Grüne Augen sind gefährlich




Grüne Augen sind gefährlich

Engelsgleich, leicht wie eine Feder gleitet sie über die Straße, als würde sie wenige Zentimeter über dem Boden schweben. Ihre langen roten Haare, die vom Wind verweht werden, umhüllen, sie wie ein Umhang.

Als sie mich bemerkt, schaut sie mich aus grünen Katzenauge

n an und ihre Lippen verziehen sich zu einem verführerischen Lächeln. Nur eine Sekunde lang halten ihre Augen meine fest, dann ist es vorbei und sie ist weitergegangen und verschwunden.

Ich bleibe zurück und blicke auf die Stelle, wo sie eben noch stand, ich spüre wie mein Herz mir immer noch bis zum Hals schlägt. Aber die Aufregung verschwindet schnell und macht der Leere Platz.

Ob ich sie je noch einmal wieder sehe?

Ich stehe wieder an der gleichen Stelle, wo ich sie zum ersten Mal sah. Zur gleichen Zeit, als ich sie sah. Ich halte Ausschau nach der schönen Fremden, doch ich sehe sie nicht. Enttäuscht steige ich auf mein Fahrrad und fahre nach Hause.

Meine Wohnung ist klein, eine größere kann ich mir nicht leisten, ich bin nur Hilfskoch in einem kleinen Restaurant.

Am nächsten Tag regnet es und meine Laune ist genauso schlecht wie das Wetter.

Ich ziehe mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf und laufe los, um nicht schon wieder zu spät zur Arbeit zu kommen.

Als ich an der Ampel stehe, sehe ich eine schlanke Frau in einem schwarzen Mantel und mit einem schwarz-rot karierten Regenschirm um die Ecke biegen. Bevor sie aus meinem Blickfeld verschwindet, kann ich noch erkennen, wie kurz ein paar rostrote Haarsträhnen im Wind flattern.

Ich laufe zu der Stelle, an der ich die Frau gesehen habe und biege um die Ecke in eine Straße, in der sich nur Designer-Läden aneinander reihen.

Ich suche nach der Gestalt und sehe gerade noch, wie die Fremde in eine schwarze Limousine mit getönten Fensterscheiben steigt. Sie schüttelt noch einmal den Regen von ihrem Regenschirm und dann ist die Wagentür verschlossen.

Zur Arbeit bin ich zu spät gekommen, mein Chef dachte, drei Mal sei genug und degradierte mich zu einem Laufburschen.

***

Blut.

Es läuft in Strömen über die Schlachtbank, als der Metzger das Fleisch zerteilt. Es spritzt auch auf seine saubere weiße Schürze und tropft von der Klinge seines riesigen Messers, als er es wieder beiseite legt.

Seine breitschultrige Angestellte zwinkert mir zu, als sie mir die verpackte Lieferung übergibt und wirkt ein wenig traurig, als ich nicht darauf reagiere.

Ich trete hinaus in die schneidende Kälte und fülle meine Lungen mit frischer sauberer Luft. Ich fühle mich irgendwie dreckig und habe das Bedürfnis zu duschen und mich umzuziehen. Doch ich schwinge mich auf mein Fahrrad und fahre ins Restaurant zurück.

***

Letzte Nacht träumte ich, dass ich durch ein riesiges Sonnenblumenfeld lief. Überall waren Sonnenblumen, so weit ich sehen konnte. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und schaute über die Blumen hinweg zum Horizont und sah nur gelbe Blumen. Dabei hasse ich diese Farbe.

Ich ging also durch diese gelben Blumen und wusste nicht genau wohin, aber meine Augen hatten genug von den Sonnenblumen und genug von dem Gelb, also schaute ich mich nach irgendeiner anderen Pflanze, nach irgendeiner anderen Farbe um. Aber da war nichts, nur gelb.

Ich begann zu laufen in die Richtung, von der ich glaubte, es sein geradeaus. Ich lief und merkte nicht, ob ich überhaupt weiterkam, ich war immer noch in einem riesigen Sonnenblumenfeld.

