namen sehe ich bisher keine. Aber es scheint, als habe immer jemand anderer geschrieben. Schau, hier fehlen auch einige Seiten.« Sie zeigte ihm eine Stelle, wo deutlich Seiten herausgerissen worden waren.

Seine journalistische Neugier war geweckt. Er lehnte sich näher zu ihr und las im Buch. Die Hitze in ihrem Körper nahm zu.

»Warte mal«, er legte seine Hand auf eine Seite und hinderte sie am Weiterblättern. »Siehst du auch, was ich sehe?« Auf einmal schien er nervös zu sein.

»Eine undefinierbare Zeichnung, ja. Und daneben steht eine Zahl; 51. Meinst du das?«

»Genau das, Izzy. Area 51 - und die Zeichnung könnte eine Skizze von dem Alien sein.«

Izzy schloss das Buch und schubste Rico von sich weg. »Area 51? Echt jetzt? Sag bloß, du glaubst den Unsinn.« Sie lachte ihn aus.

»Ich meine ja nur. Ich bin schließlich Journalist, vergiss das nicht.«

»Und hier«, sie schwenkte das Buch, »witterst du deine Story für den Pulitzer-Preis?«

»Halt die Klappe, Garage-Girl!«

»Ooh, Angriff! Ich habe das Buch gefunden, Mister Pulitzer. Also ist es mein Buch. Ich entscheide, ob du darin lesen darfst, oder nicht.«

»Komm schon, es interessiert dich doch auch. Die Alte - was meinte sie mit ihren Worten? Lass uns nachsehen.«

Vorsichtig öffnete Izzy das Buch wieder, doch absichtlich an einer anderen Stelle. Plötzlich ließ sie es fallen, als habe das Buch sie gebissen.

Rico schreckte zurück. »Was hast du denn? Bekommt dir die Hitze nicht. Izzy, du machst mir Angst!«

Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, panisch.

»Da steht mein Name drin ...«, stammelte sie zitternd.

»Dasch eh meina metrinn? - Was soll denn das heißen?«

»Mein Name, Rico! Da steht mein Name drin! In diesem Buch!«

Er nahm das Buch vom Boden auf und öffnete es an ungefähr der Stelle, wo sie es hat fallen lassen. Einige Seiten musste er noch weiterblättern, dann konnte auch er es deutlich lesen: IZZY MCMLXXIII. Rico legte den Zeigefinger zwischen die Seiten, schloss das Buch und blickte sie an. »Wow!«

Izzy nahm einen Schluck Wasser und reichte Rico die Flasche, welche er dankend annahm. Über ihnen flog ein Kleinflugzeug vorbei, das einzige Geräusch weit und breit.

»Und was bedeuten die Buchstaben hinter deinem Namen? Vielleicht bist gar nicht du gemeint; es gibt viele Izzys in den USA.«

»Für einen Journalisten bist du ziemlich ungebildet, Iowa-Farmer.« Offensichtlich hatte sie sich wieder beruhigt.

»Ey, das war jetzt gemein. Sag schon, was bedeutet das?« Er öffnete das Buch wieder.

»Das ist eine Jahrzahl, in Römischen Schriftzeichen: 1973 - zweifelst du immer noch daran, es könnte hier nicht um mich gehen?«

»Ich werd verrückt! - Wir sollten die Alte finden.«

»Schau her, diese Zeichen unterhalb meines Namens kann ich nicht lesen. Es sind offensichtlich Schriftzeichen der Natives.«

»Hat die Alte nicht gesagt, sie warte in einem Navajo Trading Post?«

Izzy schaute Rico ängstlich an. »Du meinst, wir sollten hingehen?«

Rico nickte. Er packte seine Sachen zusammen und stieg in den Bus. Izzy schnürte das Büchlein wieder zu, legte es sorgfältig in ihren Rucksack. Dann wartete sie auf Rico.

