November| Mist! Dirigierstab ist weg...
"Guten Tag."
Eine junge Frau mit seidigen, schwarzen Haaren betrat den Orchestersaal, in den Lukas mich ein paar Minuten zuvor geführt hatte. Ich saß relativ weiter hinten, da wir sieben Leute bei den Hörnern waren. Wir hatten noch keine Zeit für eine Vorstellungsrunde gehabt, da wir noch die Instrumente gestimmt hatten, aber Lukas meinte, das komme noch.
Tja.
Ich hätte auch ruhig darauf verzichten können.
Ehrlich.
"Also, Leute." rief die Frau, nachdem sie an das Dirigentenpult gegangen war. "Für die, die mich noch nicht kennen: ich bin Simone Yang, Dirigentin. Ihr könnt mich einfach Simone nennen. Dieses Schuljahr haben wir ziemlich viele Open-Air-Konzerte geplant. Das nächste Konzert ist an Neujahr. Unser Programm besteht aus der 'Feuerwerksmusik' von Georg Friedrich Händel. Bruno hat sich aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt, nur Erdmännchenmusik zu spielen."
Wir nickten gespannt.
"Da wir im Horn, in der Trompete und in den Oboen unterbesetzt sind, spielen wir eine bearbeitete Fassung."
Jemand aus dem Kontrabass stöhnte. "Wie viele fehlen uns denn?"
"Zwei im Horn, sechs in der Trompete, achtzehn im - " begann Simone.
"Neun Hörner? So viel brauchen wir?" unterbrach Lukas, und die Dirigentin bestätigte dies mit einem leicht genervtem Nicken.
"Jetzt lasst mich mal weitererklären. Nach dem Neujahrskonzert haben wir einen Auftrag von Care bekommen."
"Was ist Care?" rief jemand rein.
"Care ist die Firma für Strom-und-Wasser-Versorgung in Callisto. Sie hat uns angeheuert, damit wir bei einem Open-Air-Konzert für sie spielen. Das ist erst im März. Allerdings ist das Stück ziemlich schwierig, das heißt, nach dem Neujahrskonzert gehen wir gleich dran."
Wir nickten.
"Die Noten sind schon auf dem Pult. Ich habe jetzt erst einmal die tiefen und hohen Stimmen nach Probespielergebnissen aufgeteilt."
Ich sah nach, und hielt kurz darauf eine 4.Horn-Stimme in den Händen.
"Walküre? Du bist viertes Horn?" fragte Lukas, der sich zu mir gebeugt hatte, und meine Noten betrachtete.
"Ja, Herr von Beethoven. Und nenn mich nicht Walküre!"
Trotzdem schaute ich auf sein Noten. Er spielte auch viertes Horn.
Na, was für ein Zufall.
"Okay, Leute. Wir fangen langsam an."
Simone hob den Taktstock, und Anni setzte ein. Falls ihr es noch nicht wisst - die Feuerwerksmusik fing mit der Trommel an. Händel hat die Feuerwerksmusik für sogenannte martial instruments in der Besetzung mit 24 Oboen, je 9 Hörnern und Trompeten, 12 Fagotten, Kontrafagott und drei paar Kesselpauken geschrieben.
Ich weiß, das ist komisch, was ich mir da alles gemerkt habe.
Aber da wir nur sieben Hörner und maximal vier Trompeten waren, spielten wir diese bearbeitete Fassung.
Schlecht war sie nicht.
"Mann!" rief plötzlich jemand. Es war ... Sven-Torben, wenn ich mich nicht versehen hatte. Was machte er denn hier? Bei der Feuerwerksmusik spielte kein Klavier ...
"Könnt ihr denn nicht ein mal richtig spielen? Echt jetzt. Außerdem spielt die erste Trompete auf 444Hz. Orchester wird IMMER auf 443Hz gestimmt."
Okay, es war definitiv Sven-Torben. Unverfehlbare Merkmale: herablassende Tonlage, leicht angewiderter Blick, und diese ewig genervte Stimme.
