Kapitel 65

Es war sehr still im Saal bei Kevins Rede, doch dann ertönte ein lautes „Juchhu!" von Philip. Kathi musste so sehr lachen, dass ihr „Ja!" ziemlich erstickt über ihre Lippen kam.
Doch Kevin hatte es natürlich mit allen Sinnen wahrgenommen.

Grinsend steckte er ihr einen wunderschönen Diamantring, für den er fast sein ganzes Bankkonto geplündert hatte, an den Finger, küsste sie innig.

Gregor ließ es sich nicht nehmen, eine rauschende Hochzeitsfeier für seine einzige Tochter und seinen perfekten Schwiegersohn auszurichten.
Er hatte immer versucht, sich nicht in das Leben der beiden einzumischen, war auch nicht gekränkt gewesen, als sie das Angebot mit dem Haus abgelehnt hatten.

Aber bei der Planung dieses Riesenevents würde er sich nicht dreinreden lassen.
Oder nur ein bisschen.
Anita, seine wunderschöne Frau und die beste Freundin seiner Kathi holte ihn immer ein ganz klein wenig auf den Boden zurück, damit alles zum größten Teil im Sinne des Brautpaares ablief.

So verzichtete Gregor auf die große Anzeigenkampagne in der Presse, auf die Einladung eines Fernsehteams, aus den geplanten 300 Gästen wurden circa 50.
Die kirchliche Trauung fand auch nicht im Dom statt sondern in der Schottenkirche, worum Philip gebeten hatte.

Und ihm konnte Gregor so gar keinen Wunsch abschlagen.
Beim Hotel für die Feier hatte sich überraschend hartnäckig Kevin durchgesetzt.
Nicht das Maximilian mit seinem Zuckerbäckerstil sollte es sein, sondern das Hotel, das damals, als alles begann, Albert gehört hatte.

Das Haus war mittlerweile sehr vornehm und edel umgebaut worden, war von der Größe her vollkommen ausreichend.
Die Honeymoon-Suite, die aus dem Zimmer ihrer zweiten Nacht geworden war, würde wunderschöne Erinnerungen hervorrufen.

Doch alles andere hatte Gregor perfekt hinbekommen.
Der Chor der ehemaligen Domspatzen gestaltete die musikalische Umrahmung des Gottesdienstes, sang aber nicht nur geistliche Lieder, sondern auch eine Reihe von Lovesongs.

Kathi schritt am Arm ihres Vaters durch den Gang, Anita trug ihre Schleppe, auf einen Schleier hatte sie bewusst verzichtet.
Vor ihnen ging ein stolzer Philip mit Raffi an der Hand, der begeistert Blüten streute.

„Ich übergebe dir das Wertvollste, das ich habe!" sagte Gregor, dessen Stimme verdächtig nach unterdrückten Tränen klang. „Meine Tochter Kathi. Liebe und ehre sie, wie sie es verdient hat!"
„Das kannst du annehmen!" erklärte Kevin flapsig, um die eigene Rührung zu überspielen.

Dabei war er bisher die Ruhe selbst gewesen.
Nein! Er würde keiner dieser nervösen Bräutigame sein, die daran zweifeln, dass die Braut auch wirklich kommt!
Er würde auch nicht heulen vor Freude über den heutigen Tag! dachte er und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem rechten Auge, schniefte nur ganz vorsichtig.

Aber diese Minuten, während er am Altar stand, um auf die Liebe seines Lebens zu warten, waren schon verdammt lang!
Hatte er die Ringe?
Ach ja, die lagen ja schon auf dem Kissen, das Philip ihnen dann bringen würde.
Max, der sein Trauzeuge war, grinste ihn an.

Ja! Der hatte gut grinsen! Der hatte alles schon hinter sich!
In diesem Moment öffnete sich die Kirchentüre, und Kevin war nur noch hingerissen.
Zum Glück hat sie keinen Schleier, zum Glück auch keine dieser grässlichen Hochsteckfrisuren, zum Glück trug sie ihre herrlichen blonden Locken offen! dachte er vollkommen blödsinnig.

Dann begann der Gottesdienst - und er bekam jede Sekunde tief in seiner Seele mit, obwohl die Prinzessin neben ihm ihn eigentlich hätte vollkommen ablenken müssen.

Nach den Ehegelübden, als der Pfarrer sie zu Mann und Frau vor Gott erklärt hatte, als sie sich die wunderschönen Ringe angesteckt hatten, als er die Braut küssen durfte, tat er das mit aller Ehrfurcht vor seiner Liebsten.