»Was ist eigentlich in deiner Tasche, dass du sie keinen Moment aus den Augen lässt?«, fragte sie ihn, als er aus dem Bus stieg.

»Mein Stift, mein Notizblock und mein Fotoapparat. Alles, was ich zum Arbeiten brauche.«

»Kannst du T.J. noch eine kleine Notiz dalassen, damit er weiß, wo er uns finden kann, wenn er zurückkommt?«

Rico schrieb ›Trading Post with old Lady« auf einen Zettel und legte ihn hinter die Frontscheibe. So sollte T.J. wissen, wo er nach ihnen suchen müsste. Izzy verriegelte den Bus und verstaute die Schlüssel in ihrem Rucksack.

Nebeneinander marschierten sie auf dem Asphalt unter der sengenden Sonne in Richtung Trading Post.

»Warum wolltest du nicht bei deinen Eltern bleiben«, fragte Rico wie aus dem Nichts.

»Es ist schwierig genug für sie, wenn sie nur für sich schauen müssen. Ich bin alt genug, für mein Leben Verantwortung zu übernehmen.«

»Du klingst traurig. Lass mich raten: Alkohol?«

»Ja. Du kennst das?«

»Jeder in Iowa kennt das. Jeder in den unendlichen Weiten des Mittelwestens kennt das. Als Journalist will ich später darüber schreiben, das Tabu brechen, den Menschen eine Alternative bieten.«

»Hm, du bist wohl doch nicht so dämlich, wie es den Anschein hatte.« Izzy grinste ihn von der Seite an.

»Vielen Dank! Das kriegst du irgendwann zurück. Wie heißt du eigentlich richtig, ich meine, mit vollem Namen?«

»Isabella Leonora Gomez; mein Vater ist Mexikaner.«

Der heiße Asphalt flimmerte vor ihnen; was zuerst als schwaches Lichterfunkeln erschien, wurde mit jedem Schritt konkreter, solider und entwickelte sich zu einem weißen Gebäude, das etwas abseits der Straße stand. Es war ein Flachdachhaus, mit kleinen Fensteröffnungen, aus Steinen und Lehm gebaut, mit Kalkfarben gestrichen. Daneben stand ein Schuppen aus Holz, vor welchem ein in die Jahre gekommener Chevy Station Wagon und drei Pick-Ups parkten. Hinter dem Schuppen grasten einige Bisons in einem Gehege. Über dem Eingang des weißen Gebäudes kündigte ein hölzernes Schild »Native American Jewelry & Pottery« an - der Trading-Post für Kulturgüter der Natives. Über dem Gebäude hing die US-Flagge neben vielen Stammesflaggen der Natives.

Izzy und Rico betraten den Trading Post. Im Innern war es dunkel und angenehm kühl, obwohl sie nirgends eine Klimaanlage ausmachen konnten. Auf der linken Seite befand sich eine Bar mit einer Theke und einigen kleinen Tischen. Hinter der Bar leuchtete ein Getränkekühler, die blau-weiß-rote Werbung erhellte den ganzen Raum. Im Durchgang zu einem weiteren Raum flatterte ein zerrissener Vorhang. Kein Mensch war zu sehen.

Auf der rechten Seite war der Raum mit den Kulturgegenständen. Unzählige Traumfänger in allen Größen hingen von der Decke, auf wackeligen Gestellen waren gewobene Teppiche aufgehängt, auf Tischen standen die Töpferwaren oder lagen die Kettchen und Armbänder. Die vorherrschenden Farben waren Blau, Türkis, Weiß und Crème, vereinzelt etwas Rot oder Schwarz. Naturfarben.

»Da bist du ja endlich«, sagte die alte Frau, die auf einmal mitten im Raum stand; woher sie gekommen war, vermochten weder Rico noch Izzy zu sagen.

»Sie haben mich erwartet?«, fragte Izzy unsicher.

Die Alte nickte bloß. »Hast du das Buch?«

»Ja - und viele Fragen!« Izzy öffnete den Rucksack, doch die Alte griff nach ihrem Arm.

