[Sechs]
,,Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle."
Albert Einstein
,,Und?"
,,Ich wandle hier umher. Ich tue nichts weiter- nur wandeln. Und ich warte."
,,Auf was?", fragte ich und gleichzeitig stellte sich mir die Frage, wer heutzutage noch das Wort ,,wandeln" verwendete.
,,Auf Dich." Das kam unerwartet. Ich weiß noch, dass ich mein Gesicht verzogen hatte. Über meinem Kopf hatte man sich ein riesiges Fragezeichen vorstellen können - das hätte meine Situation ganz gut beschrieben.
,,Wieso wartest Du auf mich? Du kanntest mich bis vor 30 Minuten nicht."
,,Naja, irgendwie doch. Entweder das, oder wir müssen etwas gemeinsam haben. Ansonsten könntest Du mich nicht sehen." Ria schien zu überlegen.Ich war total verwirrt. So verwirrt war ich noch nicht einmal im Matheunterricht. Mir war durchaus bewusst, dass ich mich nicht mehr an ihre Regeln hielt. Doch es war mir egal und außerdem schien es Ria nicht zu stören.
,,Ich versteh nicht ganz."
,,Was verstehst Du nicht?" Sie sah mich nun an.
,,Wieso sollte ich Dich nicht sehen können? Schließlich bist Du auch nur ein Mensch", antwortete ich ihrer Frage.
,,Weil ich tot bin." Ich lachte laut auf.
,,Willst Du mich verarschen?" Und anstatt auf meine ernstgemeinte Frage zu antworten, zog sie es vor, weiter zu erzählen.
,,Nicht jeder kann einen Toten sehen. Nur ganz spezielle Menschen können das."
,,Jeder kann einen Toten sehen!" Ich fühlte mich zunehmend verarscht.
,,Den toten Körper, Ja. Den Geist eines Toten aber nicht."
Ich glaubte ihr kein Wort. Aber sie war so unfassbar ernst dabei.
,,Wenn Du mir nicht glauben willst, dann nimm meine Hand."
,,Bitte?" Ungläubig sah ich sie an. Sie streckte mir ihre rechte Hand hin.
,,Du hast mich schon verstanden."
Ich streckte meine Hand in ihre Richtung und wollte ihre in meine nehmen. Jedoch fuhr ich durch diese hindurch. So, als wäre Ria nicht da, als wäre sie nicht...existent. Plötzlich wurde mir eiskalt.
Mir fuhr ein kalter Schauer über den Rücken und meine Armhaare stellten sich auf. Das war das einzige, das mich davon abhielt, zu denken, dass ich verrückt war.
Und ganz ehrlich, ich hatte Angst. Vor einem Mädchen, das behauptet, tot zu sein. Und ich hatte normalerweise keine Angst. Vorallem nicht vor einem Mädchen.
All das ließ mich zweifeln; An all das, was ich glaubte zu wissen. Ich zweifelte sogar an mich.
,,Und, glaubst Du mir jetzt?"
,,Ich werde jetzt gehen", das war das einzige, was ich antworten wollte. Ich wusste nicht, was ansonsten der Wahrheit entsprach. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte und vor allem konnte.
Ich drehte mich um und ging. Irgendwohin, nur weg von dort.
Der Boden wurde wieder weich. Ich watete weiter, bis ich irgendwann die Stelle fand, an der wir unstreffen sollten. An der die Klasse sich mit Frau Bohlters treffen und zum Bus gehen sollte. Einerseits freute ich mich, die Stelle gefunden zu haben. Andererseits auch nicht. Warum? Weil die Klasse weg war. Mit dem Bus. Und ich? Ich stand da, sah mich um und hatte eine gewisse Panik, dass ich vielleicht doch irre war. Ich stand da nun alleine. In einem Moor. Und als ich dachte, es könnte nicht mehrschlimmer kommen, stand urplötzlich dieses Mädel vor mir. Das, behauptete, tot zu sein. Na toll! Mir war zum heulen zumute. Das einzige, das ich zustande brachte, war ein hysterisches Lachen undeinen enorm verzweifelten Gesichtsausdruck.
,,Bist Du endlich fertig mit Deiner Midlifecrisis?" Sie lächelte mich an. Es war ein Lächeln, das zeigte, wie amüsant sie das ganze fand. Einen tiefen Atemzug später sah ich ihr nun in die Augen und meinte:
,,Ria. Es.Gibt.Keine.Geister!Sie existieren nicht - da kannst Du mir so viel erzählen, wie Du willst. Selbst wenn wir davon ausgehen würden, dass sie doch existieren, was bringt mir das? Wegen Dir habe ich meinen Bus verpasst!" Ich war entnervt und schüttelte energisch den Kopf.
Ria legte den Kopf leicht schief, blieb aber bei dem amüsanten Gesichtsausdruck. ,,Nun, Elias, die Frage liegt doch auf der Hand, nicht? Außerdem, wenn Du mir nicht einen Funken glauben schenken würdest, warum bist Du dann geblieben? Hmm? Du hättest den Weg zum Bus gefunden, wenn Du es gewollt hättest. Stattdessen bist Du bei mir geblieben und hast mich ausgefragt. Ganz tief in Deinem Inneren glaubst Du mir."
,,Inwiefern liegt das auf der Hand?"
,,Der Adrenalin-kick. Das ist der ausschlaggebende Punkt. Das und Deine große Neugier, die Dich ganz sicher irgendwann ins Grab bringen wird." Ich runzelte die Stirn. Wenn ich das noch öfter machen würde, so warich mir sicher, würde das Falten geben.
,,Von mir aus ist das so. Der ausschlaggebende Punkt jetzt ist aber, dass der Bus weg ist! Ich bin hier, allein. Meine Lehrerin wird ganz bestimmt nicht zurück fahren, um mich zu holen!"
,,Nein, das wird sie nicht. Da wirst Du wohl hier bleiben müssen, bis wer kommt und Dich abholt." Irgendwie schien sie sich darüber zu freuen. Ich mich nicht. Natürlich nicht.
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