[1.] Die falsche Fährte

„Hast du gestern Abend Nachrichten geschaut? Er hat wieder zugeschlagen."

„Ja, ich verstehe jedoch nicht, wieso sie ihn nicht einfach machen lassen.", sprach Nicole monoton und fragend zog Ani ihre Augenbrauen ins Gesicht.

„Du kannst das doch nicht ernsthaft gutheißen?" - „Du kennst meine Meinung, das sind alles Leute, die es verdient haben.", wimmelte Nicole ihre Unterstellung ab und setzte den roten bearbeitet Stempel auf die Akte, um diese schließlich auf den Ablagestapel zu legen.

„Ja schon, aber trotzdem ziemlich barbarisch, wenn man mich fragt." Nicole deutete mit einem Nicken auf eine weitere Akte und ohne zu zögern, gab Ani, ihre Kollegin und Freundin, ihr diese.

„Na ja, deswegen fragt der Killer gar nicht, sondern macht einfach." Gelangweilt öffnete Nicole die Akte und überflog die ersten Zeilen, als Ani erneut ihre Aufmerksamkeit erhaschte und sich gleichzeitig von ihrem Bürostuhl erhob, um zu Nicoles Schreibtisch zu laufen. Sie lehnte mit ihrer Hüfte an den dunkelbraunen Tisch und schielte zu Nicole hinunter. Fragend sah diese zu ihrer Freundin auf und starrte schließlich ins Leere.

„Ich stelle mir nur immer vor. Was wäre, wenn eine gewisse Person in solch einer Falle stecken würde? Ich kann nicht behaupten, dass ich es nicht gutheißen würde!", erklärte Nicole und sah ernst zu der Rothaarigen, die übertrieben die Augen verdrehte. „Das ist was anderes. Lass uns das Thema wechseln!", forderte Ani Nicole auf und fing über beide Ohren an zu grinsen.

„Wenn es das Thema Männer ist, erspare mir das und lass mich einfach weiterarbeiten.", grinste Nicole und klappte die Akte zu.

„Keine Sorge, ich habe es aufgegeben, dir einen passenden Deckel zu suchen!" – „Danke!" , schmunzelte Nicole und rieb sich müde durchs Gesicht.

„Es hat viel mehr mit mir zu tun.", lachte Ani auf und verschränkte triumphierend die Arme.

„Sag mir nicht, dass du endlich bereit bist für etwas Festes?"

„Wenn er weiter so bleibt wie er ist, dann wahrscheinlich ja!", quietschte Nicoles Freundin und verliebt strahlten ihre Augen.

„Wie heißt er?", fragte Nicole ruhig nach und ging sich dabei durchs blonde Haar. Stumm stand diese auf und lief zusammen mit Ani auf den Flur, um sich erneut einen Kaffee zu holen.

„Sein Name ist Peter, er ist groß, trainiert, charmant und arbeitet beim FBI.", schwärmte ihre Freundin und beinah hätte Nicole sich an ihrem noch heißen Kaffee verschluckt.

„Ein FBI Agent, wie hast du das denn geschafft?" Lässig lehnten beide an der Kaffeemaschine und gespannt wartete Nicole auf eine Erklärung.

„Ein purer Zufall." Ani grinste über beide Ohren.

„Zufälle, an so etwas glaub ich nicht.", wimmelte die Blonde die Begründung ab und genervt rollte Ani mit den Augen.

„Mann! Du musst mir einmal glauben, Nicole!", rechtfertigte sich die Rothaarige und sah zu ihrer Freundin. Schmunzelnd blickte die Blonde zu ihr und machte eine abwartende Bewegung.

„Du erinnerst dich doch noch an Mr. Strahm, oder?", fing Ani an zu erklären und folgte ihr erneut in das gemeinsame Büro. Lässig ließ sie sich auf ihrem Schreibtischstuhl fallen und sah zu Nicole auf.

„Du meinst dein Patient, der an Demenz erkrankt war?"

„Genau!" Ani lächelte.

„Das war Peters Vater. Mr.Strahm hatte mir immer viel über Peter erzählt. Natürlich nur, wenn er nicht gerade unter seiner Krankheit zu leiden hatte. Er hatte auch immer betont, dass er seinen Sohn gerne öfters sehen würde. Ich hatte erst ein schlechtes Bild von Peter. Ich meine, er hatte seinen Vater ganz schön im Stich gelassen, doch irgendwann stand er einfach vor der Tür, gerade als ich Mr. Strahm zu Bett bringen wollte."

„Und dann hast du dich unsterblich in ihn verliebt!", lachte Nicole und trank einen Schluck Kaffee."