»Nicht hier. Folge mir.« Sie tippelte auf den Vorhang zu, hielt jedoch inne, als Rico ihnen beiden folgen wollte. »Du nicht, mein Sohn. Du wartest hier. Und nichts anfassen, hörst du?«

Rico blieb stehen und blickte Izzy fragend, flehend an. Sie zuckte nur mit den Schultern. »Ist wohl so ein Girls-Only-Ding, Mister Hot-Body - nicht traurig sein. Aber wenn ich schreie, darfst du mich retten kommen, okay?« Izzy tätschelte seinen Unterarm und er setzte sich beleidigt an einen der kleinen Tische in der Bar.

Lächelnd und doch etwas ängstlich schritt Izzy mit der alten Frau in den Nebenraum. Am Boden war aus verschiedenfarbigem Sand ein nahezu raumfüllendes Bild gestreut worden - ein vergängliches Kunstwerk, das ein Muster zeigte, welches Izzy im Buch hatte erkennen können. Sie zog das lederne Büchlein aus ihrem Rucksack. Die Alte wies auf ein Bisonfell am Boden, Izzy setzte sich. Erst jetzt konnte sie den Mann erkennen, der in einer Ecke des Raumes saß. Räucherstäbchen verbreiteten einen würzig-herben Geruch.

»Wir haben lange auf dich gewartet, Mondschein«, sagte die Alte. Der Mann murmelte einige unverständliche Worte auf Navajo.

»Mondschein? Ich bin Izzy«, protestierte die Jugendliche, schwieg jedoch sofort, als der Mann sie mit seinem Blick durchbohrte. Es war, als konnte er direkt in ihre tiefste Seele sehen. Izzy fühlte seinen Blick tief in ihr drin. Dann lächelte er mild und ihr wurde wohlig warm.

»Du darfst jetzt deine Fragen stellen, Mondschein. Der Chief hat dich erkannt und als seine Tochter angenommen«, erklärte die Alte.

Izzy war verwirrt. Sie legte das Buch vor sich auf das Fell. »Woher kommt dieses Buch?«

Der Häuptling murmelte wieder. »Du stellst noch die falschen Fragen, aber wir wollen dir berichten. Das Buch ist alt. Viele Weisheiten und Geheimnisse stehen darin, festgehalten für zukünftige Generationen, damit sie daraus lernen und nie vergessen.«

»Was hat das mit mir zu tun?«, fragte Izzy unsicher.

»Öffne die Seite mit den Schriftzeichen.«

Izzy tat, wie die Alte sie anwies. Sie erkannte das Muster vor sich wieder.

»Das ist der Energiekries des Lebens, mein Kind. Du bist mit deiner reinen Seele hier, um zu verstehen, um die Menschen, die unser Land und unsere Weisheit nahmen, zu unterrichten.«

»Was soll ich?«

»Scht!«, fauchte der Häuptling und fixierte sie wieder mit seinem durchdringenden Blick. Diesmal zwickte es Izzy im Rücken. Sie drehte sich um, konnte jedoch niemanden sehen. Der Chief lächelte wieder, das Zwicken hörte auf.

Die Alte deutete auf die Zeichen im Büchlein. »Sieh her: Das hier sind die Zeichen der Energie. Ich werde dir nun in einigen Schritten erklären, wie du die Lebensenergie nutzen kannst. Wenn du mir aufmerksam zuhörst, dann wirst du das Licht erkennen können.«

Die spricht in Rätseln, dachte Izzy zu sich selbst und sie fragte sich in Gedanken, ob sie nicht einfach das Buch liegenlassen und verschwinden sollte.

»Du kannst jetzt nicht gehen«, sagte die Alte leicht beleidigt und Izzy schämte sich, ertappt worden zu sein.