Langsam war ich genervt, also lief ich etwas schneller. Ich merkte wie ich ins Schwitzen kam, die Sonne brannte auf meinem Rücken. Ich kam aber immer noch nicht vorwärts. Irgendwann war ich so erschöpft, dass ich nicht mehr weiterlaufen konnte. Deshalb blieb ich stehen und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Meine Beine zitterten vor Anstrengung, sodass ich mich kurz hinsetzen musste. Ich legte mich hin und schloss kurz die Augen.

Als ich sie wieder öffnete, merkte ich, dass ich eingeschlafen sein musste. Ich fragte mich, wieso ich aufgewacht war und da hörte ich eine leise Musik und ich wusste, dass mich das geweckt hatte. Ich erhob mich und merkte erleichtert, dass es etwas kühler geworden war, und Abend. Ich sah am Himmel, dass die Sonne langsam unterging. Dann hörte ich wieder die Musik und wollte wissen, wo sie herkam. Also setzte ich mich in Bewegung und ging wieder durch die Sonnenblumen in eine unbestimmte Richtung. Auf einmal sah ich so etwas wie eine Lichtung, eine kleine Anhöhe, auf der keine Sonnenblumen wuchsen. Stattdessen stand dort ein kleiner Pavillon.

Ich bog die Stängel der Sonnenblumen beiseite und stand endlich am Fuß der Anhöhe. Jetzt merkte ich auch, dass die Musik von dort kam und als ich besser hinsah, konnte ich erkennen, dass sich Ranken um die Pfosten des Pavillons wunden. Ich näherte mich noch etwas und bemerkte, dass um den Pavillon herum und an seinen Wänden empor rote Rosen wuchsen. Ich wollte noch einen Schritt machen, da fiel mein Auge auf einen Schatten unter dem Dach des Pavillons. Ich bleib stehen und kniff die Augen zusammen um besser sehen zu können. Es war mittlerweile schon ganz schön dunkel geworden, ich konnte nicht viel sehen, nur, dass es ein Mensch sein musste. Dann kam plötzlich eine Windböe auf und ich sah etwas rotes schimmern.

Dann bin ich aufgewacht.

***

Ich schrecke vor Schmerz zurück und hätte fast den Teller fallen gelassen, den ich abwaschen sollte. Ich drehe den Wasserhahn auf und lasse kaltes Wasser über meine Hand laufen, als ich vor Kälte kein Gefühl mehr in den Fingern habe, lasse ich es noch etwas weiterlaufen und mische so das kalte mit dem heißen Wasser. Mein Chef kommt vorbei und deshalb greife ich schnell nach der Bürste und schrubbe angestrengt einen der Töpfe. Er schaut gar nicht zu mir herüber, sondern eilt geschäftig an mir vorbei.

In der Mittagspause verlasse ich das Restaurant und laufe ziellos durch die Straßen. Ich sehe einfach nur auf den Boden und laufe geradeaus, wohin meine Füße mich tragen. Als ich schließlich doch aufblicke, finde ich mich in der Straße mit den Designer-Läden wieder.

Einige schwerreiche Leute schlendern scherzend an den Schaufenstern vorbei. Ich bleibe kurz stehen und schaue mich um. Auf der anderen Straßenseite sehe ich ein edel aussehendes Cafe. Ich schaue durch das große Fenster und beobachte die Menschen im Inneren. Ich sehe einige Schlipsträger, die Kaffee aus weißen Porzellantassen trinken und sich dabei unterhalten. Auf einmal bleibt mein Blick an einer Frau hängen, die ganz allein an einem Tisch sitzt. Ich erkenne, dass es die schöne Rothaarige ist und mein Herz fängt sofort an wie verrückt zu schlagen. Ich betrachte sie ganz genau: sie trägt einen engen schwarzen Rock und eine weiße Rüschenbluse, sie sitzt mit überschlagenen Beinen an einem Tisch für zwei Personen und trinkt Kaffee, es scheint, als würde sie auf jemanden warten. Mir fällt auf, dass auf dem Tisch eine rote Rose liegt.

