April | Der weibliche Tisch wird repariert, fällt jedoch abermals in Stücke

Nachdem ich den Anfang einer Etüde angespielt hatte, umfing Marc, die Harfe und mich der wohlbekannte Strudel aus bunten Farben. Ich war es längst gewohnt, andere und mich selber zu teleportieren. Solche Aktionen hinterließen jetzt nur noch ein schwaches Kribbeln unter der Haut.

"MIA! PASS AUF WO DU HIN - " 

Mit einem lauten Krachen landeten Marc und ich samt Harfe auf einem der runden Holztische. Im Gegensatz zu dem Tisch, welcher ziemlich zertrümmert wurde, blieb die Harfe erstaunlicherweise heil. Meine Güte, wenn ich eine Harfe gewesen wäre, dann wären mir mindestens ein paar Saiten geplatzt.

"Tschuldigung!" rief ich in den Trubel hinein. Das Gesamtbild war weniger Chaotisch als vorher, doch Manuel und Markus schienen abermals in die Debatte mit Sven-Torben vertieft zu sein. Konnten die drei sich denn einfach nicht in Ruhe lassen?

Anni eilte von der Ecke des Raumes auf mich zu, dicht gefolgt von einer verwirrt aussehenden Hannah. Die beiden hoben die Harfe vom Boden auf, und richteten sie gerade. Gleichzeitig kamen auch Seraphina und Magnus in den Raum, beide triefend vor Nässe.

"Mann, Mia! Hättest du uns denn nicht mitnehmen können?" sagte Seraphina mit etwas beleidigtem Gesichtsausdruck, und strich sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. "Das wäre so viel einfacher gewesen. Außerdem ist das Make-up von Magnus jetzt total verschmiert."

"Äh...Tut mir leid. Die Landung wäre aber ziemlich gefährlich gewesen." erwiderte ich entschuldigend. Anni nickte zustimmend, und fügte hinzu; "Es war mit Marc und der Harfe schon gefährlich genug. Wenn ihr beide noch dabei gewesen wärt..."

Seraphina zuckte mit den Schultern. "Ich vertraue dir, Mia. Aber nicht so schlimm, das trocknet ja wieder."

Nach und nach wurde es leiser im Raum. Mehrere Augenpaare waren auf den demolierten Tisch gerichtet, doch die meiste Aufmerksamkeit galt Hannah, welche wiederum Marc und mich mit gerunzelter Stirn betrachtete.

"Seid ihr gerade..." Zum ersten mal seitdem ich sie getroffen hatte, schienen ihr die Worte zu fehlen. "Habt ihr euch hier her gebeamt? Oder so? Warte, was? Wie habt ihr das gemacht?"

"Naja" begann Marc, "Eigentlich geht das auf Mias Rechnung. Sie kann sich selber und andere von einem Ort zum anderen teleportieren. Meistens läuft das auch gut, und es werden dabei keine Sachen beschädigt..."

Hannahs fassungsloser Blick wanderte zwischen dem demolierten Tisch und mir hin und her. Dann atmete sie tief aus, und sagte; "Du kannst also...Magie benutzen? Wie? Und wozu hast du dein Waldhorn in der Hand?"

"Ich kann diese Fähigkeit anwenden, wenn ich Horn spiele." antwortete ich wahrheitsgemäß. "Naja, und wie Marc schon gesagt hat - Normalerweise funktioniert das ziemlich gut. Manchmal läuft irgendetwas schief."

"Manchmal." echote Lukas, und grinste. Ich boxte ihm gegen die Seite, und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. "Ja, manchmal." sagte ich, und musterte Hannah. "Alles in Ordnung mit dir? Du siehst ziemlich aufgewühlt aus..."

Hannah drehte sich einmal Kreis, und sah die anderen an. "Ihr könnt das etwa auch? Alle?"

Anni legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. "Ja, genau deswegen haben Seraphina, Marc, und Magnus ihre Instrumente mitgebracht. Wir wollen dir was zeigen. Könnte aber sein, dass alles etwas neu ist, deswegen ist es am besten, wenn du dich auf einen Sitzsack setzt. Ok?"

