Kapitel 6
Kevin und Katharina
„Hallo, Schönheit!" sagte er leise und lächelte dabei so glücklich, wie er sich fühlte. Ganz egal, was aus dieser Nacht werden würde, er hätte Stoff zum Träumen, wenn er neben der besoffenen, schnarchenden Frau lag, mit der er sein Leben teilen musste.
„Hallo, Fremder!" antwortete sie und fühlte irgendetwas in sich, das sie nicht kannte.
„Deine Freunde haben dich alleine gelassen?" fragte er mit klopfendem Herzen.
„Nein!" Ihr Lächeln raubte ihm beinahe den Verstand. „Nicht alleine!"
Kevin verstand, auch wenn das Blut in seinen Ohren rauschte. Er war verdammt ungeübt im Baggern, im Frauen ansprechen, aber er deutete ihre Worte richtig und hob beinahe ab.
Katharina wunderte sich über ihren Mut.
Sie wich seinem Blick nicht mehr aus, sah ihn offen an.
„Das klingt gut!" antwortete er, und sein Lächeln war unwiderstehlich.
Katharina fühlte sich verdammt wohl.
Ganz egal, was aus dieser Nacht werden würde, sie würde Stoff zum Träumen haben, der die Erinnerung an die Zeit mit Christian vertreiben würde.
„Verrätst du mir deinen Namen, Schönheit?" fragte er leise, und seine Stimme klang schon leicht heiser.
„Katharina!" antwortete sie, und ihre Stimme klang etwas belegt. „Und du?"
Er verzog leicht das Gesicht, was sie zum Lachen brachte. „Ich verrate ihn dir nur, wenn du versprichst, auf jeden Kommentar zu verzichten. Ich war zwei Wochen alt, als ich den Namen bekam, und ich konnte mich nicht wehren!"
Katharina lachte noch mehr. Er war gut drauf mit Worten, was die Spannung in ihr etwas löste. Mit Schlagfertigkeit konnte sie umgehen.
Aber auch damit, dass er sie schon zweimal Schönheit genannt hatte.
„Heißt du etwa Rumpelstilzchen?" fragte sie japsend.
Jetzt lachte er. Sie war gut drauf mit Worten. Damit konnte er umgehen! „Nein! So schlimm ist es auch wieder nicht! Ich heiße Kevin!"
„Okay!" antwortete sie grinsend. „Kein Kommentar! Aber ich kann mir vorstellen, dass ein großer Teil deiner Namensgenossen diesen Film verflucht!"
„Gut gebrüllt, Lady!" Er hielt sein Glas hoch, damit sie miteinander anstoßen konnten. Damit war das Eis gebrochen, sie beide fühlten sich einfach nur wohl bei der Gesellschaft des anderen.
„Wohnst du in Regenburg?" fragte er.
„Ja! Seit einer Woche arbeite ich hier. Ich stamme aus Köln!" erklärte sie offen.
„Aha! Eine rheinische Frohnatur!" Er lächelte wieder so atemberaubend. Die weißen Zähne blitzten, die vollen Lippen verzogen sich nach oben. Gebannt hing ihr Blick an seinem Mund fest.
„Und du? Du klingst auch nicht gerade wie ein Oberpfälzer!" stellte sie fest.
Kevin freute sich seltsamer Weise über diese Bemerkung. Er hatte sich den bayerischen Dialekt und vor allem den Slang, der in seiner Familie gesprochen wurde, abtrainiert.
Auch etwas, wofür er Spott von seinen Brüdern erntete, immer wieder.
„Doch! Ich bin ein waschechter Einheimischer! Seit meiner Zeugung Regensburger."
Sie lächelte bei seinen Worten, aber eigentlich lächelte sie seit einiger Zeit. Er war nett, etwas schwang zwischen ihnen beiden, sie fühlte es genau.
Ja! Weil du die absolute Fachfrau für nette Männer bist! meldete sich die Stimme in ihr.
Was für ein Lächeln! dachte er. Was für Lippen! Sie trug nicht den Hauch von Makeup, ihre Haut war klar und rein, nicht zu gepudert. Er hatte es nie verstanden, warum Mädchen ihre Gesichter zukleisterten, ihre Lippen knallig bemalten, oder - noch schlimmer - aufspritzen ließen.
Warum sie künstliche Wimpern anklebten, wenn man doch auf den ersten Blick sah, wie unecht das alles war.
