Epilog

Schwärze umfing ihn. Doch es war nicht das tödliche Vakuum des Weltalls. Eher eine lebendige, warme Finsternis mit angenehmen Temperaturen. Er war vollkommen entspannt. So musste sich ein Baby im Bauch seiner Mutter fühlen. Wohlbehütet und geschützt, bis sich nach rund neun Monaten die harte, helle Realität öffnete. Und wie bei einem Neugeborenen bekam auch seine Wirklichkeit langsam Struktur.

Das Schweben hatte ein Ende. Unter seinem Rücken materialisierte sich eine weiche Unterlage. Seinen Körper umspannte ein fester Anzug. Währenddessen schien eine Flüssigkeit an ihm abzuperlen und ein kühler Luftzug ließ ihn frösteln. Über Mund und Nase spannte sich eine Maske, durch die er künstliche, minimal nach Gummi riechende Luft inhalierte. Seine Augen wurden von einer Art Skibrille verdeckt und als er sie aufschlug, änderte sich nichts am pechschwarzen Ausblick.

»Herr Faux? Willkommen zurück«, drang eine männliche Stimme gedämpft zu ihm durch, während das Wasser seine Ohren freigab. »Einen Moment, ich helfe Ihnen mit der Ausrüstung. Setzen Sie sich bitte langsam auf.«

Noch immer hilflos tat er wie geheißen und merkte, wie warme Hände seinen Rücken stützten und ihm halfen. Die Bewegungen seiner Arme und Kniegelenke waren beinahe schmerzhaft, als hätte er sie seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Flüssigkeitsreste plätscherten hinab. Sobald er in einer sitzenden Position ankam, nahm ihm sein Helfer die Atemmaske ab. Erleichtert inhalierte er tief die frische Luft.

»Am besten schließen Sie kurz die Augen, damit Sie nicht geblendet werden.«

Das machte Sinn. Also presste er seine Lider fest zusammen, während der Mann ihm auch das letzte spürbare Ausrüstungsteil entfernte. Rot-orangen drang die Helligkeit zu ihm durch. Vorsichtig öffnete er die Augen. Verschwommen erkannte er seine Knie, die in einem engen dunkelblauen Anzug steckten, der feucht glänzte.

»Jetzt kommt leider der etwas unangenehme Teil«, kündigte die Stimme an. »Ich klemme das neuronale Interface ab. Sie werden anschließend voll zu Bewusstsein kommen. Für manche Menschen ist das ein gewisser mentaler Schock. Also wundern Sie sich bitte nicht, falls gleich sehr viele Eindrücke auf einmal auf Sie einströmen.«

Was sollte das jetzt bedeuten? Gerade wollte er nachfragen, da folgte an seinem Hinterkopf ein Klacken. Er hatte das Gefühl, man würde ihm lange Fäden von der Nasenwurzel über die Hirnrinde zum Nacken hinausziehen.

»Aaarg!«, entfuhr ihm ein kurzes Aufstöhnen.

Nach wenigen Sekunden war es vorbei. Schlagartig war er in seiner Realität zurück: Melvin Faux.

Kein Bunkerbewohner oder Militärcyborg, sondern Eigentümer von Emerald Industries, dem führenden Cybertech-Konzern. Es war das Ende eines virtuellen Ausflugs, ein mehrtägiger Abenteuerurlaub, den er sich gemeinsam mit seiner Frau Cathrine gegönnt hatte.

Erst jetzt schaute er sich in Ruhe um. Er saß im Neuro-Tank des Subunternehmens, bei dem sie die Reise gebucht hatten. Der Raum war mit reinweißen Paneelen ausgekleidet. Eine breite Fensterfront erlaubte ihm den Blick über die abendliche Skyline Emeralds. Quietschbunte 3-D-Animationen schwebten vor den Hochhäusern, während die Flugtaxen ihre Bahnen zogen.

Neben ihm war Cathrine bereits wach und ausgeklinkt.

»Au, verflucht«, schimpfte sie und wrang mit den Händen Flüssigkeit aus ihren langen roten Haaren. Sie blickte zu ihm rüber und musterte ihn mit ihren moosgrünen Augen. Spöttisch hob sie ihre Augenbrauen. »Ehrlich? Du hast lieber diese blöde Bombe aus dem Bonzenviertel geschafft, als dich mir anzuschließen? Es wäre bestimmt auch eine romantische Happy-End-Szene im Angebot gewesen.«

Melvin grinste schief. »Ja, stimmt, aber in diesem Moment wollte ich lieber als Märtyrer abtreten. Das romantische Happy End verschieben wir dann auf heute Abend.« Er zwinkerte ihr zu. »Jetzt lass uns erst mal aus diesen Gummianzügen rauskommen. Ich fühle mich wie eine Presswurst.«

Cathrine schwang ihre Beine aus dem Tank und stand auf. »Aber eine ganz schön sexy Presswurst«, meinte sie lachend, während eine Frau ihr den Reißverschluss hinten am Anzug öffnete.

»Das Kompliment gebe ich zurück. Allerdings gefällst du mir ohne deutlich besser. Und welchen Ausflug gönnen wir uns das nächste Mal?«

Sie schaute ihn streng an. »Das nächste Mal suche ich uns ein Abenteuer aus, bei dem ich mir einen neuen Mann generieren darf. Diese Lena ... also ehrlich. Pfft. Und dass ich die Hälfte der Zeit mit verschrumpeltem Gesicht herumlaufen musste, fand ich auch nicht so cool.«

»Hättest du halt nicht die Raketen abgeschossen ...«

»Jaja, aber in meiner Rolle erschien es mir als das Richtige.« Sie überlegte kurz und legte ihren Finger auf die Lippen. »Ist schon strange, dass man diese Abenteuer quasi mit fremden Erinnerungen startet. Geht das auch anders?«

»Geht schon. Wäre aber nur halb so spaßig.«

»Wenn du das sagst ...« Damit kam sie herüber und hakte sich bei ihm unter. »Gibt es hier eigentlich Gemeinschaftsduschen?«

»Hey, der Laden gehört mir! Falls nicht, machen wir halt welche draus ...«

Noch während sie lachend mit feuchten Schritten in Richtung der Umkleiden schlenderten, fror das Lächeln der beiden Helfer hinter ihnen ein. Die Körper verharrten auf der Stelle und versteiften sich wie Schaufensterpuppen. Vor dem Fenster zog ein Flugtaxi zum dritten Mal in seiner komplett identischen Bahn vorbei. Währenddessen wiederholte sich die Waschmittelwerbung zum fünften Mal vor der statisch im Himmel hängenden Sonne, die sich in den Fronten spiegelte.


E N D E

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