Ich könnte noch ewig da stehen und sie beobachten, wie ihr Haar im Sonnenlicht glänzt und wie sie bewegungslos dasitzt und immer nur die Eingangstür des Cafes mit ihren Katzenaugen fixiert. Doch ich muss leider wieder zur Arbeit.

In der vergangenen Woche bin ich jeden Tag in meiner Mittagspause in die Straße mit den teuren Geschäften gegangen und habe die Fremde in dem Cafe beobachtet. Sie war jeden Tag dort, immer zur gleichen Zeit, immer am gleichen Tisch.

Am dritten Tag betrat ein Mann im Anzug mit einer roten Rose in der Hand das Cafe. Er schaute sich um und erblickte sie nach einem kurzen Moment. Er ging zu ihr und setzte sich auf den freien Stuhl ihr gegenüber. Sie lächelte leicht und sagte etwas zu ihm, sie unterhielten sich, doch irgendwann verließ der Mann das Cafe wieder während sie weiter dort sitzen blieb.

Nachdem ich sie eine Woche lang beobachtet hatte und noch mehrere andere Männer gekommen und gegangen waren, beschloss ich den nächsten Schritt zu wagen.

***

Ich stehe schon wieder vor dem Cafe, in dem ich die Frau beobachtet habe. Auch heute sitzt sie wie immer an dem Tisch am Fenster, in einem roten Kleid diesmal. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen und überquere die Straße, vor der Tür des Cafes zittern meine Knie so stark, dass ich glaube, ich kann keinen Schritt mehr geradeaus gehen. Aber ich strecke die Hand aus und berühre den kalten Türknauf aus Messing, der schon ganz schwarz geworden ist von den vielen Händen, die ihn schon angefasst haben. Ich schlucke und stoße die Tür auf. Als ich eintrete und die Tür hinter mir wieder ins Schloss fällt, vernehme ich ein leises Klingeln. Ich schaue mich um: ich befinde mich in einem lichtdurchfluteten gefliesten Raum, links befindet sich ein Tresen und die Kasse, auf der rechten Seite gibt es drei große Fenster durch die das Sonnenlicht ins Innere gelangt. An den Fenstern stehen Tische aus dunklem, schweren Holz und dazu passende Stühle, im Raum verteilt gibt es noch weitere solcher Tische. Am hintersten Fenster an einem kleinen Tisch erblicke ich sie.

Sie sitzt mit überschlagenen Beinen vor ihrer Tasse und schaut in meine Richtung, jedoch an mir vorbei, auf die Tür hinter mir. Ich bin verwirrt und weiß nicht, was ich jetzt tun soll, also gehe ich einfach zum Tresen und setzte mich dort auf einen Hocker und schaue sie einfach an.

Kurze Zeit später, wieder das gleiche Bild: ein Anzugträger mit einer roten Rose kommt herein und setzt sich zu ihr.

„Allo." Sagt sie und lächelt ihn an. Er lächelt zurück und sie fängt an ihm einige Fragen zu stellen. Sie spricht leise, doch mit einer angenehmen Stimme, die einen leichten französischen Akzent hat. Deswegen spricht sie das „ch" wie „sch" aus und verschluckt das „h". Sie redet einige Minuten mit dem Mann, dann schüttelt sie den Kopf und er steht auf und geht wieder.

Als ich am Tag darauf wieder das Cafe betrete, bin ich merkwürdigerweise mit einem Mal so mutig einfach auf sie zuzugehen und mich ihr gegenüber an den Tisch zu setzen. Ich steuere einfach, ohne zu denken, ihren Tisch an und lasse mich auf den Stuhl plumpsen. Erst als ich schon sitze und in ihr Gesicht blicke, merke ich erst, was ich getan habe. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und stottere etwas Unverständliches. Doch sie lächelt nur und sagt: „Schön, dass du disch endlisch getraut 'ast 'erzukommen. Du beobachtest misch schon seit Wochen."