Auf sein Zeichen hin lief Philip in die Sakristei und brachte dem Papa seine Gitarre. Kevin bat Kathi, sich noch einmal zu setzen, die Jungs stellten sich vor sie.
Kevin hatte den Abba-Song „The day bevor you came" auf Deutsch neu getextet, hatte oft heimlich mit Philip geprobt. Nun gaben sie sein Werk zum Besten, mit vielen Andeutungen auf ihr dunkles Leben, bevor Kathi kam. Die letzte Strophe machte klar, wie gut dieses Leben geworden war, „am Tag, nachdem du kamst"

Sie hing an den wunderschönen Lippen dieses wunderschönen Mannes, schluckte an ihren Tränen.
Nein! Sie würde keine dieser verheulten Bräute mit roten Augen und verschmiertem Makeup sein.
Doch ich bin ja wie immer gar nicht geschminkt! dachte sie und wischte sich eine Träne aus ihrem rechten Auge.
Im Kirchenraum herrschte atemloses Schweigen, alle lauschten auf die beiden Stimmen, die so perfekt harmonierten.

Die anschließende Feier war locker, lustig mit mehr als gut aufgelegten Gästen.
Jean und Jerome trugen einen kleinen Sketch vor, der kleine Jacques hing an Philip wie auch Raffael und Summer.

Lauras Familie war aus Italien gekommen, die Eltern sangen ein italienisches Liebeslied. Es wurde den ganzen Tag und Abend gelacht, getanzt, gealbert.

Dann endlich konnte sich Kevin mit seiner heißen Braut, die seit heute seine Frau war, verabschieden.
Wohlweislich hatte er die Hose seines maßgeschneiderten Anzuges um die Lenden etwas weiter anfertigen lassen.

Es war ihm schon klar gewesen, dass er die meiste Zeit mit einem Ständer herumlaufen musste.
Als er sie schließlich aus ihrem Kleid geschält hatte – ein paar der Häkchen mussten dran glauben, was aber nichts ausmachte, weil sie das Kleid ja nicht mehr brauchen würden – musste er sich erst einmal an ihr satt sehen, musste auch ein wenig herunter kommen.

Und dann fiel Kathi siedend heiß ein, was sie ihm den ganzen Tag über schon hatte gestehen wollen – aber für dieses Thema war eigentlich nie der richtige Zeitpunkt gewesen. Sie hatte ja die letzte Nacht im Haus ihres Vaters verbracht, beide hatten diesen Brauch sehr romantisch gefunden.

Doch sie hatte ihre Pillenpackung vergessen, wollte ihn am Morgen anrufen, dass er sie ihr bringen sollte, hatte auch daran nicht mehr gedacht. Sie nahm seit einigen Monaten ein sehr hormonreduziertes Präparat, das aber sehr pünktlich geschluckt werden musste.

Er hatte darauf bestanden, als er gelernt hatte, welche Nebenwirkungen bei einem normalen Mittel zu befürchten waren.
Als sie alles berichtet hatte, schloss er kurz die Augen.
Die paar Gläser Champagner waren ihm ein wenig zu Kopf gestiegen, außerdem brannte er wie noch nie für sie.

Er nahm sie in die Arme. „Nicht schlimm, Baby! Wir kenne ja genug Möglichkeiten, uns gut zu tun!"
Doch dann erhellte sich sein Gesicht. „Ich habe im Bad eine Notfallausrüstung gesehen!" Er flitzte los und kam triumphierend mit einer Packung Kondome zurück.
Er küsste sie schwindelig, sich gleich dazu, streichelte sie zu ihrem ersten Hochzeitsnacht-Orgasmus.

Dann öffnete er eines der Päckchen, mühte sich so ungeübt, wie er mit den Dingern war, nach Kräften ab.
Kathi verbiss sich ein Lachen. Ihr war klar, dass er schon lange keinen Gummi mehr übergezogen hatte.

Doch bald musste sie laut herausprusten, denn schnell war ihr klar geworden, dass die Größe nicht im Mindesten passte.
„Das haut nicht hin!" brummelte er und warf alles entnervt in die Ecke.
Kathi schnappte nach Luft. „Nein!" japste sie. „Dein Ding kriegst du nie da rein!"