»Höre dem Chief zu und lerne.«

Draußen in der Bar saß Rico bei seiner dritten Flasche Süßgetränk, er sollte dringend pinkeln gehen. Doch was er leise durch den Vorhang mitbekam, war zu spannend. Eher würde er sich einnässen als diese Informationen verpassen zu wollen. Fleißig kritzelte er auf seinem Notizblock, fasste zusammen und zog seine eigenen Schlüsse. Offensichtlich war das Buch eine Art Wegweiser zu ungeahnter Energie. Die durchgeknallten Alten schienen der Meinung zu sein, nur Izzy sei in der Lage, diese Energie zu nutzen oder freizusetzen. Die seltsamen Schriftzeichen sollten eine Gebrauchsanweisung darstellen, wie man zu dieser sagenhaften, unendlichen Energie gelangen konnte. In seinen Augen leuchteten bereits die Dollarzeichen, als er begriff, dass in der Zeit einer Energiekrise solche Informationen Millionen wert waren. Er musste wieder an das Buch kommen, koste es, was es wolle. Seine Hose wurde seltsam warm. Verdammt. Dann erblickte er an der Wand ein Telefon.

»Diese Energie, Mondschein, kann alles erreichen. Sie ist deine Energie, sie ist unermesslich. Sie kann das schwarze Gold der Weißen Männer wertlos machen«, übersetzte die Alte das Gemurmel des Häuptlings.

»Ja klar«, flüsterte Izzy und wurde sofort wieder vom Blick des alten Mannes durchbohrt. »Lassen Sie das! Ich glaube Ihnen ja.«

»Genau das ist das Problem, Mondschein. Du glaubst nicht rein genug. Glaube - und du kannst Dinge tun, von denen du bisher nichts wusstest.«

»Wie den Bus herbringen, vielleicht?« Izzy glaubte an einen Scherz und wollte lachen, doch sie wurde jäh unterbrochen.

»Das ist ein sonderbarer Wunsch, aber es sollte gehen. Konzentriere dich.«

Izzy konzentrierte sich, sie gab sich die größte Mühe, fasste mit der Hand gar nach dem Schlüsselbund in ihrem Rucksack. Nichts geschah, doch Izzy hatte Angst.

»Hören Sie, was ist das hier wirklich? Ich meine, dieses Buch, dieser Ort, Sie beide? Was läuft hier? - Ich muss hier weg.« Izzy stand auf und wollte gehen, ihre Beine gehorchten ihr nicht. Die Alte trat vor sie hin und legte wieder ihre Hand auf Izzys Herz. Wärme.

»Achte auf das Buch, jetzt wo du das Geheimnis kennst. Du darfst es nicht verlieren. Menschen trachten nach dieser vergessenen Weisheit. Beschütze sie; notfalls mit deinem Leben. Bringe das Buch nach Mexiko, in das Dorf deines Vaters. Du wirst erwartet.«

Nun verstand Izzy nichts mehr. Sie schnappte sich das Büchlein, schaute noch einmal auf den Häuptling, der mit geschlossenen Augen in seiner Ecke sass, dann auf die Alte, die lächelte - und verließ fluchtartig den Raum.

In der Bar traf sie auf Rico. Ihr Blick blieb an seiner Hose hängen. »Ist es das, wonach es aussieht?«, fragte sie belustigt.

»Ich habe eine Cola verschüttet, okay? Das ist nicht witzig.« Er schien seltsam nervös zu sein.

»Komm schon, Farm-Boy, ich muss weg hier.« Dann stürmte sie dem Ausgang entgegen.

Rico hatte Mühe, ihr zu folgen. Als sie an die pralle Sonne traten, hörten sie einen Motor und sahen den Bus heranrollen. Sie rannten ihm winkend entgegen.

