Kapitel 9
Kathi
In Gedanken durchlebte sie die Nacht noch einmal. Er hatte sie Kathi genannt, als er in ihr gekommen war.
Kathi - sein Name für sie.
Kathi - der Name der Leidenschaft.
Ihre Eltern hatten nie erlaubt, dass sie anders genannt wurde als Katharina. Während der kurzen Rebellionsphase in der Pubertät hatte sie immer darauf hingewiesen, dass sie Ina heißen würde, dass Katharina zu altbacken, zu spießig wäre.
Taschengeldentzug hatte ihr die Flausen schnell ausgetrieben.
Liebesentzug gab es nicht, denn von Nichts konnte man nichts entziehen.
Doch hier in Bayern, weit weg von den dominanten Eltern würde sie Kathi bleiben. Damit würde sie sich immer an ihn erinnern.
An Kevin - den gutgebauten, hübschen, intelligenten Lagerarbeiter, den ein Gewitter in ihr Leben gespült hatte.
Den aber der nächste Morgen wieder geholt hatte, wohin auch immer. Sie spürte noch immer keine Traurigkeit, auch nicht als sie die Bettwäsche ihrer Hälfte abzog und in die Waschmaschine steckte. Sein Duft hatte sich verflüchtigt, nichts war zurückgeblieben.
Doch! dachte sie. Eine ganze Menge!
Sie trocknete Laken und Bezug, schlief in der frischgewaschenen Wäsche.
Im Traum kam er zurück, aber nur kurz. Es gab ein Gewitter, eine Wolke verschlang ihn, und sie ließ ihn gehen.
Am Sonntag rief sie ihre Eltern an. „Hallo! Hier ist Kathi!" meldete sie sich.
„Katharina!" antwortete ihre Mutter pikiert.
„Ich muss mich hier Kathi nennen! Dieses räuberische Bergvolk schafft so viele Silben nicht!" versuchte sie einen Scherz, der jedoch an der Mauer von Humorlosigkeit ihrer Mutter abprallte.
„Kommst du zu meinem Geburtstag?" wollte Alma wissen.
Okay! Das war das Einzige, das die Mutter interessierte. Die Riesenparty, bei der Katharina wieder einmal den Schaulustigen vorgeführt werden sollte.
„Da habe ich Nachdienst, sorry!" schwindelte sie. Sie hatte ihren Dienstplan noch gar nicht für die Zeit in vier Wochen.
„Dann wird dein Vater deinen Chef anrufen, damit das geändert wird!" erklärte Alma kategorisch.
„Nein, das wird er nicht! Ich bin 28 Jahre alt!" wehrte Kathi ab.
„Eben! Du bist 28, unverheiratet und benimmst dich wie eine 15jährige! Suchst dir einfach einen Job weit weg, ohne uns zu fragen, was wir davon halten! Die Leute reden schon ziemlich viel über unsere Familie!" donnerte ihr ihre Mutter ans Ohr.
Kathi wurde sauer. „Und? Was reden sie? Dass ich die dritte Psychotherapie mache wie die Tochter von Bergmanns? Oder in der Drogenklinik bin wie die von Walters? Oder, dass ich das zweite uneheliche Kind bekomme wie die der Gartners? Oder meinen dritten Lamborghini zu Schrott gefahren habe wie der Sohn von Konsul Hammerschmidt? Oder dass ich den zehnten Typen angeschleppt habe innerhalb eines Jahres, meine Nächte auf Ibiza durchfeiere, mich von Alkohol und Koks ernähre wie so viele Töchter und Söhne aus all den guten Familien? Oder reden sie darüber, dass ich Tag für Tag Kindern helfe, nachdem ich ein Super-Abitur gemacht und mein Studium in Rekordzeit durchgezogen habe? Denn in diesem Fall solltest du stolz sein auf das, was sie reden!"
Nach dieser für sie ungewohnt langen und scharfen Rede beendete sie das Gespräch grußlos.
Was hatte sie denn bloß geritten, in Köln anzurufen?
Ein wenig das Glück teilen, das seltsamer Weise ihr Herz so zum Singen brachte?
Mit ihren Eltern?
Eine dümmere Idee hatte sie ja noch nie gehabt!
Ihr Handy klingelte beinahe umgehend. Ihre Mutter rief wohl erzürnt zurück. Das konnte eine Alma von Arnfeld nicht auf sich sitzen lassen!
Kathi schaltete das Gerät aus.
Sie hatte keine Bereitschaft, sie konnte das!
Sie warf sich auf ihr Bett, sprang schnell wieder hoch, schaltete das Radio ein, wählte einen Sender mit Kuschelsongs, drehte sich zu den sanften Tönen im Kreis, umarmte sich selbst.
Jede Minute der Nacht mit Kevin lief vor ihrem inneren Auge ab, vom ersten Blick auf sein hübsches Gesicht bis zu dem Moment, als sie aus überglücklichen Träumen aufgewacht war.
Und noch immer war sie nicht traurig, dass er gegangen war - nur glücklich, dass es ihn gegeben hatte!
Am Montag grinste Pascal sie an. „Na? Hat es sich ausgezahlt, dass wir dich alleine gelassen haben?"
Sie grinste den Kollegen frech an. „Ja! Durchaus! Willst du Einzelheiten wissen?"
Er hob abwehrend die Arme. „Nein! Verschone mich bitte mit schmutzigen Bettgeschichten!" Lachend betraten sie das Zimmer der Stationsärzte.
Jakob saß schon auf seinem Platz über der Patientendatei. „Ah! Ihr habt Geheimnisse vor mir!" beschwerte er sich.
„Schmutzige Geheimnisse!" erklärte Pascal und blinzelte dem Kollegen verschwörerisch zu.
„Ihr seid sowas von doof!" schimpfte Kathi.
Die beiden nahmen sie in die Arme. „Aber als Kuppler ausgesprochen erfolgreich!" meinte Jakob, der verstanden hatte.
Da stürmte Monika herein. „Ich habe einen jungen Mann in der Leitung! Dr. Holbruck hat ihn zu uns überwiesen. Das ist doch dein Vater, oder?" fragte sie Pascal. „Also, dein alter Herr hat Herrn Berger eingeschärft, er bräuchte innerhalb von 14 Tagen einen Termin! Aber wir sind die nächsten drei Monate dicht! Er ist auch nur Kassenpatient!"
Kathis Blicke erdolchten die Stationssekretärin. „Das sollte ja wirklich keine Rolle spielen!" Sie klickte ihren Terminkalender am Computer an. „Am übernächsten Donnerstag, das ist der 10., kann er um 18 Uhr kommen!" verkündete sie.
Monika zog sich schnell zurück, verkündete dem hartnäckigen Vater die Nachricht.
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