Kevin stimmte in ihr Lachen ein. „Also, P-Sex!"
Das war ihr Code-Wort für Sex während ihrer Periode. In den ersten Monaten hatten sie während dieser Tag fast ganz auf Geschlechtsverkehr verzichtet, aber je offener sie miteinander umgingen, desto mehr Möglichkeiten hatten sie dazu gefunden.
Lachend wie so oft rollten sie durchs Bett, lachend und stöhnend taten sie sich unendlich gut.

Nur eines hatten sie nicht bedacht: den Halbschlafsex. Oft wachte einer von ihnen auf, manchmal auch aus einem heißen Traum, dann umarmten sie sich und schliefen miteinander, während sie sich zwischen Traum und Realität befanden.

Wenn sie dann ganz oben angekommen waren, waren sie wach, glücklich, verliebt.
Und so geschah es auch in dieser Nacht.
Kevin erschrak, als ihm klar wurde, was sie getan hatten. Doch dann beruhigte er sich. Es wäre ja bei Gott kein Weltuntergang, wenn sie ein Baby gemacht hätten. Sollte das Schicksal entscheiden. Wer, wenn nicht sie beide, sollte denn Kinder in diese Welt setzen?

Und das Schicksal entschied, dass er praktisch in dem gleichen Raum, in dem Albert ihn gezeugt hatte, seine flotten Jungs auf die Reise schickte zu Kathis mehr als erwartungsvollen Mädels.

Sie spürte es praktisch schon auf der Hochzeitsreise, die Albert und Angelika ihnen spendiert hatten: Eine vierwöchige Rundreise mit einem riesigen Wohnmobil durch die Südstaaten der USA mit einem 14tägigen Wellnessurlaub auf Hawaii im Anschluss.
Kevins Eltern hatten sich im Vorfeld sehr vorsichtig nach Wunschreiseplänen der beiden erkundigt, hatten dann genau ins Schwarze getroffen.

Kevin wurde klar, dass er Vater werden würde, als sie das Hotel in Honolulu bezogen. Ihr Hunger nach ihm lag nicht nur an dem Selen in der Meeresluft, ihre Brüste waren hyperempfindlich, ihre Periode war eine ganze Weile überfällig.
Glücklich tanzten sie an der Promenade entlang, wussten, einen Test brauchte es nicht.

Wieder zu Hause fuhren sie gleich zu Albert und Angelika, um die große Neuigkeit zu verkünden.
Auf dem Sofa im Wohnzimmer saß ein junger, gutaussehender Mann mit einem wunderschönen Mädchen neben sich.
Erst auf den zweiten Blick erkannte Kevin seinen jüngsten Bruder Marvin.

Hey! Der Junge hatte sich aber gemacht! dachte er. Der Körper gestählt von der Arbeit im Lager, das früher vom Alkohol aufgedunsene Gesicht männlich geworden. Die Haare gepflegt und gut geschnitten, die Klamotten sauber und modisch.

Er nahm den Kerl, der es wohl auch geschafft hatte, gerührt in die Arme. Stolz stellte Marvin seine Kleine vor. „Das ist meine Charly. Ihr habe ich viel zu verdanken!"
Dann erzählte er, dass Charlotte Rechtsanwältin war, dass er zuerst den Hauptschulabschluss, dann die Mittlere Reife und schließlich am Abendgymnasium das Abitur gemacht hatte und seit einem Semester Jura studierte – was ein Traum von ihm gewesen war.

Kevin bekam den Mund gar nicht mehr zu.
„Wo hast du sie denn aufgegabelt?" fragte er, als sie auf dem Balkon standen und eine Zigarette rauchten.

Marvins Blick schweifte ab. „Ich war sauer, weil die Brüder und Herrmann mich nicht in Ruhe gelassen haben. Ständig hat einer angerufen, ich sollte dieses oder jenes machen. Dabei war ich doch dabei, mein Leben auf die Reihe zu kriegen, wollte mit dem ganzen Mist nichts mehr zu tun haben. Mum und Albert haben mir ja sehr geholfen. An diesem Abend hat mich Dustin ziemlich böse bedroht. Ich bin losgelaufen, wollte meinen Kopf frei bekommen. Dann habe ich mich in der Innenstadt wiedergefunden, ein schlimmes Gewitter ist losgebrochen, ich bin vor dem Regen in eine kleine Bar geflüchtet. Und da war sie! Mit ein paar Kollegen. Und ich habe eine Nacht lang nach den Sternen gegriffen! Doch sie wollte mich auch am Morgen noch, warum auch immer!"

Kevin starrte seinen kleinen Bruder fassungslos an. Konnte es so etwas geben? Dass sich Geschehnisse einfach wiederholten?