Seine rechte Hand machte sich selbstständig. Mit dem Zeigefinger berührte er ihre Wange, fuhr weiter über ihren Mund zum Kinn.
Nur einmal wollte er diese samtweiche Haut berühren.
Dann erschrak er über seinen Mut, zog die Hand schnell zurück.
Doch sein Gehirn hatte die Funktion nahezu eingestellt, sonst hätte er nicht gesagt: „Du bist wunderschön!"
Katharina wich dem Blick aus seinen tatsächlich knallblauen Augen nicht aus, strich über die Konturen seines männlich schönen Gesichtes, wusste kaum, was sie da tat.
„Du auch!" flüsterte sie.
Er fing ihre Hand ein, mehr hätte er nicht ertragen. Er hätte lachen sollen, hätte das Kompliment zurückweisen sollen, hätte sagen sollen: „Ein Mann ist nicht schön!"
Doch er küsste jeden ihrer schöngeformten Finger und sagte leise: „Danke!"
In Katharina stieg eine ihr vollkommen unbekannte Erregung hoch.
Er hat nur deine Finger geküsst! schalt sie sich. Warum reagierst du so?
Aber diese kleine Zärtlichkeit hatte mehr in ihr ausgelöst als Christians ganze Bemühungen um ihren Körper, auch als er sich noch bemüht hatte.
Sie schloss die Augen, wollte nicht, dass er etwas von diesen Gefühlen in ihnen entdeckte.
Sie war sicher, dass ihre Gedanken ihm entgegensprangen, wenn sie jetzt nicht aufpasste.
In Kevin tobte es. Er sollte aufhören, sie so sehr zu wollen!
Er sollte zahlen und wortlos gehen.
Er sollte diese gestohlenen Minuten nicht so sehr genießen.
Er sollte in das zurück, was aus seinem Leben geworden war.
Aber! Er! War! 25!
Nur noch ein wenig Zeit wollte er mit ihr verbringen.
Ein wenig Zeit stehlen, die ihm nicht zustand.
Einen einzigen Traum mit nach Hause nehmen, in das schäbige Haus, die schäbige Wohnung, in sein schäbiges Leben.
Ohne weiter zu grübeln, führte er sie auf die kleine Tanzfläche, und sie sperrte sich nicht. Er zog sie nicht an sich. Seine Jeans waren noch immer etwas feucht, und hinter seinem Reißverschluss hatte sich ein gewaltiger Ständer aufgebaut.
Beides zwang ihn dazu, Abstand zu halten. Seine rechte Hand lag locker auf ihrer Hüfte, doch seine linke durfte ein wenig mit ihren Haaren spielen, durfte darunter nach ihrem Nacken fassen, durfte ein Stück an dem großzügigen Rückenausschnitt hinunter streichen.
Katharina bog sich ihm entgegen, hatte das Gefühl, gleich abzuheben!
Was war da los?
Warum tanzten die Hormone in ihrem ganzen Körper?
Warum hatte alles Blut ihr Gehirn verlassen und hatte sich zwischen ihren Beinen gesammelt, wo es fast schmerzhaft pochte?
Sie wollte sich reiben an ihm, wollte Erleichterung bekommen!
Als er sie aber auf Abstand hielt, kam sie ein wenig in die Gegenwart zurück.
Mein Gott! Wie führte sie sich denn auf!
„Sorry!" flüsterte sie und wich seinem Blick aus.
Das hat sie jetzt falsch verstanden! Kevin war sauer auf sich und seine Reaktion.
„Nein! Nein!" stieß er hervor. „Meine Jeans sind nur noch ziemlich feucht!" Und ziemlich prall gefüllt! fügte er im Geist hinzu.
Aber irgendwie war die Stimmung angeknackst.
Sie zog sich noch weiter von ihm zurück, wich seinem Blick aus.
Verdammt! Er hatte es vergeigt! Sie hatte das Gefühl, von ihm zurückgewiesen worden zu sein. Dabei war doch das Gegenteil der Fall! Er war so verdammt unerfahren damit, wie man Frauen behandelte.
Sie hatte ihn erschreckt! dachte Katharina. Sie war zu schnell vorgeprescht! Die feuchten Jeans waren nur eine laue Ausrede.
Aber sie hatte doch so wenig Erfahrung mit Zärtlichkeiten. Ihr Körper hatte ganz unbewusst reagiert!
