Epilog

Eineinhalb Jahre später.

,,Nun schau schon, trau dich", forderte Colette Carlotta auf. Es war einfach zu süß mitanzusehen, wie Letztere sich zierte.

Schüchtern schlug sie schließlich die Augen auf und blickte ihrem Spiegelbild entgegen. Ihre tiefblaue Iris funkelte. Vorfreude und unbeschreibliche Aufregung standen darin geschrieben. Ihre ausdrucksstarken Augen wurden von dunklen Wimpern umrahmt wie ein kostbares Bild von einem schmucken Bilderrahmen. Langsam glitt ihr Blick zuerst zu ihrem Haar, das Colette aufwendig geflochten nach oben gesteckt hatte. Ein paar Strähnen waren geschickt herausgezupft worden und umspielten sanft ihr Gesicht. Ihr Teint hatte zwar in der Zeit, seit der sie hier war, ein wenig Farbe bekommen, aber dennoch schimmerte ihre Haut noch immer fast so vornehm wie Porzellan. Andächtig berührte Carlotta die hübschen, bunten Wiesenblumen, die kunstvoll in die Frisur eingearbeitet worden waren; rote, blaue und gelbe Farbtupfer zierten das Gesamtkunstwerk.

Colette lächelte. ,,Die hat Rosalie gepflückt. Sie hat darauf bestanden, dass ich sie einflechte."

Carlotta schenkte Colette ein kleines, freudiges und dankbares Lächeln durch den Spiegel. Dann tasteten sich ihre Augen weiter nach unten über ihre sanft geröteten Wangen, den unverhüllten Hals, bis zu ihrem Schlüsselbein. Ihre schmalen Schultern wurden keusch von einer hellen Bluse umschlossen, die am Rand raffiniert mit Spitze gesäumt worden war. Das hübsche, schlichte Mieder war sogar mit sehr edel wirkenden Stickereien besetzt und schmiegte sich eng an ihren Brustkorb. Der Rock ihres Kleides war ein klein wenig ausgestellt und fiel nicht ganz so schlicht ab wie bei Carlottas sonstigen Alltagskleidern. Selbstverständlich durften auch das kleine Brautsträußchen und das Strumpfband nicht fehlen.

,,Du bist wahrhaftig beispiellos", rief Colette lachend aus. ,,Nun freu dich schon! Du heiratest, meine Schöne. Ein bisschen mehr Enthusiasmus, wenn ich bitten darf." Neckisch stieß Colette Carlotta an und entlockte dieser damit ein Lächeln. Ein breites. Ein ehrliches.

,,Na bitte, wer sagt's denn", freute sich Colette und umarmte Carlotta einmal fest. Sie freute sich von Herzen für Kobe und sie; die beiden hatten es einfach so sehr verdient glücklich zu sein. Ganz besonders im letzten Jahr hatte Colette Carlotta als gute Freundin kennen- und lieben gelernt. Ihrer beider Leben waren nicht immer einfach gewesen – ganz im Gegenteil. Aber gegenseitig hatten sie einander immer wieder aufgebaut, standen sich treu zur Seite und teilten auch ihre schönsten Momente schwesterlich miteinander. Als Colette vor einem Jahr geheiratet hatte, war Carlotta deshalb wie selbstverständlich zu ihrer Brautjungfer ernannt worden. Ebenso selbstverständlich war nun Colette an der Reihe die Rolle bei Kobes und Carlottas Hochzeit einzunehmen. Colette konnte sich kaum noch vorstellen, dass es auch einmal eine Zeit ohne Carlotta gegeben hatte – und dass sie nicht von Anfang an so gut miteinander ausgekommen waren.

Darum bemüht die aufkommende Sentimentalität zu vertreiben, räusperte sie sich. Sie versuchte den neckischen Ton von vorhin wieder aufzunehmen und knickste hoheitsvoll vor ihrer Freundin. ,,Die Dame", sagte sie feixend, als sie ihr den Arm anbot und sie die Stiege hinab führte.