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll und sage einfach gar nichts. Ich sitze einfach da und starre die Tischplatte an. Als ich doch den Blick hebe, schaue ich direkt in ihre funkelnden grünen Augen, die die gleiche Farbe haben wie die Jacke, die sie heute trägt. Ein Lächeln umspielt ihre roten Lippen, als ich sofort wieder wegschaue.

Dann höre ich ein leises Klingeln und sie schaut wieder zu der Tür. Ich drehe mich um und sehe einen Anzugträger mit einer roten Rose, schon wieder. Ich blicke sie an und mache Anstalten mich zu erheben, doch sie schüttelt den Kopf und versteckt ihre Rose unter dem Tisch, sodass der Mann sie nicht sehen kann. Er schaut sich um und dann schaut er auf seine Armbanduhr, geht zum Tresen und setzt sich auf einen Hocker um zu warten. Nach einigen Minuten, in denen er mehrmals auf seine Uhr geschaut hat, erhebt er sich und geht wieder.

Ich schaue sie an, sie sagt nur: „Er war es nischt." Sie lächelt mich an.

„Isch 'eiße Kathérine. Et toi?"

„Leonard." Antworte ich ohne ihr Gesicht aus den Augen zu lassen.

„Ah, eine schöne Name." Sagt sie und lächelt wieder charmant.

Ich weiß noch genau, wie ich in die grünen Augen schaute und glaubte, ich könnte nicht mehr wegschauen.

Ich bemerke wie sie ihre Sachen zusammensucht, sie legt einen Geldschein unter ihre Tasse und ergreift ihre Handtasche.

„Alors, on y va, mon chérie." Ich verstehe kein Wort von dem, was sie gesagt hat, doch schon erhebt sie sich und streicht ihren Rock glatt. Neben mir bleibt sie stehen und schaut mich von oben herab an, als würde sie auf etwas warten. Ich, schwer von Begriff wie ich bin, habe keine Ahnung, was sie von mir will. Schließlich springe ich hastig auf und folge ihr hinaus. Dort wartet auch schon die schwarze Limousine.

Komisch, denke ich noch. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie vorgefahren war.

Zielstrebig geht sie darauf zu, ich hinter ihr her wie ein Schoßhündchen, öffne ihr die Tür. Sie steigt ein. Als ich die Tür schon wieder schließen will, gibt sie mir mit einem Wink zu verstehen, dass ich einsteigen soll.

Wir fahren los.

***

Jetzt fahre ich zu ihr nach Hause und klingle an der Tür. Der Ring in meiner Hosentasche brennt auf meinem Oberschenkel wie ein glühendes Eisen.

Als ich sage, dass ich sie liebe, lacht sie und schlägt die Tür zu.

Ganz kurz kann ich sehen, dass ein dunkelhaariger Mann auf ihrem Sofa sitzt, ein Glas Wein in der Hand.

Grüne Augen sind gefährlich, in der Liebe auch nicht ehrlich. Das wäre doch ein gutes Sprichwort. Denke ich während ich zurück nach Hause krieche.

Nach langer Zeit betrinke ich mich wieder.

Taumelnd wanke ich die Treppen hoch. Blind versuche ich im dunklen Hausflur meinen Schlüssel ins Schloss zu stecken. Zweimal stoße ich nur auf Metall. Dann endlich treffe ich das Loch und drehe den Schlüssel um. Ich schlage die Tür hinter mir zu und falle ins Bett.

Am nächsten Tag kommt sie und klingelt an der Tür.

„Isch will mit dir reden, s'il te plaît." Sagt sie und lächelt wieder so anziehend.

Ich öffne ihr und will sie wegschicken, da fällt sie mir um den Hals.

„Es tüt mir so wahnsinnisch Leid, mon chérie." Sie drückt ihre Lippen auf meine. Ich schmecke ihren Lippenstift.