Sie sollte nach Hause, bevor es noch peinlicher werden würde.
„Ich sollte gehen!" sagte sie leise, konnte ihm nicht in die Augen sehen dabei.
„Nein!" entfuhr es ihm. Nein! Diese eine Nacht sollte nicht schon zu Ende sein.
Morgen würde er wieder funktionieren wie seit knapp sechs Jahren. Aber heute wollte er 25 sein.
Wollte er ein Mann sein!
Ein freier, verliebter Mann!
Sie hörte das Entsetzen in diesem einen, kleinen Wort und verstand gar nichts mehr. Verwundert sah sie ihn an.
Verdammt! Wenn sie sich nur besser auskennen würde mit Männern!
Mit jungen Männern!
Mit normalen Männern!
Wenn sie das Spiel zwischen den Geschlechtern nur besser verstehen würde.
„Nein?" fragte sie sicherheitshalber nach.
„Bitte nicht!" Sie hörte das Flehen in seiner Stimme und sah es in seinen Augen.
Er wusste in diesem Moment, dass er ehrlich sein musste.
Hier!
Heute!
Mit ihr!
„Ich bin nicht sehr geübt im Umgang mit Frauen!" gestand er und sein Blick hielt ihren fest. „Meine Jeans ist wirklich feucht, aber ich wollte auch nicht, dass du fühlst, wie sehr ich dich begehre!"
So! Jetzt war es raus, und er konnte keines seiner Worte zurücknehmen. Wenn sie ihn jetzt auslachte, ihn vor allen Menschen hier blamierte, konnte er es auch nicht mehr ändern.
Doch sie lachte nicht, sie lächelte noch intensiver als vorhin am Tresen. „Ich bin so unerfahren wie du! Also, im Umgang mit Männern! Und ..." Sie machte eine Pause. „Frauen haben es etwas leichter!"
Kevin wurde es leicht ums Herz. So leicht wie noch nie im Leben.
Wenn er an ihre Unerfahrenheit auch nicht so ganz glauben konnte!
Ein schönes Mädchen wie sie!
Er drückte sie fest an sich.
Es war ihm egal, dass sie seine Erregung an ihrem Bauch spüren würde, und ob der feuchte Stoff sie stören könnte. Er drehte sich langsam mit ihr zu den leisen Tönen, wollte den Rest seines Lebens hier in dieser kleinen Bar mit ihr tanzen.
Sie sprachen nicht mehr, ihre Getränke am Tresen wurden warm. Sie sahen sich an, versanken in einem Paar blauer und einem Paar dunkelbrauner Augen, berührten sich vorsichtig.
Er ließ seine Lippen über ihre Wangen gleiten, zu ihrem Hals, knabberte an einem Ohr, das so wunderbar duftete.
Na! So unerfahren scheint er ja wohl nicht zu sein! dachte sie und genoss die zarten, unschuldigen Zärtlichkeiten.
Genoss es aber auch, durch seine Lederjacke geschützt vor fremden Blicken, ihre Hände auf Entdeckungsreise über seinen Rücken gleiten zu lassen.
Puh! Er hatte vielleicht einen Körperbau! Wo sie auch landete - weiche Haut über harten Muskeln. Einen solchen Körper hatte sie noch nie berühren dürfen.
Glücklich hörte sie, wie er die Luft scharf einzog, glücklich fühlte sie das Pochen hinter dem Reißverschluss seiner Jeans.
Plötzlich hielt er ihre Hand fest.
„Stopp!" flehte er. „Sonst wird es peinlich!" Er löste sich etwas aus der engen Umarmung, brachte etwas Abstand zwischen sie und ihn.
Katharina kicherte.
Kicherte?
Hatte sie jetzt wirklich gekichert?
War sie 14 oder 15?
Kevin genoss anfangs, dass sie ihre Passivität aufgab. Doch schnell kam er an seine Grenzen. Sie schien doch unerfahren zu sein, zumindest damit, was solche Berührungen bei einem sowieso schon erregten Mann anrichten konnten.
Als sie so süß kicherte, küsste er ihren Scheitel. Da wusste er, dass er sich Hals über Kopf verknallt hatte.
Und das machte ihm eine Höllenangst!
Langsam kam er wieder ein wenig runter, zog sie näher zu sich.