"Sven-Torben? Was machst du denn hier?" fragte Simone überrascht.
"Na, zuhören! Sonst wird das Konzert noch mit einer Katastrophe enden!"
Eins konnte man ihm lassen. Er war im arroganten-Kotzbrocken-Verhalten einfach nicht zu toppen.
"Okay." Simone zuckte nur mit den Schultern.
Danach ging es aber nicht mehr so wirklich weiter. Denn bei jedem falschen Ton unterbrach Sven-Torben das gesamte Orchester.
"Was denn, Sven-Torben?" fragte Simone zum gefühlt tausendstem mal, allerdings sichtlich genervt.
"Da war ein Kiekser im Horn."
Ich zuckte kurz zusammen, als ich das hörte. Kiekser sind Töne, die aufgrund des Kondenswassers oder des Ansatzes nicht richtig kommen. Das war vermutlich ich gewesen...
"Jaja, war ich. Kann passieren."
Bevor ich überhaupt reagieren konnte, war ein großer Junge aufgestanden, und funkelte Sven-Torben feindselig an. "Oder kennst du dich besser im Horn aus, hm?"
Sven-Torben zuckte mit den Schultern, doch man merkte, wie er in sich zusammenschrumpfte.
"Danke." murmelte ich dem Jungen zu, während die Hörner Pause hatten.
"Klar." erwiderte er. "Ich bin Anton. Letztes Schuljahr, Solo-Horn. Und dieser Sven-Torben..." er schüttelte den Kopf, " ist einfach mehr als nur nervig. So ging es immer, wenn wir Stücke ohne Klavier gespielt haben. Für einen Erstklässler ist er wirklich vorlaut."
"Erstklässler?" echote ich verwirrt. "Ich dachte er ist schon länger hier?"
"Doch. Er ist zusammen mit Lukas gekommen, allerdings auch sitzen geblieben ... Achtung Einsatz!" warnte Anton, und schnell blickte ich auf meine Noten.
Das wäre aber nicht nötig gewesen, denn Sven-Torben rief plötzlich "Stop!"
Wir drehten uns genervt zu ihm. Was war denn jetzt schon wieder?!
"Simone! Du dirigierst total eckig! Das sieht echt blöd aus! Willst du uns blamieren oder was?!"
Es wurde still.
Wie konnte er so etwas sagen?
Simone dirigierte doch wunderbar!
"Ich werde noch daran arbeiten." Zu aller Überraschung lächelte sie gezwungen, und hob ihren Taktstock. "Absatz E, Tutti."
Ich konnte es einfach nicht glauben. Sven-Torben hatte sie so ... beleidigt und nieder gemacht, und sie sagte nichts ?!
Meine Wut stieg, als ich den arroganten Kotzbrocken noch selbstgefällig lächeln sah. Das war echt die höhe.
Die kreisende Bewegung des Taktstocks war hypnotisierend, und als ich dann zum hohen F anspielte, passierte es.
"Hä?"
Eine sehr verdutzte Simone betrachtete ihre leere Hand ohne Taktstock, um gleich darauf einen wütenden Schrei zu hören.
"AHH!" schrie Sven-Torben, und fasste sich an die Nase. "Wie ... "
Lukas warf mir einen warnenden Blick zu, der garantiert: "nichts sagen!" bedeutete. Also schloss ich meinen Mund, und betrachtete den Jungen, dessen Nase angeschwollen war.
Ich hatte gerade einen Gegenstand teleportiert.
Und zwar genau auf Sven-Torbens Nase.
Unbewusst hatte ich meine Kraft eingesetzt. Oder doch nicht so ganz?
"Ähm..." stammelte Simone, die ziemlich aus der Fassung geraten war. "Für heute beenden wir die Probe, ja? Geht zum Abendessen."
Schweigend packte ich mein Horn ein, und ging hinter den anderen Hörnern zum Horn-Haus, um da mein Instrument zu verstauen.
Die Probe war gelaufen.
Und zwar so was von.
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