Im Wohnzimmer stellte Kathi Charlotte die gleiche Frage nach dem Kennenlernen, weil Liebesgeschichten einfach zu schön waren, und weil sie zur Zeit hormonbedingt eh ein wenig sentimental war.

Charlys Blick schweifte ab. „Ich war gerade nach Regensburg gezogen, hatte meine erste Stelle angetreten. Ein paar Kollegen waren mit mir weggegangen. Da kam er zur Türe einer kleinen Bar herein, tropfnass, aber wunderschön. Wir haben die Nacht zusammen verbracht – etwas, das ich noch nie gemacht hatte. Am Morgen wollte er sich vom Acker machen, aber ich habe ihn nicht gehen lassen!"

Kathi sah ähnlich überrascht drein wie Kevin auf dem Balkon.
„Kennst du unsere Geschichte?" fragte sie die junge Frau.
Charly – sie liebte diesen Kosenamen, den Marvin ihr in der ersten Nacht gegeben hatte – grinste. „Ja! Einen Teil hat Angelika uns erzählt! Es scheint gewisse Parallelen zu geben!"

Zwei Monate später erfuhren ein überglücklicher werdender Vater und eine ebenso überglückliche werdende Mutter, dass sie Zwillinge erwarten durften.

Als Max die Neuigkeit erfuhr, knuffte er seinen besten Freund. „War ja klar, dass der Berger mich auch beim Kinderkriegen übertrumpfen muss!"
Die ganze Familie war außer sich vor Glück – allen voran Philip. Er liebte Babys und Kinder über alles, hatte die nötige Geduld für all den Nachwuchs, den es in seinem Umfeld gab.

Gregor nahm seinen Schwiegersohn zur Seite. „Aber dann wird es in eurer Wohnung wohl doch zu eng."
Kevin schüttelte den Kopf. Wahlenstraße 15, vierter Stock, würde immer ihre Adresse bleiben. Dort hatte er die Liebe gefunden, dort war sein Sohn mehr oder weniger aufgewachsen, dort würden auch seine Zwillinge leben.

„Platz ist in der kleinsten Hütte!" sagte er nur, und Gregor fügte sich.
Seine Tochter war in einer riesigen Villa aufgewachsen, er, Anita, sein Sohn Raffael und seine Tochter Rebekka, die bald zur Welt kommen würde, hatten ein ähnlich großes Haus zur Verfügung.

Aber Dr. Kevin Berger brauchte das nicht.
Er brauchte nur die Liebe und die Erinnerung an die Tage, als diese Liebe in sein Leben gekommen war.

Kevin war froh, dass sein Schwiegervater ihn verstand. Natürlich musste er noch mit Kathi darüber sprechen, womöglich sah sie alles anders.
Aber er glaubte es nicht, nicht wirklich.

Am Abend sprach er das Thema an.
„Pf!" machte sie nur und schmiegte sich in seine Arme.
Als sie am nächsten Morgen etwas übernächtigt am Frühstückstisch saßen, den Philip perfekt gedeckt hatte, sah Kathi ihren Mann ernst an.

„Ich will hier nicht weg, Kevin! Ich bin kein Typ für Haus und Garten und Blümchen. Ich bin nur ein Typ fürs Leben und die Liebe!"
Er zog sie in seine Arme, brannte schon wieder voll und ganz für sie. „Aber eigentlich bist du eine Type!" flüsterte er sehnsüchtig in ihr Ohr. „Eine besonders heiße Type!"

Philip grinste vor sich hin.
In der Nacht hatten sie wieder einmal ordentlich getobt.
Mit der Zeit hatte er schon begriffen, dass sie sich keine Witze erzählten, wenn sie so lachten.

Und die elektrischen Strömungen zwischen seinen Eltern fühlte er immer genauer. Sie waren die besten, sie liebten ihn unendlich, dessen war er sich bewusst.
Aber sie liebten sich auch gegenseitig unendlich, und das machte ihn sehr glücklich.

Hin und wieder erinnerte er sich an die Zeit, als er dieses Wort gelernt hatte: Glücklich!

Kathi hatte das geschafft, dass er ein sehr glücklicher Junge geworden war.
„Ich geh mal zu Max und Josie!" erklärte er lächelnd. „Summer ist zur Zeit ziemlich schwierig!"

Wortlos umarmte Kevin diesen wunderbaren Sohn, den es nie gegeben hätte, wenn er Mary nicht auf den Leim gegangen wäre.


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