Plötzlich klatschte der Barkeeper in die Hände. „Herrschaften! Wir schließen!" rief er durch den Raum.
Er hatte seinen Kassenabschluss gemacht, den Tresen gewischt, die letzten Gläser gespült, die Inventarliste aktualisiert, seinen Mantel angezogen.
Er wollte dem schönen Paar, das sich heute hier in seinem kleinen Lokal gefunden hatte, noch so viel Zeit wie möglich zugestehen.
Er liebte es, immer wieder dieses aufkeimende Gefühl bei anderen zu erleben. Von den ersten Blickkontakten zum ersten Lächeln, von den ersten Worten zu den ersten Berührungen.
Den Typen hätte er auch nicht von der Bettkante gestoßen, aber es sollte eben nicht sein.
Morgen oder übermorgen hatte er vielleicht mehr Glück.
Katharina schreckte hoch. „Aber es ist doch erst ...!" Sie sah auf ihre Armbanduhr, erschrak! „Drei Uhr!" rief sie fassungslos. Wo war denn die Zeit hingekommen? Als die Jungs gingen, war es noch nicht einmal Mitternacht!
Auch Kevin hatte die Zeit total vergessen gehabt. Aber auch wenn er sich der späten Stunde bewusst gewesen wäre, wäre er nicht gegangen.
Hätte er nicht eine Sekunde der Zeit mit ihr geopfert.
„Ich muss noch bezahlen!" erklärte er, als er wieder denken konnte.
„Geht aufs Haus!" meinte der Barmann. „Ich hab schon alles dicht gemacht!"
„Okay! Danke!" meinte Kevin, fuhr sich über sein Gesicht. Und nun? Er würde sie zu ihrem Auto bringen, und das war's dann. Mehr durfte er von der Schönheit namens Katharina nicht erwarten. Er hoffte nur, dass ihr Wagen am anderen Ende der Stadt stand.
Er half ihr in ihren Mantel, legte den Arm um ihre Taille und führte sie hinaus.
Sie standen sich etwas verunsichert gegenüber.
Einen Kuss! forderte sein vernebeltes Gehirn, und sein gemarterter Körper stimmte begeistert zu.
Vorsichtig hob er seine Hand, legte sie an ihren Hinterkopf, zog ihn näher zu sich.
Sie könnte sich leicht befreien, wenn sie das nicht wollte!
Doch sie wollte, wollte nichts mehr als das.
Seine Lippen streiften ihre sanft, warteten auf ihre Reaktion.
Sie wich nicht zurück, schloss die Augen. Er wurde mutiger, erhöhte den Druck, küsste ihre Mundwinkel.
Als noch immer keine Abwehr spürbar war, forderte seine Zunge Zugang zu ihrem Mund, den sie ihm auch willig gewährte.
Leidenschaftlich tanzten ihre Zungen den Tanz von Verliebten.
Sehnsüchtig stöhnte Katharina an seinen wunderbaren Lippen, er trank diesen wunderbaren Laut.
Sie hätten beide nicht sagen können, wie lange sie dort vor der Türe der kleinen Bar standen und sich küssten. Immer wieder wechselten sich reine Zärtlichkeit und pure Leidenschaft ab.
Irgendwann einmal musste Kevin passen. Er brauchte dringend Sauerstoff in seinen Lungen, hatte das Atmen beinahe vergessen.
„Wo steht dein Auto?" fragte er, als er wieder Worte in seinem Kopf fand.
Katharina versuchte, die Frage zu verstehen und auch zu beantworten. „Ich ...ich ... ich bin zu Fuß hier! Ich wohne in der Wahlenstraße!" flüsterte sie.
Er zeigte mit der Hand nach rechts. „Dann ... dann müssen wir da lang!"
„Kann sein! Ich kenne mich noch nicht so gut aus hier!" gestand sie ein.
Er wollte sie rügen, weil sie doch etwas leichtsinnig gewesen war, doch wenn sie mit ihren Begleitern gegangen wäre, hätte er sie nie kennengelernt!"
Er nahm ihre Hand, wollte auf Körperkontakt nicht ganz verzichten.
Immer wieder trafen sich ihre Blicke, immer wieder ging ihr Puls dann etwas schneller.
„Warum bist du von Köln weggegangen? Ein neuer Job?" fragte er schließlich.
„Ja!" antwortete sie. „Mein Traumjob!"