*

Obwohl Colette bei der Planung selbst eine tragende Rolle übernommen hatte und im Grunde genau wusste, wie alles ablaufen und aussehen sollte, war sie doch überwältigt von dem Anblick, der sich ihr bot. Kobe und Carlotta hatten sich gewünscht in der kleinen Kapelle auf einer Klippe am Strand zu heiraten; von dort oben hatte man einen atemberaubenden Blick über die schier endlose Weite des Meeres. Auch wollten sie gerne einfach nur im kleinsten Kreis ihrer Freunde heiraten. Doch gerade Letzteres fiel Emilie schwer zu akzeptieren. Sie konnte einfach nicht verstehen, wie jemand nicht ebenso wie sie der Meinung sein konnte, dass die Hochzeit im Leben eines Paares nicht nur einer der schönsten, sondern auch einer der bedeutungsvollsten Tage werden sollte – dementsprechend groß und feierlich musste der Bund der Ehe Emilies Ansicht nach auch eingegangen werden. Hannes war es dann jedoch glücklicherweise gelungen, Emilie dazu zu bewegen ein wenig einzulenken. So war die mit Bändern und Blumenbouquets geschmückte Kapelle neben ein paar von Emilies Freundinnen wirklich nur mit den Menschen gefüllt, die dem Brautpaar auch tatsächlich nahestanden.

Wie es die Tradition verlangte, stand Kobe zu Beginn der Zeremonie alleine vorne vor dem Altar. Auch er hatte sich sichtlich herausgeputzt und Colettes Brust wurde ganz warm, als sie bemerkte, wie nervös der junge Mann war. Je länger er dort warten musste, desto merklich schwerer fiel es ihm seine Nervosität und Ungeduld zu zügeln. So hatte Colette Kobe noch nie in ihrem ganzen Leben gesehen. Nicht Kobe, der ganz ähnlich wie Hannes häufig ein wenig mürrisch und wortkarg wirkte.

,,Wann kommt sie denn nun endlich?", fragte Emilie neben ihr mindestens ebenso nervös.

Beruhigend nahm Colette Emilies Hand und drückte sie sanft: ,,Gleich. Sie kommt bestimmt jeden Moment. Es kann überhaupt nichts mehr schief gehen, Emilie. Dafür hast du gesorgt." Sie lächelte ihr freundlich zu.

Emilie nickte und atmete zitternd ein, drückte Colettes Hand einmal fest zum Dank zurück und gab sie dann wieder frei.

Alles Warten und Zittern waren spätestens dann vergessen, als die Türen der Kapelle geöffnet wurden. Carlotta schritt etwas unsicher am Arm von Hannes ins Innere. Was für ein Anblick! Selbst ein Blinder wäre vermutlich von der Anmut und Schönheit der jungen Frau überwältigt gewesen. Auch der Wirt machte definitiv keine schlechte Figur. Seine Zuneigung zu Carlotta war unübersehbar. Stolz und um sie besorgt wie ein Vater geleitete er sie nach vorne zum Altar.

Ein mädchenhafter Seufzer glitt über Colettes Lippen, als Carlotta dort angekommen sofort Kobes Finger umschloss. Der Moment, in dem sie endlich beieinanderstanden und einander berühren durften, war auch gleichzeitig der Moment, indem beide eine innerliche Ruhe überkam. Sie hatten nur noch Augen für ihr Gegenüber und nahmen darüber hinaus kaum noch etwas anderes war. In Gedanken erlebte Colette ihre eigene Hochzeit ein zweites Mal.

,,Liebes Brautpaar! Sie sind in dieser entscheidenden Stunde Ihres Lebens nicht allein. Sie sind umgeben von Menschen, die Ihnen nahestehen und zugleich ist auch Gott bei ihnen. Der Gott Ihres Lebens und Ihrer Liebe. Er heiligt Ihre Liebe und vereint Sie zu einem untrennbaren Lebensbund." Ganz wie bei Colettes Hochzeit gab der Pfarrer auch an diesem Tag ein paar einleitende Worte und Floskeln von sich, bis er schließlich zum wesentlichen Teil überging, zur Trauung: ,,Ich bitte Sie nun, öffentlich zu bekunden, dass Sie zu dieser christlichen Ehe entschlossen sind."

Zuerst wandte er sich an Kobe: ,,Korbinian, ich frage Sie: Sind Sie hierhergekommen, um nach reiflicher Überlegung und aus freiem Entschluss mit ihrer Braut Carlotta den Bund der Ehe zu schließen?"