„Nein, so schlimm war es nicht, aber wir haben uns lange an dem Abend unterhalten. Er hatte mir erzählt, dass er beim FBI arbeiten würde, was an dem schicken Anzug und der Waffe auch nicht zu übersehen war. Er würde gerne mehr Zeit mit seinem Vater verbringen, doch die Jigsaw-Morde fressen gerade seine Zeit. Nachdem Mr. Strahm verstorben war, bin ich zu Peter gefahren. Du weißt am besten, dass wir auch für die Angehörigen da sind. Er ist mir dankbar, Nicole. Und seitdem treffen wir uns regelmäßig. Aber es hat auch seinen Nachteil. Er lebt für seinen Job und im Augenblick hat er wenig Zeit."

„Wow, das hätte ich dir gar nicht zu getraut Ani."

„Weißt du, Peter hat heute seinen freien Abend und hat mich gefragt ob ...", fing Ani an zu erklären und verständnisvoll sah Nicole zu ihrer Freundin.

„Schon Okay, genieße deinen Abend. Ich wollte heute sowieso länger machen, wenn du willst, schreibe ich dein Protokoll einfach mit."

„Wirklich? Danke Nicole, das wäre großartig." Freudestrahlend nahm Ani ihre Tasche vom Stuhl und deutete einen Luftkuss an.

„Morgen will ich jedoch alles wissen. Ist das klar?", lachte die Blonde und zwinkernd drehte Ani sich ein letztes Mal um, bis sie ganz aus dem Büro verschwunden war. Kopfschüttelnd dachte Nicole an ihre Freundin, während sie gleichzeitig anfing, die Akte ihres neuen Patienten zu bearbeiten.

Nicoles neuer Fall hieß John Kramer. Erkrankt an Krebs (Stirnlappentumor). Seine Frau beantragte die Pflege Unterstützung. Jedoch nach eigenen Angaben leben sie im Scheidungsjahr. Fragend zog Nicole ihre Augenbrauen ins Gesicht. An der Stelle der Adresse war ein altes Firmengelände angegeben. Augenblicklich gab Nicole die Adresse in der Google-Suche ein und wurde auch fündig. Sie verschaffte sich im Internet einen Überblick der alten Lagerhalle. Nachdenklich sah die Blonde auf die Uhr. Es war zu spät, ihren Patienten heute noch zu stören, weshalb sie beschloss, morgen früh erst zu dem Gebäude zu fahren. Vielleicht hatte sie ja Glück und würde diesen dort antreffen. Ungewöhnlich, aber das war für sie ja nichts Neues. Gedankenverloren nahm Nicole ihre Jacke von der Garderobe und klemmte sich mehrere Akten unter die Arme. Sie beschloss zu Hause weiterzuarbeiten, um endlich aus dem stickigen Büro zu entkommen. Lässig schlenderte Nicole aus dem modernen Gebäude zu ihrem kleinen weißen Auto. Summend zur Musik des Radios fuhr sie nach Hause.

Ihre stadtnahe Wohnung brachte viele Vorteile, jedoch auch einige Nachteile mit sich. Weshalb sie immer, wenn sie so spät nach Hause kam, mehrere Straßen entfernt erst ein Parkplatz fand. Genervt über die Tatsache, dass es nun auch noch zu nieseln begann, lief Nicole schnellen Schrittes über die Straßen. Bemerkte nicht den Mann, der auf sie zugelaufen kam und mit dem sie schließlich zusammenstieß. Ihre Akten ließ sie vor Schreck fallen und sofort sog sich das Papier mit Wasser voll. John Kramers Unterlagen verteilten sich direkt vor den Füßen des Fremden und mit hochrotem Kopf kniete sich Nicole auf der Stelle hin.

„Verdammt, das tut mir leid.", entschuldigte diese sich und fing an, die Akten aufzusammeln. Nachdenklich sah der Fremde zu der blonden Frau hinunter und kniete sich schließlich ebenfalls zu ihr. Dabei nahm er John Kramers Akte und hielt ihr diese entgegen.

„Schon gut, auch ich bin mit meinen Gedanken heute ein wenig woanders." , erwiderte der Fremde und stand dabei auf.

„Glauben sie mir Sir, das war nicht meine Absicht.", lächelnd nahm Nicole die ausgestreckte Hand des Fremden entgegen und ließ sich zurück auf die Beine ziehen. Ihre Akten hielt sie dicht vor der Brust. Im Gegensatz zu ihr störte der aufkommende Regen den Fremden nicht sonderlich, weshalb Nicole diejenige war, die mehrere Meter Schutz suchte und sich unter einen kleinen Dach-Vorsprung stellte. Sie wollte nicht so unhöflich sein und direkt verschwinden.