Mehr wollte sie über ihren Beruf noch nicht verraten. „Und eine Affäre, die endlich ein Ende finden musste!"
„Okay! Es muss schön sein, in seinem Traumjob arbeiten zu können!" Seine Stimme klang etwas sehnsüchtig.
„Was machst du?" fragte sie deshalb.
Kevin hätte irgendetwas erfinden können, doch das war nicht nötig. Sie würden sich nicht wiedersehen, und die Zeit mit ihr war beinahe abgelaufen.
In der nächsten Querstraße wohnte sie.
„Ich arbeite in einem Lager für Elektrogeräte. Seit sechs Jahren!" erklärte er.
Begeistert klang das nicht! dachte Katharina und hatte etwas Mitleid. Da tauchte ein Gedanke aus den Tiefen ihres Gedächtnisses auf. „Du sprichst fließend Italienisch?"
„Ja! Und Spanisch und Französisch. Sprachen fallen mir leicht, und sie sind ja alle sehr verwandt mit Latein!" sprudelte es aus ihm heraus, bevor er nachdachte.
Jetzt würde sie sich sicher wundern!
Würde Fragen stellen.
Aber sie sah ihn nur stumm an.
Natürlich wunderte sich Katharina. Drei Sprachen plus Latein! Da musste er ein Gymnasium besucht haben.
Aber warum arbeitete er dann in einem Lager?
Sein Traumjob war es offensichtlich nicht.
Doch sie bohrte nicht nach.
„Ich hatte auch neun Jahre Latein, aber ich habe mit Müh und Not Englisch gepackt, ohne dass es mir den Schnitt verhagelt hat. Französisch konnte ich Gott sei Dank abwählen!" erklärte sie lachend. Zum Glück hatten sie für die letzten Meter ein unverfängliches Thema gefunden.
„Und wo liegen deine sicherlich vorhandenen Begabungen?" wollte er wissen.
„Ich hab's mehr mit den Naturwissenschaften!" gab sie zu.
Er lachte. „Womöglich Mathematik?"
„Auch, ja! Bio, Chemie, Physik!" Sie sah ihn schelmisch an. „Ungewöhnlich für eine Frau?"
Er nahm sie noch einmal in seine Arme.
„Nein! Nein!" beteuerte er. „Ich bin kein Chauvinist! Und auch kein Macho! Aber Mathe war für mich immer ein Buch mit sieben Siegeln! Zum Glück war ich bei den Domspatzen, da war Musik wichtiger als Mathe!"
„Den Domspatzen? Das ist doch dieser Knabenchor, oder? Bist du auch noch musikalisch?" Sie war schon sehr erstaunt, was sie da über den bildhübschen Lagerarbeiter erfuhr.
Dieses „auch noch" ging ihm runter wie Öl. Seine Sippe und auch alle Kumpel aus dem Viertel hatten ihn nicht zu knapp aufgezogen, dass er sehr gut singen konnte. Sogar nach dem Stimmbruch hatte er einen klaren, sauberen Tenor behalten, war oft Solist bei Konzerten gewesen.
„Träller doch mal ein wenig, Vögelchen!" war noch die harmloseste Aussage.
„Vögelchen" war dann auch bald nach dem Eintritt ins Gymnasium sein Spitzname geworden.
Auch die Mädels hatten ihn so genannt, und während der Pubertät war der Satz der dicken Susi: „Vögelchen vögelt nicht!" zu einem geflügelten Wort geworden.
Er wischte die Erinnerungen weg.
Lange her!
Er wünschte innbrünstig so manches Mal, das wäre das Schlimmste gewesen, das ihm im Leben widerfahren war.
Doch sie wartete auf Antwort. „Ja! Geht so! Ich hab mal ganz gut gesungen und ein wenig Klavier gespielt! Früher!"
Und wieder sah sie den Schatten, der sich über sein Gesicht legte. Irgendetwas war in seinem Leben total schief gelaufen, das ahnte sie. Aber sie konnte ihn nicht am ersten Abend ausfragen. Sie hatte ja von sich selbst auch nur wenig preisgegeben.
Am ersten Abend!
Ihr wurde urplötzlich kalt.
Würde es einen zweiten geben?
Würde sie die Chance bekommen, mehr über sein Leben zu erfahren, mehr von sich zu erzählen?
Oder würde ihre gemeinsame Zeit nach den wenigen Schritten, die sie noch von dem Haus trennten, in dem sie wohnte, enden?