,,Ja", sagte Kobe schlicht und mit fester Stimme.

,,Wollen Sie ihre Frau lieben und achten und ihr die Treue halten alle Tage ihres Lebens?"

,,Ja." Kobe sah Carlotta fest in die Augen. Es bestand kein Zweifel daran, dass dieses Versprechen ewig gelten würde.

Jetzt wandte sich der Pfaffe Carlotta zu: ,,Carlotta, ich frage Sie: Sind Sie hierhergekommen, um nach reiflicher Überlegung und aus freiem Entschluss mit ihrem Bräutigam Korbinian den Bund der Ehe zu schließen?"

,,Ja." Kurz war es still in der kleinen Kapelle, bevor sich eine allgemeine Unruhe ausbreitete.

Wie bitte? Hatte Carlotta soeben gesprochen? Colette war ganz aufgeregt und aufgewühlt, Kobes Augen wurden groß und Carlotta selbst schien regelrecht erschrocken. Vermutlich hatte sie einfach nur wie immer ihre Lippen bewegt und niemals erwartet, dass dabei tatsächlich auch nur ein Ton darüber kommen würde. Sie schlug die Hände vor den Mund. Tränen drohten überzulaufen.

Der Pfarrer, nichtsahnend, welches Wunder gerade in seiner eigenen Kirche geschehen war, fuhr unbeirrt fort: ,,Wollen Sie ihren Mann lieben und achten und ihm die Treue halten alle Tage ihres Lebens?"

,,Ja". Carlotta konnte sprechen. Ganz wirklich, ganz ohne Einbildung. Ihre Stimme war wunderschön. Colette konnte es nicht fassen. Sie war ganz durcheinander. Aber wie auch immer das möglich war; es war das schönste Hochzeitsgeschenk, das sie sich hätte vorstellen können.

,,Kobe", ergriff Carlotta erneut das Wort. Sie klang ein wenig rau und dünn. Ein wenig so, als hätte sie schon sehr lange nicht mehr gesprochen und es deshalb fast verlernt. Mit feuchten Augen sah sie zu ihrem Verlobten auf: ,,Vor Gottes Angesicht nehme ich dich an als meinen Mann." Ihre Stimme bebte gefühlvoll. ,,Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens."

Etwas Kühles, Nasses rann über Colettes Wange. Verwundert wischte sie darüber. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie vor Glück zu weinen angefangen hatte. Sie schniefte lachend und barg ihre Wange an der Schulter ihres Geliebten, der lächelnd einen Arm um sie legte und sie an sich zog. Gemeinsam lauschten sie auch noch Kobes Versicherung seiner ewigen Treue und Liebe und sahen dem Paar dabei zu, wie es sich gegenseitig die Ringe ansteckte. Die Ringe standen für ewige Liebe und Treue. In guten wie in schlechten Zeiten. Colette lächelte blind unter Tränen. Sie fühlte sich seltsam schwerelos beim Anblick ihrer Freunde. Tief in ihrem Herzen wusste sie, dass das Wunder, dessen sie soeben alle Zeugen geworden waren, mit dieser ewigen Liebe zu tun hatte.

Wie durch einen Schleier nahm Colette den Rest der Zeremonie war. Beinahe hätte sie ihren Einsatz verpasst. Es war einfach alles eine Spur zu schön, um wirklich wahr sein zu können.

Beim Auszug aus der kleinen Kapelle war sie ein wenig wackelig auf den Beinen und froh sich an ihrem Gatten festhalten zu können, so durcheinander war sie noch immer. Rosalie und zwei Freundinnen von ihr streuten vor dem Brautpaar einen kleinen Blumenteppich aus. Und als sie dann draußen standen, um dem frisch vermählten Brautpaar ihre Glückwünsche auszusprechen, bellte Oscar laut und sie traute erneut ihren Sinnen kaum. Ein gutes Stück vom Ufer entfernt hatte sie mitten zwischen den Wellen eine Bewegung wahrgenommen. Waren das...? Nein, das konnte unmöglich wahr sein, aber – waren das etwa Meerjungfrauen, die ihnen zuwinkten?

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