Offensichtlich völlig perplex, setzte Hannah sich auf einen der Sitzsäcke, und verschränkte skeptisch die Arme vor der Brust. "Na dann?" fragte sie, und ich hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme. Ob ich wohl auch so reagiert hatte, als Anni und Lukas mich zusammen mit Tanja eingeweiht hatten? 

"Okay." begann Anni, "Eigentlich sollte das ganze viel privater gehen. Also noch mit jemandem von der selben Instrumentengruppe, und zwar in einem der Übe-räume. Aber wegen...den Dingen, die heute morgen passiert sind, wäre es eher ungünstig, alleine oder zu zweit zu sein..."

Manche nickten zustimmend, während andere leicht die Stirn runzelten. "Also...Magie. Existiert?" fragte Hannah in die Runde. "Und ihr könnt alle Magie nutzen, wenn ihr ein Instrument spielt?"

Magnus, der erstaunlicherweise schon wieder trockene Klamotten und Haare hatte, nickte. "Joa, glaub schon. Oder, S-T? Du kannst du auch Magie nutzen?"

Sven-Torben nickte, sichtlich angepisst. Allerdings schien er keine große Lust zu haben, mit Magnus zu diskutieren. Hätte ich ehrlich gesagt auch nicht.

"Okay..." sie schien sich wieder ein wenig zu entspannen. Offensichtlich hatte sie es bereits verarbeitet. "Was hast du dann für eine Fähigkeit?", fragte sie an Magnus gewandt.

"Wie ein Zombie aussehen." erwiderte dieser, während er seinen Geigenbogen spannte. "Ich spiele übrigens in der zweiten Geige."

"Auch im Leben?" murmelte Sven-Torben, kaum hörbar. Leider ziemlich gut hörbar für Hannah, welche ihm einen giftigen Blick zuwarf. "Maiskolben, ich habe auch in der zweiten Geige gespielt. Halt die Klappe."

Überraschenderweise hielt er die Klappe.

Magnus tauschte einen langen Blick mit Anni, von dem ich Vorwurf, Unsicherheit, aber auch ein kleines bisschen Angst deuten konnte. Ob die beiden das wohl schon ein wenig länger ausgemacht hatten? Ich wusste es nicht.

Dann begann er den Anfang von der Mendelssohn-Sonate in E-moll zu spielen. Mendelssohn war einer der berühmten Erdmännchen-Komponisten. Seine Geigensonaten waren verdammt schwer. Und verdammt schön.

Die Luft schien wärmer zu werden, der an sich schon helle Raum noch heller. Plötzlich tauchte am Ende des Raumes ein bunten Schimmern auf. Als ich näher hinsah, wurde das Schimmern heller, und breitete sich über unseren Köpfen hinweg aus. 

"Ein Regenbogen?" murmelte Hannah mit glitzernden Augen. "Das ist wunderschön."

Magnus' Wangen färbten sich leicht rosa, und er brach vor der Kadenz ab. Der Regenbogen über uns verblasste langsam. "Äh." stammelte er, "Naja...Falls du noch Fragen hast...Ähm." Dann verzog er sich mit seinem Geigenkasten in die Ecke des Raumes.

"Jup, jetzt bin ich dran." sagte Seraphina, und grinste, während sie sich die Schlaufe vom Saxophon um ihren Hals hängte. "Samira? Kannst du mir mal diese Topfpflanze holen? Die, die fast verwelkt ist?"

Samira, ein Mädchen mit kurzen schwarzen Stoppelhaaren und pechschwarzer Lederjacke, holte die genannte Pflanze und stellte sie vor Seraphina ab. "Bitteschön." sagte sie, und ließ sich danach wieder auf einen Sitzsack fallen.

"Danke." erwiderte Seraphina, und setzte blies probehalber in das Saxophon. "Heute ist ein guter Tag." verkündete sie, und begann zu spielen.