»T.J. - du hast Diesel gefunden! Großartig! Fahr uns weg hier, aber schnell! und warte nicht auf die Alte, sie kommt nicht.«

»Izzy, gibst du mir bitte meine Schlüssel wieder?«

Schlagartig begriff sie. »Was? Wie bist du ... Ich meine ...hier.« Sie reichte ihm den Schlüsselbund. In ihrem Kopf fuhren die Gedanken Rollercoaster. »Wie bist du hergefahren, T.J.?«

»Das ist eine komische Sache, Izzy. Also, ich kam zurück mit meinen Kanistern. Die Touristen sind mit einem Kleinflugzeug weitergeflogen. Ich habe den Bus getankt und euren Zettel gelesen. Als ich mich in den Schatten setzen wollte, um auf euch zu warten, sprang die Türe auf. Du hast sie vermutlich nicht richtig abgesperrt. Ich kletterte also in meinen Bus und setzte mich auf meinen Sitz, da merkte ich, dass der Motor ansprang. Muss wohl die Hitze gewesen sein. Stand wohl zu lange in der Sonne. Dann bin ich hergefahren. Aber jetzt bin ich froh, den Schlüssel wiederzuhaben.«

Izzy lauschte seiner Geschichte; mit einer Hand griff sie in den Rucksack und tastete nach dem seltsamen Büchlein. Wärme und ein Stechen im Rücken. Sie stieg in den Bus und setzte sich wieder ganz nach hinten. Rico setzte sich neben sie.

»Sag schon, was war da drinnen los? Warum sind wir geflohen, als ob eine Herde wilder Bisons hinter uns her ist?«

»Ich weiß es nicht, Rico. Das Büchlein gibt mir Energie. Der Text, die seltsamen Zeichen, das ist so eine Art Code, um an gewaltige Energie zu kommen. Ich muss mit dem Büchlein nach Mexiko fahren, hat die Alte gesagt. Im Dorf meines Vaters wartet ein Schamane auf mich.«

Der Bus ruckelte los.

»Ich komme mit dir. Darf ich deine Geschichte erzählen?« Rico strahlte Izzy an, sie aber schüttelte den Kopf.

»Nein, Rico, der Häuptling hat gesagt, niemand dürfe an diese Macht gelangen. Ich allein muss das tun. Du kannst nicht mitkommen. In Flagstaff trennen sich unsere Wege.«

»Ach komm schon! Ich habe dir auch geholfen. Du könntest nun etwas für mich tun.« Er schielte sie treuherzig an.

Izzy lachte, zog aber gleichzeitig ihren Rucksack näher an sich heran. Bis Flagstaff ließ sie ihn nicht aus den Augen. Als T.J. geparkt hatte, verabschiedeten sie sich. Izzy eilte in Richtung der Bahnschalter. Drei Männer in dunkeln Anzügen stellten sich ihr in den Weg. Rico holte auf.

»Mister Sutter, ist das die junge Dame?«

Rico nickte, er war etwas außer Atem. »Ja. Das Ding ist im Rucksack.«

»Du Scheißkerl! Du hast die Bullen gerufen?«

»Miss, Sie haben geheimes Regierungsmaterial gestohlen. Sie sind verhaftet. Machen Sie keinen Ärger und kommen Sie mit uns.«

Zwei Männer packten Izzy an den Armen und schleppten sie zu einem Regierungsfahrzeug. Logisch, dachte sie sich dabei, die Army und die Regierung haben natürlich genug Benzin. Rico warf sie einen vernichtenden Blick entgegen.

»Mister Sutter, danke für Ihre Dienste an unserem Land. Sie haben das Richtige getan, ab hier übernehmen wir.«

»Wie bitte? Wir hatten einen Deal! Die Exklusivstory für mich, das Buch für Sie. Ich komme mit Ihnen.«

»Nein, das tun Sie nicht. Es gibt keine Story. Wir haben eine Diebin geschnappt, Sie haben uns dabei geholfen. Die Nation bedankt sich bei Ihnen - und nun verpissen Sie sich ...wieder.« Der Mann lächelte Rico doch tatsächlich an.

Dann stießen sie Izzy in den Wagen, setzten sich dazu und brausten weg. Rico rannte noch kurz hinterher, verlor sie aber bald aus den Augen.