Der breit gebaute Mann folgte ihr und stellte sich lässig in ausreichender Entfernung, neben ihr. Verlegen lächelte sie diesen an, als es auch schon wie aus Eimern anfing zu regnen.

„Mann und ich dachte, in Amerika sollte das Wetter besser sein?", sprach Nicole gedankenverloren und erhaschte ein Schmunzeln des Fremden.

„Wo kommen sie den her, wenn ich fragen darf?" Ruhig sah sie der Unbekannte an und für einen Moment überlegte Nicole.

„London.", sprach sie direkt und wandte ihren Blick wieder Richtung Himmel.
„Dann müssten doch gerade sie sich an den Regen mehr als gewöhnt haben.", sprach dieser kühl und seine stechend blauen Augen fixierten Nicole ernst. Wie gebahnt sah sie dem Fremden in die Augen, bis sie schließlich nervös ihren Blick lösen konnte und Richtung Himmel sah.

„Ich mag keinen Regen. Einer der Gründe, wieso mich in London nichts mehr gehalten hat."

„Verstehe.", erwiderte der Fremde und dachte nicht einmal daran, von Nicole wegzusehen. Schmunzelnd sah sie über ihre Schulter hinweg und als sie bemerkte, wie der Mann sie anstarrte, biss sie sich aufgeregt auf die Lippen.

„Entschuldigung, wenn ich so direkt frage, aber kennen wir uns?", hielt Nicole die unangenehme Situation nicht mehr aus und sah dem Mann vor ihr tief in die Augen.

„Nein, ich glaube nicht.", lächelte dieser und lehnte sich mit dem Rücken an dem Gebäude. Sein schwarzer Anzug passte sich wunderbar der kahlen Häuserwand an. Kein Wunder, dass Nicole ihn übersehen hatte.

Stillschweigend standen sie und der Fremde eine ganze Weile nebeneinander, bis nur noch wenige Tropfen vom Himmel fielen und Nicole sich langsam aus ihrer Position löste.

„Also dann, Sir. Ich hoffe, sie entschuldigen die Unannehmlichkeiten.", höflich verabschiedete Nicole sich von dem Fremden, der sie nach wie vor schmunzelnd beäugte.

„Immer so höflich die Engländer, man kennt sie nicht anders. Es war mir dennoch eine Freude." Nett streckte der Mann seine Hand zu Nicole aus und fragend schüttelte sie diese.

„So viel haben wir uns jetzt auch nicht zu erzählen gehabt.", antwortete sie lässig.

„Es geht nicht nur immer ums reden, schweigen ist genau so viel wert."

„Da haben sie recht. Mister. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Abend." Nicole ließ dessen Hand los und lief einige Schritte rückwärts von dem Fremden davon. Er sah ihr deutlich nach und auch Nicole musste schmunzeln, als sie sich erneut umdrehte und dem Mann zum Abschied winkte. Dabei hatte sie nicht einmal seinen Namen erfahren und trotzdem irgendetwas machte diesen Mann interessant. Sie hatte so etwas noch nie gemacht und als Nicole sich gerade wieder umdrehen wollte, war der Fremde verschwunden. Enttäuscht kehrte Nicole heim, was hatte sie erwartet, sie würde ihn sowieso nie wiedersehen.

~•~

Nachdenklich lief Hoffman durch eine Gasse zu seinem dort geparkten Auto. Er hatte Johns Namen deutlich lesen können und auch wenn er die junge Frau im ersten Moment als sehr sympathisch empfand. Wusste er nicht, in welcher Verbindung sie zu John stand. Er hatte ihm gelehrt, sämtliche Gefühle während seiner Arbeit zu unterdrücken. Weshalb er erst mit seinem Mentor reden sollte, bevor er anfing, weiter über die blonde Frau nachzudenken. Denn wer wusste es schon, vielleicht war sie als Nächstes dran und er war es, der ihre Falle höchstpersönlich vorbereiten sollte? Bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte, klingelte sein Handy.

„Hoffman!", meldete dieser sich angestrengt und fuhr sich über seine nassen Haare, als er endlich im Auto saß.

„Er hat wieder zugeschlagen!", ertönte die Stimme von Detective Tapp am anderen Ende und Hoffman verstand sofort, worauf sein Kollege hinauswollte.

„Ich komme sofort!"

___________________________________________

Bald startet dieses Buch als mein neues Hauptprojekt durch. Wie gefallen euch die ersten zwei Kapitel? ❤️

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top