Obwohl ich das schon einmal gesehen hatte, fand ich Seraphinas Fähigkeit jedes mal auf neuem faszinierend. Die Blätter der Pflanze wurden immer brauner, bis sie komplett holzfarben waren. Gleichzeitig verfärbte sich auch der Stiel in die selbe Farbe.

"So." sagte Seraphina, als sie aufgehört hatte zu spielen. "Willst du mal anfassen?"

Jemand reichte Hannah die Topfpflanze, welche diese in die Hand nahm. Kurz darauf zuckte sie kurz zusammen. "Das ist Holz?" sagte Hannah, und blickte zu Seraphina hoch. "Kannst du das auch wieder rückgängig machen?" 

"Joa, sollte eigentlich klappen." Abermals begann sie zu spielen, und die hölzerne Skulptur verwandelte sich langsam wieder in eine echte, lebende (und fast verwelkte) Pflanze.

"Kann...ich das auch?" fragte Hannah, und blickte uns fragend an. "Ich meine, sowas ähnliches. Es muss ja nicht mal annähernd so eine coole Fähigkeit sein, aber..."

Plötzlich begann Marc zu spielen, und ließ Hannahs Geigenkasten auf sie zuschweben. Mit offenem Mund nahm diese ihren Geigenkasten aus der Luft. "Ohaaa." sagte sie, und hob die linke Augenbraue. "Krass."

"Angeber." murmelte Alex, und boxte mit seinem Ellenbogen ganz sachte gegen Marcs Seite. "Du konntest es einfach nicht lassen, stimmts?" Marc warf ihm ein schelmisches Grinsen zu.

Lukas und ich, offensichtlich die einzigen, die das soeben mitbekommen hatten, tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Uhlala, da lief ja schon was.

"Du kannst gerne irgendwas vorspielen. Es kann auch das selbe Stück wie beim Probespiel sein, wenn du möchtest. Simone ist ja nicht im Raum." sagte Seraphina, und warf Hannah einen ermutigenden Blick zu.

Hannah spannte ihren Bogen, und legte die Geige an ihr Kinn. "Na dann?" murmelte sie, und begann ein Stück zu spielen. Samira hob überrascht die Augenbrauen, sagte aber nichts. Ich kannte das Stück zwar nicht, aber es klang sehr eindrucksvoll.

Plötzlich, ohne jegliche Vorwarnung, riss Hannah die Augen auf. Um sie herum begannen die zerbrochenen Teile des demolierten Tisches, sich zu bewegen. Als Hannah weiterspielte, schwebten die Holzsplitter und Brocken zusammen, und bildeten sich zu dem ursprünglichem Tisch.

Erst dann hörte Hannah auf zu spielen.

"Wow...Was war das denn?" fragte Anni. "Es hat jedenfalls auf Anhieb geklappt."

Wie auf Stichwort fiel der Holztisch wieder in sich zusammen. "Ups." sagte Hannah, ein Lächeln schlich über ihre Lippen. "Habt ihr das auch gehört? Der Tisch hat gemeint, dass es unschön war, so demoliert zu werden. Sie möchte repariert werden."

"Der Tisch ist weiblich?" fragte Hugo völlig perplex. "Ich dachte..."

"Hey, ein bisschen Respekt gegenüber dem Geschlecht von dem Tisch!" tadelte Anni grinsend. "Ich wusste aber auch nicht, dass der Tisch weiblich ist..."

Hannah legte verwirrt den Kopf schief. "Ihr habt das also nicht gehört? Der Tisch hat gesprochen..." 

Verwundert legte sie die Geige in den Kasten zurück, und entspannte den Bogen. "Naja jedenfalls brauche ich glaub ein bisschen Zeit, um das ganze selber rauszufinden. Krieg ich einen Raum? Oder kann ich aufs Zimmer oder so?"

Anni nickte. "Wir müssen sowieso - "

Plötzlich ging die Tür auf, und ein kalter Luftzug wehte rein.
"Alle in ihre Hütten. Sofort."



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