„Kannst du mir verzei'en?" Fragt sie mit einer Unschuldsmiene. Ich spüre noch immer wie meine Lippen von ihrer Berührung brennen und nicke, ohne ganz bei der Sache zu sein.

Wieder lächelt sie. Ich werde vor die Brust gestoßen und lande auf dem Bett. Sie auf mir. Sie beugt sich zu mir herunter und küsst mich noch einmal. Dann fängt sie an mein Hemd aufzuknöpfen. Ihre Finger berühren meinen Hals, sie legt sie auf meine Halsschlagader und verweilt so einen Moment lang. Ich spüre nur noch wie sich meine Nackenhärchen aufrichten während sie ihre Lippen jetzt darauf presst.

***

Blut.

Ich fühle, wie es auf meiner Haut klebt, geronnen und vertrocknet.

Es läuft auch noch immer aus der Wunde an meinem Hals.

Ich kann spüren, wie es warm in meinen Nacken läuft, klebrig und nass.

Ich kann es riechen, den Geruch nach Metall, ich schmecke den Geschmack nach Eisen auf meinen Lippen.

Ich liege auf einem Kissen, das mit meinem Blut getränkt ist...

Ich öffne die Augen, mühsam, es fühlt sich an als seien meine Augenlieder aus Blei. Zuerst sehe ich gar nichts, nur Dunkelheit. Doch dann gewöhnen sich meine Augen langsam daran. Ich drehe den Kopf zur Seite und spüre einen schrecklichen Schmerz, ich betaste vorsichtig meinen Hals und fühle etwas Nasses und Klebriges. Als ich meine Hand betrachte, merke ich, dass es Blut ist. Ich ertaste eine tiefe Bisswunde...

Als ich wieder aufwache habe ich den Geruch von Blut in der Nase und ich spüre wie mein ganzer Körper schmerzt. Ich will mich bewegen, doch er fühlt sich an wie tonnenschwer. Ich bleibe liegen und schaue mich um, alles ist in ein undefinierbares Grau getaucht. In diesem Dämmerlicht kann ich wenig erkennen, nur, dass ich in einem großen Bett liege. Schwach kann ich noch einen Kleiderschrank ausmachen, der mir gegenüber an der Wand steht und eine Tür in der Ecke des Zimmers. Rechts von mir muss ein Fenster sein, doch dicke, schwere Vorhänge versperren die Sicht, nur etwas Licht dringt durch einen kleinen Spalt. Außer mir ist niemand da, zumindest kann ich niemanden sehen, doch ich spüre, dass noch jemand in der Nähe sein muss, vielleicht in einem Nebenzimmer.

Ich strenge mein Gedächtnis an und versuche mich zu erinnern wo ich bin, oder besser noch, wie ich hierher gekommen bin. Aber ich habe keine Ahnung was das für ein Ort ist und ich weiß auch nicht, was ich hier mache. Ich steche noch einmal meine Erinnerung an, schließe die Augen und denke zurück, aber da ist nichts.

Ich finde mich auf der Straße wieder. Alleine. Mitten in der Nacht. Es muss schon ziemlich spät sein, es ist niemand zu sehen. Ich drehe mich um und schaue die Straße entlang. Nur ein paar Straßenlaternen säumen den Weg. Die nächste in meiner Nähe leuchtet nicht, sodass ich im Dunklen stehe. Ich setzte mich langsam in Bewegung, auf eine der Lampen zu.

Das orangefarbene Licht brennt fürchterlich in meinen Augen, doch ich gehe weiter darauf zu, während meine Augen anfangen zu tränen. Ich kann nichts mehr sehen. Plötzlich nehme ich ein leises Geräusch wahr, wie das Ticken einer Uhr, nur tiefer. Ich bleibe stehen und denke es ist nur mein Herzschlag, der mir in den Ohren pulsiert, weil ich so große Angst habe. Ich lege meine Hand auf mein Herz und versuche meinen Puls zu beruhigen. Aber ich spüre nichts. Unter meiner Handfläche bleibt es regungslos. Merkwürdig. Ich presse einen Finger an mein Handgelenk... wieder nichts. Ich fühle an meiner Halsschlagader... kein Puls.

Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun. Was ist los mit mir? Träume ich etwa wieder?

Ich laufe los und komme langsam in eine Gegend, die mir bekannt vorkommt. Ich laufe weiter durch die Stadt, wie lange weiß ich nicht. Irgendwann geht die Straßenbeleuchtung aus, es wird also bald Morgen werden. Ich laufe weiter. Mit einem Mal - ein ohrenbetäubender Lärm hinter mir, wie Schritte nur so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten muss. Ich halte an, drehe mich um. Schon wieder höre ich das merkwürdige tiefe Uhrenticken, spüre, wie sich mir jemand nähert. Ein Windhauch streift mein Gesicht und ich vernehme einen süßen Duft. Wie eine Parfümwolke umschließt er mich. Ich atme tief ein, sauge ihn in meine Lungen.

Ich höre eine Stimme. „Ist da jemand?" fragt sie schrill. Ich merke wie ich leise lache und mache einen Schritt vorwärts. Dann wird es ganz schwarz in meinem Kopf.

Als ich wieder etwas spüre, liege ich in einer dunklen Straßenecke, zwischen verfallenem Mauerwerk. Ich richte mich ein wenig auf und sehe dabei ins Sonnenlicht. Ein Fehler. Sofort durchfährt mich ein Schmerz und ich halte eine Hand schützend vor meine Augen. So bleibe ich einige Minuten liegen, bis ich wieder die Augen öffnen kann.

Ich fühle mich komisch, irgendwie nicht ganz wie ich selbst. Und ich würde jetzt unheimlich gerne unter die Dusche. Ich schaue auf meine Hände und es trifft mich wie ein Schlag: an ihnen klebt Blut. Fremdes Blut. Denn ich bin unversehrt.

Durch das Terrassenfenster fällt Sonnenlicht ins Schlafzimmer, ergießt sich über den Boden und bildet große Vierecke auf dem Laminat.

In die Ecke geduckt, wie ein Häufchen Elend, hocke ich auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, den Kopf auf den Knien. Ich habe versucht den Raum zu durchqueren und zur Tür zu gelangen, aber jedes Mal, wenn das Sonnenlicht meine Haut berührte, spürte ich ein so heftiges Brennen, dass ich sofort zurückwich und mich in den Schatten verzog.

Ich hebe den Kopf und lasse den Blick durch das Zimmer schweifen. Was ist nur los mit mir? Seit Tagen habe ich weder geschlafen, noch etwas gegessen. Ich spüre meinen Puls nicht mehr und vertrage kein Sonnenlicht. Außerdem fehlen mir Teile meiner Erinnerung. Ich finde mich irgendwo wieder, ohne zu wissen wie ich dort hingekommen bin und ich kann mich manchmal nicht erinnern was ich stunden- oder sogar tagelang gemacht habe. Es ist, als ob ich diese Zeit einfach verloren hätte.

***

Ich stand auf einer dunklen Straße. Ich schaute mich um, stellte aber fest, dass ich diese Gegend nicht kannte, noch nie hier gewesen war. Ich hörte Geräusche, laute Musik, ganz in der Nähe. Dann sah ich die bunte Neonbeleuchtung, gedämpft durch meine dunkle Sonnenbrille. Langsam ging ich auf den Eingang des Nachtclubs zu, da trat eine Frau hinaus ins Freie. Ein junges Ding, wahrscheinlich gerade mal 20, in kurzem Glitzer-Röckchen und hohen, viel zu hohen Schuhen. Ich lächelte leise vor mich hin und folgte ihr.

Sie ging alleine die dunkle Straße entlang, ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt. Irgendwann bog sie in eine kleine Seitengasse ein, die von Bäumen gesäumt war und an einem Park entlang führte. Ihre Schritte wurden jetzt von den am Boden liegenden Blättern gedämpft.