Sie würde ihn gerne wiedersehen!
Aber sie würde ihn auch gerne mit nach oben nehmen!
Katharina! schalt die Stimme in ihr sie aufgebracht. Bist du verrückt? Du kannst nicht einen wildfremden Mann mit in deine Wohnung nehmen! Nach ein paar Stunden in einer Bar!
Warum nicht? fauchte sie diese lästige Stimme an.
Dann ließ sich das Unvermeidliche nicht mehr aufhalten. Sie standen vor ihrer Haustüre.
„Nr. 15, vierter Stock. Hier wohne ich!" sagte sie leise.
„Okay!" Seine Stimme war nicht viel kräftiger. „Na dann! Vielen Dank für den schönen Abend!"
Die Worte ermordeten sein Herz. Doch er rührte sich nicht von der Stelle. Sah sie nur an.
Sie wartete auf ein: „Sehen wir uns wieder?" oder ein: „Gibst du mir deine Nummer?", doch er sah sie nur schweigend an.
Erwartete er von ihr den ersten Schritt?
Das konnte sie nicht!
Darin hatte sie nun wirklich keine Übung!
Sie wusste, dass heutzutage auch Mädchen den ersten Schritt taten, aber so weit war sie noch lange nicht!
Nein?
Nein!
Niemals!
Niemals?
Er geht weg, und du siehst ihn nie wieder!
Spürst seine Lippen nie wieder!
Seine Hände auf deiner Haut!
Sie atmetet tief ein, tief aus. „Möchtest du.....?
„Ja!" fiel er ihr ins Wort. „Alles, was du fragen wolltest! Nur nicht weggehen!" Er wusste, dass es falsch war, was er gesagt hatte.
Aber er war auch sicher, dass er nie etwas Richtigeres gesagt hatte.
„Einen Kaffee?" vollendete sie ihren Satz, kramte die Schlüssel aus ihrer Tasche, schloss mit zitternden Händen auf.
Sie rasten die vier Stockwerke hinauf. Irgendwie schaffte sie es auch, das zweite Schloss aufzubekommen, bevor sie sich umschlangen. Er schubste die Türe ins Schloss, begann sie zu küssen, anzufassen, genoss, wie sie sich an ihn presste, sich an ihm rieb.
Sie versanken in einen absoluten Taumel der Lust, der sie ins Schlafzimmer in ein breites Doppelbett brachte.
Seine Hände waren überall, er schien viele davon zu haben!
Seine Lippen folgten, sie hob vollkommen ab.
Ja! Das war Sex! Mit einem Mann, der sich um sie als Frau kümmerte! dachte sie vollkommen benebelt, nachdem er sie zum zweiten Orgasmus gestreichelt und geküsst hatte.
Sie zog ihn an sich, wollte ihn endlich ganz an sich, in sich spüren. Irgendwann hatten sie sich die Klamotten ausgezogen, keiner von beiden konnte sich erinnern, wann und wie.
Da ging eine Alarmsirene grässlich laut in ihrem Kopf los.
Kondome!
Gummis!
Sie hatte nichts da!
Hatte er?
Als hätte er ihre Gedanken gefühlt, rollte er neben sie, rang nach Atem, schien auf die Erde zurückfinden zu müssen.
„Ich ... ich ... ich habe nichts dabei!" stöhnte er frustriert.
Katharina erstarrte. Verdammt! Sie hätte beinahe den Kopf verloren!
Doch dann sagte sie etwas, von dem sie nie gedacht hätte, dass sie es je aussprechen würde: „Ich nehme die Pille. Und vor einem halben Jahr bin ich getestet worden. Seitdem habe ich mit keinem Mann mehr geschlafen!"
Kevin war fast wahnsinnig vor Begehren.
Er wollte sie!
Er wollte ganz in sie!
Wollte! Wollte! Wollte!
„Ich nehme die Pille!" hatte schon einmal eine Frau zu ihm gesagt, und der Glaube an ihre Worte hatte sein Leben zerstört! Kurz bat er Philip um Verzeihung.
„Ich ... ich lasse mich jedes Jahr testen. Aber ich habe schon seit Jahren mit keiner Frau mehr geschlafen!" stieß er hervor.