»Geschieht dir recht, du Verräter«, flüsterte Izzy im Wagen. »Wohin fahren wir?«

»Keine Fragen, Miss.« Sie saß zwischen zwei Männern auf der Rückbank. Ihr Rucksack lag neben dem Fahrer. Außerhalb der Stadt fuhren sie durch ein Tor in einem Zaun; es kam Izzy wie ein Gefängnis vor. Der Wagen hielt vor einem schmucklosen, grauen Gebäude, Izzy wurde herausgezerrt. Danach führte man sie in einen fensterlosen Raum. Es gab bloß einen Tisch und zwei Stühle. Den Rucksack hatte man ihr abgenommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam ein hagerer Mann mit grauem Haar herein. Er trug einen weißen Kittel, wie ein Arzt. Er setzte sich Izzy gegenüber, sagte kein Wort. Das Büchlein legte er vor sich auf den Tisch.

»Sie wissen, was hier drin steht?« Er hatte eine seltsam hohe Stimme.

»Ja, weiß ich, und ich kann es anwenden«, gab sie giftig drohend zurück.

»Ich erzähle Ihnen nun etwas, junge Dame. Ich bin Wissenschaftler, kein Polizist. Aber die anderen Männer da draußen, die können Sie einsperren, wenn Sie nicht kooperieren. Der einzige Weg hier raus sieht so aus: Sie haben keine Ahnung von einem Büchlein oder einer eigenartigen Hokus-Pokus-Energie der Indianer ...«

»Natives, Sie Idiot. Es handelt sich um Navajos - Native Americans.«

»Wie bitte?« Er blickte Izzy verwirrt an.

»Vergessen Sie es. Ich habe nichts gesagt.« Izzy senkte den Kopf.

»Und wenn Sie intelligent sind, haben Sie auch nichts gehört, nichts gesehen und Sie waren nie hier. Ich stelle Ihnen nun also noch einmal die Frage, und Sie sollten sich Ihre Antwort gut überlegen. Wissen Sie, was in diesem Buch steht?«

»Sir, ich sehe dieses Buch zum ersten Mal. Ich habe keine Ahnung, was das für ein Buch ist. Und nein, Sir, ich habe auch keine Ahnung, was darin stehen soll.« Über Izzys Wange kollerte eine Träne, als sie log.

Der Wissenschaftler drückte auf einen Knopf, die Türe wurde geöffnet und die Männer aus dem Wagen standen wieder da.

»Sie kann gehen, sie weiß nichts. Werft sie raus.«

Als Izzy auf der anderen Seite des Zaunes ausgeladen wurde, warf sie dem wegfahrenden Wagen eine Hand voll Sand hinterher.

Im Gebäude schloss der Wissenschaftler den Buchdeckel, nachdem er den Inhalt gelesen hatte; er lächelte zufrieden. Er saß am Telefon. »Sir, wir haben das Buch. Die Energie stellt keine Gefahr mehr dar. Sie können das Gesuch zur Erschließung der Naturschutzgebiete in Alaska für die Erdölförderung bewilligen. ... Ja, Sir, ich bin mir sicher. Ich halte es in meinen Händen und schließe es in diesem Moment in den sicheren Tresor.« Er legte das Buch in einen Safe an der Wand, dann schloss er die dicke Stahltür und drehte an den Verschluss-Rädern. Der Wissenschaftler verließ den Raum, als er das Telefongespräch beendet hatte.

Auf der Straße schnallte sich Izzy ihren Rucksack um. Weit über ihr zog ein Adler Kreise, sie blickte hoch und dachte an den Häuptling und an die Alte.

»Es tut mir leid, ich habe es nicht geschafft«, murmelte sie leise.

Der Safe im Gebäude sprang auf, doch das konnte Izzy nicht wissen, als sie traurig in Richtung Bahnhof von dannen trottete.

Bruno Heter

brunoheter


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