Plötzlich tat ich auf einen kleinen Ast, er zerbrach unter meinem Schuh und ein Knacksen durchbrach die Stille. Ich blieb stehen und blickte zu dem Mädchen. Erschreckt drehte es sich um und schaute in meine Richtung. Ich wusste nicht, ob es mich gesehen hatte, doch es setzte seinen Weg nun im Laufschritt fort.

Die Jagd ist eröffnet, dachte ich nur und konnte nicht anders als leise zu lachen. Dann lief ich auch los. Ich sah sie auf die nächste Hauptverkehrsstraße zulaufen. Sah, wie ihr Haar flatterte, als sie sich immer wieder zu mir umdrehte und versuchte noch schneller zu laufen. Ich hörte wie ihr Herz immer schneller und schneller schlug, ihr Blut immer mehr pumpte. Ich hatte sie schnell eingeholt, sie war nicht besonders schnell in diesen Schuhen. Blad war ich so nah heran, dass ich den Duft ihres Blutes wahrnehmen konnte und ich begriff, dass das tiefe Ticken, das ich schon vorher gehört hatte in Wirklichkeit ihr Herzschlag war, der jetzt rasend ging.

Dann kam es wie es kommen musste, sie knickste in ihren hochhackigen Schuhen um und fiel hin. Ich überholte sie und versperrte ihr den Weg. Sie riss den Kopf nach oben und schaute mich an, blankes Entsetzen war in ihr Gesicht geschrieben.

Deine Uhr ist abgelaufen, Süße, sagte ich mir und betrachtete ihren schlanken langen Hals. Ich spürte mit einem Mal einen großen unstillbaren Durst und fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. Dabei merkte ich, dass meine Schneidezähne auf einmal sehr viel länger geworden waren. Ich schritt auf sie zu, sie starrte mich panisch an und versuchte wegzulaufen, doch ich ergriff ihren Oberarm und hielt sie fest. Ich hörte nur noch ihren markerschütternden Schrei, als ich meine Zähne in ihren Hals bohrte...

***

Ich springe auf, als sei ich gerade aus einem Alptraum geschreckt. Hätte ich noch einen Puls, würde er jetzt rasen. Ich kann die schrecklichen Bilder, die ich gesehen habe nicht vergessen. War es ein Traum? Es hat sich so real angefühlt. Das Gesicht der Frau, ihre Angst und die Bösartigkeit, die ich empfand.

Ich schaue an mir herunter: mein Hemd ist blutbefleckt, angewidert ziehe ich es aus und werfe es in die Mülltonne, während ich zum Waschbecken gehe. Ich drehe den Wasserhahn voll auf und betrachte für einen Moment den Wasserstrahl, lausche auf das Rauschen. Es war kein Traum, wird mir plötzlich bewusst, aber was war es dann?

Ich spritze mir eiskaltes Wasser ins Gesicht. Dann stütze ich die Hände auf den Beckenrand und starre in den Spiegel, der merkwürdigerweise beschlagen ist. Ich wische mit der Hand darüber und da sehe ich meine Schneidezähne: sie sind lang und spitz, wie die eines Raubtiers. Ich sehe es, aber nur einen Moment lang, wie ein Flackern, dann ist es wieder verschwunden, wie in den Horrorfilmen, und ich sehe wieder normal aus.

Auf einmal erinnere ich mich wieder an alles. An die Nacht, in der ich das Mädchen angegriffen habe. An die erste Nacht, in der ich orientierungslos umhergeirrt bin, an all die anderen Nächte. Jetzt ist auch die Erinnerung an Kathérine wieder da. Wie ich sie beobachtete. Wie sie sich mit den Männern traf. Wie ich ihr den Heiratsantrag machte und sie mich abwies. Wie sie danach an meiner Tür stand, mich küsste... und mir ihre Zähne in den Hals schlug.

Engelsgleich, leicht wie eine Feder glitt sie über die Straße. Seit dem Tag, an dem sie mich biss und zu dem machte, was ich jetzt bin, habe ich sie nicht mehr wieder gesehen.

© 2010

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