Er hatte die Wahrheit gesagt. Er machte regelmäßig alle Gesundheitschecks, die die Kasse bezahlte. Das war ihm sehr wichtig. So wichtig wie die Körperpflege, im Gegensatz zu Mary!
Wie oft hatte sie ihn dumm angemacht. „In unserem Bad stinkt es wie in einem Puff!"
Oder: „Von unseren Wasserkosten lebt eine andere Familie!
Er achtete auch bei Philip akribisch darauf, dass er regemäßig duschte, seine Haare wusch, seine Zähne putzte. Der Kleine machte das auch schon alleine, ließ sich von Mary und Selina nicht beirren.
Anfangs hatte er auch Selina gebadet und eingecremt, doch dann hatte Mary diese schrecklichen Worte zu ihm gesagt, die noch heute in seinen Ohren klangen: „Ich glaube nicht, dass ein Mann ein Mädchen baden sollte!"
Er war erstarrt, hatte vergessen zu atmen.
Mein Gott! Was unterstellte sie ihm denn da?
Wie krank war ihr Gehirn?
Aber in ihrem Milieu war das womöglich nicht so ganz von der Hand zu weisen!
In ihrem Milieu? hatte er sich dann gefragt. Das ist auch deines!
Niemals! hatte er sich geantwortet.
Doch von da an hatte er alles vermieden, was Mary auf dumme Gedanken brachte.
Das alles schoss in Sekundenschnelle durch seine Gehirnwindungen.
Und nun lag er neben dieser betörenden Frau, die ihm eine Nacht voller Träume schenken wollte.
Sie war nicht wie Mary, ganz und gar nicht!
Sie würde ihn nicht reinlegen!
Aufstöhnend vor nie gekannter Lust legte er sich auf sie und drang in sie ein. Gefühle, wie er sie nie erwartet hatte, überfluteten ihn.
Das war der Himmel!
Das war der Wahnsinn!
Das war .... das war ... das war Kathi!
Als er diesen Kosenamen stöhnte, hoben sie gemeinsam ab, flogen ins Universum, als ihr gemeinsamer Orgasmus sich aufbaute, als sie sich aneinander klammerten, als sie laute Lustschreie ausstießen, als ihre Körper zu zucken begannen, als sie erschöpft von dem Erlebten zur Erde zurückkamen.
Er rollte neben sie, um sie nicht zu erdrücken, zog sie aber gleichzeitig in seine Arme, während sie versuchten, zu Atem zu kommen, ihren Puls herunterzufahren.
Sie sprachen nicht, wussten, Worte waren nicht nötig.
Was hätte er auch sagen sollen?
„Danke? Das war toll?" Das hatte sie sicher mitbekommen, dass es für ihn mehr als toll gewesen war!
Sollte er sie fragen: „War ich gut?" Er musste bei diesem Gedanken lächeln.
Er wusste, dass er gut gewesen war! Sie hatte ihm nichts vorgespielt!
Er strich die verschwitzten Haare aus ihrem Gesicht, lächelte sie an.
Das Lächeln, das sie ihm schenkte, sagte mehr als tausend Worte.
Doch dieses Lächeln weckte auch die Lust wieder in ihm. Er widmete sich ihrem wunderbaren Körper noch aufmerksamer als beim ersten Mal.
Jede Sekunde dieser Nacht würde er in sich aufnehmen, würde sein Gehirn abspeichern, würde er in den kommenden Nächten abrufen können.
Denn es gab nur diese eine Nacht.
Sie musste für viele Jahre reichen.
Nach der dritten Runde schlief sie selig lächelnd ein. Er war so randvoll von Glückshormonen, dass an Schlaf nicht zu denken war.
Aber Durst hatte er!
Er hatte so viel gestöhnt und gekeucht, dass sein Hals wie ausgedörrt war.
Sie würde schon nichts dagegen haben, wenn er sich eine Flasche Wasser holte.
Da fiel sein Blick auf die Uhr auf ihrem Nachttisch.
Sechs!
In einer Stunde musste er im Lager sein. Sie arbeiteten auch am Samstag. Philip würde bald aufwachen. Er musste ihn noch versorgen.
Sein Leben forderte ihn zurück, er musste funktionieren.
Heute und den Rest seines Lebens.
Der Traum war vorbei.
Er suchte seine Klamotten zusammen, wischte die verdammten Tränen aus seinen Augen, die nicht aufhören wollten zu fließen und zog die Türe hinter sich ins Schloss.
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